In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, Björn Höckes rechtsradikale und antidemokratische Einstellungen mittels einer gesicherten Textanalyse nachzuweisen. Das wissenschaftliche Fundament dafür hat der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno bereits in den vierziger Jahren mit den "Studien zum autoritären Charakter" geschaffen. Mit seinem Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ von 1967 knüpfte Adorno an das Konzept der autoritären Persönlichkeit an und führte es aus.
Diese beiden Werke Adornos bilden das theoretische Fundament dieser Arbeit, anhand dessen das Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" des Thüringer AfD-Landesvorsitzen Björn Höcke untersucht wird. Im ersten Schritt werden Adornos Erkenntnisse zur autoritätsgebundenen Persönlichkeit betrachtet und einzelne Kriterien ausgewählt, die sich für die Textanalyse von Höckes Buchs eignen. Weiter werden Textstellen aus "Nie zweimal in denselben Fluss" vorgestellt und untersucht, um sie auf faschistisches und antidemokratisches Gedankengut zu überprüfen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Adornos Erkenntnisse
3. Funde in Höckes Text
3.1 Selbstcharakterisierung des Agitators
3.2 Merkmale von Ideologischer Hetze
3.3 Monopolisierung des Wortes deutsch
4. Bewertung der Funde
5. Fazit
Quellen
„In einem von Toleranz geprägten weiten Debattenraum […] können sich prozesshaft Lösungen entwickeln, die von Mehrheiten getragen werden und auch den Bedenken von Fortschrittsskeptikern Rechnung tragen. Jeder Demokrat sollte daher den Raum schützen, in dem Toleranz geübt und praktiziert wird. Einen Raum, in dem Uneinigkeit immer anwesend sein wird und der dennoch Chancen eröffnet. […] Jeder bewusste Demokrat, der diesen Raum der Möglichkeiten schützen will, muss aber sein überzeugtes Ja zur Toleranz ergänzen durch ein entschlossenes Ja zur Intoleranz, nämlich dann, wenn Freiheit und Toleranz bedroht sind und ausgelöscht werden sollen. Tolerieren und verteidigen gehören zusammen.“
– Joachim Gauck 2019, S. 208.
1. Einleitung
2017 zog die Alternative für Deutschland (AfD) mit 92 Abgeordneten erstmals in den Bundestag ein. Damit war es erstmals seit 56 Jahren1 einer Partei mit explizit rechtem Profil gelungen, in den Deutschen Bundestag einzuziehen. Dieses Wahlergebnis erregte bei Teilen der Bevölkerung großes Aufsehen, denn einige AfD-Politiker hatten in den Vormonaten der Wahl durch provokative Auftritte auf sich aufmerksam gemacht. Im Januar 2017 hatte der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke eine Rede in Dresden gehalten, in der er das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnete und eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad forderte.2 Was dieser Politiker unter johlendem Beifall seiner Zuhörer von sich gab3, sorgte für einen politischen Eklat und erinnert an einigen Stellen an die Ideen der Nationalsozialisten, die unsere Welt vor gerade einmal 80 Jahren4 in den Zweiten Weltkrieg stürzten.
Die geistige Verwandtschaft zu antidemokratischen, faschistischen und minderheitenfeindlichen Überzeugungen der Nationalsozialisten wird von Björn Höcke und seine Anhänger vehement bestritten. Nach ihrer Darstellung ist Höckes Person ein Opfer von medialer Diffamierung und wird zu Unrecht als rechtsextrem erklärt, wie Frank Böckelmann im Vorwort des Buches behauptet.5 Daher möchte ich in dieser Arbeit den Versuch unternehmen, Höckes rechtsradikale und antidemokratische Einstellungen mittels einer gesicherten Textanalyse nachzuweisen. Ein wissenschaftliches Fundament dafür hat der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno und weitere Wissenschaftler6 bereits in den vierziger Jahren geschaffen. Adorno hatte Deutschland verlassen und war in die USA emigriert. Dort erforschte er das faschistische und antisemitische Potential in der amerikanischen Bevölkerung. Die Ergebnisse dieser umfassenden empirischen Studie veröffentlichte die Forschergruppe unter dem Namen „Studien zum autoritären Charakter“7. Mit seinem Vortrag Aspekte des neuen Rechtsradikalismus 8 von 1967 knüpfte Adorno an das Konzept der autoritären Persönlichkeit an und führte es aus. Die beiden Werke Adornos bilden das theoretische Fundament dieser Arbeit, anhand dessen das Buch Nie zweimal in denselben Fluss9 des Thüringer AfD-Landesvorsitzen Björn Höcke untersucht wird.
In einem ersten Schritt werden Adornos Erkenntnisse zur autoritätsgebundenen Persönlichkeit betrachtet und einzelne Kriterien ausgewählt, die sich für die Textanalyse von Höckes Buchs eignen. Im zweiten Schritt werden Textstellen aus Nie zweimal in denselben Fluss vorgestellt und untersucht, um sie auf faschistisches und antidemokratisches Gedankengut zu überprüfen. Eine abschließende Bewertung der Funde wird zeigen, dass sich ausgewählte Aspekte von rechtradikaler Propaganda eindeutig in Höckes Text nachweisen lassen. Daraufhin wird eine abschließende Einschätzung zu Björn Höckes politischer Gesinnung formuliert und Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen gegeben.
2. Adornos Erkenntnisse
Adornos Erkenntnisse über rechtsradikales Gedankengut und autoritätsgebundenen Charakterstrukturen sollen dazu dienen, anti-demokratisches, faschistisches und minderheitenfeindliches Gedankengut im Buch von Höcke und Hennig zu identifizieren. Da Adorno sowohl in den Studien zum autoritären Charakter10 als auch in seinem Vortrag zum neuen Rechtsradikalismus keine grundlegende Faschismustheorie liefert, sondern vielmehr Syndrome, Typen und Tricks beschreibt, sollen zentrale Aspekte im folgenden Kapitel vorgestellt werden, die sich potentiell zur Untersuchung von Nie zweimal in denselben Fluss eignen.
Adorno beschreibt in seinen Studien zum autoritären Charakter, wie sich Faschistenführer in ihrer Kommunikation selbst darstellen. Er zeigt am Beispiel der Rundfunkreden von Martin Luther Thomas, einem amerikanischen, faschistischen Demagogen der christlichen Rechten, der in den dreißiger Jahren politisch aktiv war,11 einige typische Aspekte der Selbstcharakterisierung von Faschistenführern auf. Zu diesen gehören eine stark persönliche Sprache, die Kontrastierung von individueller Schwäche und kollektiver Stärke und private Bekenntnisse zur Befriedigung einer Sensationslust des Publikums.12
Zusätzlich analysiert Adorno im letzten Kapitel des Buches die Ideologischen Hetze des faschistischen Agitator Thomas, der sich in der Ausführung dieser Hetze von den „erfolgreichen Muster autoritärer Systeme“13 leiten lässt. Da diese Muster, wie Adorno es beschreibt, von verschiedenen Faschistenführern genutzt werden und somit als allgemeine Kriterien gelten, soll geprüft werden, ob sie auch im Text von Höcke nachweisbar sind. Vermutlich können deutliche Parallelen zwischen Adornos Abschnitt Hetze gegen Regierung und Präsidenten zu Höckes Text aufgedeckt werden, da Höcke eine äußerst regierungskritische Haltung nachgesagt wird.14
In Adornos Vortrag vom April 1967 erläutert er Aspekte des neuen Rechtsradikalismus in Deutschland. Den Bezug zu seinen Studien zum autoritären Charakter aus den vierziger Jahren macht Adorno explizit, indem er sagt:
„Die Propaganda ist also vorwiegend eine massenpsychologische Technik. Zugrunde liegt dabei das Modell der autoritätsgebundenen Persönlichkeit, und zwar heute genau wie zur Zeit von Hitler […]. Die Einheit liegt in diesem Appell an die autoritätsgebundene Persönlichkeit.“ – Adorno 2019, S. 41.
Im Vortrag werden Kriterien der Propaganda der neuen Rechten nach formalen und inhaltlichen Eigenschaften unterschieden. Im Bereich der formalen Aspekte verordnet Adorno beispielsweise den Appell an den Konkretismus, den die Vertreter rechtsradikalen Denkens durch die Anhäufung von Daten erzeugen. Dabei handele es sich meist um unkontrollierbare Fakten, die dem Absender der Botschaft zu Autorität verhelfen sollen, isoliert betrachtet jedoch keine weitreichenden Schlussfolgerungen zulassen.15 Ergänzend dazu nennt Adorno den Gebrauch des Formalismus, mit dem die Propagandisten auf juridische Art geltendes Recht angreifen wollen.16 Eine weitere Methode des rechtsradikalen Agitators ist nach Adorno die plumpe Lüge, die die subjektive Meinung des Redners unterstützen soll.17 Die Salami-Methode, so Adorno, werde ebenfalls häufig von Rechtspopulisten verwendet, um an Aussagen politischer Gegner zu rütteln und diesen ihre Glaubwürdigkeit abzusprechen. Das Vorgehen dieser Methode besteht darin, einen komplexen Sachverhalt in kleinere Teile zu zersetzen und isoliert zu betrachten. So kann die Bedeutung der ursprünglichen Aussage manipuliert werden und in falsche Zusammenhänge gesetzt werden.18 Der letzte hier vorgestellte formale Aspekt ist der Vulgäridealismus. Er verklärt einen Begriff pragmatisch in sein Gegenteil und beraubt ihn seines ursprünglichen Gehalts und seines Sinns.
Als Beispiel für den Vulgäridealismus nennt Adorno auf der Ebene der inhaltlichen Aspekte den Trick man muss doch eine Idee haben. Dieser Trick nimmt der Idee ihre ursprüngliche Existenzberechtigung, indem sie nicht mehr um ihre Wahrheit Willen gut ist, sondern nur noch um ihren pragmatischen Willen existiert. Denn der bloße Ausruf »man muss doch eine Idee haben« ist entkoppelt von dem Inhalt, also dem Ideal, der Idee.19
Einen wichtigen inhaltliche Aspekt der Propaganda erkennt Adorno in der Monopolisierung des Wortes deutsch. „Es wird alles Erdenkliche deutsch genannt, während die entgegengesetzten Parteien einfach, weil sie eben in Deutschland beheimatet sind und hier fungieren, genauso deutsch sind wie die, die das Wort monopolisieren.“20 Im Verlauf seines Vortrags nennt Adorno weitere inhaltliche Charakteristika21 der rechtsradikalen Propaganda.
Zusammenfassend können wir aus Adornos Schriften folgende zentralen Bewertungskriterien ermitteln: die Selbstcharakterisierung des Agitators, Merkmale von ideologischer Hetze sowie formale und inhaltliche Aspekte der propagandistischen Rede. Diese Aspekte sollen im nächsten Schritt dieser Arbeit für die Untersuchung von Höckes und Hennings Text genutzt werden. Die Leitfrage dabei lautet: Lassen sich die Aspekte aus Adornos Text im Buch Nie zweimal in denselben Fluss nachweisen?
3. Funde in Höckes Text
3.1 Selbstcharakterisierung des Agitators
Der Text liest sich wie ein knapp 300 Seiten langes Interview zwischen dem Dresdner Künstler und Publizisten Sebastian Hennig in der Rolle des Fragenstellers und Björn Höcke als Antwortengeber. Die Abschnitte des Buches sind zunächst nach Höckes drei Lebensabschnitten Frühe Jahre, Im Schuldienst und Der Weg in die Politik gegliedert. Daran schließen lokalpolitische Ansichten im Kapitel Partei und Fraktion in Thüringen und später bundespolitische Ansichten Höckes in den Kapiteln Volksopposition gegen das Establishment und Krise und Renovation an.22
Im Folgenden wird der gesamte Text im Hinblick auf die zentralen Aspekte Adornos zur rechtsradikalen Propaganda untersucht. Zuerst werden Adornos Erkenntnisse zur Selbstcharakterisierung des Agitators betrachtet und es wird überprüft, ob sich diese im Höcke-Buch nachweisen lassen. Nach Adorno arbeiten Faschistenführer auch immer mit einer persönlichen Sprache, die die private Sphäre des Redners miteinbezieht. So soll es gelingen die „Zuhörer ins Vertrauen zu ziehen und die Kluft zwischen Mensch und Mensch zu überbrücken“.23 Diesen Aspekt können wir eindeutig an zahlreichen Stellen des Buches nachweisen. Höcke gibt dem Leser einen vermeidlich tiefen Einblick in seine Privatsphäre. Besonders in den ersten drei Kapiteln finden sich intime Kindheitserinnerungen und private, emotionale Gedanken Höckes.24 Ein Beispiel dafür findet sich auf Seite 34. Hennig stellt hier die Frage: „Welche Kindheitserinnerungen sind Ihnen besonders lieb und teuer?“25 In seiner Antwort schildert Höcke Erinnerungen an einen „einzigartigen Duft“ von Tausenden Freilandrosen, die ihn verzaubert hätten, und an die „hornhautgefeite[n] Malocherhände seines Großvaters, der sehr männlich auf den jungen Björn“26 gewirkt haben.
Auch die Sensationslust seiner Leser befriedigt Höcke, indem er negative Erlebnisse aus seiner Zeit im Schuldienst preisgibt. So erklärt er, dass sein beruflicher Schritt in die Politik zu gehen von einem „persönliche[n] Leidensdruck“ verursacht wurde. Viele Zustände in seinem „Lehrerberuf hatten sich sich [sic!] immer mehr einem Belagerungszustand angenähert“, umschreibt der Berufspolitiker seinen damaligen emotionalen Zustand.27 Höckes Taktik sei es gewesen von einer aufreibenden „Verteidigung der Normalität […] zum Angriff überzugehen.“28 Weitergehend erzählt Höcke eine Anekdote aus seinem Schulunterricht, die eine, von ihm als anti-deutsch bezeichnete Haltung, einiger Schülergruppen beschreiben soll. „[T]ürkische und afrikanische Jungs“29 seien aggressiv mit den Ausrufen „Zieh‘ das aus! [und] Deutschland ist Scheiße!“30 gegen eine Mitschülerin vorgegangen, die ein T-Shirt mit der Aufschrift Germany getragen habe. Diese Anekdote soll Empörung und Protest in den LeserInnen wecken und inszeniert Höcke im weiteren Verlauf seiner Erzählung als einen wehrhaften Charakter, der den Stolz seines Heimatlandes verteidigt.
Es lassen sich ebenfalls Textstellen finden, die individuelle Schwäche und kollektiver Stärke kontrastieren, was nach Adorno ebenfalls ein wichtiger Aspekt der rechtsradikalen Propaganda ist. Es geht dabei besonders um die Idee, dass das schwache Individuum innerhalb einer Bewegung Stärke und Macht erlangen könne.31 Höcke antwortet Henning im fingierten Dialog, dass die Erkenntnis von individueller Vergänglichkeit nur aus individualistischer Sicht niederschlagend sei. „Als Teil einer Gemeinschaft, wie etwa als Angehöriger eines Volkes, kann jeder einzelne zu einem wichtigen Glied einer langen historischen Kette werden.“32 Dieses Verständnis von kollektiver Macht und individueller Ohnmacht sollen die Anhänger der Höcke-Politik übernehmen. Weiter appelliert Höcke an das Verantwortungsgefühl seiner – wie er sagt – Landsleute, sich mit Bescheidenheit in die Verantwortung des Volkes zu stellen.33 Diejenigen, die diese Verantwortung nicht annehmen, und sich nicht dem Volk verpflichtet fühlen, wirft Höcke vor, sich nur noch um das persönliche Wohlergehen zu kümmern und die „Verantwortung für das Ganze“34 aus dem Blick zu verlieren. Im letzten Abschnitt des Buches verweist Höcke auf die Notwendigkeit eines mächtigen Anführers: „Denn nur mit starken Einzelpersönlichkeiten, die sich dem Ganzen verbunden fühlen, werden wir ein so großes Projekt wie den Neubau unseres Gemeinwesens stemmen.“35 Nur so könnten die „Deutsche[n] wieder zu einem vollwertigen, eigenständigen und differenzierten Volk“36 werden. Wem sich dieser oder diese neuen politischen Führer verpflichtet fühlen, macht Höcke an anderer Stelle des Buches deutlich:
„eine neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszuhalten haben: Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muß aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwider laufen.“ – Höcke 2019, S.254.
Diese und weitere Textstellen37 zeigen, dass Höcke eine oder mehrere Führungspersonen als neue politische Elite herbeisehnt, die mit großer Macht ausgestattet sind, um einen, wie er sagt, Neubau des Gemeindewesens umzusetzen.
Bisher konnte aufgezeigt werden, dass der Text Nie zweimal in denselben Fluss Adornos zentralen Aspekte der Selbstcharakterisierung von Faschistenführern aufweist. Es wird eine stark persönliche Sprache verwendet, die Kontrastierung von individueller Schwäche und kollektiver Stärke ist an vielen Textstellen präsent und es finden sich private Bekenntnisse und Anekdoten aus Höckes Leben, die eine Sensationslust des Publikums befriedigen sollen.
3.2 Merkmale von Ideologischer Hetze
Im Abschnitt Hetze gegen Regierung und Präsidenten beschreibt Adorno Merkmale der faschistischen Hetze gegen ein demokratisches Regime sowie dessen Vertreter und erklärt in Grundrissen, wie diese funktioniert. Grundsätzlich sei es leicht, eine demokratische Regierung als indirekt, und damit auch als dem Volk entfremdet darzustellen. „Seine zentralistische Natur läßt sich stets als gegen die Interessen des Volkes gerichtet hochspielen und besonders gegen die derjenigen in entfernten Landesteilen Lebenden.“38 Diese Erklärung leuchtet ein, denn tatsächlich ist der Bürger, sofern er nicht im Staatsdienst tätig ist, nur indirekt mit der Regierung in Kontakt und erlebt die Institutionen, also den Staatsapparat, als ein ihm/ihr persönlich fremdes Konstrukt.
Weiter erklärt Adorno, dass an diesem Punkt Hetze ansetzen kann und die Regierung und dessen Bürokratie als Gegner des Volkes inszeniert, indem sie als kostspielig, korrupt und verschwenderisch dargestellt werden.39 Auf psychologischer Ebene bediene sich die „faschistische Werbung […][der] Mentalität des tatsächlich oder angeblich überforderten Steuerzahlers und […][des] ihm inhärenten Widerstand[s] gegen die zentralisierte Regierung.“40 Die Ungerechtigkeit aus Sicht der BürgerInnen bestehe darin, einem entfremdeten Staat zu dienen, der Steuern nimmt und nichts unmittelbar zurückgibt. Adorno bezieht in diesen psychologischen Mechanismus auch Gruppen ein, die nur geringe Steuern zahlen. Seiner Auffassung nach imitieren diese das Verhalten von wirtschaftlich überlegeneren Gruppen und verfallen ebenfalls in die Mentalität des überlasteten Steuerzahlers.41 Welche genauen, teils psychologischen, Gründe das Ressentiments der verschwenderischen Regierung speziell in verschiedenen sozioökonomischen Gruppen hat, wird bei Adorno nicht beantwortet und soll für die weitere Untersuchung des Höcke-Textes auch nicht relevant sein. Wichtig ist jedoch, dass sich dieses Ressentiment nicht gegen den Staat als System richtet, der die Erhebung von Steuern unverzichtbar macht, sondern gegen die amtierende Regierung, die das Geld seiner BürgerInnen angeblich verschwende.42
Als Beleg für eine allgemeine Entfremdung zwischen Regierung und Volk sieht Höcke unter anderem in den PEGIDA-Demonstrationen in Dresden: „Die gesunde Skepsis der Bürger gegenüber Regierung, Parteien und Parlamenten war in eine deutliche Abneigung umgeschlagen. Man hatte das Gefühl, daß »die da oben« wie in einer Blase leben und keinen Zugang mehr zu den normalen Menschen und ihren Problemen haben.“43 Hier greift Höcke geradezu blaupausenartig auf das Entfremdungsgefühl zwischen BürgerInnen und Regierung zurück, so wie es Adorno in den vierziger Jahren beschrieben hat.44
Weiter fällt auf, dass Höcke sich und insbesondere seine Partei, die AfD, als Gegenpol zur Regierung darstellt und so an einigen Stellen die sparsame und volksdienliche AfD einer verschwenderischen Regierung gegenüberstellt. Er erklärt, dass die AfD nach den Landtagswahlen 2014 in Thüringen aus Sparmaßnahmen von Steuergeldern keinen stellvertretenden Parlamentspräsidenten stellte: „Nun sollte ein Zeichen gesetzt werden, daß wir den Worten auch Taten folgen lassen und auf ein – mit zusätzlichen Vergütungen aus Steuergeldern versehenes – Amt verzichten würden.“45 Im Kontrast dazu kritisiert Höcke die Ausgaben des Landes Thüringen für ein Kulturprojekt unter Ministerpräsident Ramelow scharf:
„Ein weiteresideologisches Umerziehungsprojektist auch das »Landesprogramm für Demokratie, Menschenrechte und Toleranz« […] – für 2017 sind 4,75 Millionen Euro budgetiert. Hinter dem wohlklingenden Namen verbirgt sich ein monetärer Dauerzufluß für linke bzw.linksextremeProjekte und Vereine sowie dubiose Netzwerke, die an Universitäten und Hochschulenungeniert Steuergelder abgrasenund abstrusen Theorien Gehör verschaffen“ – Höcke/Hennig 2019, S.179f [Hervorhebung H.S.].
[...]
1 Anmerkung, (Autor): 1949, 1953 und 1957 war die Deutsche Partei in den Bundestag eingezogen. Nach ihrer Auflösung gelang dies keiner rechtsnationalistischen Partei in Deutschland. Die NPD scheiterte mehrfach an der Fünf-Prozent-Hürde. Vgl. Gauck 2019, S. 95,96.
2 Siehe, Die Höcke-Rede von Dresden in Wortlaut-Auszügen (18.01.2019). Süddeutsche Zeitung. Zuletzt aufgerufen am 21.08.2020 unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/parteien-die-hoecke-rede-von-dresden-in-wortlaut-auszuegen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-170118-99-928143.
3 Siehe, Björn Höcke offenbart (mal wieder) das wahre Gesicht der AfD (18.01.2019). Youtube Kanal: dbate. Zuletzt aufgerufen am 18.08.2020 unter: https://www.youtube.com/watch?v=hJMPRFaV8sE.
4 Anmerkung HS: Wenn wir vom Kriegsbeginn am 01.09.1939 ausgehen, ist am 01.09.2020 der 81. Jahrestag des Kriegsbeginns.
5 Vgl. Höcke/Hennig 2019, S. 12.
6 Anmerkung HS: An den Studien zum autoritären Charakter arbeiteten Wissenschaftler aus dem ehemaligen Frankfurter Institut für Sozialforschung sowie Mitgliedern der Berkeley Public Opinion Study. Vgl. Benicke 2012, S. 13.
7 Siehe Adorno, Theodor W.: Studien zum autoritären Charakter. Übersetzt von Milli Weinbrenner. 11. Auflage. Suhrkamp Frankfurt am Main 2018.
8 Siehe Adorno, Theodor W.: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Ein Vortrag. Volker Weiß (Hrsg.) 1. Auflage. Suhrkamp Berlin 2019.
9 Siehe Höcke, Björn / Henning, Sebastian: Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Henning. 3. Auflage Manuscriptum Verlagsbuchhandlung Thomas Hoof Lüdinghausen/Berlin 2019.
10 Anmerkung HS zu Adornos Studien zum autoritären Charakter: Vorrangig widmeten sich die empirischen Untersuchungen zum autoritätsgebundenen Charakter Adornos dem Individuum, also dem Rezipienten der Propaganda. Im Laufe der Studie wurden insgesamt 2099 Testpersonen befragt, um Faktoren zu identifizieren, durch die Personen besonders empfänglich für antidemokratische Propaganda werden oder, durch die Personen eine Widerstandsfähigkeit gegen derartige Botschaften aufbauen (vgl. Adorno 2018, S. 10, 29.). Diese Erkenntnisse sind wichtiges Hintergrundwissen für diese Arbeit, werden allerdings nicht explizit vorgestellt, da sich diese Hausarbeit mit dem Gegenstand der politischen Botschaft und nicht mit dem Rezipienten auseinandersetzt.
11 Vgl. The Psychological Technique of Martin Luther Thomas’ Radio Addresses. Stanford University Press 2020. Zuletzt aufgerufen am 13.08.2020 unter https://www.sup.org/books/title/?id=635.
12 Vgl. Adorno 2018, S. 360-380.
13 Adorno 2018, S. 453.
14 Vgl. Adorno 2018, S. 462.
15 Vgl. Adorno 2019, S. 44.
16 Vgl. Ebd., S. 46.
17 Vgl. Ebd., S. 44f.
18 Vgl. Ebd., S. 45.
19 Vgl. Ebd., S.47.
20 Ebd., S. 47.
21 Anmerkung HS: Beispielsweise das Unterlassen der namentlichen Nennung des Nationalsozialismus. Stattdessen werden stellvertretend die Missachtung nationaler Symbole oder die Missachtung von historischen Landesgrenzen angeprangert. Weitere Aspekte sind nach Adorno Straffreudigkeit, Überfremdung und Antiamerikanismus (vgl. Adorno 2019, S. 48ff.).
22 Vgl. Höcke/Hennig 2019.
23 Adorno 2018, S. 360.
24 Vgl. Höcke/Hennig 2019, S. 34-36, 41-47, 96-97, 99-101, 105.
25 Höcke/Hennig 2019, S.34.
26 Höcke/Hennig 2019, S. 34,35.
27 Ebd., S. 105.
28 Ebd., S. 105.
29 Ebd., S. 99.
30 Ebd., S. 99.
31 Adorno, 2018, S. 361.
32 Höcke/Hennig, S. 31.
33 Ebd., S. 31.
34 Höcke/Hennig, S. 32.
35 Ebd., S. 286.
36 Ebd., S. 286.
37 Anmerkung HS: Weitere Textstellen wie Höcke/Hennig, S. 234-236, in der Höcke von den Voraussetzungen für ein konsequentes »Durchregieren « spricht oder auf Seite 286, auf der Höcke Machiavellis »Uomo virtuoso« ins Gespräch bringt, eine Figur, die als alleiniger Herrscher die Ordnung im Staat wiederherstellen könne.
38 Adorno 2018, S. 462.
39 Vgl. Adorno 2018, S. 462f.
40 Ebd., S. 463.
41 Vgl. Ebd., S. 463.
42 Vgl. Ebd. S. 463.
43 Höcke/Hennig 2019, S. 210.
44 Vgl. Adorno 2018, S. 462.
45 Höcke/Hennig 2019, S. 171.