Seit den 1960er Jahren hat sich die Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur in den mediterranen Gebieten Frankreichs nachhaltig verändert. Waren die Regionen Languedoc-Roussillon und Provence-Alpes- Côte d´Azur bis dato in vielen Bereichen unterentwickelt, hat sich seither, vor allem in den regionalen Zentren, ein dynamischer Transformationsprozess vollzogen, der sich bis zum heutigen Tag fortsetzt.
Kennzeichen dieser Entwicklung sind ein deutlicher Bevölkerungszuwachs sowie ein über dem nationalen Durchschnitt liegendes Wirtschaftswachstum, das hauptsächlich auf dem tertiären Sektors beruht. Charakteristisch sind dabei die Ansiedlung zahlreicher Hochtechnologieunternehmen und das Auftreten von wissensbasierten Dienstleistungsunternehmen.
Diese Arbeit beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung der regionalen Zentren: Nîmes und Montpellier in Languedoc-Roussillon sowie Marseille und Nizza/Sophia-Antipolis in Provence-Alpes Côte d´Azur. Dazu werden unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangspositionen und Rahmenbedingungen die Entwicklungsverläufe in den Städten beschrieben.
Da bei der wirtschaftlichen Entwicklung in den französischen Regionen immer auch die zentralstaatliche Ordnung Frankreichs mit dem politischen und wirtschaftlichen Übergewicht Paris berücksichtigt werden muss, wird zu Beginn der Arbeit ein kurzer Überblick über die französische Dezentralisierungspolitik und der damit verbundenen Wirtschaftspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben.
Darauf aufbauend soll verdeutlicht werden, dass die zentralstaatliche Dezentralisierungspolitik und Technologieförderung die untersuchten Städte keineswegs in gleichem Maße betroffen und gefördert hat.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wirtschafts- und Industriepolitik, Technologieförderung in Frankreich zwischen 5 Zentralismus und Dezentralisierung
3. Naturräumliche Einführung
4. Montpellier
4.1 Ausgangsituation/ Rahmenbedingungen
4.2 Die Entstehung der „Technopole“ Montpellier
4.3 Rolle des Staates
4.4 Heutige Situation
4.5 Ausblick
5. Nîmes
5.1 Industrialisierung – Deindustrialisierung
5.2 Wirtschaftsstruktur
5.3 Neue Entwicklungstendenzen
5.4 Zusammenfassung
6. Marseille
6.1 Vorgeschichte und Industrialisierung
6.2 Niedergang – Auflösung des Systems
6.3 Strukturwandel und räumliche Verlagerung
6.3.1 Deindustrialisierung – Tertiärisierung und soziale Auswirkungen
6.3.1.1 „Euroméditerranée“ und weitere Maßnahmen zur Revitalisierung
6.3.2 Verlagerung der wirtschaftlichen Schwerpunkte
6.3.2.1 Staatliche Maßnahmen
6.3.2.2 Technologieparks
6.4 Ausblick
7. Nizza und Sophia-Antipolis
7.1 Sophia-Antipolis
7.1.1 Planung und Umsetzung von Sophia-Antipolis
7.1.2 Entwicklung von Beschäftigungszahl und Unternehmens- ansiedelungen bis 1990
7.1.3 Krise zu Beginn der 1990er Jahre
7.1.4 Strategiewechsel und Umstrukturierung
7.1.5 Heutige Situation
7.2 Nizza
7.2.1 Wirtschaftliche Entwicklung und Wirtschaftsstruktur
7.2.2 Neuere Entwicklungstendenzen
7.3 Fazit, abschließende Bewertung
8. Schlussbetrachtungen
9. Literaturverzeichnis
Abkürzungen :
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Seit den 1960er Jahren hat sich die Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur in den mediterranen Gebieten Frankreichs nachhaltig verändert. Waren die Regionen Languedoc-Roussillon und Provence-Alpes- Côte d´Azur bis dato in vielen Bereichen unterentwickelt, hat sich seither, vor allem in den regionalen Zentren, ein dynamischer Transformationsprozess vollzogen, der sich bis zum heutigen Tag fortsetzt.
Kennzeichen dieser Entwicklung sind ein deutlicher Bevölkerungszuwachs sowie ein über dem nationalen Durchschnitt liegendes Wirtschaftswachstum, das hauptsächlich auf dem tertiären Sektors beruht. Charakteristisch sind dabei die Ansiedlung zahlreicher Hochtechnologieunternehmen und das Auftreten von wissensbasierten Dienstleistungsunternehmen.
Diese Arbeit beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung der regionalen Zentren: Nîmes und Montpellier in Languedoc-Roussillon sowie Marseille und Nizza/Sophia-Antipolis in Provence-Alpes Côte d´Azur. Dazu werden unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangspositionen und Rahmenbedingungen die Entwicklungsverläufe in den Städten beschrieben.
Da bei der wirtschaftlichen Entwicklung in den französischen Regionen immer auch die zentralstaatliche Ordnung Frankreichs mit dem politischen und wirtschaftlichen Übergewicht Paris berücksichtigt werden muss, wird zu Beginn der Arbeit ein kurzer Überblick über die französische Dezentralisierungspolitik und der damit verbundenen Wirtschaftspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben.
Darauf aufbauend soll verdeutlicht werden, dass die zentralstaatliche Dezentralisierungspolitik und Technologieförderung die untersuchten Städte keineswegs in gleichem Maße betroffen und gefördert hat.
Die Quellenlage ist für die betreffenden Städte sehr unterschiedlich. Während Marseille und Sophia-Antipolis ausführlich in der geographischen Fachliteratur bearbeitet worden sind, und auch zu Montpellier einige wissenschaftliche Beiträge vorliegen, ist Nîmes Entwicklung kaum wissenschaftlich erfasst worden, so dass sich diese Arbeit auf öffentliche Statistiken und Artikel der Wirtschaftspresse stützen muss.
Auch zur Beurteilung der neusten Entwicklungen in den Städten mussten Artikel der Wirtschaftspresse herangezogen werden.
2. Wirtschafts- und Industriepolitik, Technologieförderung in Frankreich zwischen Zentralismus und Dezentralisierung
Seit Beginn der Staatenbildung im späten Mittelalter ist Frankreich durch eine zentralistische Ordnung geprägt. Waren die zentralistischen Strukturen in Politik und Verwaltung zunächst erforderlich, um die Einheit des heterogenen Staatengebildes zu sichern, wurden im Zuge der Französischen Revolution und der Reformen Napoleons die Kompetenzen der Zentralregierung sukzessive ausgebaut und erstreckten sich bald auf alle gesellschaftlichen Bereiche (Hoffmann-Martinot, V. 2005, 323). So spielten die Vorgaben und Anordnungen aus Paris auch im Bereich der Wirtschaft die entscheidende Rolle. Bereits unter Ludwig XIV (1661-1715) errichtete der für die merkantilistische Politik verantwortliche Minister Colbert ein Kontrollsystem der Wirtschaft. Er belegte den Bergbau mit königlichen Konzessionen, ließ Schifffahrtswege und Häfen bauen, Manufakturen errichten und „…legte die ersten Industrialisierungsansätze in die Hände des Staates“ (Brücher, W. 1987, 670). Napoleon drängte die mit der Revolution aufgekommenen föderalistischen Elemente zurück und stärkte die Zentralgewalt (Michna, R. 1997, 36). Auch nach dem 2.Weltkrieg setzte sich die Zentralisierung fort, indem die französische Regierung mit der „Planification“ eine zentralstaatliche Wirtschaftsplanung installierte. Aufbauend auf der ideengeschichtlichen Tradition des Merkantilismus und angesichts der desolaten wirtschaftlichen Situation herrschte die Meinung vor, der Staat müsse in die wirtschaftlichen Abläufe eingreifen, um die Modernisierung der Wirtschaft voran zu treiben und den Wiederaufbau zu steuern. Das zu diesem Zweck geschaffene Plankommissariat erstellte mittelfristige Investitions- und Finanzplanungen, an denen sich die Wirtschaftspolitik künftig orientieren sollte. Gleichzeitig wurden 6 Bereiche genannt, denen die Regierung besondere Bedeutung für Modernisierung und Aufbau beimaß: u. a. Kohle, Stahl, Elektrizität, Zement (Uterwedde, H. 2004, 11).
Das zweite Zeichen für den großen staatlichen Einfluss war der verstaatlichte Wirtschaftssektor, der in den Jahren zwischen 1944 und 1948 entstand. Im Finanz- und Versicherungssektor sowie in den für die Infrastruktur relevanten Bereichen wie Verkehr, Nachrichtenwesen und Energie wurden die meisten Unternehmen unter staatliche Kontrolle gestellt, wodurch der Staat über die notwendigen Ressourcen verfügen konnte, um die Modernisierungspläne auszuführen.[1] Ein weiteres Instrument der staatlichen Lenkung der Modernisierung stellt die Industriepolitik dar. Da die französische Industrie in vielen Bereichen nur schwach entwickelt war, stellte die Regierung unter de Gaulle 1958 erstmals eine Liste strategischer Sektoren auf, in denen die industrielle Entwicklung durch spezielle Förderungen beschleunigt werden sollte. Schwerpunkte dieser Politik lagen in der Unterstützung hochtechnologischer Branchen und Produkte: Luft- und Raumfahrtindustrie, Atomenergie, Verkehr (TGV, Concorde), Computerbau und Rüstungsindustrie (Uterwedde, H. 2004, 12). Der Staat investierte erhebliche Mittel in F&E und Produktionstechniken, um eine französische Produktion in diesen Bereichen zu sichern. Dabei ging es neben der Förderung einzelner Hochtechnologiebranchen auch um eine Abschwächung der regionalen wirtschaftlichen Disparitäten.
Die staatliche Wirtschafts- und Industriepolitik nach dem 2.Weltkrieg bis in die 70er Jahre kann durchaus als erfolgreich beurteilt werden. Innerhalb von 30 Jahren wandelte sich Frankreich von einem weitestgehend agrarisch geprägten Staat in eine moderne Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Dennoch darf nicht darüber hinweg gesehen werden, dass die „von oben“ verordnete Wirtschaftspolitik auch zu Konflikten führte. Vom raschen Strukturwandel profitierten nicht alle Gesellschaftsgruppen gleichermaßen; viele Kleinunternehmen und Händler mussten aufgrund der sich verändernden Wettbewerbslage aufgeben. Auch die wirtschaftlichen Disparitäten veränderten sich nicht wesentlich. Erst 1963 wurde die Délégation à l´Aménagement du Territoire et á l´Action Régionale (DATAR) gegründet, um dem „Widerspruch zwischen sektoral ausgerichteter Planification und räumlicher Lenkung, dem Aménagement du Territoire (AT), […] zu begegnen“ (Tharun, E. 1987, 701).
Erheblich verstärkt wurde die Kritik an der Regierungspolitik durch die erste Ölkrise 1973. Erstmals seit dem Ende des Krieges stagnierte das Wirtschaftswachstum. Die Mängel der verordneten Regierungspolitik wurden nun sichtbar. Sie bestanden offensichtlich darin, dass die Wirtschaft fast ausschließlich in den Wirtschaftszweigen mit staatlicher Beteiligung wuchs. In anderen Bereichen mit überwiegend privatwirtschaftlicher Nachfrage, wie in der Konsumgüterindustrie, zeigten sich die Schwächen der französischen Wirtschaft. Ein weiteres Problem zeigte sich in der mangelnden Flexibilität der traditionellen Industrien der Bereiche Textilien, Kohle und Stahl. Die notwendigen Strukturanpassungen waren hier versäumt worden, wodurch die Betriebe an Konkurrenzfähigkeit im zunehmenden internationalen Wettbewerb verloren. Nachdem auch ein Versuch durch Verstaatlichungen privater Industrieunternehmen im Jahre 1981 nicht zum gewünschten Erfolg führte, erkannte die sozialistische Regierung unter Mitterand, dass ein Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik unausweichlich geworden war (Uterwedde, H. 2004, 13). Auch wenn es seit den 1960er Jahren bereits kleinere dezentralisierende Reformen gegeben hatte, äußerte sich die Neuorientierung in der Wirtschaftspolitik vor allem in den Dezentralisierungsgesetzen des Jahres 1982, die den regionalen Entscheidungsträgern erstmals mehr Kompetenzen und Mitspracherechte in Fragen der Raumordnung und –planung zugestanden. Die Hauptinhalte der Gesetze lassen sich folgendermaßen beschreiben: Aufwertung der Regionen zu rechtlich vollwertigen Gebietskörperschaften analog zu den Gemeinden und den Departements (Brücher, W. 1987, 672); Ausweitung des Exekutivrechts auf die Departements- und Regionalräte, wodurch die Gebietskörperschaften ermächtigt wurden, eigene wirtschaftspolitische Initiativen einzuleiten; und die Abschaffung aller zentralstaatlicher Vorabkontrollen in Verwaltung und Finanzpolitik (Hoffmann-Martinot, V. 2005, 323).
Im Kontext dieser Arbeit ist das Forschungsgesetz, ebenfalls aus dem Jahr 1982, relevant, mit dem der Regionalisierung und Dekonzentration der Forschungs- und Technologiepolitik besondere Priorität eingeräumt wurde. Den Regionen wurde nun erstmals zugestanden, eigene Forschungsschwerpunkte festzulegen. Dabei bleibt der staatliche Einfluss auf die Forschungs- und Technologiepolitik allerdings durch die neu geschaffene Kontraktualisierung zwischen Staat und Region erhalten. Im contrat de plan werden regionale Entwicklungsziele sowie die finanzielle Beteiligung der Vertragspartner fixiert. So kann der Staat durch finanzielle Zuweisungen die technologische Entwicklung in den Regionen mitsteuern (Neumann, W. und Uterwedde, H. 1990, 448).
Auch wenn sich der Staat in der jüngeren Vergangenheit im Zuge der europäischen Integration und der damit verbundenen Deregulierung und Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes sukzessive aus der Wirtschaft zurückgezogen hat, bestimmt er bis zum heutigen Tage bedeutende Bereiche der französischen Wirtschaft, vor allem die öffentlichen Dienstleistungen wie z. B. Post, das Energiewesen oder die Infrastruktur. Damit bleibt der Staat ein entscheidender wirtschafts- und industriepolitischer Akteur und nimmt nach wie vor Einfluss auf die Entwicklung des französischen Wirtschaftsraumes. Auch auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Aktivitäten in den untersuchten Städten hatte der französische Staat, wie im Folgenden gezeigt werden soll, mehr oder weniger starken Einfluss.
3. Naturräumliche Einführung
Bevor die Städte Montpellier, Nîmes, Marseille eingehend untersucht werden, soll der Naturraum kurz vorgestellt werden. Die untersuchten Städte liegen allesamt im mediterranen Schollenland, das sich morphotektonisch inhomogen vom Ostfuß der Pyrenäen über das Languedoc, das Rhônedelta, die Provenzalischen Kalkketten und das Provenzalische Stufenland bis zu den Grundgebirgsschollen des Maurenmassivs erstreckt (Pletsch, A. 2003, 24). Das Languedoc, in dem sich Montpellier und Nîmes befinden, ist ein Stufenland aus Trias-, Jura- und Kreideschichten mit eingesenkten Molassegräben, das zum Meer hin abfällt. An den Küsten von Languedoc finden sich abgeschnürte Strandseen und Strandwälle mit niedrigen Dünen.
Marseille befindet sich in den Provenzalischen Kalkketten, welche durch in west-östlichen Streichen verlaufende Sattel- und Muldenstrukturen gekennzeichnet sind. Nizzas Umgebung wird beeinflusst durch die Ausläufer der Seealpen. Die Stadt selbst liegt in den östlichen Provenzalischen Kalkketten am südlichen Ende der Alpen (Pletsch, A. 2003, 30).
Die untersuchten Städte liegen im Bereich der sommertrockenen Subtropen, wodurch im Herbst und Frühjahr erhebliche Niederschlagsmengen zustande kommen. Montpellier erhält bspw. jährlich 745 mm, Nizza 873 mm Niederschlag. Dabei kann es allerdings zu deutlichen jährlichen Schwankungen kommen.
Auch im Bezug auf die Temperatur lassen sich Unterschiede zwischen Sommer und Winter feststellen. Die mittlere Jahrestemperatur liegt bei 14° C, an der Côte d´Azur werden sogar 15 ° C erreicht. Die mittleren Tagesmaxima im Juli erreichen 28° C an der Küste und 30° C im Landesinneren. Charakteristisch für die Côte d´Azur ist auch die Wintermilde. So beträgt die Januartemperatur von Nizza im Mittel 7,5° C. Hier besteht ein deutlicher Unterschied zur Küstenebene von Languedoc-Roussillon, wo empfindliche Winterfröste auftreten können (Pletsch, A. 2003, 46).
4. Montpellier
4.1 Ausgangsituation/ Rahmenbedingungen
Die Industrialisierung Frankreichs im 19. Jh. und in der ersten Hälfte des 20. Jh. hatte nur geringe Auswirkungen auf die Gebiete der heutigen Region Languedoc-Roussillon. Die Gegend war relativ arm, geprägt durch eine hohe Abwanderung, niedrige Löhne und eine undynamische Wirtschaftsstruktur, welche durch landwirtschaftliche Aktivitäten, genauer gesagt durch den Anbau von Wein, bestimmt wurde.
Auch Montpellier blieb von der Industriellen Revolution fast gänzlich unberührt. Lediglich einige Betriebe aus den Bereichen Grundstoffindustrie und Energiewesen entstanden, ohne jedoch eine nachhaltige Wirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt entfalten zu können (George, P. 1991, 56). Dennoch bot Montpellier ein deutliches Potential, welches sich später förderlich auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkte.
So war Montpellier mit einer traditionsreichen Universität ausgestattet, wobei die Ausrichtung auf Medizin und öffentliche Verwaltung zunächst wenig wirtschaftliche Aktivitäten nach sich zog (Hansen, N. 1999, 94).
Daneben existiert in der Region ein durch die Geschichte entstandenes Regionalbewusstsein, das sich bis zum heutigen Tage erhalten hat und die regionalen und lokalen Entscheidungsträger in dem Willen eint, die wirtschaftliche Entwicklung voran zu treiben. Außerdem ist Montpellier seit dem 17. Jh. ein Verwaltungszentrum, wie Kolmer beurteilt, ein nicht zu unterschätzender Vorteil Konkurrenten im südlichen Frankreich gegenüber, wenn es um die Kontakte zur Regierung in Paris, etwa in Bezug auf Fördergelder oder die Ansiedelung von staatlichen Forschungs- und Verwaltungseinrichtungen, geht (Kolmer, K. 1997, 127).
Auch die bereits erwähnte Unterindustrialisierung der Region kann heute als Vorteil gewertet werden, da die Probleme des Strukturwandels, bspw. durch Industriebrachen oder Umweltbelastungen, entfallen und das mediterrane Ambiente der Stadt nicht beeinträchtigen. Die Stadt grenzt an zwei Naturräume, zum einen an den Küstensaum des Mittelmeeres als Freizeitlandschaft, zum anderen an die Garriguezone als prädestinierter Bereich für höherwertiges Wohnen.
„ Zusammenfassend kann man sagen: Montpellier ist bis in die 60er Jahre eine Stadt ohne Entwicklung, aber mit Potential“ (Kolmer, K. 1997, 127).
4.2 Die Entstehung der Technopole Montpellier
Zu Beginn der 1960er Jahre veränderte sich die Situation fundamental. Mit dem Anfang des Unabhängigkeitskrieges in Algerien setzte ein Zustrom von 800.000 Repatriierten nach Frankreich ein. Davon war auch Montpellier betroffen. Allein im Jahr 1962 musste die Stadt 13.000 der so genannten „pieds-noirs“ aufnehmen, was annähernd 10 % der damaligen Bevölkerung entsprach. Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt wurde dadurch nachhaltig beeinflusst. So sorgte zunächst der Bau der benötigten Wohnungen für einen starken Aufschwung der Bauwirtschaft. In den folgenden Jahren erhöhten die geschäftstüchtigen Repatriierten aber auch die wirtschaftliche Dynamik. „ The repatriates, who were typically industrious and often possessed ressources, brought a new spirit of enterprise to the city“ (Hansen, N. 1999, 94).
Ein anderes Ereignis kann für die wirtschaftliche Entwicklung an Bedeutung kaum überschätzt werden. Im Jahre 1965 siedelte sich die US-amerikanische Firma IBM in Montpellier an. An dem neuen Standort entstand eine Produktionsstätte für Großrechner mit bald 3000 Beschäftigten, davon über 500 Ingenieuren. Die Bedeutung dieser Ansiedelung liegt nicht in ihrer Größe, sondern darin, dass ein lokales Netzwerk an kooperierenden Firmen mit hochqualifiziertem Personal entstand. Denn mit IBM waren einige Zulieferer nach Montpellier umgezogen, von denen fünf über100 Personen beschäftigten. Darüber hinaus förderte IBM Spinn-off Aktivitäten der Mitarbeiter und sorgte durch hohe Qualitätsanforderungen für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Zulieferer, die auf diese Weise wiederum attraktiv für andere Unternehmen wurden. Kolmer bezeichnet diese Ansiedelung von IBM als Initialzündung für die Wirtschaft Montpelliers (Kolmer, M. 1997, 130).
Eine neue Wirtschaftstruktur entstand, gekennzeichnet durch ein Netzwerk und enge Kooperation von Industrieunternehmen aus Hochtechnologiebranchen und wissensbasierten unternehmensbezogenen Dienstleistungsunternehmen.
Beeinflusst durch den positiven Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung, versuchten die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung (und später auch in der Region) fortan, die Rahmenbedingungen für weiteres Wachstum zu gestalten. In diesem Zusammenhang ist die Gründung der „Association Montpellier Languedoc-Roussillon Technopole“ (AMLRT) im Jahr 1985 von entscheidender Bedeutung. In dieser Organisation sind die Stadt Montpellier sowie 14 Umlandgemeinden vertreten. Die AMLRT untersteht der Departementverwaltung und ist für regionale Wirtschaftsförderung, wie z.B. die Planung und Entwicklung von Gewerbeflächen zuständig.
Die AMLRT legte kurz nach ihrer Gründung ein Konzept vor, in dem die drei wesentlichen Leitlinien des Technopolen-Konzeptes in Montpellier festgelegt wurden. Dabei geht das Konzept weit über reine Wirtschaftsförderung hinaus. Es beinhaltet drei Bedeutungsinhalte:
- ein urbanistisches Konzept
- die Bündelung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte zur Stärkung der lokalen Wirtschaft
- die Förderung und Weiterentwicklung der High-Tech-Branchen (Kolmer, K.1997, 129)
[...]
[1] Der spürbare Erfolg der Verstaatlichungen erzeugte in der französischen Gesellschaft die Überzeugung, dass verstaatlichte Unternehmen ein wirksames Mittel zur Bekämpfung wirtschaftlicher Krisen seien. Aus diesem Grund kam es unter der sozialistischen Regierung unter Präsident Mitterand Anfang der 80er Jahre zu weit reichenden Verstaatlichungen in der Industrie. Auch die Protestaktionen im Herbst 2005 im Zusammenhang mit den Privatisierungsplänen der Fährgesellschaft SNCM und EDF haben gezeigt, dass auch heute noch ein Teil der französischen Bevölkerung staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsystem befürwortet.