Ein Rückhalt anderer Menschen fehlt in ohnehin beängstigenden Zeiten, in denen die Berichterstattung seit rund einem Jahr besonders die älteren Menschen als vulnerable Gruppe und potentielle Todesopfer des Corona-Virus herausstellt. Alleinstehende Senior:innen sind daher psychisch besonders belastet. Eine Möglichkeit, ihre Widerstandskraft in dieser Zeit zu stärken, ihnen ein Gruppengefühl zurückzugeben und Ängste zu mindern, könnte das Psychodrama bieten. Aufgrund der Beschränkungen kann dieses aber in der Zeit der Pandemie nicht live stattfinden, sondern muss andere Wege finden. Ob ein Weg die Umsetzung im digitalen Raum sein kann, wird diese Arbeit untersuchen.
Dabei beschränkt sich das Psychodrama hier auf Gruppensettings für alleinstehende Seniorinnen. Im zweiten Kapitel wird zunächst die für Seniorinnen veränderte Situation und deren aktuelle Bedürfnisse umrissen und die Zielgruppe der Maßnahmen auf die besonders betroffenen Frauen der Altersgruppe ab 60 Jahren festgelegt. Im Anschluss wird das Psychodrama im Allgemeinen und anschließend im Besonderen zu Corona-Zeiten erklärt. Es werden Möglichkeiten gefunden, psychodramatische Methoden in den digitalen Raum zu übertragen. Zuletzt wird sich zeigen, ob diese Übertragung praktikabel und für die Zielgruppe passend ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2 Alleinstehende Seniorinnen in der Coronakrise
2.1 Veränderungen durch die Pandemie-Situation
2.2 Was alleinstehende Seniorinnen brauchen
3 Psychodrama
3.1 Die Kernelemente des Psychodramas
3.2 Wie lässt sich das Psychodrama online durchführen?
3.3 Istdas Psychodrama im digitalen Raum praktikabel?
4 Fazit und Zukunftsaussichten
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Anteil der Bevölkerung mit mittlerer und hoher Symptombelastung in Prozent. Eigene
Darstellung nach PFH, 2020
Abbildung 2: Heutige Anwendungsfelderdes Psychodramas. Stadler & Kern, 2010, S. 16
Abbildung 3: Breitbandverfügbarkeit in Deutschland nach Gemeindeprägung. BMVI, 2020, S.7
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Am 27.01.2020 ist der erste Fall von COVID-19 in Deutschland bekannt geworden (RKI, 2020a, S. 2). Seit 16.03. ist der Grenzverkehr zu den Nachbarländern eingeschränkt. Am 23.03. geht Deutschland in den ersten Lockdown, das bedeutet Ausgangsbeschränkungen, Einschränkungen von Zusammenkünften, Schließung von Geschäften und Schulen (RKI, 2020b, S.1). Das RKI spezifiziertdiese Beschränkungen:
„Versammlungen von mehr als zwei Personen sind mit wenigen Ausnahmen grundsätzlich verboten. Davon ausgenommen sind Familien und Personen, die in einem Haushalt leben. Zudem müssen Restaurants und Betriebe für die Körperpflege unverzüglich schließen.“ (RKI, 2020b, S. 1)
Hier wird bereits deutlich, dass allein lebende Menschen von den Maßnahmen besonders betroffen sind. Ihr Sozialgefüge wird stärker eingeschränkt als das von Hausgemeinschaften. Der Lockdown macht im Sommer 2020 eine Pause, in der Lockerungen gelten, und nimmt Mitte Oktober als „Lockdown light“ wieder Fahrt auf, im Dezember wird er verschärft und dauert bis heute an. Anfang Januar wurden die Beschränkungen noch weiter verschärft. Ein Treffen ist seither nur noch zwischen einem Haushalt und einer weiteren Person möglich und in Hotspots ist der Bewegungsradius auf 15 Kilometer beschränkt (Tagesschau, 2021). Diese Einschränkungen können für alleinstehende und einsame Menschen zur sozialen Isolation führen. Der Rückhalt anderer Menschen fehlt in ohnehin beängstigenden Zeiten, in denen die Berichterstattung seit rund einem Jahr besonders die älteren Menschen als vulnerable Gruppe und potentielle Todesopfer des Virus herausstellt. Alleinstehende Senior:innen sind daher psychisch besonders belastet.
Eine Möglichkeit, ihre Widerstandskraft in dieser Zeit zu stärken, ihnen ein Gruppengefühl zurück zu geben und Ängste zu mindern könnte das Psychodrama bieten. Aufgrund der oben genannten Beschränkungen kann dieses aber in der Zeit der Pandemie nicht live stattfinden, sondern muss andere Wege finden. Ob ein Weg die Umsetzung im digitalen Raum sein kann, wird diese Arbeit untersuchen. Dabei beschränkt sich das Psychodrama hier auf Gruppensettings für alleinstehende Seniorinnen. Im zweiten Kapitel wird zunächst die für Seniorinnen veränderte Situation und deren aktuelle Bedürfnisse umrissen und die Zielgruppe der Maßnahmen auf die besonders betroffenen Frauen der Altersgruppe ab 60 Jahren festgelegt. Im Anschluss wird das Psychodrama im Allgemeinen und anschließend im Besonderen zu Corona-Zeiten erklärt. Es werden Möglichkeiten gefunden, psychodramatische Methoden in den digitalen Raum zu übertragen. Zuletzt wird sich zeigen, ob diese Übertragung praktikabel und für die Zielgruppe passend ist.
2 Alleinstehende Seniorinnen in der Coronakrise
Der harte Lockdown, der seit Dezember 2020 besteht, dauert bis heute an (Tagesschau, 2021). Dieser trifft einige Bevölkerungsgruppen besonders hart, darunter die als vulnerabel herausgestellte Gruppe der über 60-jährigen. Häufig ist von deren Risiko eines schweren Verlaufs von COVID-19 die Rede, was dabei vernachlässigt wird, sind die psychischen Folgen der Isolation. Besonders schwer trifft es dabei alleinstehende Seniorinnen. Das Statistische Bundesamt hat für das Jahr 2019 ermittelt, dass mit 34 % die größte Gruppe der Alleinlebenden Frauen zwischen 60 und 79 Jahren ausmachten (Destatis, 2020). Aufgrund der höheren Lebenserwartung von Frauen ist der Anteil der über 80-jährigen allein lebenden Frauen viermal so hoch wie der gleichaltriger alleinstehender Männer (ebd.). Deshalb wird sich die Arbeit dieser Gruppe widmen.
2.1 Veränderungen durch die Pandemie-Situation
Eine noch laufende Studie der PFH deutet darauf hin, dass Ängste und Symptome der Depression während der Pandemie gestiegen sind (PFH, 2020, Vgl. Abb.1). Die BPtK hat außerdem festgestellt, dass alte Menschen psychisch besonders gefährdet sind
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Anteil der Bevölkerung mit mittlerer und hoher Symptombelastung in Prozent. Eigene Darstellung nach PFH, 2020.
Da sie auch die Hauptrisikogruppe für einen schweren oder tödlichen Verlauf von COVID-19 sind, werden ihnen besonders strenge und langfristige Isolationsmaßnahmen nahe gelegt.
„Die ständigen Gedanken an eine tödliche Infektionskrankheit können verängstigen und der Verlust an familiärer Aufmerksamkeit und Aufgaben zu Depressivität und dem Gefühl von Sinnlosigkeit führen. Liegen bereits Erkrankungen vor oder ist die erwartete Lebenszeit begrenzt, kann eine langfristige Isolation ohne den Austausch mit nahestehenden Menschen zu starker Niedergeschlagenheit und Depression führen.“ (BPtK, 2020, S. 6)
Die medial geschürte Angst vor einer Ansteckung kann bei alten Menschen zu Todesangst und der Rückzug des Lockdowns zu vollständiger Isolation von den für ihre psychische Gesundheit so wichtigen Kontakten führen (BPtK, 2020, S. 6f.). Dabei ist zu bedenken, dass eine Depression meist multiple Auslöser hat und deshalb nicht jede alleinstehende Seniorin in häuslicher Quarantäne depressiv wird. Es ist zu unterscheiden, ob jemand allein, also ohne andere Menschen, ist, oder ob dieses Alleinsein negativ und belastend, also als Einsamkeit erlebt wird (Trattnigg, 2016, S. 116). Dennoch spielt soziale Freiheit eine erhebliche Rolle für das psychische Wohlbefinden. Fallen Teilhabemöglichkeiten an sozialen Prozessen weg, folgt oft Müdigkeit und Resignation (Heinze & Thoma, 2020, S. 5). Als Einsamkeit erlebtes Alleinsein kann, wie Trattnigg anhand einer Längsschnittstudie feststellt, depressive Affekte verstärken (Trattnigg, 2016, S. 119). Umgekehrt kann Depression, wenn sie mit einem Rückzug einhergeht, auch Einsamkeit fördern (ebd.).
2.2 Was alleinstehende Seniorinnen brauchen
Um alleinstehende Seniorinnen nicht in die Depression fallen zu lassen, benötigen sie Strategien, die ihnen das Alleinsein ermöglichen, ohne dass das Empfinden von Einsamkeit zu groß wird. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist es, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem großen Ganzen, einer Gruppe, zu schaffen (Trattnigg, 2016, S.116). Deshalb wird diese Arbeit vornehmlich auf Gruppensettings eingehen, die aufgrund der Corona-Krise zwar nicht wie sonst üblich stattfinden können, aber weiterhin das Ziel eines Verbundenheitsgefühls verfolgen. Zudem ist es zielführend, die Autonomie und Selbstwirksamkeit alleinstehender Seniorinnen zu stärken, um ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass die Krise für sie zu meistern ist (Wenzel, Jaschke & Engelhardt, 2020, S. 52).
Sollten die durch die Pandemie verursachten Ängste übermächtig und irrational werden, kann es der Betroffenen helfen, die reale Angst von der Übersteigerung, also der neurotischen Angst, zu trennen (Krüger, 2020, S. 361ff.). Hierfür ist eine Reflexion über die Situation notwendig. Neben der Konfrontation mit den eigenen Ängsten und dem Kennenlernen der Ängste anderer Gruppenmitglieder, die das Gefühl geben, mit der Belastung nicht allein zu sein, sollten auch positive Aspekte nicht vernachlässigt werden. Das Bekunden von Wertschätzung hilft wie auch die erstarkte Selbstwirksamkeit dabei, Zuversicht für die kommende Zeit zu entwickeln. Außerdem ist das Lachen in seiner therapeutischen Wirkkraft eine wertvolle Ressource, denn durch die damit verbundene Ausschüttung von Endorphinen werden Glücksgefühle ausgelöst (Buer, 2018, S. 348). Buer beschreibt das Lachen als kathartischen Vorgang, der Spannungen lösen kann, einen distanzierten Blick ermöglicht und so Souveränität zurückgewinnen lässt (Buer, 2018, S. 349).
3 Psychodrama
Eine Möglichkeit, alleinstehenden Seniorinnen die im vorigen Kapitel aufgeführten Unterstützungen anzubieten, ist durch das Psychodrama. Es handelt sich dabei um eine von Jacob Levy Moreno begründete Therapieform, die auf Rollenspielen basiert. Für Moreno spielte dabei die Gruppe, genauer gesagt eine Kleingruppe, und deren interne Dynamiken eine bedeutende Rolle (Fox, 1987, S. XIII). Es wird aber heute auch im Einzelsetting angewandt. Da ein wesentliches Ziel der Anwendung des Psychodramas bei alleinstehenden Seniorinnen die Wiederherstellung eines Gruppengefühls ist, wird das Monodrama hier aber außen vor gelassen. Auf der Homepage des Moreno-Instituts, welches das Psychodrama lehrt und anwendet, wird die folgende Zielsetzung formuliert:
„Ziel der psychodramatischen Vorgehensweise ist, die körperliche, seelische und soziale Gesundheit des Menschen zu fördern, zu erhalten bzw. wiederherzustellen oderzu verbessern.“ (Moreno-Institut, 2020)
Damit ist das Psychodrama eine adäquate Möglichkeit, auf die Bedürfnisse der formulierten Zielgruppe einzugehen. Zunächst werden nun genauer die Kernelemente und Methoden des Psychodramas beschrieben, um im nächsten Schritt den Versuch anzustellen, diese auf die besondere Situation des Lockdowns zuzuschneiden.
3.1 Die Kernelemente des Psychodramas
Stadler und Kern definieren das Psychodrama folgendermaßen:
„Das Verfahren Psychodrama in all seinen Anwendungsfeldern ist die handelnde oder szenische Darstellung des inneren Erlebens einer oder mehrerer Personen sowie deren äußerer Situationen.“ (Stadler & Kern, 2010, S. 13).
Diese Definition beinhaltet, dass im Psychodrama grundsätzlich nicht nur gesprochen, sondern wesentlich auch gehandelt wird. Zudem werden nicht nur Situationen aus dem äußeren Leben der Protagonistinnen1 szenisch aufbereitet, sondern auch das subjektive Erleben. Beides kann auf der Psychodrama-Bühne gleichermaßen verändert werden (Stadler & Kern, 2010, S. 14). Meist wird unter dem BegriffPsychodramadas Psychodrama selbst, sowie Soziometrie und Gruppenpsychotherapie, bzw. das Rollenspiel zusammengefasst (Stadler & Kern, 2010, S. 15). Elementar ist in Morenos Auffassung des Psychodramas die kreative Energie, die jedem Menschen innewohnt und ihn aus der Krise zu führen vermag (Stadler & Kern, 2010, S. 18). Diese kreative Kraft ist im Rollenspiel als Stegreifspiel zu nutzen, um innerhalb der Rollen spontan Dinge zu spielen, die man im echten Leben nie tun würde, sodass die vorgegebenen Rollen eine Veränderung erfahren können (Stadler & Kern, 2010, S. 19f.). Dies birgt ein doppeltes Potential: zum einen kann eine Person eine Situation erneut und gemeinsam mit anderen Darstellerinnen erleben und dadurch Distanz gewinnen, zum anderen sind der Fantasie keine Grenzen geboten, um auf der Bühne die gefühlte Wirklichkeit zu verändern und ggf. Ideen für die Umsetzung in der äußeren Wirklichkeit zu bekommen (Stadler & Kern, 2010).
Anwendungsfelder des Psychodramas:
- Psychotherapie im Einzel- und Gruppensetting
- Beratungsangebote im klinischen Bereich
- Erwachsenenbildung
- Personal- und Organisationsentwicklung
- Supervision und Coaching
- Seelsorge
- Fort- und Weiterbildung als didaktische Methode
- Soziometrische Untersuchungen der Feld- und Aktionsforschung
- Universitäre Forschung
Abbildung 2: Heutige Anwendungsfelder des Psychodramas. Stadler & Kern, 2010, S. 16
Im Psychodrama schlüpfen die Gruppenmitglieder in die Rollen, die die Protagonistin vorgibt. Im Verlauf des Spiels können dann die Methoden des Doppelns, des Spiegelns und des Rollentauschs angewandt werden. Fox zitiert Szenen einer öffentlichen Session, die Moreno mit einer Gruppe Krankenpflege-Studierenden abhält und die diese Methoden beinhaltet (Fox, 1987). Beim Doppeln bekommt die Protagonistin ihrer Figur ein Alter Ego zur Seite gestellt, das die selbe Figur darstellt (Fox, 1987, S. 129ff.). Beim Spiegeln spielt eine Mitspielerin die Figur der Protagonistin und handelt in ihrem Namen. Die Protagonistin wird bald eine Diskrepanz zwischen sich selbst und ihrem Spiegelbild feststellen. In diesem Fall darf sie auch in die Szene eingreifen (Fox, 1987, S.145ff.). Beim Rollentausch haben Protagonistin und Mitspielerin verschiedene Rollen, tauschen aber dann und wann diese Rollen (Fox, 1987, S. 148ff.). Meist folgt auf die Phase des Spiels eine Feedback-Runde, die unbedingt respektvoll zu handhaben ist.
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1 Es wird die weibliche Fassung verwendet, da die in der Arbeit betrachtete Zielgruppe Seniorinnen sind