" Kennst Du das Land, wo die Faschisten blühn,
im dunklen Laub die Diebslaternen glühn,
ein Moderduft von hundert Leichen weht,
die Freiheit still und hoch der Duce steht?
Kennst Du es wohl?
Dahin! Dahin
möcht ich mit Dir, mein Adolf Hitler, ziehn!
(...) Dahin! Dahin
geht Deutschlands Weg! O Ferne, laß uns ziehn!" 1
Erich Mühsam, ein Dichter jüdischer Herkunft, hatte wohl die entschiedene Orientierung der 1925 neugegründeten NSDAP am Vorbild Mussolinis erkannt, als er in seiner Parodie des Goethe-Liedes "Mignon 1925", welcher der vorangestellte Abschnitt entnommen ist, vor der Nachahmung des Faschismus in Deutschland warnte.2
Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen soll genau diese Ausrichtung des NS-Staates auf das italienische Vorbild in einer ersten, frühen Phase sein, die vom "Marsch auf Rom" im Oktober 1922 bis zu einem ersten Treffen zwischen den beiden, zueinander sehr unterschiedlich eingestellten, Diktatoren Adolf Hitler und Benito Mussolini im Juni 1934 reicht bzw. bis zu der erneuten "Abkühlung" der deutsch-italienischen Beziehungen mit der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß im Juli 1934.
Neben der Darstellung der italienischen Vorbildfunktion soll auf persönliche Beziehungen zwischen Hitler und Mussolini sowie auf einen Vergleich zwischen faschistischem Italien und nationalsozialistischem Deutschland eingegangen werden. Einer historischen Hinführung auf die ausgewählte Quelle sowie knappen Inhaltsangabe derselbigen, soll eine genauere Analyse des Dokuments hinsichtlich der bedeutendsten erwähnten Sachverhalte und dessen Einordnung in den geschichtlichen Kontext folgen. Die Arbeit soll mit einigen Bemerkungen zur Gattung der Quelle schließen.
Inhaltsverzeichnis:
1. Vorbemerkungen
2. Historische Einleitung
3. Inhaltsangabe der Quelle
4. Analyse und Interpretation der Quelle
5. Schlußbemerkungen
6. Anmerkungen
7. Literaturverzeichnis
1. Vorbemerkungen
" Kennst Du das Land, wo die Faschisten blühn, im dunklen Laub die Diebslaternen glühn, ein Moderduft von hundert Leichen weht, die Freiheit still und hoch der Duce steht? Kennst Du es wohl? Dahin! Dahin möcht ich mit Dir, mein Adolf Hitler, ziehn! (...) Dahin! Dahin geht Deutschlands Weg! O Ferne, laß uns ziehn!"[1]
Erich Mühsam, ein Dichter jüdischer Herkunft, hatte wohl die entschiedene Orientierung der 1925 neugegründeten NSDAP am Vorbild Mussolinis erkannt, als er in seiner Parodie des Goethe-Liedes "Mignon 1925", welcher der vorangestellte Abschnitt entnommen ist, vor der Nachahmung des Faschismus in Deutschland warnte.[2]
Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen soll genau diese Ausrichtung des NS-Staates auf das italienische Vorbild in einer ersten, frühen Phase sein, die vom "Marsch auf Rom" im Oktober 1922 bis zu einem ersten Treffen zwischen den beiden, zueinander sehr unterschiedlich eingestellten, Diktatoren Adolf Hitler und Benito Mussolini im Juni 1934 reicht bzw. bis zu der erneuten "Abkühlung" der deutsch-italienischen Beziehungen mit der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß im Juli 1934.
Neben der Darstellung der italienischen Vorbildfunktion soll auf persönliche Beziehungen zwischen Hitler und Mussolini sowie auf einen Vergleich zwischen faschistischem Italien und nationalsozialistischem Deutschland eingegangen werden. Einer historischen Hinführung auf die ausgewählte Quelle sowie knappen Inhaltsangabe derselbigen, soll eine genauere Analyse des Dokuments hinsichtlich der bedeutendsten erwähnten Sachverhalte und dessen Einordnung in den geschichtlichen Kontext folgen. Die Arbeit soll mit einigen Bemerkungen zur Gattung der Quelle schließen.
2. Historische Einleitung
Auch wenn sich die Entstehung des deutschen Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus keineswegs zur gleichen Zeit vollzog, sondern etwa um ein Jahrzehnt verschoben, läßt sich in Deutschland und Italien - beide als verspätete Nationen anzusehen - nach Beendigung des Ersten Weltkriegs von einer "ähnlichen Ausgangssituation"[3] sprechen. Die längerfristige innere Strukturkrise, die sich in beiden Ländern aus einer relativ späten, nahezu gleichzeitigen Nationalstaatsbildung und den ungelösten Problemen der Verfassungsbildung bzw. des Übergangs in das Industriezeitalter ergab und sich vor allem in einer "nationalen Identitätskrise" und einem "verschärften Klassenkampf"[4] äußerte, wurde durch den Ersten Weltkrieg, aus dem der Faschismus und der Nationalsozialismus ganz wesentlich kamen[5], verschärft. So kann die Machtergreifung der Faschisten in Italien im Zusammenhang mit dem Marsch auf Rom am 28. Oktober 1922 bzw. der Nationalsozialisten in Deutschland mit der Berufung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, als eine Folge dieser Krise, in der sich beide Länder befanden, angesehen werden.[6] Es bestehen also Parallelen zwischen der Krise des liberalen italienischen Staates in den Jahren 1921/22 und der Krise der sich in der Auflösung befindlichen Weimarer Republik.[7]
Erste Versuche einer Kontaktaufnahme zu Mussolini seitens Hitler gehen zwar auf die Jahre 1922/23 zurück, als Hitler also praktisch noch unbekannt war, während Mussolini bereits eine erstrangige Rolle in der italienischen Politik spielte.[8] Hierbei ist vor allem die Entsendung des Beraters Kurt G. W. Lüdecke zur Herstellung eines ersten Kontaktes zu Mussolini im September 1922 erwähnenswert.[9] Charakteristisch ist jedoch, daß lediglich Hitler Verbindungen zu Mussolini suchte, umgekehrt der Duce sich jedoch zurückhaltend verhielt, kann doch von einer geringen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, daß Hitler und die NSDAP bei Mussolini in dieser Zeit besondere Aufmerksamkeit erweckt hätten. Das Interesse am Nationalsozialismus war in den zwanziger Jahren sehr schwach in Italien.[10] In jener Zeit erschien Italien Deutschland und Österreich gegenüber lediglich auf die Sicherung Südtirols und des Anschlußverbotes bedacht.[11]
Derartige Kontaktbestrebungen in dieser frühen Phase sind ferner nur episodisch und politisch irrelevant.[12] Überdies kühlte das Interesse Mussolinis nach dem Zusammenbruch des Hitler-Putsches zeitweilig ab,[13] und die Verurteilung Hitlers schließlich, diskreditierte die sich in Deutschland in der Entstehung befindliche Bewegung.[14]
Während Adolf Hitler den faschistischen Diktator "vorbehaltlos anerkannt, ja geradezu verehrt hat"[15] und in seiner Einstellung zu den deutsch-italienischen Beziehungen eine geradlinige Einheitlichkeit ("coerenza e linearità") erkennen ließ, war die Haltung Mussolinis stets gekennzeichnet von Zweideutigkeit ("ambiguità") und Widersprüchlichkeit ("contraddittorietà").[16] Hitler orientierte sich bereits lange vor seiner Machtergreifung am Vorbild Mussolinis - so war ihm beispielsweise der Marsch auf Rom stets "Vorbild und Ermutigung"[17] - und häufte alle Ehre auf eine konkrete und anschaubare Erscheinung, wenngleich er nicht eigentlich Mussolini, sondern den Faschismus verehrte.[18] Mussolini hingegen, soll sich gegenüber der "Hitler-Bewegung" mit "bissigem Hohn" geäußert haben.[19] Der Duce erkannte schnell Hitlers Maßlosigkeit.[20]
Die Vorbildfunktion des italienischen Modells setzte jedoch bei der Kritik am fehlenden Antisemitismus innerhalb des Faschismus aus. Mussolini sah seinerseits von Anfang an einen qualitativen Unterschied zum Nationalsozialismus in Hinblick auf bereits widerlegte Rassenlehren.[21] Dennoch war beispielsweise Göring der Meinung, früher oder später würde auch der Faschismus dem Judentum den Kampf ansagen.[22]
Selbst wenn Mussolini Anfang 1930 den Faschismus "keinen Exportartikel" nannte[23], läßt sich, trotz aller grundsätzlicher Unabhängigkeit beider Bewegungen, eine tatsächliche enge
Verwandtschaft zwischen Faschismus und Nationalsozialismus nicht leugnen. Ihre primäre Gemeinsamkeit sah man im Antimarxismus, was besonders seitens der Nationalsozialisten in der "propagandistisch wirksamen Vereinfachung aller Konflikte und Probleme auf die Alternative Faschismus - Marxismus"[24] zum Ausdruck kam.
Was die Rezeption der Machtergreifung des Faschismus in Italien in der deutschen Öffentlichkeit bis 1933 betrifft und die Frage nach der Möglichkeit der Imitation des faschistischen Modells, so wurde die Gefahr einer Übertragbarkeit auf Deutschland weitgehend verkannt. Eine politische Sympathie für Mussolini bedeutete keineswegs unbedingt eine Parteinahme für Hitler. Berlin sei nicht Rom, Deutschland nicht Italien, und Hitler selbst sei eher eine "schlechte Mussolinikopie"[25]. Der Nationalsozialismus wurde letztlich durch diese Unterschätzung ermöglicht; die Lernfähigkeit war, trotz des abschreckenden italienischen Beispiels, gering, auch wenn im Rückblick die Parallelen noch so augenfällig sind.[26]
Über lange Zeit hinweg behielt die Formel "Italia docet" ihre Gültigkeit, wurde doch der Vorbildcharakter vor allem durch den Marsch auf Rom und den so geschaffenen "politischen Mythos"[27] unterstrichen. Nach 1933 konnte man jedoch schnell eine Wegentwicklung vom italienischen Vorbild erkennen, und das nationalsozialistische Deutschland beschritt seinen individuellen, katastrophalen Weg.[28]
Vor allem Hitlers Wahlerfolg vom September 1930, der seine Bewegung von 809.000 auf 6.401.000 Stimmen und von 14 auf 107 Abgeordnete brachte,[29] bewirkte einen ersten, zeitweiligen Meinungsumschwung Mussolinis, der daraufhin sein Verhältnis zum Nationalsozialismus neu überdachte, nun zu einer panfaschistischen Bewegung tendierte[30] und schließlich, nach langer Zurückhaltung, konkret ein erstes Treffen mit Hitler in Betracht zog. Hitler hatte bereits seit 1928 auf ein Treffen mit dem Duce in Rom bestanden. Eine erste persönliche Erkenntlichkeit des italienischen Diktators erhielt Hitler jedoch erst Ende April 1931 in Form einer handsignierten Photographie, überreicht durch seinen Vertrauten Göring nach dessen Romaufenthalt. Nachdem Hitler sich im Herbst 1931 sogar selbst darum bemüht hatte, ein Zusammentreffen mit dem Italiener zu erreichen, ein vereinbarter Besuchstermin jedoch in letzter Minute gescheitert und ebenso ein neuer Termin im Juli 1932 nicht zustandegekommen war,[31] ferner Mussolini nach wie vor der Ansicht war, ein derartiges Treffen müsse vor allem in Hinblick auf die österreichische Frage gut vorbereitet sein,[32] konnte letztendlich ein Termin für den 14. und 15. Juni 1934 in Venedig festgesetzt werden.
3. Inhaltsangabe der Quelle
Was den Ablauf des Zusammentreffens in Venedig vom 14. und 15. Juni 1934 anbelangt, wird oft erwähnt, daß bereits bei der Ankunft Hitlers, in Begleitung Neuraths, eine äußere Disharmonie deutlich wurde: Als der offenbar schlecht beratene Führer am Morgen des 14.Juni in Zivil aus dem Flugzeug stieg, wurde er von einem selbstsicheren Mussolini in großer Uniform empfangen.[33]
[...]
[1] Grimm, G. E. (Hrsg.), Italien-Dichtung, 2 Bde, Stuttgart 1988, hier: II, S. 278
[2] Große / Trautmann, S. 278f.
[3] Schieder 1985, S. 46f.
[4] ebd., S. 49
[5] Bracher, S. 114
[6] Schieder 1985, S. 49
[7] Thamer, S. 246
[8] Perfetti, S. 45
[9] vgl. hierzu Perfetti, S. 46 sowie De Felice, S. 19f. und Petersen, S. 14f.
[10] Perfetti, S. 48
[11] Nolte, S. 63
[12] Perfetti, S. 46
[13] Petersen, S. 16
[14] Perfetti, S. 46
[15] Schieder 1996, S. 73
[16] Große / Trautmann, S. 284
[17] Thamer, S. 245
[18] Nolte, S. 70
[19] Schieder 1996, S. 96
[20] Große / Trautmann, S. 284
[21] Nolte, S. 64
[22] Schieder 1996, S. 117
[23] Nolte, S. 63
[24] Thamer, S. 252
[25] vgl. Schieder 1996, S. 80ff. sowie Thamer, S. 255
[26] Thamer, S. 257f.
[27] ebd., S. 249
[28] Schieder 1996, S. 124f.
[29] Perfetti, S. 48
[30] Schieder 1996, S. 99
[31] ebd., S. 116f.
[32] Burgwyn, S. 95
[33] ebd., S. 97
- Arbeit zitieren
- Thomas Strobel (Autor:in), 2000, Bewegung des NS-Regimes zum italienischen Vorbild bis 1934, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/114590