Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Islamischen Republik Iran gehören wahrscheinlich zu den schwierigsten der aktuellen Weltpolitik. Wurde der Iran in den 1970er Jahren von US-Präsident James Carter für seine „great leadership“ gelobt, entwickelte er sich nach der Islamischen Revolution 1979 aus Sicht der USA immer mehr zum Schurkenstaat, den man mit voller Härte bekämpfen und international isolieren müsse. Die islamistischen Anschläge vom 11. September 2001 und die Aufdeckung des iranischen Atomprogramms 2002 durch iranische Oppositionelle verstärkten diese Sichtweise. So verortete der damalige US-Präsident George W. Bush 2002 die Islamische Republik in seiner „axis of evil“ und sah im Iran einen Gegner, der den USA seine „absolute hostility“ erklärt habe. Nach diesem vorläufigen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern verkündete Bushs Nachfolger Barack Obama eine Annäherung an den jahrzehntelangen Erzfeind. In seiner Antrittsrede am 20. Januar 2009 unterbreitete er mit der Metapher der „ausgestreckten Hand“ der muslimischen Welt ein Angebot für verbesserte Beziehungen. Dies kann unter anderem als Annäherung an den Iran verstanden werden. Doch kam es wirklich zu dieser angekündigten Annäherung? Um eine erfolgreiche und nachhaltige Annäherung zu erreichen, müsste zuerst das jahrzehntealte Misstrauen zwischen den beiden feindlich gesinnten Staaten überwunden werden. Besonders in Bezug auf das iranische Atomprogramm, welches den kompletten Nahen und Mittleren Osten zu destabilisieren droht und permanentes Konfliktpotenzial in sich birgt, wären verbesserte Beziehungen wünschenswert. Wie entwickelte sich also das Vertrauen zwischen den USA und dem Iran in Obamas erster Amtszeit? Nach der Ankündigung Obamas ist mit einer positiven Entwicklung zu rechnen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Bedeutung kostspieliger Signale für die Entstehung von Vertrauen in den internationalen Beziehungen
3 Die Entwicklung des Vertrauens in den iranisch-US-Amerikanischen Beziehungen in Obamas erster Amtszeit
3.1 Die Jahre 2009 und 2010: Erste Annäherungen und eine verpasste Gelegenheit
3.2 Die Jahre 2011 und 2012: Keine Entspannung in Sicht
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Islamischen Republik Iran gehören wahrscheinlich zu den schwierigsten der aktuellen Weltpolitik. Wurde der Iran in den 1970er Jahren von US-Präsident James Carter für seine „great leadership“ (Glass 2018) gelobt, entwickelte er sich nach der Islamischen Revolution 1979 aus Sicht der USA immer mehr zum Schurkenstaat, den man mit voller Härte bekämpfen und international isolieren müsse (Rudolf / Lohmann 2010: 7).1 Die islamistischen Anschläge vom 11. September 2001 und die Aufdeckung des iranischen Atomprogramms 2002 durch iranische Oppositionelle verstärkten diese Sichtweise (Perthes 2008: 90–91). So verortete der damalige US-Präsident George W. Bush 2002 die Islamische Republik in seiner „axis of evil“ (Bush 2002) und sah im Iran einen Gegner, der den USA seine „absolute hostility“ (Bush 2006) erklärt habe.2 Nach diesem vorläufigen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern verkündete Bushs Nachfolger Barack Obama eine Annäherung an den jahrzehntelangen Erzfeind. In seiner Antrittsrede am 20. Januar 2009 unterbreitete er mit der Metapher der „ausgestreckten Hand“ (Phillips 2009) der muslimischen Welt ein Angebot für verbesserte Beziehungen.3 Dies kann unter anderem als Annäherung an den Iran verstanden werden. Doch kam es wirklich zu dieser angekündigten Annäherung? Um eine erfolgreiche und nachhaltige Annäherung zu erreichen, müsste zuerst das jahrzehntealte Misstrauen zwischen den beiden feindlich gesinnten Staaten überwunden werden. Besonders in Bezug auf das iranische Atomprogramm, welches den kompletten Nahen und Mittleren Osten zu destabilisieren droht und permanentes Konfliktpotenzial in sich birgt, wären verbesserte Beziehungen wünschenswert. Wie entwickelte sich also das Vertrauen zwischen den USA und dem Iran in Obamas erster Amtszeit? Nach der Ankündigung Obamas ist mit einer positiven Entwicklung zu rechnen.
Wie konkurrierende Staaten Vertrauen zueinander aufbauen und ihre Differenzen friedlich beilegen können hat der Politikwissenschaftler Andrew Kydd anhand des Beispiels der Sowjetunion und den USA im Kalten Krieg ausführlich dargelegt. Laut Kydd haben sogenannte „costly signals“ (kostspielige Signale) entscheidend zum Ende des Kalten Krieges beigetragen (Kydd 2007: 6, 214–215). Unter dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow kam es zu einem Aussenden kostspieliger Signale an die USA, die zu einer Entspannung in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen führten und den Kalten Krieg beendeten (siehe Kydd 2007: 214–244).4 Wenn es unter Obama zu einer positiven Vertrauensentwicklung mit dem Iran kam, sollten sich kostspielige Signale während Obamas Amtszeit an den Iran feststellen lassen. Für diese Beobachtung haben sich insbesondere Artikel in internationalen Zeitungen angeboten, die das amerikanisch-iranische Verhältnis über die Jahre begleitet haben. Bei der wissenschaftlichen Literatur sind vor allem die Werke des Politikwissenschaftlers Trita Parsi hervorzuheben. Parsi gelang es, dank seines außergewöhnlichen Zugangs zu Schlüsselfiguren im Iran und den USA, einen detaillierten Einblick in die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu ermöglichen.
Die Untersuchung gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil wird das theoretische Konzept der kostspieligen Signale erläutert. Daran anschließend folgt die Analyse des Vertrauens zwischen den USA und dem Iran. Dabei wird in chronologischer Reihenfolge des Untersuchungszeitraums vorgegangen. Beginnend mit dem Jahr 2009 wird zuerst analysiert, inwieweit Signale zwischen den Akteuren ausgetauscht wurden. Falls dies zutraf, gilt es zu prüfen, ob diese Signale für den aussendenden Akteur kostspielig waren, da nur so glaubwürdig Vertrauen entstehen kann. Bei den Kosten für die Signale kann zwischen außenpolitischen und innenpolitischen Kosten unterschieden werden. Außenpolitische Kosten lägen unter anderem vor, wenn eine Regierung durch ihre Signale Konflikte mit einem Verbündeten auslöst oder anderweitig ihren außenpolitischen Spielraum einschränkt. Innenpolitische Kosten beziehen sich hauptsächlich auf Konflikte im Inland. Verursachen die Aussender von Signalen mit ihrem Handeln Streit mit der Opposition oder mit mächtigen Interessengruppen oder gefährdet eine Regierung durch ihre Bemühen um Vertrauen ihre Wiederwahl (Wheeler 2018: 9–10)? Die Untersuchung endet aus Platzgründen im Jahr 2012 mit dem letzten vollständigen Regierungsjahr in Obamas erster Amtszeit.
Es wird sich zeigen, dass es im Anfangsjahr der Obama-Regierung 2009 zu einem Aussenden kostspieliger Signale kam, die von amerikanischer Seite ausgingen. Diese Entwicklung endete allerdings im Herbst eben jenen Jahres, mit der Ablehnung des Iran, seine Urananreicherung ins Ausland zu verlagern. Beide Seiten verpassten es, nachhaltig Vertrauen aufzubauen und zu kooperieren. Danach verschlechterten sich die Beziehungen wieder und es kam zu keinen nennenswerten Signalen zwischen dem Iran und den USA.
2. Die Bedeutung kostspieliger Signale für die Entstehung von Vertrauen in den internationalen Beziehungen
Laut Kydd ist Kooperation zwischen Staaten essenziell, um kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern (Kydd 2007: 3). Das Problem ist, dass Staaten in einem anarchischen internationalen System, welches keine übergeordnete Instanz kennt, die Regelverstöße bestrafen würde, wenig Anreize haben zu kooperieren, da ihre Zusammenarbeit jederzeit von ihrem vermeintlichen Kooperationspartner ungestraft ausgenutzt werden könnte. Um überhaupt zu kooperieren, müssen Staaten darauf vertrauen, dass ihre Kooperation nicht ausgenutzt wird. Vertrauen ist demzufolge laut Kydd „a belief that the other side prefers mutual cooperation to exploiting one’s own cooperation” (Kydd 2007: 6). Misstrauen ist das Gegenteil, nämlich “a belief that the other side prefers exploiting one’s cooperation to returning it” (Kydd 2007: 6). Mit dem Prisoners-Dilemma und dem Assurance Game lässt sich Kydds Vertrauensdefinition spieltheoretisch darstellen. Aus Sicht der Spieltheoretiker5 sind Akteure mit Prisoners Dilemma-Präferenzen nicht vertrauenswürdig, da sie immer einen Anreiz haben, Kooperation mit Nicht-Kooperation zu erwidern, selbst wenn sie wissen, dass der potenzielle Kooperationspartner kooperieren würde (Kydd 2007: 6–7). Dies führt dazu, dass keine Zusammenarbeit zu Stande kommt, da jeder der beiden Spieler davon ausgeht, ausgenutzt zu werden und es bevorzugt, nicht zu kooperieren, als zu riskieren, dass seine Kooperation ausgenutzt wird (Kydd 2007: 7). Akteure mit Assurance Game-Präferenzen hingegen sind vertrauenswürdig, da sie Kooperation mit Kooperation erwidern würden (Kydd 2007: 7–8). Das Problem ist, dass selbst wenn zwei Akteure mit Assurance Game-Präferenzen aufeinander treffen, Kooperation nicht automatisch erfolgt (Kydd 2007: 8). Die Akteure wissen nicht, ob der andere Akteur ebenfalls Assurance Game-Präferenzen hat und ihre Kooperation ebenfalls mit Kooperation erwidert (Kydd 2007: 8). Dementsprechend werden sie aus Angst, ausgenutzt zu werden, wie in einem Prisoners Dilemma handeln, obwohl dies nicht ihre dominante Strategie ist (Kydd 2007: 8). Die Lösung für dieses Problem ist, dass ein Akteur seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellt, indem er zeigt, dass er Assurance Game-Präferenzen besitzt (Kydd 2007: 8–9). Mit kostspieligen Signalen kann er glaubwürdig seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen und damit Kooperation initiieren.
Kydd definiert kostspielige Signale als „small but significant gestures that serve to prove that one is trustworthy” (Kydd 2007: 5). Die Idee der kostspieligen Signale geht auf den Ökonomen Andrew Spence zurück (Kydd 2007: 185; siehe Spence 1973). Spence fragte sich, wie es sein kann, dass Hochschulabsolventen mehr verdienen als Angestellte ohne Hochschulabschluss, obwohl das Wissen, welches an Universtäten vermittelt wird, meistens für den späteren Beruf irrelevant ist (Kydd 2007: 185). Spence Antwort darauf war, dass nicht das Wissen an sich zu einer besseren Bezahlung führt, sondern vielmehr die Bereitschaft sich weiterzubilden und Kosten für diese Weiterbildung in Kauf zu nehmen Kydd 2007: 185). So signalisieren Bewerber ihrem potenziellen Arbeitgeber, dass sie lernfähig und in der Lage sind, kluge Entscheidungen zu treffen (Kydd 2007: 185–186). Dies sollte dann mit einer höheren Bezahlung entlohnt werden (Kydd 2007: 186). Der Grund, warum es überhaupt nötig ist, kostspielige Signale auszusenden, ist die Ungewissheit auf dem Arbeitsmarkt. Da Arbeitgeber kaum etwas über einen künftigen Angestellten wissen, versuchen sie aus diesen Signalen auf dessen Produktivität zu schließen (Kydd 2007: 186). Wäre von vornherein bekannt, welcher Bewerber geeignet ist, wären kostspielige Signale überflüssig (Kydd 2007: 186).
Diese Erkenntnis überträgt Kydd auf die Staatenebene. Ähnlich wie Arbeitgeber nichts über die Eignung ihrer Bewerber wissen, wissen Staaten nichts über die Vertrauenswürdigkeit anderer Staaten, also ob sie bereit sind, Kooperation zu erwidern oder auszunutzen (Kydd 2007: 186–187). Simple Vertrauensbekundungen reichen dafür nicht aus, da sie ebenso von nicht vertrauenswürdigen Akteuren ausgesprochen werden können (Kydd 2007: 187). Vielmehr müssen diese Vertrauensbekundungen glaubhaft sein (Kydd 2007: 187). Diese Glaubhaftigkeit wird dadurch erreicht, dass ein Akteur eigene Nachteile und Kosten in Kauf nimmt und seine Glaubhaftigkeit damit unter Beweis stellt (Kydd 2007: 187). Diese Kosten würden nach Kydd nur glaubwürdige Akteure in Kauf nehmen (Kydd 2007: 187). Sie unterscheiden sich damit vom sogenannten „cheap talk“ (Farrel / Rabin 1996: 104), also Vertrauenssignalen ohne Kosten für den Aussender, die auch nicht-vertrauenswürdige Akteure behaupten können (Kydd 2007: 186–187). Als Beispiel für solchen cheap talk können Adolf Hitlers Beteuerungen gesehen werden, in Europa keine expansionistischen Bestrebungen zu verfolgen (Kydd 2007: 187). Wie sich zeigte, hatte Hitler nie die Absicht, seine Expansionsbestrebungen einzustellen, trotz seiner gegenteiligen Behauptungen. Er war somit kein vertrauenswürdiger Akteur.
Bei kostspieligen Signalen handelt es sich somit um Gesten, die Staaten machen, um anderen Staaten glaubwürdig ihre Vertrauenswürdigkeit unter Beweis zu stellen, beziehungsweise um ihre Assurance Game-Präferenzen zu zeigen. Auf diese Weise können Staaten signalisieren, dass sie kooperieren wollen. Die Kostspieligkeit der Signale dient dazu, das Signal glaubwürdig zu machen und sich von unseriösen Akteuren abzugrenzen.
3. Die Entwicklung des Vertrauens in den iranisch-US-Amerikanischen Beziehungen in Obamas erster Amtszeit
Nachdem im ersten Teil erläutert worden ist, wie kostspielige Signale dazu beitragen, dass sich Staaten vertrauen und kooperieren, gilt es zu untersuchen, inwieweit es zwischen den USA und dem Iran in den Jahren 2009 bis 2012 zu einem zu erwartenden Vertrauensaufbau gekommen ist. Wenn es Obama mit seiner Politik der ausgestreckten Hand ernst meinte, sollten sich in der Realität kostspielige Signale finden lassen.
3.1. Die Jahre 2009 und 2010: Erste Annäherungen und eine verpasste Gelegenheit
Wie erwähnt, nutzte der neu gewählte Präsident Barack Obama seine Antrittsrede, um die Beziehungen zur islamischen Welt, und damit zum Iran, zu verbessern. Innenpolitisch war der Zeitpunkt für eine amerikanische Annäherung an den Iran günstig. So stimmten laut einer Befragung des Umfrageprojekts World Public Opinion der University of Maryland im Jahr vor der Wahl Obamas eine deutliche Mehrheit der US-Bürger (79 Prozent) für eine Annäherung an den Iran durch direkte Gespräche (Kull et al.: 15). Auch in der Nuklearfrage sprach sich eine Mehrheit von 55 Prozent für eine friedliche und diplomatische Lösung in Form eines Abkommens aus, welches dem Iran eine Urananreicherung bis zu einem gewissen Grad erlauben sollte (Kull et al.: 25). Der Präsident genoss den für seine Politik nötigen Rückhalt in der Bevölkerung, was zu einer Kostenverringerung führte. Im Kongress besaß Obamas Demokratische Partei in beiden Kammern eine Mehrheit, was die Möglichkeiten der oppositionellen Republikaner, die Annäherung Obamas an den Iran kostspieliger zu machen, einschränkte. Auf konservativ-republikanischer Seite selbst gab es Fürsprecher für eine diplomatische Annäherung an Teheran, wie den ehemaligen Außenminister Henry Kissinger, der sich zusammen mit vier weiteren ehemaligen Außenministern für Gespräche aussprach (Reuters 2008).6
Die innenpolitischen Kosten gestalteten sich für den neuen US-Präsidenten somit gering, was dadurch verstärkt wurde, dass Obama Mittel ergriff, um die Kosten für seine Annäherungspolitik innenpolitisch gering zu halten. Indem er Hillary Clinton, Gary Samore und Dennis Ross, alle drei hinsichtlich des Irans keine „softies“ (Parsi 2012: 45), in seine Administration berief, beruhigte er den Teil von US-Bürokraten, die einer Annäherung an den Iran skeptisch gegenüberstanden (Parsi 2012: 45). Gleiches gilt für seinen Ansatz in der Iranpolitik an sich. Obama verfolgte in Bezug auf den Iran einen „hybrid approach“ (Ross 2008: 48). Dieser sah vor, dem Iran ohne Vorbedingungen, wie zum Beispiel den Verzicht auf Urananreicherung, zu begegnen (Ross 2008: 48). Gleichzeitig sollte der Druck auf Teheran aufrecht erhalten bleiben (Ross 2008: 48). Die Kosten für eine Nicht-Kooperation sollten so hoch sein, dass der Iran sich gezwungen sieht, mit den USA zu verhandeln (Ross 2008: 48). Mit der Aufrechterhaltung des Drucks auf den Iran gelang es Obama, Konservative auf seine Seite zu ziehen, die eher eine harte Haltung gegenüber dem Iran bevorzugten (Parsi 2012: 57–58).
Während die innenpolitischen Kosten für Obamas Ankündigung einer Annäherung an den Iran am Anfang seiner Amtszeit begrenzt waren, sah es bei den Kosten in der Außenpolitik anders aus. In Europa soll zwischen den Beamten der Europäischen Union (EU) nach Obamas Ankündigung große Freude geherrscht haben, wobei aus Frankreich und Großbritannien Bedenken an einer zu weichen Haltung Obamas gegenüber dem Iran laut wurden (Parsi 2012: 10–13). Letzten Endes überwogen die Befürworter einer Annäherungspolitik und man beschloss, die weitere Entwicklung abzuwarten (Parsi 2012: 13). Weitaus mehr Kritik äußerten die arabischen US-Verbündeten der Golfregion, allen voran Saudi-Arabien. Ähnlich wie in der Innenpolitik wurde hier versucht, die Kosten für die USA so gering wie möglich zu halten. So besuchte Verteidigungsminister Robert Gates Anfang Mai Riad. Dort beruhigte er die Saudis und betonte die Bedeutung Saudi Arabiens als „important partner for the US in counter-terrorism and a range of other issues“ (DAWN 2009) und versprach, Waffenlieferungen an das sunnitische Königreich zu beschleunigen (DAWN 2009). Zwei Monate nach dem Besuch des Verteidigungsministers kündigte US-Außenministerin Clinton an, die Golfregion mit einem „defense umbrella“ (Landler / Sanger 2009) gegen den Iran schützen zu wollen. Anfang 2010 handelten General David Petraeus und der Vorsitzende des Joint Chief of Staff, Admiral Michael Mullen, zusätzliche Militärhilfen für die Golfstaaten aus (Brown 2015: 689). Wie in der Innenpolitik betrieb die Obama-Administration eine Außenpolitik der Kostenverringerung.
Während es gelang, die Golfstaaten durch Aufrüstung zu besänftigen, gestaltete sich dies im Fall Israels als schwierig. Der jüdische Staat lehnt seit Jahrzehnten jede amerikanisch-iranische Annäherung und die damit einhergehende Gefahr einer Akzeptanz eines nuklearen Iran vehement ab (Parsi 2012: 19). Insbesondere der hybrid approach mit seiner Aufgabe von Vorbedingungen, wie dem iranischen Verzicht auf eine Atomanreicherung, stand den israelischen Interessen diametral entgegen. Dass Israel glaubt, den Iran nur militärisch stoppen zu können, aber gleichzeitig nur mit Hilfe der Vereinigten Staaten dazu in der Lage ist, machte das Land bezüglich verbesserter Beziehungen zwischen seinem Erzfeind und seinem wichtigsten Verbündeten umso skeptischer (Parsi 2012: 28, 51, 230). Gleichzeitig macht es die Abhängigkeit Israels von den USA schwer, die Kosten für die USA in die Höhe zu treiben. Zumindest das Worst-Case-Szenario eines Präventivschlags Israels auf den Iran, den der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im März 2009 ins Spiel brachte, dürfte zum damaligen Zeitpunkt als ausgeschlossen gegolten haben (Goldberg 2009). Im Falle eines israelisch-iranischen Krieges hätte für die USA die Gefahr bestanden, ungewollt in den Konflikt mit hineingezogen zu werden. Allerdings glaubte in Washington keiner ernsthaft an einen Krieg und selbst Israel musste eingestehen, dass es nicht über die nötigen Kapazitäten verfügte, um den Iran zu besiegen und das Atomprogramm dauerhaft zu stoppen (Cohen 2008; Parsi 2012: 53). Außerdem stand Netanjahu mit seiner kriegerischen Haltung gegenüber dem Iran keineswegs stellvertretend für den israelischen Staatsapparat. Insbesondere in israelischen Sicherheitskreisen gab es extreme Vorbehalte gegen einen Präventivschlag (Parsi 2017: 156–158). Dennoch sollte die amerikanische Iranpolitik die Beziehungen zu Israel schwer belasten, und wie sich später zeigen wird, Folgen für die innenpolitische Lage in den Vereinigten Staaten haben.
Insgesamt lässt sich Obamas Metapher der ausgestreckten Hand und die damit verbundene Politik als erstes kostspieliges Signal in Richtung des Iran interpretieren. Die Kostspieligkeit bezog sich hauptsächlich auf das Verhältnis zu Israel und mit Abstrichen auf das Verhältnis zu den sunnitischen Verbündeten der Golfregion. Innenpolitisch entstanden für Obama keine Kosten. In beiden Bereichen lag der Fokus der US-Regierung darauf, die Kosten möglichst gering zu halten, was zeigt, dass man nicht bereit war, für eine Entspannung größere Kosten auf sich zu nehmen. Obamas nächstes Signal in Richtung Iran erfolgte zwei Monate nach der Amtsantrittsrede.
Am 20. März 2009 veröffentlichte das Weiße Haus ein Video, in dem der US-Präsident sich anlässlich des persischen Neujahrsfestes (Nouruz) direkt an die iranische Bevölkerung wandte (Parsi 2012: 62; Cooper / Sanger 2009).7 In dem über drei Minuten langen Video gratulierte Obama allen Iranern zum Neujahrsfest und lobte die iranische Kultur. Gleichzeitig sprach er von einer „great civilization“ im Iran, die den Respekt der USA verdient habe. Anschließend wandte sich Obama direkt an die iranische Führung. Er betonte seinen Willen, die Streitigkeiten diplomatisch beizulegen, um „constructive ties“ zwischen den Vereinigten Staaten, dem Iran und der internationalen Gemeinschaft zu bilden. Des Weiteren stellte der Präsident der Islamischen Republik einen „rightful place in the international community“ in Aussicht, um in Sicherheit und Frieden leben zu können. Der Iran antwortete durch den obersten Führer, Ajatollah Ali Chamenei, auf die Neujahrglückwünsche. Chamenei lehnte eine Verbesserung der Beziehungen nicht generell ab aber betonte, dass die USA ihren Worten Taten folgen lassen müsse und tat seine Ablehnung des von Obama verfolgten hybriden Ansatzes Kund, der weitere Sanktionen gegen sein Heimatland nicht ausschloss (Parsi 2012: 64–67). Moderate Kräfte, wie der ehemalige iranische Premierminister Hossein Mussawi, äußerten sich ebenfalls reserviert gegenüber dem Video (Parsi 2017: 81). Im Iran wurde das Video somit eher als cheap talk gedeutet und nicht als ein wirklich glaubhaftes kostspieliges Signal.
Als Reaktion auf Obamas Video veröffentlichte die israelische Regierung ein eigenes Video an den Iran, in dem es die Regierung scharf angriff und die iranische Bevölkerung zum Sturz des heimischen Regimes aufrief, was gegenüber der amerikanischen Iranpolitik als Sabotageakt gedeutet wurde (Parsi 2012: 69–70). In Bezug auf Israel stellte dieses Video einen Wendepunkt dar, denn von diesem Zeitpunkt an erhöhte die israelische Regierung durch ihre verschiedenen jüdischen Interessengruppen in den USA den Druck auf Obama.8 Bereits Wochen vor einer geplanten Reise Netanjahus in die USA am 18. März initiierte dieser eine Kampagne, mit dem Ziel, Obama unter Druck zu setzen, seinen Handlungsspielraum einzuschränken und härtere Sanktionen zu erwirken (Parsi 2012: 71). Versuche, mithilfe des American Israel Public Affairs Commitee (AIPAC) Sanktionen gegen den Iran durch den Kongress zu erwirken, scheiterten vor allem am Widerstand der Demokraten (Parsi 2012: 72–74). Auch mit seiner Forderung nach einem strafferen Zeitplan für Diplomatie mit dem Iran um schneller Sanktionen verhängen zu lassen, konnte sich der israelische Ministerpräsident in Washington nicht durchsetzen (Parsi 2012: 74–78). Der Versuch Netanjahus, innenpolitisch Einfluss auf die US-Politik zu nehmen, zeigt, dass die Politiker in Washington zu sehr hinter Obama standen, um seine Signale innenpolitisch kostspielig zu machen. Gleichzeitig zeigt sich, wie Obama mit seiner Iran-Diplomatie das Verhältnis zu Israel belastete.
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1 Für einen kurzen Überblick über die Geschichte der Beziehungen zwischen den beiden Ländern siehe Braml 2020 oder Gärtner 2014: 133–135. Ausführlichere Informationen finden sich bei Khosrozadeh 2007, Murray 2010, Mūsawīyan / Shahidsaless 2014, Pollack 2004.
2 Zur Iranpolitik unter George W. Bush siehe Leikert 2010: 130–166 oder Rudolf 2007.
3 Wortwörtlich sagte Obama: „To those who cling to power through corruption and deceit and the silencing of dissent, know that you are on the wrong side of history, but that we will extend a hand if you are willing to unclench your fist” (Phillips 2009).
4 Kydd nennt den Intermediate Range Nuclear Forces Treaty (INF-Vertrag), den Rückzug sowjetischer Truppen aus Afghanistan und Osteuropa, den Moskau-Gipfel 1988, die Demokratisierung der Sowjetunion und Gorbatschows Rede vor den Vereinten Nationen 1988 als maßgebliche Signale für die Vertrauenswürdigkeit Russlands (Kydd 2007: 214–215, 227–233).
5 Es wird darauf hingewiesen, dass aus Gründen der besseren und flüssigeren Lesbarkeit in der Hausarbeit auf eine genderspezifische Schreibweise verzichtet wird. Alle Bezeichnungen gelten Sinngemäß für beide Geschlechter.
6 Zu den vier weiteren Unterstützern einer diplomatischen Beilegung der amerikanisch-iranischen Streitigkeiten, gehörten die Demokraten Madeleine Albright und Warren Christopher, sowie die Republikaner Collin Powell und James Baker (Reuters 2008).
7 Das komplette Video ist mit persischem Untertitel auf dem YouTube-Kanal des Weißen Hauses abrufbar (siehe The Obama White House 2009). Alle Zitate und Behauptungen stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet, aus diesem Video.
8 Wie kleinere Verbündete Einfluss auf ihren starken Verbündeten ausüben und zu seinen Gunsten beeinflussen können zeigt Robert Keohane in Keohane 1971 (zur Israel-Lobby in den USA siehe Keohane 1971: 177–178). Ein konkretes Beispiel, wie jüdische Lobbygruppen die Politik der USA zu ihren Gunsten verändert haben ist der sogenannte Iran Lybia Sanction Act. Das AIPAC hatte vorher intensiv Druck auf Kongress und die Regierung des damaligen Präsidenten Bill Clinton ausgeübt, um das Gesetzt durch den Kongress zu bringen (Parsi 2017: 32–36).