Welche Auswirkungen bzw. welchen Einfluss hatte das pandemiebedingte Homeschooling aus der Zeit von März 2020 bis Juni 2020 auf die Intensität von häuslicher Gewalt, insbesondere innerhalb von Familien mit Grundschulkindern?
Zunächst wird der Begriff „häusliche Gewalt“ an sich und die Entwicklung der letzten Jahre aufgezeigt. Anschließend wird auf aktuelle Studienergebnisse in Bezug auf die häusliche Gewalt während des ersten pandemiebedingten Homeschooling im Zeitraum von März - Juni 2020 und auf die möglichen Folgen eingegangen. In Folge wird durch Darlegung der Theorie eine Basis für einen späteren Rückbezug hergestellt. Im Kapitel der Methodik werden die Forschungs- und Umsetzungsmethoden erläutert. Die Ergebnisse werden schließlich im Vergleich -Rückbezug zur Theorie- im Diskussionsteil festgehalten. Zuletzt sollen die Erkenntnisse dieser Arbeit einen Ausblick auf weiterführende Forschungen liefern und als Anhaltspunkt für konkretere Forschungsfragen dienen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
2 Einleitung
2.1 Stand der Forschung
2.1.1 Kinder im Grundschulalter
2.1.2 sozioökonomische Faktoren
2.1.3 Fallzahlen öffentlicher und gemeinnütziger Organisationen
2.2 Psychologische / aggressionstheoretische Theorien
2.2.1 Triebtheorie - Freud
2.2.2 Frustrations-Aggressions-Theorie
2.2.3 Lerntheorie - Bandura
2.3 Soziologische Theorien
2.3.1 Subkultur-Theorie
2.3.2 Etikettierungstheorie
2.4 Folgen von innerfamiliärer Gewalt für Kinder
2.5 Synthese und Forschungsfrage
3 Methodik
3.1 Qualitative Forschung
3.2 Untersuchungsdesign und Vorgehen
3.3 Stichprobenbeschreibung
3.4 Durchführung der Interviews
4 Ergebnisse
4.1 Kategorien
4.2 Kategoriensystem
5 Diskussion
5.1 Interpretation der Ergebnisse und Rückbezug zur Theorie
5.2 Limitation und Selbstreflexion der Arbeit
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
7 Anhang
7.1 Anhang 1: Interviewleitfaden
7.3 Anhang 2: Transkriptionsregeln
7.4 Anhang 3a: Transkribiertes Interview A
7.5 Anhang 3b: Transkribiertes Interview B
7.6 Anhang 3c: Transkribiertes Interview C
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1. Akute und latente Kindswohlgefährdungen in Deutschland (Destatis, 2020)
Abbildung 2. Wohlbefinden von Familien in Zeiten von Corona (Quelle: Huebner et al., 2020, S. 527)
Abbildung 3. Bewältigung der Krisenzeit je nach sozioökonomischem Status (Quelle: BMSFSJ, 2020)
Abbildung 4. Stressanstieg und erhöhtes Gewaltrisiko bei finanziellen Sorgen (Quelle: Steinert & Ebert, 2020)
Abbildung 5. Umsetzung der Hilfeplanung durch Jugendämter seit Beginn der Corona-Pandemie (Quelle: Mairhofer et al., 2020, S. 18)
Abbildung 6.Prozess und Einflussfaktoren der Entstehung posttraumatischer Störungen (Quelle: Thun-Hohenstein, 2008, S.638)
Abbildung 7. Kategorienübersicht im Vergleich nach Antworthäufigkeit (eigene Darstellung)
Abbildung 8. Visuelle Darstellung der Kategorienübersicht im Vergleich nach Antworthäufigkeit (eigene Darstellung)
Abbildung 9. Kategoriensystem (eigene Darstellung)
“The innocence of children is what makes them stand out as a shining example to the rest of Mankind.”
- Kurt Chambers
Vorwort
Bereits 1979 stellte Psychologin Alice Miller in ihrem mehrfach überarbeiteten Werk (2016) anhand von drei enthaltenen Studien über die Ursprünge der Selbstfindung fest, dass Kinder ein natürliches Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Zuwendung haben. Erst die Möglichkeit, die eigenen Bedürfnisse auszuleben, fördert im späteren Leben ein echtes soziales Verhalten.
Gestärkt wird diese mehrfach erforschte Tatsache nicht nur aus psychologischer, sondern auch aus medizinischer und sozialpädagogischer Sicht. So beschreibt auch Eva Hédervári-Heller, 2014, S. 58) das Bedürfnis nach Bindung als Grundbedürfnis eines jeden Kindes.
Seit November 2000 ist die Züchtigung von Kindern in Deutschland verboten und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) § 1631, Abs. 2 folgendermaßen festgeschrieben: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Im Kontext der Covid-19-Pandemie bekommt das Thema der häuslichen Gewalt gegen Kinder eine erneute Brisanz.
2 Einleitung
Zunächst wird der Begriff „häusliche Gewalt“ an sich und die Entwicklung der letzten Jahre aufgezeigt. Anschließend wird auf aktuelle Studienergebnisse in Bezug auf die häusliche Gewalt während des ersten pandemiebedingten Homeschooling im Zeitraum von März - Juni 2020 und auf die möglichen Folgen eingegangen. In Folge wird durch Darlegung der Theorie eine Basis für einen späteren Rückbezug hergestellt. Im Kapitel der Methodik werden die Forschungs- und Umsetzungsmethoden erläutert. Die Ergebnisse werden schließlich im Vergleich -Rückbezug zur Theorie- im Diskussionsteil festgehalten. Zuletzt sollen die Erkenntnisse dieser Arbeit einen Ausblick auf weiterführende Forschungen liefern und als Anhaltspunkt für konkretere Forschungsfragen dienen.
Der Begriff - „häusliche Gewalt“ – Die Literatur umfasst zahlreiche Definitionen zur Gewalt gegen Kinder (Cierpka, 2001). Nach Kapella & Cizek lässt sich die Gewalt in den Ausprägungsformen der physischen, psychischen und sexuellen Gewalt beschreiben. In den physischen und psychischen Formen ist auch der Bereich der Vernachlässigung mit eingeschlossen (2001, S. 82) Das National Center on Child Abuse and Neglect unterscheidet beispielsweise körperliche Misshandlung, körperliche Vernachlässigung, emotionale Verletzung, emotionale Vernachlässigung, erzieherische Vernachlässigung und sexuellen Missbrauch (Gelles 2002, S. 1049). Inzwischen wird auch das Wahrnehmen der Gewalt zwischen Eltern als psychische Gewalt gegen Kinder interpretiert. Das Miterleben von Gewalt liegt laut Gelles im Schnittpunkt zwischen Kindesmisshandlung und -vernachlässigung sowie häuslicher Gewalt (2002, S. 1058).
Die Entwicklung der häuslichen Gewalt in Deutschland zeigt in den letzten Jahren steigende Verläufe. Der konkrete Vergleich der Kinder- und Jugendhilfestatistik aus den Jahren 2016, 2017, 2018 und 2019 zeigt einen Anstieg akuter Kindeswohlgefährdungen. So gab es im Jahr 2016 21.571 Fälle (Statistisches Bundesamt 2017, S. 7), im Jahr 2017 21.694 Fälle (Statistisches Bundesamt 2018, S. 7) im Jahr 2018 24.939 Fälle (Statistisches Bundesamt 2019, S. 7) und im Jahr 2019 27.980 (Statistisches Bundesamt 2020, S. 5) akuter Kindeswohlgefährdung in Deutschland. Hierzu zählen Vernachlässigung, körperliche, psychische sowie sexuelle Gewalt.
Berücksichtigt man die latente Gewalt ebenfalls, erhöht sich der Jahreswert massiv. So haben die Jugendämter in Deutschland im Jahr 2019 bei rund 55.500 Kindern und Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung festgestellt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis, 2020) waren das 10 % oder rund 5.100 Fälle mehr als 2018. Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen ist damit das zweite Jahr in Folge um 10 % auf einen neuen Höchststand angestiegen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. Akute und latente Kindswohlgefährdungen in Deutschland (Destatis, 2020)
Innerfamiliäre Gewalt ist laut Thun-Hohenstein (2008, S. 635) letztlich als Symptom einer belasteten Lebenssituation zu verstehen. Diese wird durch sozial-ökonomische Umweltfaktoren einerseits und persönliche Faktoren, zum Beispiel einer hohen Stressbelastung, sowie durch psychische Faktoren auf Seiten der Eltern andererseits bedingt. Es ist davon auszugehen, dass in der aktuellen, durch die Pandemie geprägten Situation, die Belastungen in Familien mit niedrigen sozioökonomischen Standards oder in Familien mit bereits vorhandenen psychischen Vorbelastungen die Wahrscheinlichkeit für zunehmende innerfamiliäre Gewalt hoch ist. Die bisherige Forschung soll hierzu entsprechend Aufschluss geben.
2.1 Stand der Forschung
2.1.1 Kinder im Grundschulalter
In der COMPASS-Erhebung wurden die Daten von 10.048 Personen über die allgemeine Lebenszufriedenheit, der Zufriedenheit mit dem Familienleben und der Zufriedenheit mit der Kinderbetreuung im Zeitraum von Mai - Juli 2020 ausgewertet und gemeinsam mit Daten des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2018 betrachtet. Diese Ergebnisse zeigen, dass insbesondere Eltern von Kindern im Kita- und Grundschulalter in der Zeit der Corona-Einschränkungen unzufriedener waren als zuvor. (Huebener, Spieß, Siegel & Wagner, 2020)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2. Wohlbefinden von Familien in Zeiten von Corona (Quelle: Huebner et al., 2020, S. 527)
In einer zweiten Studie, einer Erhebung der Technischen Universität München zu häuslicher Gewalt gegen Kinder und Frauen während der Pandemie, im Zeitraum vom 22. April bis zum 8. Mai 2020 wurden 3.800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren befragt und es konnten fünf zentrale Ergebnisse festgemacht werden. Ein Ergebnis zeigt, dass Gewalt eher in Familien mit jüngeren Kindern (unter zehn Jahren) auftrat, was die Ergebnisse der COMPASS-Erhebung ebenfalls bestätigt. (Steinert & Ebert, 2020, S. 3)
2.1.2 sozioökonomische Faktoren
Die Allensbach-Studie , die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums durchgeführt wurde (BMSFSJ, 2020) zeigt, dass Familien mit hohem sozioökonomischem Status besser durch die erste Phase der Corona-Krise gekommen sind, als Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status. An der Befragung nahmen 1493 Eltern mit Kindern unter 15 Jahren im Zeitraum vom 16. April bis zum 3. Mai 2020 (zum Ende der Lockdown-Phase) teil.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3. Bewältigung der Krisenzeit je nach sozioökonomischem Status (Quelle: BMSFSJ, 2020)
Auch eine weitere Studie der Technischen Universität München bestätigt die Ergebnisse des Bundesfamilienministeriums. Ein zentrales Ergebnis stellt die steigende Wahrscheinlichkeit für Gewalt gegen Frauen oder Kinder dar, wenn die Familie finanzielle Sorgen hatte, was in der Regel auf einen niedrigen sozioökonomischen Stand hinsichtlich des Einkommens hinweist. Ebenso, wenn ein oder beide Elternteile in Kurzarbeit waren oder aufgrund der Pandemie den Job verloren hatten (Steinert & Ebert, 2020, S. 3-4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4. Stressanstieg und erhöhtes Gewaltrisiko bei finanziellen Sorgen (Quelle: Steinert & Ebert, 2020)
Weitere Studien sozioökonomischer Faktoren betreffend, erforschen beispielsweise die unterschiedlichen Auswirkungen der Schulschließungen hinsichtlich des Bildungsgrades der Eltern (Anger et al., 2020) oder des Partnerschaftsstatus, alleinerziehend oder in Partnerschaft (Goebel et al., 2020).
Psychische Vorbelastung in der Familie - Ein weiteres Ergebnis der Studie der Technischen Universität München zeigte, dass das Risiko für Gewalt gegen Frauen und Kinder bei Vorhandensein von psychischen Problemen bei einem oder beiden Elternteilen (Steinert & Ebert 2020, S. 2) anstieg. Das Risiko, dass ein Kind körperliche Gewalt durch die Eltern erfuhr, lag in dieser Situation bei etwas über 10%.
Pandemien & andere Krisen - Es ist mittlerweile wissenschaftlich erforscht, dass es einen Zusammenhang zwischen großen gesellschaftlichen Krisen und der Zunahme von Stress oder Gewalt an Kindern gibt (Parth, 2020, S. 1-4). So können beispielsweise Naturkatastrophen akuten posttraumatischen Stress erzeugen (Galea, Nandi, & Vlahov, 2005, S. 78-91) oder Kindesmisshandlungen hervorrufen, wie die Studie von Keenan, Marshall, Nocera, & Runyan (2004, S. 189 – 193) zeigt. Auch Kriege sind Auslöser für häusliche Gewalt. (Rieckmann, 2014). Insbesondere die Forschung in Bezug auf Pandemien hat seit dem Ausbruch des Covid-19 Virus erheblich zugenommen. (Peterman, Potts, Thompson, Shah, Oertelt-Prigione & van Gelder, 2020)
Die Spanische Grippe ähnelt in ihrem Verlauf der Covid-19 Erkrankung. Auch sie war eine Influenza-Pandemie, die Ende des ersten Weltkriegs von 1918 – 1920 wütete (Rengeling, 2020, S.211-217). Sie war eine der verheerendsten Grippewellen überhaupt und forderte weltweit mehr als 45 Millionen Opfer. Es wurde teilweise von erhöhter Intensität häuslicher Gewalt berichtet (Bourke, 2020). Allerdings finden sich in der Literatur keine konkreten Fallzahlen.
Die Ebola Pandemie (2013 – 2015) in Westafrika verzeichnete ebenfalls erhöhte Fallzahlen in Bezug auf häusliche Gewalt, speziell sexueller Gewalt (Yasmin, 2016). Die Forschung fand in Langzeitstudien heraus, dass es durch sexuelle Misshandlungen und gleichzeitig geringer Verhütung zu einer Welle ungewollter Schwangerschaften bei jungen Mädchen kam (Schwartz, Anoko & Abramowitz, 2019). Gesellschaftliche Abschottung und Schulabbruch waren unabdingbare Folgen der Ebola Pandemie (Onyango, Resnick, Davis, & Shah, 2019, S. 121-132).
Die derzeitige Covid-19 Pandemie ist allerdings eine Krise in verschärfter Form. Wirtschaftliche Sorgen, räumliche Enge, sowie die verordnete soziale Abschottung sind einige der Ursachen. Daher sollen genau diese in der vorliegenden Arbeit erforscht werden.
2.1.3 Fallzahlen öffentlicher und gemeinnütziger Organisationen
Jugendamt & Kinderschutzinstitutionen – Im Zeitraum zwischen 23. April und 12. Mai 2020 wurde eine bundesweite Onlinebefragung von 575 Jugendämtern durchgeführt. (Mairhofer, Peucker, Pluto, Santen, & Seckinger, 2020, S. 14-32) Es haben 46 Prozent angegeben, dass die Zahl der Kinderschutzmeldungen in den ersten vier Wochen nach Beginn der Kontaktverbote bis zu 50 Prozent rückläufig gewesen sei.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5. Umsetzung der Hilfeplanung durch Jugendämter seit Beginn der Corona-Pandemie (Quelle: Mairhofer et al., 2020, S. 18)
Paradoxer Weise erleben Kinderschutzhotlines, z.B . „JugendNotmail“ oder die „Nummer gegen Kummer“ in dieser Phase einen deutlichen Anstieg an Anfragen, was auf ein großes Dunkelfeld schließen lässt (Parth, 2020).
2.2 Psychologische / aggressionstheoretische Theorien
2.2.1 Triebtheorie - Freud
Nach Sigmund Freud (1981) vermischt sich unser sogenannter Todestrieb mit der lebenserhaltenden Energie der Libido und lenkt ihn in Form von aggressiven Handlungen nach außen (Freud 1981, S. 213-272). Diese Annahme ist jedoch zum Teil der Kritik ausgesetzt. So gibt es keinen Ausweg aus der Selbst- oder Fremdzerstörung, sondern endet durch eigene Krankheit oder Fremdzerstörung zwangsweise tragisch. Bereits damals (Gleiss 1994, S. 80-88) wie heute (Storck 2019, S. 3-5) gab und gibt es Erklärungsansätze zur Relevanz der Theorie. So wird versucht, sich durch psychosomatische Betrachtung mit dem Leib-Seele-Problem auseinander zu setzen, welcher sich auf den Übergang von physiologischer Erregung in psychisches Erleben bezieht. Diese Arbeit untersucht, die mögliche Korrelation von geringerem Widerstand, also geringerer Gegenenergie des Kindes mit erhöhter Gewalt der Bezugsperson, also intensiverem physiologischem Ausleben des psychischen negativen Erlebens, der sogenannten Libido.
2.2.2 Frustrations-Aggressions-Theorie
Die Theorie geht von zwei zentralen Thesen aus: Erstens, dass Aggression immer eine Folge von Frustration ist und zweitens, dass Frustration immer zu einer Form von Aggression oder Gewalt führt (Breuer & Elson 2017, S. 1-12). Mit Frustration ist ein aversives Ereignis, also eine nicht geplante Bedingung, wie das pandemiebedingte Homeschooling gemeint. Demnach wäre eine beispielsweise ungenügende technische Ausstattung für Homeschooling als Frustration zu verstehen und würde aggressives Verhalten auslösen. Diese zunächst stark vereinfachende Theorie wird in ihrer Erklärungskraft in Verbindung mit anderen Theorien, vor allem den Lerntheorien, sinnvoll verstärkt und ergänzt.
2.2.3 Lerntheorie - Bandura
Der bekannteste Vertreter Bandura, geht von Aggression als einem erlernten Verhalten aus. Zwei für die Arbeit relevante Lerntypen werden nachfolgend näher beschrieben.
Lernen am Modell wird auch als Beobachtungslernen bezeichnet. Es basiert vor allem bei Kindern auf dem Beobachten vorgelebter Verhaltensweisen (Myers, Hoppe-Graff, & Keller 2014, S.318-322). Die wichtigsten Vorbilder sind die Eltern, aber auch Pädagogen, wie Lehrer oder Jugendbetreuer, sind für die Entwicklung eines Kindes von entscheidender Bedeutung. Diese Arbeit untersucht die Relevanz der Bezugspersonen im Hinblick auf die Entwicklung eines Kindes.
Kognitives Lernen - Diese Theorie geht davon aus, dass Wissen und Erkenntnisse den Umgang mit Aggression bewusst beeinflussen können. Beispielweise beim Bewerten von Situationen, sowie im bewussten Steuern des eigenen Handelns. In Bezug auf diese Arbeit wird demzufolge angenommen, dass bei einer niedrigen Ausprägung des sozioökonomischen Faktors „Bildung“ auch die Kontrolle und das Bewusstsein über die eigenen Handlungen (Grundmann, 2008 S.131 - 142) geringer ist, wodurch die Gefahr der unkontrollierten Anwendung häuslicher Gewalt steigt.
2.3 Soziologische Theorien
Ursachen für aggressives Verhalten werden hier nicht beim Individuum vermutet, sondern betrachten die Einwirkung von gesellschaftlichen, sozialstrukturellen Bedingungen, welche für die Beantwortung der Forschungsfrage von hoher Relevanz sind. Zwei Theorien werden als Erklärung des Einflusses auf das Aggressionspotential näher betrachtet.
2.3.1 Subkultur-Theorie
Die Subkultur-Theorie nimmt an, dass Normen und Werte eines sozialen Systems nicht gleichermaßen für alle Mitglieder gelten. Abweichungen, wie beispielsweise Unterschiede im Einkommen, den Wohnverhältnissen, sowie kulturelle Unterschiede (Kizilhan 2018, S. 18-21) generieren Subkulturen innerhalb einer Gesellschaft, die einen Teil dieser gesellschaftlichen Normen und Werte ablehnen und dafür andere bilden. (Schäfer 2002, S.120-144). Diese Arbeit untersucht, inwiefern beispielsweise der Migrationshintergrund die Gewalt während dem pandemiebedingten Homeschooling beeinflusst hat.
2.3.2 Etikettierungstheorie
Die Etikettierungstheorie, auch labeling approach theory genannt, versucht abweichendes Verhalten auf das Subjekt zu normieren und nicht dem Kontext selbst zu betrachten. Durch stereotypische, sich wiederholende Beschuldigung einer aggressiven Verhaltensweise wird angenommen, dass der Beschuldigte nach anfänglichem Widerstand gegenüber der teils ungerechtfertigten Schuldzuweisungen, nach einiger Zeit die deviante soziale Rolle akzeptiert und sich dieser anzupassen versucht (Becker, 2019, S. 169-195). Hypothetisch betrachtet würde demnach eine Mutter, welche bereits bekanntlich häusliche Gewalt angewandt hat, aus eben diesem Grund der Stereotypisierung der „schlagenden Mutter“, ihr Kind weiterhin schlagen. Dies gilt es näher zu untersuchen.
Ergänzend zu den psychologischen Theorien zeigen die soziologischen Theorien, dass es sich nicht nur um einen solch einfachen Zusammenhang wie Reiz und Reaktion zwischen zwei Parteien handelt, sondern es auch Reaktionen auf Reaktionen gibt und eine aggressive Handlung stets in einem größeren Kontext betrachtet werden muss.
Diese Arbeit betrachtet daher alle Aspekte, die sich aus den verschiedenen Aggressionsformen und Theorien ergeben.
2.4 Folgen von innerfamiliärer Gewalt für Kinder
Erleben Kinder in ihrer Familie Gewalt, kann dies sowohl kurzfristige als auch langfristige Folgen haben (Egle, Joraschky, Lampe, Seffge-Krenke & Cierpka, 2016, S.1247–1256), welche sich zudem auf den psychischen, sozialen und körperlichen Bereich auswirken können (Thun-Hohenstein, 2008, S. 635-643). Nachfolgende Abbildung visualisiert den Prozess und Einflussfaktoren der Entstehung posttraumatischer Störungen als Folge von häuslicher Gewalt. Dargestellt sind nur die pathologischen Pfade, an welchen eine Normalisation, beispielsweise durch Resilienz (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2019, S. 9-13) möglich ist. (APS = Anpassungsstörung; ABR = Akute Belastungsreaktion; PTSD = Posttraumatische Belastungsstörung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6.Prozess und Einflussfaktoren der Entstehung posttraumatischer Störungen (Quelle: Thun-Hohenstein, 2008, S.638)
Als psychische Folge kann sich eine Traumatisierung durch das Erlebte (Dlugosch 2010, S. 53-80) zeigen. Als eine akute Folge auf ein traumatisches Erleben kann sich die Unterdrückung von Gefühlen (numbing), wie auch ein sozialer Rückzug einstellen. Dauerhaft können sich Unterdrückungsmechanismen jedoch als posttraumatische Belastung manifestieren (Thun-Hohenstein 2008, S. 640).
Auf sozialer Ebene können Gewalterfahrungen zu Konflikten in der Partnerschaft bis zur Trennung der Eltern führen. Gewalterfahrungen können sich zudem negativ auf spätere berufliche Erfolge auswirken (Thun-Hohenstein 2008, S. 642).
Auf körperlicher Ebene können sich Verletzungsfolgen als direkte Auswirkung des Gewalterlebens zeigen (Thun-Hohenstein 2008, S. 639-640). Auch langfristig besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von psychobiologischen, sowie neurobiologischen Erkrankungen (Egle & Hardt 2012, S. 106-109).
2.5 Synthese und Forschungsfrage
Nach gründlicher Recherche zur häuslichen Gewalt, sowie konkret dem pandemiebedingten Homeschooling im Zeitraum von März bis Juni 2020, wurde die Forschungsfrage entsprechend abgeleitet. Es stellt sich die Frage, ob eventuelle Auswirkungen des pandemiebedingten Homeschoolings oder das pandemiebedingte Homeschooling selbst einen Einfluss auf die Intensität von häuslicher Gewalt, im Besonderen bei Grundschulkindern, ausüben. Hierbei sollen entsprechend die möglichen Einflussfaktoren erforscht werden.
Die Forschungsfrage lautet: „Welche Auswirkungen bzw. welchen Einfluss hatte das pandemiebedingte Homeschooling aus der Zeit von März 2020 bis Juni 2020 auf die Intensität von häuslicher Gewalt, insbesondere innerhalb von Familien mit Grundschulkindern?“
3 Methodik
Das folgende Kapitel beschreibt und begründet die gewählte Forschungsmethode. Des Weiteren soll das verwendete Untersuchungsdesign, sowie auf die Wahl der Stichprobe näher erläutert werden. Anschließend werden das Vorgehen und die Durchführung des Interviews näher beschrieben.
3.1 Qualitative Forschung
Die qualitative Forschungsmethode wird gewählt, da der Schwerpunkt der Forschung auf den Erfahrungswerten des Individuums liegt. Zur Wahrung der Standards wird auf die Einhaltung der fünf Postulate sowie der 13 Säulen qualitativer Forschung nach Mayring geachtet. (Mayring, 2016 S.19-39). Um die Forschungsfrage zu beantworten, werden unter Berücksichtigung der individuellen Situationsmerkmale jeder Institution einzelne Befragungen durchgeführt, um neue, weiterführende Erkenntnisse zu erhalten.
3.2 Untersuchungsdesign und Vorgehen
Als Grundlage zur Untersuchung wird die deskriptive Feldforschung herangezogen. Nach der Entwicklung der Fragegestellung, auf deren Basis die Methodik liegt, werden die Interviewfragen definiert. Zur Ableitung dienen der evaluierte Forschungsstand und die Theorie. Schließlich kann der Kontakt zum Feld hergestellt werden. Zur Datenerhebung werden verbale Daten in Form von halbstandardisierten Leitfadeninterviews erhoben. Da der im Vorfeld konzipierte Interviewleitfaden eine Grundstruktur sicherstellt, bleiben die Interviews im Kern vergleichbar. So bleibt ausreichend Kapazität, für spontan aufkommende Fragestellungen (Mayring & Fenzl, 2019, S. 633-648). Es werden Einzelinterviews im jeweiligen natürlichen Umfeld der befragten Person geführt (innerhalb der jeweiligen Institution), um Störungen von außen auszuschließen. So soll das Gefühl der Befangenheit, vergleichlich einer Laborumgebung, vermieden werden. Die gewonnen verbalen Daten werden im Anschluss nach Kuckartz (2018) und Dresing & Pehl (2017) transkribiert.
Person A wurde aufgrund der zum Zeitpunkt dieser Arbeit noch vorherrschenden Lockdown-Regelungen telefonisch befragt. Person B konnte via Videokonferenz befragt werden. Person C wurde unter Einhaltung der derzeit vorgeschriebenen Abstands- und Hygienemaßnahmen persönlich befragt.
In der qualitativen strukturierenden Inhaltsanalyse (Mayring, 2015 S. 97-98) wurden zunächst deduktiv Kategorien gebildet, um durch die theoriegeleitete Festlegung von groben Strukturdimensionen eine erste Aufbereitung der Ergebnisse durchzuführen. Im ersten Schritt der Auswertung erfolgte die syntaktisch thematische Unterteilung der transkribierten Interviews in sinnvolle Analyseeinheiten und tabellarischer Darstellung mithilfe von Excel. Anschließend wurden die Analyseeinheiten durch Paraphrasieren und Generalisieren komprimiert. Danach wurden die komprimierten Analyseeinheiten den vorab generierten Kategorien zugeordnet.
Die Forscherin hat sich auf Grund bisher nicht eindeutigen Forschungsergebnisse für eine Mischung aus deduktiv-induktivem Vorgehen entschieden, um eventuelle neue Auswirkungen im Kontext des pandemiebedingten Homeschoolings in der Kategorienbildung berücksichtigen zu können (Mayring 2015, S. 85 – 87). Zudem wird anhand der induktiven Vorgehensweise ein möglichst gegenstandsnahes Abbild ohne Verzerrungen durch Vorannahmen der Forscherin angestrebt.
Für die induktive Auswertung wurden die Daten im zweiten Schritt nochmals anhand einer qualitativ zusammenfassenden Inhaltsanalyse gesichtet und Textstellen sowie Passagen, die zu keiner der vorab definierten Kategorien passten, die aber auf zentrale Themen mit Blick auf die Forschungsfrage verweisen, neue induktive Kategorien ermittelt und im Kategoriensystem ergänzt (Mayring 2015, S. 70-87). Tatsächlich wurden durch die deduktiv-induktiv gemischte Vorgehensweise zwei neue Kategorien ermittelt und eine vorab deduktiv definierte Kategorie nochmals modifiziert.
Im Anschluss der Auswertung wurde ein Kodierleitfaden generiert, der die Befragungen durch Ankerbeispiele in Kategorien und Subkategorien vergleichbar machen soll (Mayring, 2015, S. 111-114).
3.3 Stichprobenbeschreibung
Die verwendete Stichprobe besteht aus 3 Institutionen, vertreten durch dort leitende Angestellte. Um bestmögliche Heterogenität zu gewährleisten, unterscheiden sich die Institutionen hinsichtlich ihrer Kernfunktion und der Informationsquelle. Durch den perspektivischen Unterschied, soll ein möglichst realistisches und unvoreingenommenes Bild in Bezug auf die Geschehnisse während des pandemiebedingten Homeschoolings entstehen.
Bei der ersten Institution handelt es sich um einen gemeinnützigen, sozialen eingetragenen Verein einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung. Als sozialpädagogische Leitung für Schulsozialarbeit, verantwortet Person A mehrere diakonische Einrichtungen in München. Die Institution setzt sich für die sozialen Belange der Bevölkerung ein und versteht sich als Anwalt für Menschen in besonderen und schwierigen Lebenslagen. Ziel ist unter anderem die Teilhabe an der Gesellschaft zu fördern und die Bildungschancen für Kinder und Jugendliche zu erhöhen.
Bei der zweiten Institution handelt es sich um eine öffentlich geförderte, medizinische Kinderschutzhotline, die telefonische Beratungsangebote durchführt und sich an medizinisches Fachpersonal richtet, welches mit Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung, Vernachlässigung oder sexuellem Kindesmissbrauch konfrontiert ist. Beispielsweise seinen hierzu Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten oder Pflegekräfte genannt. Die Kinderschutzhotline kooperiert mit den DRK Kliniken in Berlin und wird durch das Universitätsklinikum Ulm betreut. Person B ist Kinderarzt und war zunächst im Krankenhaus tätig. Nachdem er einige Zeit parallel als Kinderarzt und Berater der Kinderschutzhotline tätig war, arbeitet er aktuell in der Rechtsmedizin in Hamburg mit Fokus auf Kinderschutzarbeit.
Bei der dritten Institution handelt es sich um eine ambulante Erziehungshilfe, welche Kinder und Jugendliche unterstützt, die besonders betroffen sind von familiären Problemen und Notlagen. Neue Perspektiven und eine gemeinsame Umsetzung sollen entwickelt werden, um Kindern und ihren Familien alternative Handlungsstrategien durch gemeinschaftliche Interaktion aufzuzeigen, mit dem Ziel eines Erlebens von alltagsnaher Konfliktbewältigung durch Kommunikation und Selbstwirksamkeit. Die ambulante Erziehungshilfe orientiert sich an den Ressourcen der Familien, arbeitet vernetzt in der Sozialregion und unterstützt beim Verbleib im oder bei der Rückführung in das Familiensystem, ebenso bei Fragen im Kontext von Schule und Ausbildung oder beim Umgang mit Ämtern und Behörden. Person C ist Diplom-Sozialpädagogin und seit circa 20 Jahren Teamleiterin der Einrichtung.
3.4 Durchführung der Interviews
Das Interview beginnt zunächst mit der Einführung, dem Dank der Teilnahme, sowie der Erläuterung der Forschungsfrage. Nach einer kurzen Beschreibung des Ablaufs und der Dauer wird mit der Bitte um Ehrlichkeit und Zusicherung der Anonymisierung maximale Offenheit angestrebt. Der Interviewleitfaden besteht aus drei großen Themenblöcken. Der erste Themenblock beinhaltet drei Fragen zum Wohlbefinden der Klienten. Im zweiten Themenblock werden vier Fragen zum Stressgrad gestellt. Der letzte Themenblock, der auf die Intensität von häuslicher Gewalt abzielt, beinhaltet sechs Leitfragen. Drei abschließende Fragen in Bezug auf mögliche Chancen und Zukunftseinschätzung und weitere Ad-Hoc-Fragen, welche zur Aufrechterhaltung des Gesprächs dienen, sollen den Abschluss des Gespräches abrunden.
4 Ergebnisse
Dieses Kapitel stellt die Ergebnisse der geführten Interviews vor. Die Inhaltsanalyse der Interviews hat vier Oberkategorien hervorgebracht: „ erhöhter Stressgrad“, „sozioökonomische Faktoren“, „weggefallene Hilfesysteme“ und „Zunahme häuslicher Gewalt“. Diese Oberkategorien gliedern sich in jeweils drei bis sieben Unterkategorien, welche für die grundsätzliche Beantwortung der Forschungsfrage relevant sind. Auf Grund des vorgegebenen Umfangs dieser Seminararbeit werden nur die Unterkategorien mit der höchsten Relevanz interpretiert.
Nachfolgende Abbildung soll eine Übersicht aller Kategorien liefern. Zusätzlich wurde die Antworthäufigkeit je Einflussfaktor und Interviewpartner herausgearbeitet. Es ist zu erkennen, dass einige Einflussfaktoren besonders häufig erwähnt wurden, wohingegen andere gar nicht zum Tragen kamen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7. Kategorienübersicht im Vergleich nach Antworthäufigkeit (eigene Darstellung)
Insgesamt wurden alle vier Oberkategorien mit relativ ähnlicher Wichtigkeit erwähnt. Das Kapitel 4.1. befasst sich mit der konkreten Analyse der Kategorien.
4.1 Kategorien
Die erste Oberkategorie „erhöhter Stressgrad“ teilt sich in vier Unterkategorien: „Lockdownmaßnahmen“, „schlagartige Veränderung, „Überlastung/multiple Belastung“ und „Unsicherheit/Ängste“.
Als Ursache für erhöhten Stress und damit einem Gefährdungsanstieg von häuslicher Gewalt wurde Überlastung/multiple Belastung besonders häufig genannt . “ Dann bin ich einfach überlastet und kann die Zeit, die ich mit den Kindern, die ich vielleicht mehr gehabt hätte, überhaupt nicht nutzen, weil das so belastend ist.“ (A – Z. 121-122)
Auch die Lockdownmaßnahmen an sich können demnach eine Auswirkung für erhöhten Stress als Einflussfaktor für häusliche Gewalt darstellen . „ gerade auch durch Homeschooling, der Stress dann entstanden ist. Eher reizbarer waren, eher Angst hatten auch, ihre Kinder zu schlagen.“ (B – Z. 150-152)
Die zweite Oberkategorie „sozioökonomische Faktoren“ brachte sieben Unterkategorien hervor: „beengter Wohnraum“, „fehlende technische Ausstattung“, „geringe Bildung“, „hohe Anzahl Kinder“, „Migrationshintergrund“, „niedriges Einkommen“ und „unflexibles Arbeitsverhältnis“.
Besonders gefährdet von häuslicher Gewalt waren demnach Kinder, die zu der Zeit des pandemiebedingten Homeschooling auf beengtem Wohnraum lebten.
„ wenn man zu fünft in einer kleinen Wohnung wohnt, wo einfach nicht genug Zimmer da sind, um die Menschen zu trennen, dass das einfach viel zu schnell einen ganz hohen Druck aufbaut. (A – Z. 104-105)
Alle drei Interviewpartner betonten außerdem als wichtigen Aspekt die finanzielle Not. Kinder die in Familien mit verhältnismäßig niedrigem Einkommen leben, waren häufiger von häuslicher Gewalt betroffen. „ Sachen wie die Tafel sind weggefallen, also es sind schon viele Leute in eine große Not gekommen und vor allem Familien mit wenig Einkommen.“ (A - Z. 47-48)
Interviewpartner B - „Rechtsmediziner“ hat der Unterkategorie „unflexibles Arbeitsverhältnis“ eine besondere Wichtigkeit zugesprochen. So kann einerseits ein gefährdetes, andererseits ein systemrelevantes Arbeitsverhältnis Grund für den Anstieg von häuslicher Gewalt darstellen. “ oder Leute die vielleicht in nicht so ganz festen Arbeitsverhältnissen waren, mussten sich mehr Sorgen machen um ihren Beruf…“ (B – Z. 102-103)
Die dritte Oberkategorie „weggefallene Hilfesysteme “ bildet sich aus drei Unterkategorien: „Kommunikationsrohr Jugendamt“, „unzureichende Erziehungshilfe“ und „unzureichende Notbetreuung“.
Besonders großen Einfluss übte die Tatsache aus, dass die Kommunikation durch die Jugendämter in den ersten vier Wochen der Homeschooling-Phase unterbrochen war. Kinderschutzambulanzen verzeichneten weniger Meldungen der Jugendämter, später jedoch insgesamt einen Anstieg der Fallzahlen durch direkte Meldungen von Notambulanzen. „ dass obwohl die Jugendämter nicht mehr so viele zugewiesen haben, wir trotzdem eine Steigerung der Fallzahlen hatten im Mai, Juni. Es waren dann mehr Kinder, die über Notaufnahmen und Kinderärzte gekommen sind…“ (B – Z. 217-219)
Auch eine unzureichende Notbetreuung ist demnach verantwortlich für einen Anstieg häuslicher Gewalt. Kinder die nachmittags zu Hause sitzen und Eltern die mit zusätzlichen schulischen Aufgaben belastet werden. „ Manchmal fühlt man sich ja gar nicht überfordert und schreie trotzdem meine Kinder dauern an, weil auch das für mich Normalität ist. Also ich würde ganz stark dafür plädieren diese Notbetreuung für Familien offen zu halten“ (A - Z. 248-250)
Die vierte Oberkategorie „Zunahme häuslicher Gewalt “ teilt sich in fünf Unterkategorien: „bereits (latent) vorhandene Gewalt“, „erhöhte emotionale/erzieherische Vernachlässigung“, „erhöhte verbale Gewalt“, „Kinder im Grundschulalter“ und körperliche Gewalt“. Sie zeigt eine relativ gleiche Verteilung aller Unterkategorien.
Alle drei Interviewpartner weisen gleichermaßen auf einen Anstieg von körperlicher Gewalt und auch emotionaler und erzieherischer Vernachlässigung während dem Homeschooling hin. „ das ist eine Vernachlässigung der Förderung in der Entwicklung und Erziehung Was die Eltern eben auch ganz oft nicht können.“ (C – Z. 140-141)
„jetzt auf die Pandemie bezogen denke ich, sind am ehesten die körperlichen Misshandlungen zugenommen haben“ (B – Z. 261-262)
Besonders betroffen sind jüngere Kinder, da diese einerseits mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung der Eltern benötigen, da sie unselbständiger sind und andererseits nicht fähig sind, sich zu wehren oder sich Gewaltsituationen zu entziehen.
„ jüngere Kinder sind stärker davon betroffen, weil die können sich ja viel weniger wehren.“ (A – Z. 235-236)
„ Kleinere Kinder wollen auch irgendwie sich bewegen, toben, rumrennen…“ (B – Z. 112)
Die nachfolgende Grafik verdeutlicht visuell die Nennung der Einfussfaktoren nach Häufigkeit je Interviewpartner.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8. Visuelle Darstellung der Kategorienübersicht im Vergleich nach Antworthäufigkeit (eigene Darstellung)
4.2 Kategoriensystem
Die endgültige Inhaltsangabe ergibt nachfolgendes Kategoriensystem:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9. Kategoriensystem (eigene Darstellung)
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