Am 01. Januar 2020 ist das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) in Kraft getreten. Unter anderem umfasst es die Einfügung der neuen §§ 111a-c AktG und die Änderung des § 107 Abs. 3 S. 3 AktG. Diese Neuerungen, welche Transparenzpflichten und Zustimmungsvorbehalte für sogenannte Related Party Transactions (RPT) von börsennotierten Aktiengesellschaften vorsehen, sollen Ausgangspunkt der vorliegenden Ausführungen sein.
In der Arbeit soll ausgeführt werden, inwieweit die Neuregelung der RPT eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Vorschriften des Minderheitsaktionärsschutzes schafft. Es wird untersucht, ob die Richtlinie und das Umsetzungsgesetz taugliche Regelungen treffen, indem die Entstehungsgeschichte und die wesentlichen Inhalte und Kritikpunkte dargestellt werden. Insbesondere wird dabei evaluiert, ob sie dem rechtsökonomischen Telos der Regulierung von RPT dienlich sind. Darüber hinaus wird de lege ferenda die Möglichkeit einer Harmonisierung des Konzernrechts in Europa und einer deutlich offeneren Richtlinie diskutiert. Anschließend wird analysiert, ob der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie systemwahrender umsetzen hätte können, indem er auf die Vollkommenheit der Kapitalerhaltungsvorschriften, des gesellschaftsrechtlichen Vertretungsrechts und des Konzernrechts vertraut hätte.
Gliederung
A. Einleitung
B. Notwendigkeit der regulatorischen Beschränkung
C. Die zweite Aktionärsrechterichtlinie
I. Identifizierte Regelungsaufgaben
II. Entstehung, wesentlicher Inhalt und Kritikpunkte
1. Der Kommissionsvorschlag
2. Die zweite Aktionärsrechterichtlinie
3. Untaugliche dynamische Verweisung auf die IAS
a) Erschwerung des Geschäftsverkehrs
b) Teils zweckfremde Kriterien der IAS 24.9
D. Das ARUG
I. Zustimmungsvorbehalt
II. Veröffentlichungspflicht
III. Schwächen der Umsetzung
1. Keine Bereichsausnahme für den faktischen Konzern
2. Umgehungsgefahr über nicht börsennotierte Tochtergesellschaften
3. Untaugliche dynamische Verweisung auf die IAS
E. Potentielle Lösungswege
I. Aktionärsschutz als Ziel
1. Unpräzises Telos
a) Stakeholder- vs. Shareholder-Ansatz
b) Schutz vs. Nutzen
2. Dem richtigen Telos nicht zwingend dienend
3. Fazit
II. Die Richtlinie de lege ferenda
1. Legal Transplant der Regulierung von Related Party Transactions
a) Unterschiedliche rechtstatsächliche Situation
b) „Wesentliche Geschäfte“
c) Einschränkungen und Redundanzen
d) Fazit
2. Europäisches Konzernrecht
a) Deutsches Konzernrecht als Vorbild
b) Rozenblum -Doktrin
3. Teleologisch geleitete, „echte” Richtlinie
4. Fazit
III. Das deutsche Umsetzungsgesetz bei de lege ferenda erlassener Richtlinie
1. Geschäfte mit Vorständen
2. Geschäfte mit herrschenden Unternehmen
3. Internationale Rechnungslegungsstandards im Umsetzungsgesetz
IV. Das deutsche Umsetzungsgesetz bei de lege lata erlassener Richtlinie
F. Wesentliche Ergebnisse
Literaturverzeichnis
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A. Einleitung
Am 01. Januar 2020 ist das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) in Kraft getreten. Unter anderem umfasst es die Einfügung der neuen §§ 111a-c AktG und die Änderung des § 107 Abs. 3 S. 3 AktG. Diese Neuerungen, welche Transparenzpflichten und Zustimmungsvorbehalte für sogenannte Related Party Transactions (RPT) von börsennotierten Aktiengesellschaften vorsehen, sollen Ausgangspunkt der vorliegenden Ausführungen sein. Summarisch definiert handelt es sich bei RPT um Transaktionen, die eine Gesellschaft mit einem ihr nahestehenden Unternehmen oder einer ihr nahestehenden Person tätigt.1 Dabei lassen sich zunächst grob zwei Gruppen solcher nahestehenden Parteien voneinander abgrenzen: Mitglieder des Leitungsorgans und Gesellschafter.
Auch und gerade im internationalen Kontext ist die Beschränkung dieser Transaktionen eine der zentralen Regelungsaufgaben des Kapitalgesellschaftsrechts und der Corporate Governance.2
Deutschland wird in diesem Zusammenhang seit jeher ein überaus geringes Schutzniveau attestiert.3 In einer viel zitierten Studie der Weltbank aus dem Jahr 2015 belegt Deutschland beim Schutz der (Minderheits-)Investoren lediglich Platz 98 von 189 Staaten.4 In der aktuellen Fassung dieser Untersuchung hat sich die Bundesrepublik jedoch sprunghaft auf Rang 61 verbessert.5
Angesichts dessen soll in dieser Arbeit ausgeführt werden, welchen Anteil das ARUG II daran hat und inwieweit die Neuregelung der RPT eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Vorschriften des Minderheitsaktionärsschutzes schafft.
Es wird untersucht, ob die Richtlinie und das Umsetzungsgesetz taugliche Regelungen treffen, indem die Entstehungsgeschichte und die wesentlichen Inhalte und Kritikpunkte dargestellt werden. Insbesondere wird dabei evaluiert, ob sie dem rechtsökonomischen Telos der Regulierung von RPT dienlich sind. Darüber hinaus wird de lege ferenda die Möglichkeit einer Harmonisierung des Konzernrechts in Europa und einer deutlich offeneren Richtlinie diskutiert. Anschließend wird analysiert, ob der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie systemwahrender umsetzen hätte können, indem er auf die Vollkommenheit der Kapitalerhaltungsvorschriften, des gesellschaftsrechtlichen Vertretungsrechts und des Konzernrechts vertraut hätte.
Zunächst wird im Folgenden auf hier relevante Inhalte und Kritikpunkte der zweiten Aktionärsrechterichtlinie und des ARUG II eingegangen. Anschließend werden potentielle Lösungswege auf europäischer und nationaler Ebene diskutiert. Dabei wird auch auf das Verhältnis der vor der Verabschiedung des Umsetzungsgesetzes bereits bestehenden Regelungen des Minderheitsaktionärsschutzes zu den neu eingefügten Vorschriften eingegangen.
B. Notwendigkeit der regulatorischen Beschränkung
Auszuschließen, dass Gesellschafter oder Organmitglieder ihren Einfluss zum Schaden der Gesellschaft ausnutzen, ist das Telos der regulatorischen Beschränkung der RPT.6 Sie dient damit mittelbar auch dem Schutz der Aktionäre.7 Aufgrund ihres geringeren Einflusses werden insbesondere die Minderheitsaktionäre geschützt.8
Die Notwendigkeit der Regulierung folgt aber gerade nicht aus einem etwaigen intrinsischen Unwert von RPT. Gerade für kleinere Unternehmen können Transaktionen mit den eigenen Gesellschaftern von großem Vorteil für die weitere Entwicklung der Gesellschaft sein9 - zum Beispiel, wenn die Obergesellschaft eines Unternehmens Rechtsinhaberin einer benötigten Lizenz ist.10 Folgt man zudem der Efficient-Transaction-Theory, ein Unterfall der Efficient-Market-Hypothesis, so sind RPT wie jede andere Transaktion aufgrund einer Steigerung der Allokationseffizienz grundsätzlich positiv zu bewerten.11 Voraussetzung dafür ist allerdings ein optimaler Markt inklusive einer ausreichenden Informationsgrundlage aller Beteiligten.12 Der Markt sorge dann sogar dafür, dass missbräuchliches Verhalten entsprechend privatwirtschaftlich sanktioniert würde.13
Dieser Ansicht ist sich jedoch nur insoweit anzuschließen, als dass Transaktionen mit nahestehenden Personen nicht in toto ablehnungswürdig sind. Sobald die betreffenden Personen aber kraft ihrer Funktion und geleitet von ihrem potentiellen Interessenkonflikt ein nicht marktübliches Geschäft abschließen, besteht Regelungsbedarf.14 Insbesondere beim Leitungsorgan zeigen sich diese Interessenkonflikte – geformt durch die Informationsasymmetrien – im Gewand der Principal-Agent-Theory.15 RPT können für die Gesellschaft selbst und für die Aktionäre von Nachteil sein, da nicht gerechtfertigte Vermögensverschiebungen die Folge sein können.16
Genau an dieser Stelle ist muss die Differenzierung getroffen werden. Man kann bei RPT nicht pauschal von schädigenden Geschäften sprechen. Unterscheidungskriterium muss immer sein, ob die betreffende Person ihren Einfluss missbräuchlich zu eigenem Vorteil und zum Nachteil der Gesellschaft nutzt. An diesem rechtsökonomischen Telos werden die getroffenen Regelungen im Folgenden gemessen.
C. Die zweite Aktionärsrechterichtlinie
Das Europäische Parlament und der Rat haben 2017 die Richtlinie (EU) 2017/828 (aufgrund der englischen Bezeichnung „Shareholder Rights Directive II“ im Folgenden SRD II) erlassen. Sie änderte die Äktionärsrechterichtlinie (2007/36/EG) in wesentlichen Punkten; so auch bezüglich der einleitend beschriebenen Fragen der RPT.
Die grundsätzliche Bestrebung dahinter, ein einheitliches Schutzniveau innerhalb Europas zu statuieren, ist zu begrüßen.17 Auch die Dimension der Niederlassungsfreiheit gebietet eine gewisse Angleichung.18 Denn insbesondere Konzerne agieren aufgrund ihrer Größe oftmals grenzüberschreitend. Die Rechtsunsicherheit verhindert daher tendenziell, dass sich einzelne Konzerngesellschaften in anderen Mitgliedstaaten ansiedeln.19
I. Identifizierte Regelungsaufgaben
Bereits der Kommissionsvorschlag für die SRD II vom April 2014 sieht die Verbesserung der Transparenz und der Überwachung von Transaktionen mit nahestehenden Personen und Unternehmen als unerlässliche Voraussetzung für die Erreichung der statuierten Ziele der Tragfähigkeit von EU-Unternehmen und der Schaffung eines attraktiven Umfelds für Aktionäre.20 Durch die Angleichung der nationalen Vorschriften soll ein einheitliches Schutzmaß erreicht werden.21 Die SRD II identifiziert wie auch der Kommissionsvorschlag die folgenden Regelungsaufgaben: die Notwendigkeit der öffentlichen Bekanntmachung von RPT22 und einen Hauptversammlungs- beziehungsweise Aufsichtsratsvorbehalt.23 Beide Dokumente stützen ihre Erkenntnis darauf, dass RPT den Gesellschaften und ihren Aktionären abträglich sein können, da sie den nahestehenden Parteien die Möglichkeit böten, sich Werte der Gesellschaft anzueignen.24
Ein erster Kritikpunkt – welcher im Laufe der Arbeit weiter elaboriert wird – ist, dass der nicht notwendigerweise zutreffenden Schluss gezogen wird, unterschiedliche Wege der Regelung würden ohne weiteres zu unterschiedlichen Schutzniveaus führen. Wie sich am Beispiel Deutschlands zeigen wird, ist diese Annahme nachdrücklich zurückzuweisen.
II. Entstehung, wesentlicher Inhalt und Kritikpunkte
1. Der Kommissionsvorschlag
Es wird zunächst kurz auf den Vorschlag der Kommission eingegangen. Art. 9c Abs. 1, 2 unterscheidet zwischen Transaktionen, die ein Volumen von 1 % des Gesellschaftsvermögens übersteigen, und solchen, die 5 % übersteigen.
Für Ersteres sieht der Vorschlag eine Pflicht zur Veröffentlichung des Geschäftes selbst und eines sogenannten Fairness-Berichts eines unabhängigen Dritten vor. Dieser soll insbesondere die Marktüblichkeit evaluieren. Zweitere Geschäfte unterliegen einem Genehmigungsvorbehalt der Hauptversammlung mit der Möglichkeit für Mitgliedstaaten, eine Ausnahme für Geschäfte mit 100 %igen Tochtergesellschaften zu regeln.
Die vorgeschlagenen Transparenzpflichten gehen dabei deutlich über das bisher geltende Recht hinaus. Bis dahin beschränkten sie sich auf die bilanzrechtlichen Angaben im Rahmen der Rechnungslegung gem. § 285 Nr. 21 HGB und nach IAS 24 im Konzernabschluss.25 Der Vorschlag zur Erweiterung der Transparenzpflichten wurde ganz im Zeichen des „ sunlight is the best desinfectant “-Gedankens überwiegend und im Grundsatz auch zu Recht positiv aufgenommen.26
Umgekehrt löste wiederum richtigerweise der Vorschlag des Zustimmungsvorbehalts der Hauptversammlung geradezu Entrüstung aus.27 Eine weitere Schwäche des Vorschlags ist, dass jede noch so kleine Transaktion – ist die Schwelle von 5 % erst einmal überschritten – mit derselben nahestehenden Partei erneut dem Zustimmungsvorbehalt unterfällt. Das führt einerseits zu zeitlichen Verzögerungen, die gerade bei Strukturveränderungen lähmend wirken können.28 Zudem widerspricht es auch dem Telos der Regelung, dass eben erst ab einem bestimmten Gewicht der Transaktion erhöhte Vorsicht geboten ist. Umgehungen etwa durch die Aufspaltung von Geschäften können auch auf anderem Wege verhindert werden.29
Zwar wird dies – wie sogleich dargestellt – dadurch abgeschwächt, dass in der SRD II und im ARUG II (nur) die Zustimmung des Aufsichtsrates erforderlich ist. Jedoch zeigt dieses Beispiel, dass der europäische Gesetzgeber die Relevanz der Richtlinie insbesondere für das Konzernrecht offenbar verkennt. Denn wenn die soeben aufgezeigten Pflichten nun potentiell auch von mindervoluminösen Geschäften ausgelöst werden, so widerstrebt das dem deutschen Konzernrecht, das auf einem ex-post Nachteilsausgleich basiert, in besonderem Maße.
2. Die zweite Aktionärsrechterichtlinie
Die SRD II weicht in Bezug auf RPT und im Vergleich zum Kommissionsvorschlag in drei bedeutenden Punkten ab.
Erstens legt sie es in die Hände der Mitgliedstaaten, auf der Grundlage von ökonomischen Kennzahlen Schwellenwerte festzulegen, die die Wesentlichkeit von Geschäften und damit die Anwendbarkeit der neuen Regelungen auf diese bestimmen (Art. 9c Abs. 1). Zweitens wird die Publizierung eines Fairness-Berichts wird nur noch als Möglichkeit für die Mitgliedstaaten aufgeführt (Art. 9c Abs. 3). Drittens greift die Richtlinie die harsche Kritik am Zustimmungsvorbehalt auf und überlässt es den einzelnen Staaten, zwischen Hauptversammlung, Aufsichtsorgan und Verwaltungsorgan für die entsprechende Zuständigkeit zu wählen (Art. 9c Abs. 4). Sie kommt also insbesondere der deutschen Besonderheit des dualistischen Systems entgegen.
Damit verschiebt sich die Blickrichtung, aus der künftig nachteilige Geschäfte beobachtet werden. Ein solches Geschäft ist nach neuem Recht unzulässig, die Ausführung stellt deshalb eine Pflichtverletzung des Vorstandes dar.30 Das deutsche System reagiert konträr dazu ex-post und gleicht etwaige Schäden und Nachteile aus.
3. Untaugliche dynamische Verweisung auf die IAS
Art. 1 Nr. 2 b) SRD II verweist für die Definition der nahestehenden Person auf die internationalen Rechnungslegungsstandards, welche die Kommission in der IFRS-Verordnung zu europaweit geltendem Recht der Rechnungslegung erhoben hat.31 In diesem Kontext relevant sind dabei insbesondere IAS 24.9 und in Teilen IAS 28. Diese definieren nahestehende Personen als herrschende und beherrschte Unternehmen sowie solche, die maßgeblichen Einfluss ausüben, als auch Personen mit Schlüsselpositionen im Unternehmen und deren nahe Familienangehörige.
a) Erschwerung des Geschäftsverkehrs
Zunächst ist es problematisch, unter großem Aufwand ex-ante festzustellen, ob beispielsweise eine Familienzugehörigkeit des Vertragspartners zu einem Vorstandsmitglied besteht.32 Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Feststellung bereits seit der IFRS-Verordnung jährlich vorzunehmen sind und sich der Aufwand aufgrund der transaktionsbezogenen Veröffentlichungspflichten nur minimal erhöht.
Zudem wird moniert, dass mit den zusätzlichen Pflichten eine deutliche Erschwerung des Geschäftsverkehrs einhergehe.33 Gerade Geschäfte mit Großaktionären, Vorständen und insbesondere Mutter- und Tochtergesellschaften sind von erheblicher quantitativer Bedeutung. 2002 entfielen 60 % des Welthandelsvolumens auf Transaktionen innerhalb von Gruppenunternehmen.34 Die zusätzliche Station über den Aufsichtsrat führt in der Tat zu schwerfälligeren Verfahren innerhalb der Gesellschaft.
Beide Punkte sind in der Praxis nur von geringer Relevanz. Die vielen Ausnahmemöglichkeiten, die die Richtlinie den Mitgliedstaaten an die Hand gibt, führen dazu, dass nur sehr wenige Geschäfte überhaupt die Pflichten auslösen.35
b) Teils zweckfremde Kriterien der IAS 24.9
Ein tatsächliches Problem stellt allerdings dar, dass IAS 24.9 in Teilen nicht dem Zweck der Regulierung der RPT dient. Wie bereits ausgeführt, besteht dieser darin, das Risiko einzudämmen, das davon ausgeht, dass eine Person ihren Einfluss auf die Gesellschaft zu eigenem Vorteil und zum Schaden der Gesellschaft nutzt. Im Gegensatz dazu besteht diese Gefahr gerade nicht in Bezug auf Unternehmen, die von der Gesellschaft beherrscht werden, da diese eben keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Mutter haben. Sie sind in dieser Hinsicht wie Dritte anzusehen. Das Risiko geht nicht über dasjenige hinaus, dass die Gesellschaft Vermögen an Außenstehende „verschenkt“.
Freilich gibt es Konstellationen, bei denen eine Tochtergesellschaft beteiligt ist und eine RPT-spezifische Gefahr besteht. Nutzt beispielsweise eine bei der Muttergesellschaft einflussreiche Person ihren Einfluss dahingehend, Vermögenswerte auf die Tochter zu übertragen, an der sie eine höhere Beteiligung hält als bei der Mutter, so ist dies eine klassische risikobehaftete RPT. Diese Gefahr geht dann aber gerade nicht von der Tatsache aus, dass die Tochter von der Mutter beherrscht wird, sondern davon, dass eine (andere) nahestehende Person ihren Einfluss zu einem irgendwie gearteten, eigenen Vorteil genutzt hat. Solche Konstellationen sind aber bereits von den übrigen Tatbeständen des IAS 24.9 erfasst.
Bei der Rechnungslegung erfüllen diese Kriterien durchaus ihren Zweck, Verschiebungen in der Vermögenslage auch hin zu Tochtergesellschaften aufzuzeigen. In vorliegendem Rahmen jedoch führt die Anwendung der Vorschrift zu der Auferlegung einer Bürde, die ihrem Telos nicht dienen kann. Es besteht mangels Einflusses schlicht keine RPT-spezifische Gefahr eines Vermögensabflusses.
Richtigerweise hätte also eine eigene dem rechtsökonomischen Telos verpflichtete Definition gefunden werden müssen.
D. Das ARUG II
I. Zustimmungsvorbehalt
Nach § 111b Abs. 1 AktG muss der Aufsichtsrat einer börsennotierten AG einem Geschäft, das die Gesellschaft mit einer nahestehenden Person tätigt, zustimmen, sofern dessen wirtschaftlicher Wert 1,5 % des Aktivvermögens der AG übersteigt.
Insbesondere ist auf das Merkmal des Geschäfts mit einer nahestehenden Person einzugehen. § 111a Abs. 2, 3 AktG macht hierfür von einem Großteil der Spielräume Gebrauch, die die Richtlinie den Mitgliedstaaten gewährt, indem eine Reihe von Ausnahmen statuiert wird. Diese, sowie die Wahl des Aufsichtsrates als richtiges Organ des Zustimmungsvorbehalts wurden zu Recht besonders in Wirtschaftskreisen überaus positiv aufgenommen.36
Zunächst gelten Geschäfte, die im ordentlichen Geschäftsgang und zu marktüblichen Bedingungen getätigt werden, nicht als Geschäfte mit nahestehenden Personen. Außerdem nimmt § 111a Abs. 3 Nr. 3 a) Var. 3 AktG alle Geschäfte aus, die auf Grundlage eines Unternehmensvertrages getätigt werden. Damit ist die sinnvolle Bereichsausnahme für den Vertragskonzern erfolgt.37 Darüber hinaus fallen nach § 111a Abs. 3 AktG auch diejenigen Geschäfte nicht in den Anwendungsbereich, die mit Tochtergesellschaften geschlossen werden, die (1) in 100%igem Anteilsbesitz der Mutter stehen, an denen (2) keine andere der Mutter nahestehende Person beteiligt ist oder die (3) börsennotiert sind.
Während die beiden ersten Ausnahmen ihre Berechtigung haben, da die Gesellschaft bei einer Vermögensverschiebung auf die Tochter aus (1) die Gesellschaft nicht geschädigt wird und da nahestehende Personen nicht von einer Transaktion profitieren können, wenn sie gemäß (2) nicht an der Tochter beteiligt sind. Ausnahme (3) jedoch übersieht, dass es Konstellationen geben kann, in denen die nahestehende Person ihren Einfluss ausübt, um Vermögen auf die börsennotierte Tochter zu übertragen, an der sie eine höhere Beteiligung hält als an der Mutter.38
II. Veröffentlichungspflicht
Liegen die Voraussetzungen des § 111b AktG vor, so hat die AG Angaben zu diesen Geschäften nach Maßgabe des § 111c AktG zu veröffentlichen.
III. Schwächen der Umsetzung
1. Keine Bereichsausnahme für den faktischen Konzern
Als erste Schwäche ist zu bemängeln, dass der Gesetzgeber nicht von der Möglichkeit in Art. 9c Abs. 6 b) SRD II Gebrauch gemacht hat, die Geschäfte im faktischen Konzern auszunehmen. Das Recht des faktischen Konzerns bietet den Minderheitsgesellschaftern der Tochtergesellschaft einen ebenso angemessenen Schutz wie das Recht des Vertragskonzerns den Gesellschaftern der beherrschten AG.39 Damit ist die Voraussetzung des angemessenen Schutzes im nationalen Recht, die die SRD II aufstellt, auch für den faktischen Konzern erfüllt.40 Deshalb hätte der deutsche Gesetzgeber gestützt auf Art. 9c Abs. 6 b) SRD II auch solche ausnehmen sollen, die zum Nachteil des Tochterunternehmens im faktischen Konzern getätigt werden.41
2. Umgehungsgefahr über nicht börsennotierte Tochtergesellschaften
Aus den Privilegierungen, die insbesondere § 111a AktG vornimmt, folgt, dass Vermögen der Mutter- an die Tochtergesellschaft übertragen werden kann, das im Anschluss an die nahestehende Person der Mutter ausgezahlt wird.42 Sofern eine der beschriebenen Ausnahmen (1) oder (2) in § 111a Abs. 3 Nr. 1 AktG greift, ist die Transaktion auf Ebene der Mutter nicht vom ARUG II erfasst. Ist die Tochter zudem nicht börsennotiert, so ist die Transaktion auch auf ihrer Ebene nicht Gegenstand des § 111b AktG. Diese Beobachtung ist zwar richtig, es ist aber entgegenzuhalten, dass das Gros dieser Situationen dennoch im Anwendungsbereich des Konzernrechts und der Kapitalerhaltungsvorschriften liegt. Ein ausreichender und ohnehin umfassenderer Schutz ist also durch die deutschen Vorschriften gewährleistet. Darüber hinaus besteht zumindest eine Veröffentlichungspflicht, wenn die Tochtergesellschaft eine Transaktion mit einer nahestehenden Person der Mutter tätigt, die, wäre sie von der Mutter getätigt worden, zustimmungspflichtig gewesen wäre (§ 111c Abs. 4 AktG).
3. Untaugliche dynamische Verweisung auf die IAS
Dieser Punkt ist in der SRD II angelegt, sodass der Verweis zwar eine allgemeine Schwäche des ARUG II, jedoch keine spezifische Schwäche der Umsetzung ist. Dem deutschen Gesetzgeber waren in dieser Hinsicht die Hände gebunden. Sinnvoll ist der Verweis wie oben gesehen aber nicht.
E. Potentielle Lösungswege
Aus einer Vielzahl von Gründen sind sowohl die europäische Richtlinie als auch das deutsche Umsetzungsgesetz nicht gelungen. Einige der Kritikpunkte sind bereits in der obigen Darstellung angeklungen. Während einige kleinere Schwächen weniger gravierend sind, leiden beide Rechtsakte am selben, signifikanten Stigma: Die transaktionsbezogene Überprüfung von Geschäften mit nahestehenden Personen geschieht ex-ante und führt unter Umständen dazu, dass primär nachteilige Transaktionen gar nicht mehr durchgeführt werden können. Das steht dem deutschen System, das entstandene Nachteile ex-post ausgleicht, diametral entgegen. Ersterer Ansatz stammt aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis,43 wohingegen ein fein austariertes Konzernrecht ein juristischer deutscher Sonderweg ist.44 Das Aufeinandertreffen der beiden Systeme führt unter Umständen zu nicht interessengerechten Ergebnissen.
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1 Klene, Related Party Transactions, S. 99.
2 Florstedt, ZHR 184 (2020), 10, 11; Bayer / Selentin, NZG 2015, 7, 10; OECD, Related Party Transactions and Minority Shareholder Rights, S. 3; COM(2014) 213 final, S. 2.
3 Enriques / Hertig / Kanda / Pargendler, in: Kraakmann et al., Anatomy of Corporate Law, S. 149.
4 Bayer / Selentin, NZG 2015, 7, 7; Veil, NZG 2017, 521, 521; Klene, GWR 2018, 210, 210.
5 Abrufbar unter https://www.doingbusiness.org/en/data/exploreeconomies/germany#DB_pi (zuletzt aufgerufen am 12.02.20).
6 Grigoleit, ZGR 2019, 412, 427.
7 Richtlinie (EU) 2017/828, EWG 44.
8 Lutter / Bayer / Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 29 Rn. 163.
9 Enriques / Hertig / Kanda / Pargendler, in: Kraakmann et al., Anatomy of Corporate Law, S. 146.
10 Tarde, Related Party Transactions, S. 16.
11 Farrar / Watson, Self-Dealing, Fair Dealing and Related Party Transactions, S. 2.
12 Brinckmann, in: Veil, ECML, S. 266 f.
13 Klene, Related Party Transactions, S. 99.
14 Ryngaert / Thomas, Related Party Transactions, S. 30 f; Brinckmann, in: Veil, ECML, S. 270.
15 Armour / Hansmann / Kraakmann, in: Kraakmann et al., Anatomy of Corporate Law, S. 29 ff.
16 Paschos / Goslar, AG 2018, 857, 866; Fleischer, BB 2014, 2691, 2698; Tröger, AG 2015, 93, 93 ff; Schmidt, NZG 2018, 1201, 1208.
17 Engert / Florstedt, ZIP 2019, 493, 494.
18 Teichmann, AG 2013, 184, 185; Conac, ECFR 2013, 194, 205 ff.; Krapp, StudZR Wissenschaft Online 2/2017, S. 243 ff.
19 Reflection Group, ECFR 2013, 304, 325 f.
20 COM(2014) 213 final, S. 2.
21 Ibid., S. 7.
22 Richtlinie (EU) 2017/828, EWG 44; COM(2014) 213 final, S. 6.
23 Richtlinie (EU) 2017/828, EWG 42; COM(2014) 213 final, S. 6.
24 COM(2014) 213 final, S. 5; Richtlinie (EU) 2017/828, EWG 42.
25 Wiersch, NZG 2014, 1131, 1135.
26 Fleischer, BB 2014, 2691, 2698; Bayer / Selentin, NZG 2015, 7, 8; Wiersch, NZG 2014, 1131, 1137; Fleischer, BB 2014, 835, 841; kritisch im Hinblick auf die Vorstandshaftung: Schneider, EuZW 2014, 641, 642.
27 Schmidt, Der Konzern 2017, 1, 10; Lutter, EuZW 2014, 687, 687; Fleischer, BB 2014, 2691, 2699; Schneider, EuZW 2014, 641, 642; Stellungnahme des deutschen Anwaltvereins, S. 26; zurückhaltender: Veil, NZG 2017, 521, 526.
28 Schneider, EuZW 2014, 641, 641; Wiersch, NZG 2014, 1131, 1132.
29 Florstedt, ZHR 184 (2020), 10, 39.
30 Schneider, EuZW 2014, 641, 642.
31 Verordnung (EG) Nr. 1126/2008 der Kommission vom 3. November 2008.
32 Bayer / Selentin, NZG 2015, 7, 10; Lutter, EuZW 2014, 687, 688; Stellungnahme BDI, S. 8.
33 MüKoAktG/ Spindler, § 89 Rn. 32.
34 Neighbour, OECD Observer No. 230, S. 29, 29.
35 Veil, NZG 2017, 521, 528; vgl. auch E.IV.
36 Stellungnahme Siemens AG, S. 1; Stellungnahme des deutschen Anwaltvereins, S. 28; Stellungnahme DGB, S. 14; Stellungnahme BDI, S. 1; einzig die Hauptversammlung als zuständiges Organ befürwortend Stellungnahme DSW, S. 6.
37 Habersack, AG 2016, 691, 697; Müller, ZIP 2019, 2429, 2433.
38 Grigoleit, ZGR 2019, 412, 441.
39 Veil, NZG 2017, 521, 529.
40 Müller, ZGR 2019, 97, 116 f., Müller, ZIP 2019, 2429, 2433.
41 aA Paschos / Goslar, AG 2018, 857, 869; Paschos / Goslar, AG 2019, 365, 371.
42 Tröger, AG 2015, 53, 62 f.
43 Florstedt, ZHR 184 (2020), 10, 10.
44 Teichmann, in Hommelhoff/Lutter/Teichmann, Konzerngovernance, S. 4.