Von Beginn an des späten 19. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert wurde die Aussage vertreten, dass der Giftmord eine weibliche Art zu töten sei. Es wurden Begründungen für diese Aussage gesucht und vermeintlich in weiblichen Charaktereigenschaften gefunden.
In dieser Zeit erschien Alfred Döblins Erzählung „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“. Der Text ist Teil der Schriftenreihe „Außenseiter der Gesellschaft. Die Verbrechen der Gegenwart“, die 1924 publiziert wurde. „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“ behandelt einen im Jahr 1922 existierenden Fall und erzählt diesen, ausgeschmückt mit literarischen Mitteln, nach. Döblin lehnt sich zwar stark an den realen Fall an, fokussiert sich allerdings nicht auf die reale Rekonstruktion. Beispielsweise erlaubt sich Döblin die Namen der Beteiligten des realen Falls, in fiktive Namen zu ändern.
Die Protagonistin der Erzählung, Elli Link, begeht einen Giftmord mit Hilfe von Arsen an ihrem Mann Karl Link und ist somit thematisch Bestandteil der vorliegenden Arbeit. Sie wird mit der Grundlage des Textes Döblins charakterisiert und mit der Vorstellung der „typischen“ Giftmörderin verglichen. Des Weiteren werden ihre Beziehung zu Link und ihre geheim gehaltene Liebe zu Bende analysiert. Außerdem soll die Frage: „Welche (Giftmord-)Motive waren entscheidend für Ellis Giftmord an Karl Link?“ beantwortet werden. Dazu werden besonders im Fazit Umstände und Beweggründe die Elli insgesamt zu einer Giftmörderin gemacht haben, festgehalten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Giftmord im historischen Kontext
2.1 Der Giftmord in der Antike
2.2 Der Giftmord in der Literatur im 20. Jahrhundert
3. (Weiblicher) Mord
3.1 Merkmale einer (Gift)mörderin
3.2 Mordmotiv - Bezug zu männlicher Person
3.3 Häufige Motive einer Giftmörderin
4. Elli Links Wandel
4.1 Elli Link
4.2 Elli Links Beziehung zu Karl Link
4.3 Elli Links Beziehung zu Grete Bende
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Von Beginn an des späten 19. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert wurde die Aussage vertreten, dass der Giftmord eine weibliche Art zu töten sei.1 Es wurden Begründungen für diese Aussage gesucht und vermeintlich in weiblichen Charaktereigenschaften gefunden.
In dieser Zeit erschien Alfred Döblins Erzählung „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“. Der Text ist Teil der Schriftenreihe „Außenseiter der Gesellschaft. Die Verbrechen der Gegenwart“, die 1924 publiziert wurde. „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“ behandelt einen im Jahr 1922 existierenden Fall und erzählt diesen, ausgeschmückt mit literarischen Mitteln, nach. Döblin lehnt sich zwar stark an den realen Fall an, fokussiert sich allerdings nicht auf die reale Rekonstruktion. Beispielsweise erlaubt sich Döblin die Namen der Beteiligten des realen Falls, in fiktive Namen zu ändern.2
Die Protagonistin der Erzählung, Elli Link, begeht einen Giftmord mit Hilfe von Arsen an ihrem Mann Karl Link und ist somit thematisch Bestandteil der vorliegenden Arbeit. Sie wird mit der Grundlage des Textes Döblins charakterisiert und mit der Vorstellung der „typischen“ Giftmörderin verglichen. Des Weiteren werden ihre Beziehung zu Link und ihre geheim gehaltene Liebe zu Bende analysiert. Außerdem soll die Frage: „Welche (Giftmord-)Motive waren entscheidend für Ellis Giftmord an Karl Link?“ beantwortet werden. Dazu werden besonders im Fazit Umstände und Beweggründe die Elli insgesamt zu einer Giftmörderin gemacht haben, festgehalten.
2. Der Giftmord im historischen Kontext
Bis in welche Zeit die Existenz des Giftmordes zurückgeht und inwieweit die damalige Vorstellung des Giftmordes mit der heutigen Vorstellung vereinbar ist, wird im folgenden Abschnitt erläutert. Außerdem wird das Verständnis des Giftmordens im 20. Jahrhundert beleuchtet, da in diesem Zeitraum die Erzählung „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“ veröffentlicht wurde.
2.1 Der Giftmord in der Antike
Bereits in der Antike existierten Frauen, die mordeten und als Heldinnen oder Heroinen bezeichnet werden. Allerdings kann ihr Morden nicht mit den heutigen Ansichten auf eine Stufe gestellt werden. Es herrschte beispielsweise in der Zeit ein Volk von Frauen in den Amazonen, welches mordete. Opfer waren dabei alle Menschen männlichen Geschlechts, unbedeutend welchen Alters.3
Ungefähr 1200 vor Christus transformierte sich die Frauenherrschaft ins Gegenteil. Die Frauen wurden von den Männern unterdrückt und waren rechtsunmündig.4 Die in der Antike lebenden Männer lebten ihre Triebe uneingeschränkt aus und erzielten ihrem Willen nach die Durchsetzung des Vaterrechtes.5 Die Erniedrigung der Frau, die Behebung des Mutterrechts und die sexuelle Ausnutzung des weiblichen Geschlechts waren oft Ursachen für die damals Männer und Kinder mordende Frau.6 Auch die erzwungene Betrachtung einer Vergewaltigung im Verwandtenkreis war kein seltener Vorfall, der eine Frau zu einer Ermordung trieb.7 Insgesamt hat der Mord also die Funktion der Rache und Verteidigung seitens der Frau.8
2.2 Der Giftmord in der Literatur im 20. Jahrhundert
Die Pitavalgeschichten, die im 19. Jahrhundert publiziert wurden, hatte einen großen Einfluss auf die Vorstellung des/der „typischen“ Giftmörders/Giftmörderin in der Weimarer Republik. Die Pitavalgeschichten, auch als „Der neue Pitaval“ bekannt, wurden von Eduard Hitzig und Wilhelm Häring veröffentlicht und enthalten Kriminalgeschichten sämtlicher Länder und Zeiten.9 Die Erzählungen enthalten keine juristischen Darstellungen und passen sich somit dem/der durchschnittlichen Leser/in an. Somit wurde auch eine große Reichweite garantiert.10 Teil des neuen Pitaval sind Kriminalgeschichten von damals „typischen“ Giftmörderinnen, die in ihren Eigenschaften teilweise variieren.11 Die Giftmischerinnen wurden durch einen schwachen Charakter, Hinterhältigkeit und List beschrieben, welche die Eigenschaft des Vergiftens mit sich bringe.12
In den 1920ern schrieb man der Giftmörderin die von ihr vorgetäuschte Eigenschaft, sich um das Opfer zu kümmern, es zu pflegen und es zu versorgen, zu. Insgeheim war diese aber eine Art Befriedigung für die Frau.13
Es gibt also zusammenfassend schon seit Jahrtausenden Giftmörderinnen. Die Eigenschaften und typischen Motive einer stereotypen Giftmörderin sind zwar nicht dieselben, ähneln sich allerdings sehr.
3. (Weiblicher) Mord
„Die meisten Opfer von Mord- und Totschlag sind weiblich.“ Dies ist eine Aussage, welche die meisten Menschen unterschreiben würden. Doch entspricht dies wirklich der Realität? Die klare Antwort darauf ist „nein“. In einer Statistik des Bundeskriminalamts ist einzusehen, dass die Minderheit der Opfer mit einer Prozentzahl von 37 weiblich ist.14 Das bedeutet, dass also wesentlich mehr als die Hälfte der Opfer männlich sind.
Verantwortlich für Mord und Totschlag sind dagegen zum größten Teil männliche Täter. Vor allem Amokläufe, Sexualmorde oder Serienmorde werden von männlichen Personen verübt. Dies belegt auch das Tötungskriminalamt in Deutschland, welches immer wieder feststellt, dass eine Tötung oder ein Mord vorwiegend von erwachsenen, männlichen Menschen zu verantworten ist.15 Frauen töten demnach deutlich weniger. Doch warum dieser große Unterschied zwischen Mann und Frau besteht, ist bis heute ungeklärt.16 Vermutet wird, dass dies an „der besonderen sozialen Situation der Frau“ sowie an „deren biologischen Eigenart“17 liegt, die die Frau weniger straffällig machen.
Diese Vermutung wurde bereits in der Kriminologie in den 50er und 60er Jahren vertreten und blieb bis zum 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts unverändert. Bei Antworten auf die Frage, welche Faktoren genau für die seltener begangenen Verbrechen von der Frau als vom Mann verantwortlich sind, spalten sich die Meinungen. Ob es an der gesellschaftlichen Stellung der Frau liegt, die von der Allgemeinheit in Schutz genommen wird oder an der Doppelmoral, die es der Frau nicht ermöglicht, ihre sexuellen Triebe in gleicher Weise auszuleben bzw. zu befriedigen wie der Mann, und das zu einer Art Aufstand führt? Oder liegt es an der einfachen Verdeckung des Mordes durch ihre Position als beispielsweise Hausfrau oder Krankenschwester oder doch an ihrer einzigartigen Täuschungsfähigkeit? Dies bleibt vorerst ungeklärt.18
Was allerdings durch die Literatur und Publizistik deutlich wird und mehrfach von Juristen bis Psychiatern nachgewiesen wurde ist, dass der Giftmord eine bevorzugt weibliche Art zu töten ist.19
3.1 Merkmale einer (Gift)mörderin
Sowohl bei Mörderinnen als auch bei Totschlägerinnen können allgemeine Merkmale festgestellt werden. Die Merkmale basieren auf wissenschaftlichen Untersuchungen.
Die Täterinnen sind selten älter als 40 Jahre alt. Das zweite Merkmal beschreibt den Beziehungsstatus, der häufig „verheiratet“ oder „in einer festen Partnerschaft“ lautet. Zusätzlich sind die Frauen in Familien mit unvorteilhaften Familienverhältnissen aufgewachsen. Das hat indirekt ungünstige Auswirkungen auf das Intelligenzniveau und den Bildungsstatus. Deshalb üben die Frauen eine von der Gesellschaft als nicht geachtete berufliche Tätigkeit aus. Mörderinnen leiden an Störungen; darunter vor allem Minderwertigkeitsgefühle und Beziehungsstörungen. Des Weiteren liegen häufig Erfahrungen mit Gewalt in der Herkunftsfamilie vor, welche von Misshandlung bis zu sexuellem Missbrauch reichen.20
Außenstehende empfinden die Täterinnen als kindlich und naiv. Das Opfer, an dem sie ihre Tat begehen, steht immer in irgendeiner Weise in einer Beziehung zu ihnen. Die Tat an sich verüben sie im häuslichen Umfeld.21 Die Intention zu töten steht mehr mit schwerwiegenden sozialen Konflikten in Zusammenhang, als mit dem Gedanken, einen Vorteil durch die Tat zu erzielen. Das angestrebte Ziel ist dabei die Verhinderung oder Beendigung einer aktuellen Beziehung oder die Ermöglichung einer neuen Beziehung. Damit gehen das Wiedererlangen der eigenen Emotionalität und sozialen Eigenständigkeit sowie das Selbstbestimmungsrecht, was vorher unterdrückt wurde, einher.22 Doch dies sind noch lange nicht die einzigen Ursachen. Es ist eher ein kompliziert gestricktes Gefüge an Ursachen und Bedingungen, welches eine Frau zu einer Täterin macht.23
Ein sehr häufig auftretendes Merkmal ist der Bezug zu einer männlichen Person, der im nächsten Abschnitt beschrieben wird. Die Erläuterung dieses Merkmals bildet die Grundlage für die Analyse der Beziehung zwischen Elli und Link, die in Kapitel 4.2 thematisiert wird.
3.2 Mordmotiv - Bezug zu männlicher Person
Ist bei einem Mord eine Frau für die Tat verantwortlich, so hat auch eine männliche Person auf unterschiedliche Weise etwas mit der Tat zu tun. Entweder ist sie Mittäter oder Anstifter, oder sie befindet sich in der Opferrolle.24 Weiblicher Mord- und Totschlag wird vor allem am Intimpartner, am eigenen Kind oder an einem Patienten, beispielsweise in einem Krankenhaus oder Pflegeheim, begangen.25 Da der Intimpartner am häufigsten von weiblichem Giftmord betroffen ist und die Auswahl des Intimpartners als Opfer in der Erzählung „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“ eine wichtige Rolle spielt, wird insbesondere dieser Aspekt im Folgenden erläutert.
Zunächst können der Ehemann, der Lebenspartner sowie der Geliebte ein Intimpartner sein.26 Insgesamt resultiert ein Mord oder eine Tötung am Intimpartner aus dauerhaft unerwünschtem und brutalem Verhalten des Intimpartners, dem Gefühl, dass eine Trennung nicht ausreichend ist, und ist zum Teil auf die Täterin zurückzuführen. Dies ist damit zu erklären, dass für die Frau in einer Beziehung nur bestimmte Merkmale am Mann entscheidend sein können, beispielsweise sieht sie in ihm eine gute finanzielle Quelle.27
Das bereits erwähnte „unerwünschte und brutale Verhalten“ spiegelt sich darin wieder, dass die Frau häufig misshandelt wird.28 Diese Misshandlung vollzieht sich in vielen Fällen über einen längeren Zeitraum und ist von sexueller oder emotionaler Art. Teilweise ist auch eine Kombination aus sexueller und emotionaler Misshandlung festzustellen.29 In vielen Fällen trinkt der Mann in ungezügelten Mengen Alkohol, woraus ebenfalls ein brutales Verhalten resultiert.
Das Verhalten des Intimpartners sowie die Auswahl des Intimpartners auf Grund von finanziellen, äußerlichen oder willkürlichen Gründen führen zu Gefühlen wie Enttäuschung, Unterdrückung, Einsamkeit und Gleichgültigkeit. Diese Gefühle enden in stark negativ konnotierten Zuständen wie Abneigung oder Hass.30 Die Frauen fühlen sich bedroht, werden missachtet und persönliche Grenzen werden wiederholt überschritten.31 Deshalb wird der Selbstschutz, die Verteidigung gegen die Gewalt und/oder der Schutz der eigenen Kinder oder Familie, zur Intention zu töten.
Es kommt aber nicht selten vor, dass auch andere Ursachen Gründe für eine Tötung oder einen Mord liefern, die direkt oder indirekt in Zusammenhang mit der Beziehung zum Intimpartner stehen. Dies ist beispielsweise ein geheim gehaltener Liebhaber oder eine Liebhaberin der/die Mitschuld am Mord trägt. Ein Giftmord hingegen wird in den meisten Fällen von der Frau alleine verübt.32 Des Weiteren ist eine von vielen Ursachen ein verfälschtes Bild bzw. Verständnis oder ein Missbrauch der Ehe oder der festen Beziehung. Studien zufolge wird in einer Beziehung, die in einer Tötung endet, bereits von Beginn an Gewalt angewandt und das von beiden Seiten aus.33 Manchmal ist die Ursache ein Narzissmus seitens der Mörderin, der allerdings noch so schwach ist, so dass er nicht als Krankheit bezeichnet werden kann. Eine allgemeine Überbewertung der eigenen Bedürfnisse und eines Selbst können ebenfalls Aspekte sein, die das Auftreten von Mordgedanken begünstigen.34
[...]
1 Vgl. Inge Weiler: Giftmordwissen und Giftmörderinnen: eine diskursive Studie. (1998), S. 1.
2 Vgl. Weiler: Giftmordwissen und Giftmörderinnen, S. 228.
3 Vgl. Hyunseon Lee/Isabel Maurer Queipo: Mörderinnen. Künstlerische und mediale Inszenierungen weiblicher Verbrechen. (2013), S. 51.
4 Vgl. Hyunseon/Queipo: Mörderinnen, S. 54.
5 Vgl. ebd. S. 56.
6 Vgl. ebd. S. 59ff.
7 Vgl. ebd. S. 60.
8 Vgl. ebd. S. 59.
9 Vgl. Wilhelm Häring/ Eduard Hitzig: Der neue Pitaval. Eine Sammlung der interessantesten Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit. (1842-1890)
10 Vgl. Weiler: Giftmordwissen und Giftmörderinnen, S. 20.
11 Vgl. Inge Weiler: „Das Klischee der ‚typisch weiblichen Giftmischerin‘ als Produkt interdiskursiver Austauschbeziehungen im Bereich der Rechtskultur“. In: Faktenglaube und fiktionales Wissen: zum Verhältnis von Wissenschaft und Kunst in der Moderne 9 (1996), S. 217.
12 Vgl. Hania Siebenpfeiffer: Böse Lust. Gewaltverbrechen in Diskursen der Weimarer Republik. (2005), S. 98.
13 Vgl. Siebenpfeiffer: Böse Lust, S. 99.
14 Vgl. Hyunseon/Queipo: Mörderinnen, S. 18.
15 Vgl. ebd. S. 17.
16 Vgl. ebd. S. 35.
17 Weiler: Giftmordwissen und Giftmörderinnen, S. 260.
18 Vgl. ebd. S. 260f.
19 Vgl. ebd. S. 1.
20 Vgl. Hyunseon/Queipo: Mörderinnen, S. 20.
21 Vgl. ebd. S. 18.
22 Vgl. ebd. S. 35.
23 Vgl. ebd. S. 36.
24 Vgl. ebd. S. 35.
25 Vgl. ebd. S. 19ff.
26 Vgl. ebd. S. 19.
27 Vgl. ebd. S. 19ff.
28 Vgl. ebd. S. 19.
29 Vgl. ebd. S. 20f.
30 Vgl. ebd. S. 19.
31 Vgl. ebd. S. 20.
32 Vgl. ebd. S. 19.
33 Vgl. ebd. S. 21.
34 Vgl. ebd. S. 22.