Diese Studienarbeit setzt sich mit der Fragestellung auseinander, wie die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) mithilfe systemischer Elemente Voraussetzungen für Veränderungen innerhalb einer Familie schaffen kann. Der erste Teil dieser Ausarbeitung beschäftigt sich mit der SPFH selbst. Dabei werden auf Zahlen und Fakten, gesetzliche Rahmenbedingungen, Gründe für eine Hilfegewährung und auf die Anforderungen an die Familienhelfer eingegangen. Anschließend werden im zweiten Teil systemische Ansätze und Haltungen systemischer Therapeuten dargestellt. Dieses Kapitel dient dazu, dem Leser die Elemente der systemischen Beratung und Therapie ‚näher zu bringen‘. Der dritte Teil stellt den Bezug zur Sozialen Arbeit her, indem der Einsatz systemischer Methoden beschrieben wird. Außerdem werden die im vorherigen Kapitel genannten systemischen Elemente aufgegriffen. Dabei wird erklärt, welche Bedeutung diese im Berufsalltag der systemorientierten Familienarbeit haben. Im Fazit werden die Aspekte der Studienarbeit reflektiert und es wird auf die eingangs erwähnte Fragestellung Bezug genommen.
INHALTSVERZEICHNIS
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Sozialpädagogische Familienhilfe
2.1 Zahlen und Fakten
2.2 Gesetzliche Einordnung
2.3 Gründe für die Hilfegewährung
2.4 Anforderungen an die Familienhelfer
3. Systemische Beratung und Therapie
3.1 Systemische Ansätze
3.2 Haltungen systemischer Therapeuten
4. Systemische Beratung und Therapie in der SPFH
4.1 Einsatz systemischer Methoden
4.2 Systemorientierte Familienarbeit in der SPFH
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. EINLEITUNG
In den letzten Jahrzehnten ist die Inanspruchnahme der SPFH enorm angestiegen. Mittlerweile ist sie neben der Erziehungsberatung die am meisten nachgefragteste Erziehungshilfe. Diese Entwicklung hat mehrere Ursachen, eine davon sind die sich wandelnden Familienformen. In der heutigen Zeit gibt es deutlich mehr Trennungen und Scheidungen und dementsprechend auch mehr alleinerziehende Mütter und Väter als früher. Alleinerziehende sind i.d.R. eher auf Hilfen angewiesen als ,normale' Familien. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass im Bereich der SPFH fast ein Drittel der Hilfegewährungen auf die Eigeninitiative der Eltern rückzuführen ist (Erler, 2011, S.12). Demnach hat sich auch ,das Bild' der SPFH in den letzten Jahren stark verändert. Während es früher eher ,verpönt' gewesen ist, Hilfen vom Jugendamt in Anspruch zu nehmen, so wird dies in der heutigen Zeit von der Gesellschaft eher akzeptiert'. Viele betroffene Familien nehmen demnach die SPFH als eine Chance wahr, ihr Leben ,in eine andere Bahn zu lenken'. Die Familienhelfer1 treffen dabei auf Familien, die sich in unterschiedlichen Lebendlagen befinden und mit verschiedenen Problemen ,zu kämpfen' haben. Alle diese Familien haben jedoch eine Sache gemeinsam: Sie können ihre Ressourcen aufgrund ihrer aktuellen Lebenssituation häufig nur eingeschränkt nutzen. Die Aufgabe der Sozialarbeiter ist es, diese Familien dahingehend zu unterstützen, dass sie stärker auf ihre Ressourcen zugreifen können.
Diese Studienarbeit greift eben genannte Themen auf und setzt sich mit der Fragestellung auseinander, wie die SPFH mithilfe systemischer Elemente Voraussetzungen für Veränderungen innerhalb einer Familie schaffen kann. Der erste Teil dieser Ausarbeitung beschäftigt sich mit der SPFH selbst. Dabei werden auf Zahlen und Fakten, gesetzliche Rahmenbedingungen, Gründe für eine Hilfegewährung und auf die Anforderungen an die Familienhelfer eingegangen. Anschließend werden im zweiten Teil systemische Ansätze und Haltungen systemischer Therapeuten dargestellt. Dieses Kapitel dient dazu, dem Leser die Elemente der systemischen Beratung und Therapie ,näher zu bringen'. Der dritte Teil stellt den Bezug zur Sozialen Arbeit her, indem der Einsatz systemischer Methoden beschrieben wird. Außerdem werden die im vorherigen Kapitel genannten systemischen Elemente aufgegriffen. Dabei wird erklärt, welche Bedeutung diese im Berufsalltag der systemorientierten Familienarbeit haben. Im Fazit werden die Aspekte der Studienarbeit reflektiert und es wird auf die eingangs erwähnte Fragestellung Bezug genommen.
Für die Literaturrecherche sind sowohl die Bibliothekskataloge der Hochschule Mannheim (OPAC), der Universität Mannheim (PRIMO) und der Universität Heidelberg (HEIDI) als auch die Datenbanken ,WISO', ,PSYNDEX' und ,SpringerLink' genutzt worden. Die Datenbank WISO lieferte dabei keine brauchbaren Ergebnisse. Die Recherche nach den Statistiken erfolgte auf der Webseite vom Statistischen Bundesamt. In den Datenbanken ist mit folgenden Begriffen gesucht worden: „Kinder- und Jugendhilfe Gesetz“ „Sozialpädagogische Familienhilfe“, „Familienhilfe“, „ Systemische Familienhilfe“, „Systemische Familienarbeit“, „Systemische Beratung“, „Systemische Therapie“, „Familientherapie“, „Familienpsychologie“, „Systemisches Arbeiten“, „Systemische Ansätze“, „Systemische Methoden“. Bei der Suche wurden sinnvolle Operatoren, Synonyme und Trunkierungen verwendet. Außerdem wurde darauf geachtet, dass die ausgewählte Literatur innerhalb der letzten zehn Jahre veröffentlicht worden ist. In wenigen Fällen ist an dieser Stelle jedoch eine Ausnahme gemacht worden.
2. SOZIALPÄDAGOGISCHE FAMILIENHILFE
Zunächst beschäftigt sich dieses Kapitel mit Daten und Fakten der SPFH. Anschließend wird erörtert, was man unter SPFH versteht und wie diese im Gesetz verankert ist. Danach setzt sich diese Arbeit mit typischen Familiensituationen in der SPFH auseinander. Abschließend werden die Anforderungen an die pädagogischen Fachkräfte in diesem sozialarbeiterischen Bereich untersucht.
2.1 Zahlen und Fakten
Im Jahr 2017 haben 75 896 Familien SPFH in Anspruch genommen, was im Vergleich zum vorherigen Jahr ein Plus von 4050 Familien entspricht. Die Inanspruchnahme von SPFH steigt schon seit 1991 stetig an. Damals haben 9 089 Familien diese in Anspruch genommen. Damit hat sich die Inanspruchnahme dieser ambulanten Erziehungshilfe innerhalb von 26 Jahren mehr als verachtfacht. Im selbigen Zeitraum ist die Inanspruchnahme von stationären Hilfen hingegen deutlich weniger stark angestiegen (Statistisches Bundesamt, 2018). Im Zuge der Entwicklung, dass ambulante Hilfen gegenüber stationären Hilfen bevorzugt werden, spricht man auch von einer ,Ambulantisierung'. Durch die ,Ambulantisierung' werden die elterlichen Erziehungskompetenzen in den Vordergrund gerückt. Zudem werden dadurch die Kommunen in finanzieller Hinsicht entlastet, da die ambulanten Hilfen weniger Kosten als die stationären Hilfen verursachen (Richter, 2018, S.831). Laut Richter (Ebd.) treten in diesem Zusammenhang jedoch oftmals fachliche Prämissen zugunsten ökonomischer Interessen in den Hintergrund.
2.2 Gesetzliche Einordnung
Die SPFH nach §31 SGB VIII gehört neben der Erziehungsberatung (§28 SGB VIII), der sozialen Gruppenarbeit (§29 SGB VIII) und dem Erziehungsbeistand (§30 SGB VIII) zu den ambulanten Erziehungshilfen (Bernzen & Bruder, 2018, S. 143).
„Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie ist in der Regel auf längere Dauer angelegt und erfordert die Mitarbeit der Familie.“ (§31 SGB VIII)
Die SPFH ist also eine ganzheitliche Hilfe, deren Ziel es ist, vor allem die Erziehungskompetenzen der Eltern zu stärken, sodass sich die Lebenssituation der im Elternhaushalt lebenden Kinder bzw. Jugendlichen verbessert. Zu der ganzheitlichen Hilfe kann, je nach Einzelfall, neben der Stärkung der Erziehungskompetenz die Verbesserung der Kommunikationskultur zwischen den Familienmitgliedern, die Vermittlung außerfamiliärer Ressourcen, die Hilfe bei Behördengängen, die Unterstützung bei Haushaltstätigkeiten oder die Verbesserung der finanziellen Situation gehören. Vor allem soll jedoch die Selbsthilfefähigkeit der Familie aktiviert und stabilisiert werden, sodass sie in Zukunft ihre Probleme eigenverantwortlich lösen kann. Von grundlegender Bedeutung für die Gewährung einer SPFH ist im Übrigen die Kooperationsbereitschaft der Familie (Schmid- Obkirchner in Wiesner, 2015, §31 Rn. 6 ff.).
Die Tatbestandsvoraussetzungen, die für den Rechtsanspruch auf §31 SGBVIII sowie auch für die anderen Erziehungshilfen erfüllt werden müssen, regelt §27 Abs.1 SGB VIII (Bernzen & Bruder, 2018, S. 143). Gemäß §27 Abs. 1 SGB VIII hat der Personenberechtigte eines Kindes bzw. eines Jugendlichen dann einen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung, „wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist“ (§27 Abs.1 SGB VIII). Der Rechtsanspruch richtet sich dementsprechend nach dem jeweiligen erzieherischen Bedarf einer Familie. Gemäß §27 Abs. 2 SGB VIII ist der Umfang der jeweiligen Hilfe einzelfallabhängig. Laut Schmid-Obkirchner (in Wiesner, 2015, §31 Rn. 17) betreut eine SPFH eine Familie im Regelfall zwischen ein bis zwei Jahren bei einer Wochenarbeitszeit zwischen fünf und zwanzig Stunden.
Laut §36 Abs. 2 SGB VIII dient als Basis für die Ausgestaltung der Hilfe der sog. Hilfeplan, den die jeweilige Familie zusammen mit den Fachkräften aufstellt. Der Hilfeplan enthält u.a. den festgestellten Bedarf der Familie und die notwendigen Leistungen, die die SPFH erbringen soll.
2.3 GRÜNDE FÜR DIE HILFEGEWÄHRUNG
Wie eben schon angedeutet wurde, werden Familienhelfer in verschiedenen Familien mit unterschiedlichen Problemen eingesetzt. Bei den meisten Familien, die SPFH in Anspruch nehmen, liegen dabei mehrere Probleme vor, weshalb man auch von ,Multiproblemfamilien' spricht (Erler, 2011, S.12). Mit 61% ist der häufigste Grund für eine Hilfegewährung die eingeschränkte Erziehungskompetenz der Eltern (Statistische Bundesamt, 2017, S.77 f.). Eine hohe Erziehungskompetenz zeichnet sich dadurch aus, dass man sein Kind mit einem angemessenen und förderlichen Erziehungsverhalten begegnet und eine wertschätzende Haltung ihm gegenüber einnimmt. Konkret bedeutet dies, sich seinem Kind liebevoll zuzuwenden, es im Alltagsgeschehen mit einzubeziehen, Forderungen an es zu stellen, ihm eigene gut begründete Entscheidungen zu überlassen und ihm die Grenzen seines Handelns zu verdeutlichen (BMFSFJ, 2005, S.11 f.). Bei Eltern, die aufgrund ihrer eingeschränkten Erziehungskompetenz von Familienhelfern unterstützt werden, zeigen sich andere Erziehungsmuster. Sie verhalten sich bspw. zu dominant gegenüber ihren Kindern oder Jassen ihnen alles durchgehen'. Es gibt allerdings auch Eltern, bei denen die Erziehungskompetenzen noch schwächer ausgeprägt sind. So werden 13% der Hilfen wegen einer bestehenden Gefährdung des Kindeswohls gewährt. In diesen Fällen kommt es zur Vernachlässigung, zu körperlicher, psychischer oder sexueller Gewalt in der Familie (Statistisches Bundesamt, 2017, S.77 f.). Der zweithäufigste Grund (29%) für eine Hilfegewährung ist die unzureichende Förderung/Betreuung/Versorgung des Kindes bzw. Jugendlichen. In diesen Fällen befinden sich die Familien häufig in einer prekären Lebenslage. Für die Kinder bzw. Jugendlichen ergeben sich dadurch häufig soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Probleme (Ebd.). Diese Probleme bedingen sich häufig gegenseitig, so kann eine schlechte materielle Ausstattung bspw. zu Mobbing in der Schule führen. Erwähnenswert an dieser Stelle ist zudem, dass es sich bei der Hälfte der Familien, die SPFH in Anspruch nehmen, um Alleinerziehungshaushalte handelt (Ebd.). Diese Familienform ist aufgrund ihrer Beschaffenheit einem deutlich höheren Armutsrisiko ausgesetzt. Ein anderer genauso häufig auftretender Grund (auch 29%) für eine Hilfegewährung ist eine (psychische) Belastung der Kinder bzw. Jugendlichen, die durch die Problemlagen der Eltern verursacht wird. Die Eltern leiden bspw. an einer psychischen Erkrankung, einer Abhängigkeitserkrankung oder haben eine Behinderung (Ebd.). In 24% der Fälle kommt es auch durch familiäre Konflikte, bspw. bei Trennung und Scheidung oder bei Partnerkonflikten, zu einer (psychischen) Belastung der Kinder bzw. Jugendlichen (Ebd.). Weitere häufig vorkommende Gründe für eine Hilfegewährung sind Auffälligkeiten im sozialen Verhalten der Kinder/Jugendlichen, Entwicklungsauffälligkeiten bzw. seelische Probleme der Kinder/Jugendlichen und schulische bzw. berufliche Probleme der Kinder/Jugendlichen (Ebd.).
2.4 ANFORDERUNGEN AN DIE FAMILIENHELFER
Aufgrund der eben beschriebenen Vielfalt an Lebenslagen müssen die sozialpädagogischen Fachkräfte immer in der Lage sein, sich mit vielen verschiedenen Themen bzw. Problemkonstellationen auseinanderzusetzen, was wiederum ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz in diesem Arbeitsfeld voraussetzt. Am wichtigsten für Familienhelfer ist, dass sie es schaffen ein Vertrauensverhältnis zu ihren Klienten aufzubauen, weil Vertrauen die Basis für eine gelingende Zusammenarbeit ist und erst dann sozialarbeiterische Interventionen erfolgsversprechend sind (Winkelmann, 2014, S.112). Außerdem sollten die Sozialarbeiter über eine gute Beobachtungsgabe verfügen, da sie nur durch genaues Beobachten die Bedarfe und Bedürfnisse ihrer Klienten erkennen und bestimmte Verhaltensmuster besser verstehen können (Ebd., S.178). Darüber hinaus ist ein gutes Beurteilungsvermögen von immenser Bedeutung, da die Familienhelfer oftmals beurteilen sollen, „ob eine Herausnahme der Kinder aus den Familien notwendig ist“ (Ebd., S.111). Zudem ist ein passgenauer Einsatz von ,Nähe‘ und ,Distanz‘ noch sehr wichtig. Während ,Nähe‘ für die Vertrauensbildung unabdingbar ist, ist ,Distanz' wichtig, um eine gewisse Objektivität beizubehalten durch die man weiterhin in der Lage ist, höchst problematische Verhaltensweisen zu erkennen und auch offen anzusprechen (Ebd., S. 180). Auch ,alltagspraktisches' Wissen erweist sich in diesem Berufsfeld als sehr nützlich, bspw. um Lösungen für materielle Problemlagen zu finden (Ebd., S.112). Demnach sollten die Sozialarbeiter über Fachwissen im Bereich der sozialstaatlichen Leistungen verfügen, um bei Behördengängen eine moderierende Funktion einnehmen zu können (Ebd., S.181). Außerdem sollten sie die vorhandenen Angebote der offenen Jugendarbeit vor Ort kennen, da diese weitere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung der Kinder und Jugendlichen darstellen.
3. SYSTEMISCHE BERATUNG UND THERAPIE
Dieses Kapitel setzt sich mit systemischen Ansätzen und Haltungen systemischer Therapeuten und Berater auseinander.
3.1 SYSTEMISCHE ANSÄTZE
System
In fast allen Bereichen der Wissenschaft werden Systeme erstellt. Die Menschen nutzen Systeme, um dem ,Ganzen‘ eine Ordnung zu geben. Dies erleichtert ihnen herauszufinden, „wie das ,Ganze‘ funktioniert, wie die einzelnen Teile dem Ganzen zuzuordnen sind und wie die Beziehungen der Teile untereinander gestaltet sind“ (Erler, 2011, S.16). Generell lässt sich ein System beschreiben, „als ein Gefüge von Elementen und von Beziehungen zwischen diesen Elementen, die die Systemstruktur bilden“ (Willemse & Ameln, 2018, S. 25). Erler (2011, S.19) betont zudem, dass sich ein System nicht über die Summe seiner Subsysteme definiert, sondern dass es vor allem darum geht, wie die Teile zusammenwirken. Da die einzelnen Subsysteme innerhalb eines Systems miteinander verbunden sind, bewirkt die Veränderung eines Subsystems auch eine Veränderung eines anderen. Der systemische Blick richtet sich dementsprechend darauf, „wie ein System als Ganzes funktioniert“ (Ebd., S.17). Im Bereich der Sozialwissenschaften hat Luhmann erstmals von ,sozialen Systemen' gesprochen. Ein Beispiel für ein soziales System ist die ,Familie', welche dem System ,Gesellschaft' zugeordnet wird. In der Familie selbst stellt jedes Familienmitglied ein einzelnes Subsystem dar (Ebd., S.18). Laut Schlippe und Schweitzer (2012, S.31) entscheidet letztendlich jedoch der Therapeut, welche Elemente, Beziehungen und Grenzen dem System „Familie“ zuzuordnen sind. Bei dieser Systemaufstellung achtet der Therapeut darauf, welche Elemente für das System relevant sind. So macht es vielleicht wenig Sinn die Uroma aus Australien, mit der die Familie nur alle fünf Jahre Kontakt hat, mit in das System einzubauen. Zudem sollte auch beachtet werden, dass ein Familienmitglied nicht nur ein Subsystem im System ,Familie' darstellt, sondern auch in anderen sozialen Systemen inkludiert ist. So ist der ,Vater' beispielsweise auch Arbeitnehmer' im System ,Beruf'. Der systemische Blick innerhalb eines sozialen Systems richtet sich laut Erler (2011, S.18) nicht auf die Handlungen einzelner Personen, sondern auf die Beziehungen, Erwartungen und die Art, wie kommuniziert wird. „Über Kommunikation werden Muster reproduziert, die Zugehörigkeit und Entwicklung wie auch Störungen und Irritationen ermöglichen“ (Ebd., S.18). Erst durch das Erkennen der Kommunikationsmuster eines Systems, versteht man, wie dieses funktioniert, wie die Beziehungen untereinander sind und welche Probleme vorliegen. Erwartungen spielen in der Struktur sozialer Systeme eine zentrale Rolle. Mit Erwartungen sind ,ungeschriebene Regeln' gemeint, die innerhalb eines sozialen Systems festlegen, was man tun sollte und was nicht (z.B. welches Verhalten erwarten meine Eltern von mir, wenn wir am Sonntag bei Oma zu Mittag essen?). Laut Willemse und Ameln (2018, S.35) halten Erwartungen ein System erst zusammen.
Kybernetik erster und zweiter Ordnung
Die Kybernetik befasst sich mit der Beschreibung von Regelungen und Steuerungen komplexer Systeme. Kybernetische Konzepte erster Ordnung beanspruchen für sich, Aussagen darüber machen zu können, wie ein System wirklich ist, wie es aufgebaut ist, wie es funktioniert und wie man es verändern kann (Schlippe & Schweitzer, 2003, S.53). Von zentraler Bedeutung ist vor allem das Homöostasekonzept. Dieses Konzept geht davon aus, dass es in jedem System einen idealen Gleichgewichtszustand (Sollzustand) gibt, welcher von dem Therapeuten festgelegt wird. Schließlich hat der Therapeut die Aufgabe, dieses System von außen zu steuern bzw. zu beeinflussen, sodass dieser Sollzustand erreicht wird. Die kybernetischen Konzepte erster Ordnung werden heutzutage sehr kritisch betrachtet, da eine außenstehende Person beurteilen soll, wie ein System (eine Familie) ,richtig' funktioniert. Dadurch beraubt man eine Familie der Möglichkeit, sich selbst kreative Lösungen zu überlegen. Zudem bleibt zu bezweifeln, dass der von dem Therapeuten festzulegende Sollzustand mit den Vorstellungen der Familie übereinstimmt (Schlippe & Schweitzer, 2012, S.104).
Begrifflichkeiten der Kybernetik erster Ordnung, wie ,Subsysteme' oder ,Grenzen', werden heutzutage jedoch immer noch genutzt, da sie den Therapeuten einen Überblick über ein System geben und ihnen erleichtern, Wechselwirkungen innerhalb des Systems zu erkennen. Jedoch nutzen systemische Therapeuten diese Begriffe heutzutage mit einer größeren Flexibilität (Ebd., S.101).
Bei der Kybernetik zweiter Ordnung geht es nicht mehr darum, einen Gleichgewichtszustand herzustellen, sondern um die die Frage, wie sich ein System verändern lässt. Es wird auch nicht mehr davon ausgegangen, dass Therapeuten in der Lage sind mittels einer zielgerichteten Intervention das ,Problem' einer Familie zu lösen. Therapeuten und Klienten begegnen sich, anders als zuvor, auf Augenhöhe. So werden nun die Klienten als ,Experten' für ihr eigenes Leben gesehen und entscheiden selbst, welche Interventionen sie annehmen möchten. Außerdem richtet sich der Fokus mehr in Richtung des Beobachtersystems (Ebd., S.53). Im Folgenden werden drei kybernetische Konzepte zweiter Ordnung erläutert, die für die heutige systemische Therapie immer noch von hoher Bedeutung sind: Autopoiese, radikale Konstruktivismus und zirkuläre Kausalität.
Das Autopoiese-Konzept ist von Biologen entwickelt worden und wurde von Luhmann u.a. auf soziale Systeme angewendet. Der Begriff ,Autopoiese' stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt ,Selbsterzeugung' (Ebd., S.111). Soziale Systeme werden als autonome Konstrukte gesehen, welche sich selbst organisieren und operational geschlossen' sind, „d.h., dass ihnen keine ihnen fremdartigen Operationen von außen zugefügt werden können“ (Ebd., S.94).
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1 Gemeint sind stets beide Geschlechter. Aus Gründen der Lesbarkeit wird auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet.