Wie entwickelte sich aus Darwins Evolutionstheorie ein sozialpolitisches Programm und welche Konsequenzen können wir daraus ziehen? Die rapiden Entwicklungen in der Genetik und Gentechnik haben in den vergangenen Jahren die Möglichkeiten geschaffen, den Menschen und seine Umwelt grundlegend zu verändern. Das CRISPR/Cas System als Beispiel erlaubt beliebige basengenaue Manipulation des Erbguts. Diese Entwicklungen werfen Fragen auf, die durch einen Blick auf bereits vollzogene Paradigmenwechsel und deren Konsequenzen beleuchtet werden können.
Inhaltsverzeichnis
1. Der Beginn einer Wende
1.1. Darwins Einfluss
1.2. Verständnisprobleme und Akzeptanz
1.3. Erklärungsprobleme
2. Der Triumph der Darwinismus
2.1. Auswirkungen für die Theorielandschaft
2.2. Verdrängung des Lamarckismus
3. Der Weg zum Sozialdarwinismus
3.1. Anthropotechnik
3.2. Eugenik
3.3. Soziologische Biologismen
4. Fazit
5. Literaturliste
Die rapiden Entwicklungen in der Genetik und Gentechnik haben in den vergangenen 15 Jahren die Möglichkeiten geschaffen den Menschen und seine Umwelt grundlegend zu verändern. Das CRISPR/Cas System als Beispiel erlaubt beliebige Basengenaue Manipulation des Erbguts. Diese Entwicklungen werfen Fragen auf die durch einen Blick auf bereits vollzogene Paradigmenwechsel und deren Konsequenzen beleuchtet werden können. Eine aus dieser Sicht zu betrachtende Frage ist folgende:
Wie entwickelte sich aus Darwins Evolutiontstheorie ein sozialpolitischen Programm und welche Konsequenzen können wir daraus ziehen?
1. Der Beginn einer Wende
1.1. DARWINS EINFLUSS
Der Biologe Charles Darwin (1809 - 1882) gilt als Vater der modernen Evolutionstheorie, welche er aufgrund von Beobachtungen auf seiner Reise mit der HMS Beagle entwickelte und 1859 erstmals publizierte. Die Idee einer Evolutionstheorie ist nicht neu, auch nicht zu der Zeit als Darwin seine Theorie mit den Mechanismen der Selektion veröffentlichte. Dass Lebensformen sich im Lauf der Zeit weiterentwickeln und sogar aussterben, war schon lange durch die Arbeiten Lamarck's (1744-1829) bekannt.
Wieso brach aber mit Darwins Werk ein neues Zeitalter in der Biologie an? Welche Faktoren haben zu diesen spannenden Entwicklungen geführt die die Welt erschüttert haben? Was haben wir daraus gelernt?
In dieser Arbeit werde ich die Entwicklungen beschreiben, die durch Darwins Evolutionstheorie ausgelöst wurde, mit der Fragestellung wie diese Theorie für soziopolitische und wissenschaftliche Interessen instrumentalisiert wurden.
Um diese Fragen ansatzweise beantworten zu können, muss man in die Zeit zurückblicken und einige Vorgänge betrachten, die sich damals abgespielt haben. Ebenso wichtig wie die historische, ist auch die etymologische Einordnung, ich werde jedoch die verschiedenen Theorien und Begriffe aufgrund des Umfangs nicht detailliert wiedergeben.
Um eines vorweg zu nehmen: Darwin hat das damalige Weltverständnis nur indirekt verändert. Der Ursprung und der Verlauf liegen in einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung die einerseits durch verschiedene Diskurse und durch neue Erkenntnisse in den verschiedenen Wissenschaften geprägt wurde und andererseits politischen Ideologien als Werkzeug diente Handlungen in Gang zu setzen und zu rechtfertigen. Insofern diente Darwins Arbeit als eine Art Katalysator für die Vorgänge die unsere Welt für immer geprägt haben.
Wie bei der kopernikanischen Wende war es eine Idee, entstanden durch Beobachtung der Welt, die die Grundfesten der etablierten Gesellschaft infrage stellte. Mit Experimenten und Beobachtungen wurden Beweise gefunden die gezeigt haben dass es die Erde ist, die zusammen mit den anderen Planeten um die Sonne kreist. Hierdurch wurde das heliozentrische Weltbild geschaffen, wodurch die Kirche ihre Macht und Einfluss einbüsste und die Stellung unserer Welt im Universum überdacht werden musste. Diese revolutionären Vorgänge benötigen Zeit, um Hypothesen zu bilden um aus einer Idee wie der Evolution oder der heliozentrischen Astronomie ein Theoriegebäude zu konstruieren, welches unseren modernen Wissenschaftsbegriff maßgeblich prägte. 1
Ähnlich erging es Darwins Evolutionstheorie. Nicht nur wurde infolgedessen der Gedanke einer Schöpfung ex nihilo herausgefordert, auch die besondere Stellung des Menschen über allen anderen Geschöpfen war nicht mehr zu halten. Plötzlich ist der Mensch mit all seinen Fähigkeiten nicht mehr die Krone der Evolution, sondern nur eine von vielen evolutionären Abzweigungen. Dieser Wechsel in der Weltanschauung hatte viele Konsequenzen nach sich gezogen, die Verantwortung des Menschen hat damit zugenommen, denn nun war auch seine Entwicklung nicht mehr in Gottes Hand. Es wurden aber auch infolgedessen neue Theorien und Programme entwickelt, die bedeutend für ganze Gesellschaften waren.
1.2. VERSTÄNDNISPROBLEME UND AKZEPTANZ
Kurz nach der Veröffentlichung der Entstehung der Arten 1859 war Darwin darauf aus, sein Werk möglichst schnell in verschiedene Sprachen übersetzen zu lassen, was sich als eine besonders schwierige Angelegenheit gestaltete. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen einen Übersetzer zu finden der Willens war sich dieser Aufgabe zu stellen, wurde ihm Clémence Royer vorgestellt. Sie hatte sich bereit erklärt Origin of Species ins Französische zu übersetzen. Royer war eine auffallend intellektuelle Frauenrechtlerin, Philosophin und Anthropologin, die schon mehrere Bücher ins Französische übersetzt hatte, wodurch sie schnell Darwins Vertrauen erlangte. Was Darwin aber nicht wusste war, dass Royer sein Werk fehlinterpretierte. Durch ihre lamarckistische Prägung verstand sie Die Entstehung der Arten nicht als Widerlegung, sondern als eine weiterenwicklung der Ideen Lamarcks.2
Darwins Werk wurde zwar 1862 übersetzt, aber auch stark verändert, indem sie ein 59-seitiges Vorwort einfügte, in welchem sie dem Buch ein antikirchliches Gesicht gab. Sie fügte zahlreiche Fußnoten ein und nutzte auch die Gelegenheit sich in dem Buch zur Eugenik und den negativen Folgen des Schutzes von Kranken und Behinderten zu äußern. Die Änderung des Untertitels von „natural selection“ zu „élection naturelle“ erzeugte den Anschein dass es sich um willentliche Wahl handelt wodurch Darwins Werk dem Lamarckismus viel näher gebracht wurde als es eigentlich war. Dies alles erkannte Darwin jedoch erst nach der ersten Veröffentlichung. Bei dem Versuch eine überarbeitete Fassung zu veröffentlichen traf Darwin auf erneute Probleme. Auf Einwände und Verbesserungsvorschläge Darwins ging Royer kaum ein und brachte erneut und in großer Zahl eigene Ideen in die Übersetzung ein. Es war ein jahrelanges, aufreibendes Projekt welches schließlich Darwin dazu brachte sich von Royer abzuwenden, den Verleger zu wechseln und sogar zu veranlassen, dass in zukünftigen Ausgaben kein Vorwort eines Übersetzers mit abgedruckt werden durfte.3
Ein ähnliches Ereignis widerfuhr Darwin bei der Übersetzung von Origin of Species 1860 in die deutsche Sprache durch Heinrich G. Bronn. Wie bei allen Theorien die an tradierten Vorstellungen kratzen, fiel es einigen Menschen schwer sich damit anzufreunden. Bronns Übersetzung brachte zwar Die Entstehung der Arten nach Deutschland, jedoch hatte er sein eigenes konservatives Weltverständnis einfließen lassen. Bronn passte die Übersetzung seinen eigenen Vorstellungen an indem er Kritik an Darwins Thesen direkt einbaute oder durch das Auslassen ganzer Sätze das Werk manipulierte. Wie viele andere hatte Bronn Schwierigkeiten Darwins Ideen zu akzeptieren. Bronn erkannte zwar dass Gott die Arten nicht geschaffen hatte, er konnte jedoch nicht anerkennen, dass sich in der Natur zufällige Entwicklungen ereignen wodurch sich die Lebensformen stetig verändern. Er vertrat eine alternative Vorstellung, nämlich die des Entwicklungsgesetztes, welches für alle Veränderungen verantwortlich war. Dieses Gesetz sollte z.B. plötzlich auf den Fisch wirken wodurch dessen Nachkommen Eidechsen werden. Die Vorstellung war, dass das Entwicklungsgesetz von anderen Naturgesetzen unabhängig war. Eigentlich ersetze es in der tradierten Vorstellung Gottes Platz, jedoch änderte sich dadurch weiter nichts.
Die Reaktionen auf die Veröffentlichung waren stark gespalten. Nach dem anfänglichen Aufschwung Darwins' Evolutionstheorie ab 1870, verlor diese um 1900 an Kraft durch die Entwicklung alternativer Erklärungen die ursprünglich den Darwinismus ergänzten, später jedoch als Gegenargumente verwendet wurden. Die zunehmende Spezialisierung in der Biologie und Paläontologie hat dazu geführt dass die Wissenschaftler der jeweiligen Fachgebiete sich die Theorien aussuchten, die für die Erklärung ihrer Fragestellung am besten passten. Durch neue vermeintliche Beweise für den Lamarckismus und andere Theorien, verlor der Mechanismus der natürlichen Selektion an Einfluss und Vertrauen. Es gibt mindestens drei Faktoren, die diese Entwicklung begünstigt haben. Diese sind hier kurz angeführt 4:
A. Aus der wachsenden Spezialisierung der Forscher bildeten sich neue Forschungsfelder, die ihre jeweiligen Erklärungsansätze benötigten. Die natürliche Selektion konnte sich hier zunächst nicht durchsetzen da es zu vielen Widersprüchen kam. Dies wird im nächsten Kapitel präziser erläutert.
B. Die Sozialeinflüsse und die gegenseitige Wahrnehmung der Forscher hat dazu geführt dass sich ein wissenschaftlicher Mainstream etablierte in welchem die natürliche Selektion eine Abwertung erfahren hat.
C. Unwissenschaftliche Einflüsse, Emotionen und Glaubensvorstellungen führten dazu dass Theorien diffamiert wurden, die tradierten Vorstellungen gefährlich werden konnten.
1.3. ERKLÄRUNGSPROBLEME
Die Diskontinuität bei Fossilienfunden deutete darauf hin, dass Entwicklungen plötzlich verliefen. Darwins Antwort war, dass es sich hierbei um eine Fehlinterpretation aufgrund unvollständiger Informationen handelte. Er war der Ansicht dass entsprechende Funde in der Zukunft diese Wissenslücken füllen würden. Ein weiteres Argument war, dass das geschätzte Alter der Erde aufgrund der Abkühlung eines heißen Körpers nicht ausreichend für so langsame Prozesse wie die natürliche Selektion ist, um diese Vielfalt an Geschöpfen zu erzeugen. Dies war auch ein positives Argument für den Mutationismus. Anhaltende Dispute veränderten Darwins Theorie, diese wurde unter anderem durch den Adaptionismus erweitert.
Schwierig zu erklären war auch die Existenz non-adaptiver Strukturen und die Entwicklung von Merkmalen die nicht notwendig für das Überleben sind. Die scheinbar zielgerichteten Entwicklungen in Fossilienfunden haben dazu geführt das hauptsächlich Paläontologen diese Theorie angenommen haben weil dies am besten zu ihren Beobachtungen passte. Ein besonderes Problem stellte auch die Entwicklung von Säugetieren dar. Hier waren die Lücken der Fossilienfunde so groß, weshalb Zweifel bestanden ob diese jemals geschlossen werden könnten. Das Fehlen paläontologischer Funde die diese Lücken zwischen den gefundenen Arten schließen könnten und auch der lineare Charakter der Evolution führte zu weiteren Entwicklungen in Anti-Darwinistischen Theorien und auch zur Vorstellung der Orthogenese, nach der die Evolution durch eine treibende Kraft gesteuert wird. Die Orthogenese basiert auf der Teleologie, die behauptet, dass alle Entwicklungsprozesse zielorientiert ablaufen. Die allgemeine Vorstellung war, dass die Evolution gerichtet und nach einem größeren Plan abläuft weshalb die Reduktion auf einen Trial-and-Error Prozess tra-dierte Vorstellungen und Glaubensansätze erschütterten. Dass der Kampf ums Überleben mit dem damit verbundenen Leiden, die Triebfeder der Evolution war, konnte nur schwer akzeptiert werden, denn damit wären alle Lebewesen dem Blinden Prozess der Auslese ausgeliefert. Die Variationen, die der natürlichen Selektion dargeboten werden, sind aber prinzipiell zufällig. Den meisten Biologen der damaligen Zeit war diese Vorstellung eine Zumutung. Für Darwins Theorie war in diesem Zusammenhang besonders die Homologie die beobachtet werden konnte schwer zu erklären. Die Regelmäßigkeit in der Evolution, wie die Entwicklung des Auges bei Säugetieren und Tintenfischen eine starke Ähnlichkeit aufweist, deute auf eine innere Kraft hin, die die Evolution richtet.
Gegen Ende des 19. Jahrhundert konnten die Dispute um den Darwinismus die theistische Evolution und damit metaphysische Ansätze aus der ernsthaften wissenschaftlichen Gemeinschaft vertrieben. Die Suche nach alternativen Theorien richtete sich auf den Lamarckismus, weil sich hierdurch das passive ausgesetzt sein an die Evolution in eine aktive Gestaltung durch Auswahl der Lebensumstände verschob. Der Gedanke die eigene Zukunft gestalten zu können, war für viele Wissenschaftler hoch interessant. Diese Zuwendung zum Lamarckismus führte weiter dazu, dass der Darwinismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Gesellschaft kaum noch anschlussfähig war.
2. Der Triumph des Darwinismus
2.1. AUSWIRKUNGEN FÜR DIE THEORIELANDSCHAFT
In der Zeit als der aufkommende Darwinismus seinen Siegeszug feierte und als Synonym für die Evolution verwendet wurde, war die wissenschaftliche Gesellschaft über den Mechanismus der natürlichen Selektion tief gespalten. Der Triumph des naturalistischen Standpunktes hat wohl der Theorie der Selektion und seiner Akzeptanz zugespielt. Theistische und Design-evolutionstheorien waren unfähig populär unter den jungen Wissenschaftlern zu werden, das führte zum größten Triumph des Darwinismus: der vollständige Bruch zwischen Wissenschaft und Religion. Kaum jemand hat andere als naturalistische Alternativen zum Darwinismus vorgeschlagen. Nun war der Weg frei für die Untersuchung natürlicher Ursachen. Darwin war weitsichtig genug seiner Theorie kein Korsett anzulegen und es flexibel zu halten. Indem er die Selektion nicht zur einzigen Triebfeder der Evolution erklärte sondern als eine die notwendigerweise durch andere Mechanismen zu ergänzen ist, hielt er seine Theorie offen für Kritik und Anpassung. Die wahre Gefahr liegt in der Übersimplifizierung der Zusammenhänge von Philosophie und Biologie.
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1 Peter J. Bowler, The Eclipse of Darwinism, London 1983, S. 12
2 Kevin Liggieri, Anthropotechnik, Konstanz 2019, S.67 ff .
3 Kevin Liggieri, Anthropotechnik, Konstanz 2019, S.69 ff .
4 Peter J. Bowler, The Eclipse of Darwinism, London 1983, S. 7 ff .