Diese Arbeit widmet sich der Frage, ob das Narrativ vom Alten Jischuw als singuläre und abgeschlossene Gemeinschaft von Juden in Palästina heute noch haltbar ist. Der Fall Jerusalems im Jahre 70 u. Z. und dessen zerstörerische Wirkung auf Juden, wo immer sie auch lebten, hat ein paradoxes Phänomen hervorgebracht, das in der Geschichte besiegter Völker und Nationen einzigartig ist. Die Tragödie der Zerstörung Jerusalems hat diese Stadt nicht aus dem religiösen und nationalen Bewusstsein der Juden ausgelöscht. Mit dem Verlust erhielt Jerusalem eine enorme Bedeutung und wurde zum entscheidenden neuen Impuls zur Belebung des religiösen und nationalen Willens der jüdischen Gemeinschaft. Juden wurde der Aufenthalt in Jerusalem, ab jetzt verwehrt. Dieses Verbot bestand fast ununterbrochen bis zur arabischen Eroberung. Nicht wenige Juden verblieben jedoch in Palästina. Einige jüdische Landgemeinden fanden sich südlich von Jerusalem. Urbane Gemeinden siedelten sich in den Städten entlang der Mittelmeerküste und im Jordantal an. Der Schwerpunkt jüdischer Siedlung war Galiläa. Hier sowie im nördlichen Golan fanden sich fast ausschließlich jüdische Gemeinden. Viele siedelten sich in anderen Gebieten der Levante an.
Nach derzeit vorherrschender Meinung stellten Nichtmuslime bis zum 13. Jahrhundert die demografische Mehrheit der Bevölkerung in vielen muslimisch beherrschten Gebieten dar. Alle diese Bevölkerungsgruppen gerieten im Rahmen der muslimischen Expansion unter den Einfluss neuer Herrscher und fanden sich häufig in einer neuen politischen und auch sozialen Situation wieder. Diese Veränderungen waren am deutlichsten für die Bevölkerungsgruppen, die derselben Religion angehörten, wie ihre vormaligen Herrscher. Dies betraf insbesondere die Christen, die der oströmischen Kirche angehört hatten und die Zoroastrier im östlichen Vorderen Orient. Für diese Gruppen war die Ankunft einer neuen Elite mit einer neuen Religion mit einem Verlust sozialen Prestiges, materiellen Reichtums und politischen Einflusses verbunden. Ganz anders stellte sich die Situation für die Juden im Vorderen Orient dar. Eine nichtjüdische Herrschaft wurde durch eine andere, gleichfalls nicht jüdische, nämlich muslimische Herrschaft ersetzt. Diese neue, muslimische Herrschaft hatte zudem den Vorteil, dass sie eine neue rechtliche Kategorie entwickelte, die die Juden, als monotheistische Schriftbesitzer, zwar diskriminierte, ihnen aber einen relativ stabilen Minderheitenstatus garantierte.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Jischuw Bewohner oder Kolonist?
- Historische Narrative
- Quellenlage und Quelleninterpretation
- Wissenschaftliche Fragestellung
- Methodik
- Historischer Hintergrund und religiöse Rahmenbedingungen
- Historischer Hintergrund
- Juden im Islam
- Jüdisches Leben in der islamischen Gemeinschaft Palästinas im Mittelalter
- Interreligiöse Beziehungen
- Kommunale Rechtsprechung
- Administrative Beziehungen
- Wirtschaftliche Beziehungen
- Jüdisches Leben in Palästina unter osmanischer Herrschaft
- Leben in der jüdischen Gemeinschaft und interreligiöse Beziehungen
- Wirtschaftliche Beziehungen
- Kommunale und zentrale Administration
- Demographische Veränderungen
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit zielt darauf ab, das Narrativ des Alten Jischuw, der jüdischen Gemeinschaft Palästinas von der Zerstörung des Zweiten Tempels bis zur Ersten Aliyah, zu analysieren. Sie untersucht, ob diese Gemeinschaft tatsächlich als eine isolierte und abgeschlossene Einheit betrachtet werden kann.
- Die Entstehung und Entwicklung des Alten Jischuw
- Der Einfluss von religiösen und politischen Rahmenbedingungen auf die jüdische Gemeinschaft
- Die Rolle des Milletsystems und die interreligiösen Beziehungen im islamischen Kontext
- Die Beziehungen des Alten Jischuw zur Diaspora und zu anderen jüdischen Gemeinschaften
- Die Entwicklung des Neuen Jischuw und die Abgrenzung zum Alten Jischuw
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit vor und führt in die Problematik des Alten Jischuw ein. Sie erläutert den Begriff und seine historische Bedeutung, analysiert verschiedene Narrative zur Geschichte der Juden im Islam und untersucht die Quellenlage und Quelleninterpretation.
- Historischer Hintergrund und religiöse Rahmenbedingungen: Dieses Kapitel skizziert den historischen Hintergrund und die religiösen Rahmenbedingungen, in denen sich der Alte Jischuw entwickelte. Es behandelt die jüdische Geschichte im Islam und die Integration der Juden in die islamische Gesellschaft.
- Jüdisches Leben in der islamischen Gemeinschaft Palästinas im Mittelalter: Dieses Kapitel analysiert das jüdische Leben in der islamischen Gemeinschaft Palästinas im Mittelalter. Es befasst sich mit den interreligiösen Beziehungen, der kommunalen Rechtsprechung, den administrativen Strukturen und den wirtschaftlichen Beziehungen.
- Jüdisches Leben in Palästina unter osmanischer Herrschaft: Dieses Kapitel untersucht das jüdische Leben in Palästina unter osmanischer Herrschaft. Es fokussiert auf die soziale und religiöse Struktur der jüdischen Gemeinschaft, die wirtschaftlichen Beziehungen, die Verwaltung und die demographischen Veränderungen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Alten Jischuw, einer jüdischen Gemeinschaft in Palästina, die von der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70 u. Z. bis zur Ersten Aliyah 1881 bestand. Der Fokus liegt auf den interreligiösen Beziehungen der Juden im islamischen Kontext, dem Milletsystem, der Geniza-Forschung und der historischen Narrative zur Geschichte der Juden unter osmanischer Herrschaft.
- Arbeit zitieren
- Michael Kuckhoff (Autor:in), 2021, Der Alte Jischuw neu interpretiert. Kulturelle Vielfalt in Palästina, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/1143152