Die vorliegende Forschungsarbeit soll die Auswirkungen von Staatsfragilität (dysfunktionale Staaten) auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt eines Staates untersuchen. Dabei geht es im Kern um die Frage, inwiefern ein Zusammenhang zwischen Staatsfragilität und Bürgerkriegsrisiko besteht. Hierfür werden die zwölf Subindikatoren des Fragile State Index 2019, welche den Grad der fragilen Staatlichkeit messen, mit den Ergebnissen diverser empirischer Studien verglichen. Mittels dieses Vergleichs sollen insbesondere die Subindikatoren identifiziert werden, die sowohl die Staatsfragilität als auch das Bürgerkriegsrisiko eine Landes beeinflussen. Das Ziel ist es, mithilfe der identifizierten Subindikatoren, einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen herzustellen. Das Ergebnis der Analyse ist, dass fragile Staaten ein erhöhtes Bürgerkriegsrisiko aufweisen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Abstract
2 Begriffsdefinitionen
3 Stand der Forschung
4 Hypothesen
5 Datenlage/Datennutzung
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abstract
Die weltweiten Muster kriegerischer Konflikte haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg tiefgreifend verändert. Während die Anzahl zwischenstaatlicher Kriege kontinuierlich gesunken ist, hat die Bedrohung durch innerstaatliche Konflikte deutlich zugenommen. Die Konfliktforschung beschäftigt sich seit Ende des Kalten Krieges daher verstärkt mit den Ursachen von Bürgerkriegen. Dabei wird insbesondere das Phänomen der fragilen Staatlichkeit als mögliche Ursache für die Entstehung solcher Konfliktsituationen diskutiert.
Die vorliegende Forschungsarbeit soll die Auswirkungen von Staatsfragilität (dysfunktionale Staaten) auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt eines Staates untersuchen. Dabei geht es im Kern um die Frage, inwiefern ein Zusammenhang zwischen Staatsfragilität und Bürgerkriegsrisiko besteht. Hierfür werden die zwölf Subindikatoren des Fragile State Index 2019, welche den Grad der fragilen Staatlichkeit messen, mit den Ergebnissen diverser empirischer Studien verglichen. Mittels dieses Vergleichs sollen insbesondere die Subindikatoren identifiziert werden, die sowohl die Staatsfragilität als auch das Bürgerkriegsrisiko eine Landes beeinflussen. Das Ziel ist es, mithilfe der identifizierten Subindikatoren, einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen herzustellen. Das Ergebnis der Analyse ist, dass fragile Staaten ein erhöhtes Bürgerkriegsrisiko aufweisen.
2 Begriffsdefinitionen
Staatsfragilität
Der Begriff der fragilen Staatlichkeit hat seinen Ursprung Anfang der 1990er Jahre im angloamerikanischen Raum (vgl. Jacobs 2004, S. 281). Zur damaligen Zeit haben Gerald B. Helman und Steven R. Ratner mit dem Artikel „Saving Failed States“ das Problem der zerfallenen Staatlichkeit als „failed State“ identifiziert (vgl. Helman & Ratner 1992). Der Artikel warf erstmals die Frage auf, was der Westen - vor allem die USA - tun könne, um zerfallen Staaten zu retten. „Insbesondere in ihrer ersten Dekade befasste sich die Forschung stark mit Begrifflichkeiten - außer Staatszerfall sprach man u. a. von Staatskollaps, unterbrochenen oder intervenierten Staaten.“ (Lambach 2015, S. 436). Mittlerweile wird der Begriff der fragilen Staatlichkeit als eine Art Sammelbegriff für eine Brandbreit an unterschiedlichen Auffassungen und Interpretationen verstanden (vgl. Lambach, Johais & Bayer 2016, S. 17). Diese breite Vielfalt an Definitionsversuchen verdeutlicht die Komplexität und erschwert zugleich ein einheitliches Begriffsverständnis von fragiler Staatlichkeit (vgl. Mata & Ziaja 2009, p. 6).
Alle bestehenden Definitionen haben jedoch eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Nach Stewart und Brown (2010, p. 20) weisen alle bestehenden Definitionen drei wesentliche Merkmale auf: 1) Versagen von Autorität, 2) Dienstleistungen und 3) Legitimität. Dies bedeutet, dass die Re- gierungen fragiler Staaten nur über ein eingeschränktes legitimes Gewaltmonopol verfügen. Zudem sind sie nicht in der Lage, die grundlegenden Aufgaben für das Gemeinwohl zu erfüllen (vgl. BMZ 2013, S. 6). Dies äußert sich beispielsweise in der Unfähigkeit eines Staates, das eigene Staatsterritorium zu kontrollieren, die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu garantierten und/oder öffentliche Basisdienstleistungen, wie z. B. Gesundheits- und Wasserversorgung oder Grundbildung, bereitzustellen (vgl. Preuß 2018, S. 250). Das britische Department for International Development (DFID) entwickelte in diesem Kontext eine Arbeitsdefinition für den Begriff des fragilen Staates. Danach kennzeichnen sich fragile Staaten dadurch, dass „government cannot or will not deliver core functions to the majority of its people, including the poor.“ (DFID 2005, p. 7). Als die wichtigsten Funktionen des Staates gelten hierbei „territorial control, safety and security, capacity to manage public resources, delivery of basic services, and the ability to protect and support the ways in which the poorest people sustain them- selves.“ (DFID 2005, p. 7). Eine ähnliche Definition findet sich auch in den „Principles for Good International Engagement in Fragile States and Situations“ der OECD. Hier erfolgt die Begriffsdefinition in Abgrenzung zu dem prägenden Ideal eines Staates. Danach sind Staaten als fragil einzustufen, „when state structures lack political will and/or capacity to provide the basic functions needed for poverty reduction, development and to safeguard the security and human rights of their populations.“ (OECD 2007, p. 48). Die Sicherheits- und Menschenrechtslage rückt mit dieser Definition in den Mittelpunkt der Betrachtung. Fragile Staatlichkeit wird also mit einer breiten Spanne von Beispielen institutionellen Versagens beschrieben zu denen sowohl schwache, aber noch teilweise funktionierende Staaten als auch krisengeschüttelte und von Zerfall bedrohte Staaten angehören (vgl. z. B. Lambach & Bethke 2012, S. 7; Lindemann 2014, S. 1).
Bürgerkrieg
In der sozialwissenschaftlichen Kriegsforschung existieren unterschiedliche Vorstellungen darüber, was mit dem Begriff „Bürgerkrieg“ zu verbinden ist (vgl. Deißler 2016, S. 25). Ein möglicher Grund hierfür liegt in der enormen Heterogenität des Begriffs, die es ungemein erschwert, die unterschiedlichen Vorstellungen und paradigmatischen Fälle mit einer Definition abzudecken (vgl. ebd., S. 25). Bürgerkriege stellen bewaffnete Konflikte dar, die, verglichen mit zwischenstaatlichen Kriegen, lange andauern und i. d. R. zwischen zwei oder mehreren Gruppen innerhalb eines Staates ausgetragen werden (vgl. Fürstenberg 2015, S. 170; Waldmann 2002, S. 368). Die Abteilung für Friedens- und Konfliktforschung der Universität Uppsala beschreibt den Bürgerkrieg als einen „conflict between a government and a non-governmental party, with no interference from other countries.” (PCR o. J.). Bultmann (2017, S. 14) hingegen definiert Bürgerkrieg „als organisierte kollektive Gewalt (...) an der mindestens ein nicht-staatlicher Akteur beteiligt ist.“ Damit umfasst seine Definition auch Konflikte, an denen kein staatlicher Akteur beteiligt ist, weil er beispielsweise vollständig fehlt oder sich die beteiligten Akteure nicht mehr klar zuordnen lassen (vgl. ebd., S. 14).
Die möglichen Gründe für die Entstehung von Bürgerkriegen sind vielschichtig und können beispielsweise ethnischer (z. B. das zerfallende Jugoslawien der 1990er Jahre), religiöser oder ökonomischer (z. B. in Kaschmir oder Nigeria) Natur sein (vgl. Deißler 2016, S. 25). Bürgerkriege können aber auch als Sezessionskriege (wie unlängst in der Ukraine) oder als revolutionäre Kriege (wie in Mexiko zwischen 1910 - und 1920) vorkommen (vgl. Böhm 2017, 246 f.; Osterhammel 2010, S. 193).
3 Stand der Forschung
Die systematische Erforschung von fragilen und kollabierten Staaten ist ein vergleichsweise junges Forschungsfeld, dass sich seit seiner Entstehung Anfang der 1990er Jahre erheblich entwickelt und ausdifferenziert hat (vgl. Lambach, Johais & Bayer 2016, S. 15). Die gewachsene Bedeutung dieses Forschungsfeldes lässt sich vor allem auf die stets verändernden Risiko- und Bedrohungslagen sowie die gewandelte Wahrnehmung der Sicherheitsprobleme zurückführen (vgl. Bussmann, Hasenclever & Schneider 2009, S. 11). Im Vordergrund der Forschung standen vor allem drei Aspekte: „1) die Definition und begriffliche Reflexion des Gegenstandes, 2) die Diskussion von dessen Auswirkungen sowie 3) die Identifikation von Handlungsoptionen für externe Akteure.“ (Lambach, Johais & Bayer 2016, S. 15). Die vorliegende Forschungsarbeit konzentriert sich auf den (zweiten) Aspekt der Auswirkungen fragiler Staatlichkeit insbesondere im Hinblick auf das Bürgerkriegsrisiko.
Nach dem Fragile State Index der Fund for Peace (eine nichtstaatliche Forschungs- und Bildungseinrichtung) werden Staaten hinsichtlich ihres Risikos des Zerfalls anhand von zwölf Subindikatoren in vier Hauptkategorien (Kohäsion, Ökonomie, Politik und Soziales) untersucht (vgl. Messner et al. 2019, p. 33). Viele dieser Subindikatoren werden in der Literatur teilweise auch als Ursache für die Entstehung von Bürgerkriegen diskutiert (vgl. z. B. Bussmann 2009, S. 258 ff.; Fearon & Laitin 2003, p. 75 ff.; Weinstein 2007, p. 15). So betrachten beispielsweise Fearon & Laitin (2003, p. 75 f.) schwache Zentralregierungen (FSI-Indikator: C1, E1, P1) als Hauptursache für das Ausbrechen von Bürgerkriegen. Sie argumentieren in ihrer viel zitterten Studie „Ethnicity, Insurgency, and Civil War“, dass finanziell, organisatorisch und politisch schwache Zentralregierungen anfälliger für Rebellionen sind, da diesen notwendigerweise die Ressourcen fehlen (z. B. ausreichende Polizei- und Militärapparate), um effektiv gegen Aufständische vorzugehen bzw. Aufstände zu unterdrücken (vgl. Fearon & Laitin 2003, p. 88). Ihrer Auffassung nach, sind bewaffnete Aufstände nur dann möglich, wenn anormale Bedin- gungen vorherrschen, die schnelle Repressionen verhindern, wie z. B. schwache staatliche Institutionen oder ein unzugängliches Staatsterrain (vgl. ebd., p. 84 f.). Der Fokus ihrer Argumentation liegt dabei, ähnlich des Konzeptes von Hobbes, auf der militärischen Stärke eines Staates (vgl. Bussmann 2009, S. 260).
Die These von der Schwäche staatlicher Institutionen als zentrale Bedingung für den Ausbruch von Bürgerkriegen wird auch von anderen Autoren geteilt. So sind sich mehrere Autoren darüber einig, dass Staaten, die sich vornehmlich durch den Export von Öl finanzieren (FSI-Indi- kator: E1), eine höhere Bürgerkriegsgefahr aufweisen als solche, deren Einnahmen vornehmlich aus Steuern stammen (vgl. z. B. Dixon 2009, p. 714; Ross 2004, p. 338). Dies liegt nicht etwa an die von Collier & Hoeffler (2004, p. 588) bevorzugte Argumentation, dass Rohstoffe für Aufständische eine einfache Finanzierungsquelle darstellen, sondern aufgrund von schwach ausgebildeten bürokratischen Strukturen, die ölreichen Staaten zugesprochen werden (vgl. Bussmann 2009, S. 265; Fearon & Laitin 2003, p. 88). Durch das Ölvorkommen seien Staaten nicht auf Steuereinnahmen angewiesen und hätten demensprechend keine gut ausgebildete Bürokratie (vgl. Ross 2004, p. 338). Solche schwachen Strukturen erschweren es Regierungen ihren Aufgaben, wie etwa die Bereitstellung öffentlicher und privater Güter (FSI-Indikator: E2, P1, S1), nachzukommen (vgl. Bussmann, Hasenclever & Schneider 2009, S. 20 f.; Fearon 2005, p. 487). Werden die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht ausreichend befriedigt, kann sich das Risiko eines Bürgerkriegs erhöhen (vgl. Bussmann, Hasenclever & Schneider 2009, S. 20 f).
Die Studie von Basedau & Lay (2009, p. 757) zeigt jedoch, dass nicht die Abhängigkeit von Öleinkommen als solches, sondern die Höhe der Einkommen entscheidend ist (FSI-Indikator: E1). So weisen beispielsweise relativ arme Ölstaaten wie Angola, Indonesien und Nigeria höhere Gewaltrisiken auf als Ölstaaten mit hohen Pro-Kopf-Einkommen wie Norwegen, Kuwait oder Saudi-Arabien (vgl. ebd., p. 762 ff.). Andere Rohstoffe schließlich, wie z. B. Diamanten und Drogen, scheinen eher für die Dauer von Bürgerkriegen als für deren Ausbruch bedeutsam zu sein (vgl. Ross 2004, p. 350).
„Der institutionelle Aspekt findet sich auch in Studien, die das Wechselspiel von Regierungsform und Bürgerkriegsrisiko thematisieren.“ (Bussmann, Hasenclever & Schneider 2009, S. 2). In der empirischen Forschung hat sich in diesem Kontext der inkohärente Ansatz vorläufig etabliert. Nach diesem Ansatz sind es vor allem inkohärente Regierungssysteme, die ein erhöhtes Risiko für Bürgerkriege aufweisen (vgl. ebd., S. 14 f.). Staaten mit stabilen Demokratien sowie stark repressiven Autokratien sind weniger anfällig für bewaffnete Aufstände, als solche mit hybriden politischen Systemen (vgl. Hegre et al. 2001, p. 34; Fearon & Laitin 2003, p. 81). Solche Regierungssysteme können weder wie Autokratien Aufstände unterdrücken noch wie Demokratien Konflikte friedlich lösen (vgl. Fürstenberg 2015, S. 58). Nach Lambach, Johais & Bayer (2016, S. 62) werden solche neopatrimoniale Führungspraktiken jedoch vermehrt autokratischen Staaten zugeschrieben. Durch eine personenbezogene Herrschaftspraxis zerstören oder behindern Diktatoren formelle staatliche Strukturen (vgl. ebd., S. 62). Solche Entwicklungen würden einen Legitimationsverlust in der Bevölkerung nach sich ziehen (FSI-Indikator: C1, P1, P3), gegen die der Diktator verstärkt mit Repressionen antworten muss (vgl. Lambach & Bethke 2012, S. 21). Die Dynamik der daraus resultierenden Konflikte führt zu Staatsfragilität oder -zerfall (vgl. ebd., S. 21).
Um Aussagen über einen möglichen Zusammenhang zwischen fragiler Staatlichkeit und Bürgerkriegsrisiko treffen zu können, werden im nachfolgenden Kapitel Hypothesen aus der übergeordneten Fragestellung abgeleitet.
4 Hypothesen
Für die Beantwortung der übergeordneten Forschungsfrage werden, ausgehend von der Fragestellung, zunächst Hypothesen formuliert, die es anschließend zu falsifizieren oder zu verifizieren gilt. Das Ziel dabei ist es, mithilfe der formulierten Hypothesen, die Fragestellung möglichst umfassend zu betrachten und argumentativ nachvollziehbar zu behandeln. Im Rahmen der Überprüfung der Hypothesen werden unterschiedliche Sekundärdaten genutzt, auf die im darauffolgenden Kapitel näher eingegangen wird. Durch die Formulierung von Hypothesen sollen mögliche Zusammenhänge zwischen den zu untersuchenden unabhängigen (x) und abhängigen (y) Variablen aufgedeckt werden (vgl. Stratmann 2010, S. 187). Da im Rahmen dieses Kapitels überprüft werden soll, inwiefern sich die fragile Staatlichkeit (Staatsschwäche) auf das Bürgerkriegsrisiko auswirkt, wird die fragile Staatlichkeit als unabhängige Variable (x), das Bürgerkriegsrisiko als abhängige Variable (y) betrachtet.
Die Annahme, dass die fragile Staatlichkeit das Risiko eines Bürgerkriegs beeinflusst, scheint insofern plausibel, als dass verschiedene Studien belegen, dass schwache oder gar fehlende staatliche Kapazitäten das Risiko eines Bürgerkrieges erhöhen (vgl. z. B. Bussmann, Hasenclever & Schneider 2009, S. 21; Fearon & Laitin 2003, p. 88; Mehler 2001, S. 72 f.; Ross 2004, p. 338). Wie bereits im vorhergehenden Kapitel angeführt, fokussieren sich diverse Autoren auf die Analyse der Staatskapazität (hier: politische, organisatorische, finanzielle und militärische Fähigkeiten eines Staates) und postulieren diese als Hauptursache für Bürgerkriege und andere innerstaatliche Gewaltkonflikte (z. B. Bussmann, Hasenclever & Schneider 2009, S. 21; Fearon & Laitin 2003, p. 88). Fearon & Laitin (2003, p. 88) stellen dabei die These auf, dass schwache Zentralregierungen anfälliger für bewaffnete Aufstände sind, da ihnen die notwenigen Ressourcen (z. B. ausreichende Polizei- und Militärapparate) fehlen, um Aufstände effektiv zu bekämpfen oder zu unterdrücken. Auch Ross (2004, p. 338) betrachtet die Staatschwäche als zentrale Ursache für die Entstehung bewaffneter innerstaatlicher Konflikte. Für ihn weisen besonders ölreiche Staaten, aufgrund schwach ausgeprägter Staatsstrukturen, ein erhöhtes Bürgerkriegsrisiko auf (vgl. ebd., p. 338). Die Staatsschwäche wird demnach als entscheidendes Merkmal fragiler Staatlichkeit verstanden (vgl. de Juan 2011, S. 1). Aufgrund der Vermutung, dass eine mangelnde Staatskapazität zur Schwächung von Staatlichkeit führen kann, lässt sich folgende Hypothese ableiten:
H 1: Je schwächer die Staatskapazität eines Landes, desto fragiler ist die Staatlichkeit.
Aufbauend auf dieser Hypothese sowie den im vorangegangenen Kapitel dargestellten Ergebnissen kann angenommen werden, dass eine stabile staatliche Lage, besonders in den Bereichen Sicherheit, Legitimität, Rechtsstaat und Wohlfahrt, einen negativen Einfluss auf das Bürgerkriegsrisiko hat. Dementsprechend lässt sich folgenden Hypothese ableiten:
H 2: Je fragiler ein Staat, desto höher das Bürgerkriegsrisiko.
Mithilfe dieser gerichteten Hypothesen kann die Richtung des Zusammenhangs spezifiziert und die Komplexität des Forschungsproblems reduziert werden (vgl. Schraml 2010, S. 110). Bei der Hypothese H 2 liegt ein indirekter Kausalzusammenhang vor.
5 Datenlage/Datennutzung
Die Datenlage hinsichtlich des Zusammenhanges von „fragiler Staatlichkeit“ und „Bürgerkriegsrisiko“ ist, aufgrund zahlreich vorhandener Studien, zufrieden stellend. Insbesondere zum Forschungsfeld der fragilen Staatlichkeit gibt eine Vielzahl verlässlicher Sekundärdaten, wie etwa den Fragile State Index 2019 (FSI) der amerikanischen Denkfabrik „Fund for Peace“ oder andere empirische Studien, die die Ursachen und Folgen von Staatsfragilität thematisieren.
Der FSI ist ein jährlicher Report (ein Art Ranking), welcher die (In-)Stabilität von insgesamt 178 Nationalstaaten anhand von zwölf Subindikatoren misst (vgl. Messner et al. 2019, p. 33). Die zwölf Subindikatoren werden in jeweils vier Hauptkategorien unterteilt: 1) Kohäsion, 2) Politik, 3) Ökonomie und 4) Soziales. Neben diesen zwölf Subindikatoren fließen mehr als 100 Teilindikatoren in die Bewertung ein. Der Index basiert auf den Conflict Assessment System Tool (ein Art Konfliktbewertungssystem), welches die Daten von über einer Millionen englischsprachigen Dokumenten und Berichten analysiert (vgl. Messner et al. 2019, p. 33; Marshall 2008, p. 18). Die Subindikatoren messen den Grad des Risikos fragiler Staatlichkeit dann auf einer Skala von 1 (= low risk) bis 10 (= high risk). Die Gesamtsumme der zwölf Subindikatoren liefert schließlich den FSI, wobei 0 für ein niedriges Risiko und 120 für ein sehr hohes Risiko fragiler Staatlichkeit zu bewerten ist (siehe Anlage 2). „Inwieweit in einer solchen quantitativen Inhaltsanalyse jedoch wenigstens teilweise die politische Wirklichkeit der Länder gemessen wird oder nicht vielmehr deren möglicherweise verzerrte Wahrnehmung innerhalb der westli- chen, englischsprachigen Welt, bleibt die Frage.“ (Bochmann 2018, S. 29). Dennoch gilt der FSI seit Langem als wichtigstes Instrument der Staatszerfallsforschung, weil er vor allem die Berechnungsgrundlage der Indexwerte veröffentlich und zudem reproduzierbar ist (vgl. ebd., S. 29). Neben dem FSI, gibt es eine Reihe von wissenschaftlichen Studien, welche die Staatsfragilität und das Bürgerkriegsrisiko thematisieren. Der größte Teil dieser empirischen Studien stammt aus dem englischsprachigen, besonders dem US-amerikanischen Raum (vgl. z.B. Hegre et al. 2001; Fearon & Laitin 2003; Fearon 2005; Ross 2004). Dort werden die Forschungsergebnisse vermehrt als Artikel - vor allem in Fachzeitschriften - veröffentlicht. Der in den USA führende Berufs- und Fachverband von Politikwissenschaftlern American Political Science Association (APSA) informiert beispielsweise mit seiner wissenschaftlichen Fachzeitschrift „American Political Science Review (APSR)“ über politikwissenschaftliche Themen. Häufig werden in der APSR Studien veröffentlicht, die für den zu untersuchenden Zusammenhang von Bedeutung sind (vgl. z.B. Fearon & Laitin 2003; Hegre et al. 2001). So konnte beispielsweise die quantitative Studie von Fearon & Laitin (2003) einen Zusammenhang zwischen den zu untersuchenden Variablen aufzeigen. Die Autoren fokussieren sich in ihrer Studie auf die Analyse der Staatskapazität (hier: politische, organisatorische, finanzielle und militärische Fähigkeiten des Staates). Den Autoren nach kann eine geringe Staatskapazität zur Schwächung von Staatlichkeit führen. Eine solche staatliche Instabilität begünstigt wiederum das Bürgerkriegsrisiko eines Landes. Auch in anderen quantitativen Studien wird die Stabilität eine Landes als wesentlicher Faktor für innerstaatlichen Frieden betrachtet (vgl. z. B. Dixon 2009, p. 714; Ross 2004, p. 338). Leidensindikatoren, wie etwa der Fraktionalisierungs- oder der Polarisierungsindex, haben hingegen keine große Erklärungskraft (vgl. Gottwald 2009, S. 73).
Im Rahmen dieser Forschungsarbeit wurden die zwölf Subindikatoren des FSI 2019, welche den Grad der fragilen Staatlichkeit messen, mit den Ergebnissen der empirischen Studien verglichen. Mittels dieses Vergleichs konnten sechs Indikatoren (Nr. C1, E1, E2, P1, P3, S1) identifiziert werden, die einen Zusammenhang zwischen „Staatsfragilität“ und „Bürgerkriegsrisiko“ aufzeigen (siehe Anlage 1). Dabei wurde insbesondere festgestellt, dass vor allem wirtschaftliche (Indikator: E1, E2) und politische (Indikator: P1, P3) Indikatoren die Staatsfragilität und damit das Bürgerkriegsrisiko eines Landes erhöhen.
6 Fazit
Das Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, ein Forschungsdesign zu gestalten, welches die Forschungsfrage beantworten soll, inwiefern ein Zusammenhang zwischen Staatsfragilität und Bürgerkriegsrisiko besteht. Um den Einstieg in die Thematik zu erleichtern und relevante Termini verständlich zu machen, wurden zunächst die grundlegenden Begriffe näher erläutert. An- schließend erfolgte im dritten Kapitel die Darlegung des aktuellen Forschungsstandes. Auf dieser Grundlage wurden dann im vierten Kapitel Hypothesen entwickelt, die mithilfe der in Kapitel fünf beschriebenen Sekundärdaten überprüft wurden. Mittels Verifikation oder Falsifikation der Hypothesen (H 1; H 2) konnte auch so die Forschungsfrage, inwiefern ein Zusammenhang zwischen Staatsfragilität und Bürgerkriegsrisiko besteht, beantwortet werden.
Das sich Bürgerkriege in den letzten Jahren zur dominierenden Konfliktform entwickelt haben, zeigt die wachsende Anzahl innerstaatlicher Konflikte seit Ende des zweiten Weltkrieges (vgl. Ehrhart 2018). Umso wichtiger erscheint die Erforschung der Frage, welche Determinanten das Risiko eines Bürgerkrieges beeinflussen. Dass vor allem eine mangelnde staatliche Kapazität zur Schwächung staatlicher Strukturen führen und damit Bürgerkriegsausbrüche begünstigen kann, wurde in dieser Forschungsarbeit aufgezeigt.
Der Fragile State Index 2019 wurde dabei als hilfreiches Instrument zur Messung des Grades fragiler Staatlichkeit wahrgenommen. Inwieweit der Index jedoch die tatsächliche politische Wirklichkeit der Länder misst und ob er nicht eher die verzerrte Wahrnehmung der westlichen Welt wiederspiegelt, bleibt in diesem Kontext kritisch zu hinterfragen (vgl. Bochmann 2018, S. 29).
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