Gegenstand der vorliegenden Examensarbeit ist der Zweitspracherwerb von Kindern mit Migrationshintergrund.
Im Folgenden soll dieses Phänomen unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden.
Im zweiten Kapitel werden einige allgemeine Informationen zum Thema Migration vermittelt, die für den weiteren Verlauf dieser Arbeit von Bedeutung sind und somit eine Basis bilden. Hierbei werde ich u.a. genauer auf die Geschichte der Migration, auf die Zahlen und Daten, die verschiedenen Formen und auf das Verhältnis zwischen Migration und Sprache eingehen. Hierbei beziehe ich mich zum größten Teil auf die Migration in Deutschland.
Im Laufe der Spracherwerbsforschung ist es zu verschiedenen theoretischen Ansätzen gekommen, wie das Kind die komplexe Aufgabe des Spracherwerbs bewältigt und bestimmte Fähigkeiten erwirbt. Dazu sollen im dritten Kapitel zwei der wichtigsten Spracherwerbstheorien, nämlich die behavioristische und nativistische Spracherwerbstheorie näher betrachtet werden.
Danach werde ich mich nun dem Spracherwerb widmen. Zunächst soll eine ausführliche Definition zum Bilingualismus, Erstspracherwerb und zum Zweitspracherwerb erfolgen.
Daraus leiten sich zahlreiche Fragen ab, wie z.B. ab wann bezeichnet man eine Person als bilingual?, wie lernt ein Kind überhaupt Sprache? Wie erwirbt das Kind seine Erstsprache? Was lernt es in welcher Phase? Wie erwirbt es die Zweitsprache ? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Kann man allgemein sagen, wie das Kind seine Zweitsprache erwirbt? Wann hört der Spracherwerb auf? Hört er überhaupt auf? Welche Nachteile gibt es bei der Zweisprachigkeit? In Kapitel vier werde ich auf diese Fragen eingehen und anschließend die wichtigsten Hypothesen des Zweitspracherwerbs darstellen. Hierbei werde ich intensiver die drei großen Hypothesen erläutern.
In Kapitel sechs widme ich mich den sprachlichen Besonderheiten, die ein Zweisprachiger mit sich bringt und danach soll untersucht werden, welchen Einfluss die Erstsprache auf die Zweitsprache hat und welche Rolle der Input dabei spielt.
Im letzten Teil der Arbeit werde ich mich mit dem Zusammenhang von Zweisprachigkeit und Schulerfolg beschäftigen.
Mehrsprachigkeit ist in der Schule nicht vorgesehen, sondern wird meist als Defizit aufgefasst. Einsprachigkeit stellt dagegen den normalen, wünschenswerten Zustand dar und lässt sich mit der Vorstellung eines sprachhomogenen Nationalstaates verbinden. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Migration
2.1 Definition
2.2 Aktualität des Themas, Daten und Fakten
2.3 Geschichte der Migration
2.4 Formen der Migration in Deutschland
2.5 Die Arbeitsmigration
2.5.1 Die türkische Migration
2.6 Migration und Sprache
3. Spracherwerbstheorien
3.1 Die behavioristische Spracherwerbstheorie
3.2 Die nativistische Spracherwerbstheorie
4. Bilingualismus, Erst- und Zweitspracherwerb
4.1 Bilingualismus- Versuch einer Definition
4.2 Der Erstspracherwerb
4.3 Die Phasen der Sprachentwicklung
4.3.1 Die vorsprachliche Phase
4.3.2 Die Einwort-Phase
4.3.3 Die Zweiwort-Phase
4.3.4 Die Mehrwort-Phase
4.4 Der Zweitspracherwerb
4.5 Konzepte des Zweitspracherwerbs
4.5.1 Ungesteuerter und gesteuerter Zweitspracherwerb
4.5.2 Die Grundgrößen des Zweitspracherwerbs
4.6 Semilinguale Sprecher versus ausgewogene bilinguale Sprecher
5. Theoretische Ansätze zum Zweitspracherwerb
5.1 Die Kontrastivhypothese
5.2 Die Identitätshypothese
5.3 Die Interlanguagehypothese
5.4 Die Interdependenz und Schwellenhypothese
5.5 Die Monitor-Theorie nach KRASHEN
6. Sprachliche Besonderheiten
6.1 Sprachmischung und Ethnolekt
6.2 Code-Switching und Code-Mixing
6.3 Interferenz
7. Wichtige Faktoren zum Zweitspracherwerb von Migrantenkindern
7.1 Die Bedeutung der Erstsprache für die Zweitsprache
7.2 Die Rolle des Inputs
7.2.1 Einfluss der außersprachlichen Faktoren
8. Schulische Situation der Migrantenkinder
8.1 Die Situationsbeschreibung
8.2 Möglichkeiten zur Förderung
9. Schluss
10. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im vergangenen sowie in diesem Jahrhundert befand sich die Welt und insbesondere Europa in ständiger Bewegung. Es vollzogen sich unzählige Entwicklungen, die eine neue Situation sowie neue Anfordergerungen an den Einzelnen, aber auch an alle Staaten und Gemeinschaften geschaffen haben. Als eine der wichtigsten Ursachen dieser Veränderungen der letzten Jahrzehnte muss mit Sicherheit die Globalisierung genannt werden, ein Phänomen also, das fundamentale Veränderungen der Welt und des Weltmarkts nach sich zieht. Die Migration ist eine anhaltende Begleiterscheinung dieser Veränderungen in der Welt. Sie ist jedoch keine moderne Erscheinung. Bevölkerungsbewegungen und Migrationsprozesse gehören untrennbar zur menschlichen Geschichte, ob aufgrund demographischer Entwicklungen, Veränderungen der Umweltbewegungen oder politischer Entscheidungen.
Trotzdem kann man aber das 20. Jahrhundert als Migrationsjahrhundert bezeichnen. Das hat zum einen damit zu tun, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Anzahl der Menschen, die nicht in ihren Herkunftsländern lebte, sondern in westliche Nationalstaaten auswandert oder flieht, enorm ansteigt. Des weiteren gibt es im 20. Jahrhundert auf einmal die Unterscheidung zwischen den Bürgern eines Landes und den Arbeitsmigranten oder Flüchtlingen, die in das Land kommen, hauptsächlich über das Kriterium der Staatsbürgerschaft, was früher nicht der Fall war. Es kommen immer noch Einwanderer nach Westeuropa und lassen sich hier dauerhaft nieder. Dafür gibt es vielerlei Gründe (ökonomische, politische, Perspektivlosigkeit der jungen Menschen in ihren Ländern, usw.) Mittlerweile ist Westeuropa sehr stark heterogenisiert, es entstehen immer mehr ethnische Minoritäten in den einzelnen Nationalstaaten.
Die Migranten1 müssen sich die dominierende Landessprache aneignen, um sich in die Gesellschaft eingliedern zu können.
Gegenstand der vorliegenden Examensarbeit ist der Zweitspracherwerb von Kindern mit Migrationshintergrund.
Im Folgenden soll dieses Phänomen unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden.
Im zweiten Kapitel werden einige allgemeine Informationen zum Thema Migration vermittelt, die für den weiteren Verlauf dieser Arbeit von Bedeutung sind und somit eine Basis bilden. Hierbei werde ich u.a. genauer auf die Geschichte der Migration, auf die Zahlen und Daten, die verschiedenen Formen und auf das Verhältnis zwischen Migration und Sprache eingehen. Hierbei beziehe ich mich zum größten Teil auf die Migration in Deutschland.
Im Laufe der Spracherwerbsforschung ist es zu verschiedenen theoretischen Ansätzen gekommen, wie das Kind die komplexe Aufgabe des Spracherwerbs bewältigt und bestimmte Fähigkeiten erwirbt. Dazu sollen im dritten Kapitel zwei der wichtigsten Spracherwerbstheorien, nämlich die behavioristische und nativistische Spracherwerbstheorie näher betrachtet werden.
Danach werde ich mich nun dem Spracherwerb widmen. Zunächst soll eine ausführliche Definition zum Bilingualismus, Erstspracherwerb und zum Zweitspracherwerb erfolgen. Daraus leiten sich zahlreiche Fragen ab, wie z.B. ab wann bezeichnet man eine Person als bilingual?, wie lernt ein Kind überhaupt Sprache? Wie erwirbt das Kind seine Erstsprache? Was lernt es in welcher Phase? Wie erwirbt es die Zweitsprache ? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Kann man allgemein sagen, wie das Kind seine Zweitsprache erwirbt? Wann hört der Spracherwerb auf? Hört er überhaupt auf? Welche Nachteile gibt es bei der Zweisprachigkeit? In Kapitel vier werde ich auf diese Fragen eingehen und anschließend die wichtigsten Hypothesen des Zweitspracherwerbs darstellen. Hierbei werde ich intensiver die drei großen Hypothesen erläutern.
In Kapitel sechs widme ich mich den sprachlichen Besonderheiten, die ein Zweisprachiger mit sich bringt und danach soll untersucht werden, welchen Einfluss die Erstsprache auf die Zweitsprache hat und welche Rolle der Input dabei spielt.
Im letzten Teil der Arbeit werde ich mich mit dem Zusammenhang von Zweisprachigkeit und Schulerfolg beschäftigen.
Mehrsprachigkeit ist in der Schule nicht vorgesehen, sondern wird meist als Defizit aufgefasst. Einsprachigkeit stellt dagegen den normalen, wünschenswerten Zustand dar und lässt sich mit der Vorstellung eines sprachhomogenen Nationalstaates verbinden. Die Mehrsprachigkeit der Schüler wird oft auch dann ignoriert, wenn eine Klasse mehrheitlich von nichtdeutschen Schülern besucht wird. Die Schule orientiert sich am allgemeinen Kind, das nicht zugewandert, einsprachig und in einer sprachlich und kulturell homogenen Gesellschaft aufgewachsen ist. Wie schneiden Kinder mit Migrationshintergrund in der Schule ab, die unter den genannten Bedingungen die Schule besuchen? Welche Schulabschlüsse erreichen diese Kinder? Zunächst soll die schulische Situation der Migrantenkinder untersucht und dargestellt werden und anschließend einige Möglichkeiten zur Besserung genannt werden. Jedoch werde ich den letzten Punkt nur umreißen, da dies sonst den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
2. Migration
2.1 Definition
Der Begriff der Migration bezeichnet die Ausführung einer räumlichen Bewegung, die einen Wohnsitzwechsel zur Folge hat und ist soziologischer Natur. Es können vier Dimensionen des Migrationsereignisses unterschieden werden:
1. freiwillige vs. Zwangsmigration
2. Eroberung vs. Unterschichtung
3. Innovations- vs. Konservierungsabsicht
4. Individual- vs. Gruppenmigration (vgl. Stölting-Richert 1987, 1564)
Das auftretende Problem ist, dass man trotz dieser Kategorisierung keine allgemeinen Regeln ableiten kann, die den Einfluss deutlich machen können, den Migration auf die Sprache im Allgemeinen hat. Diese fehlenden Regeln führen zum sprachsoziologischen Konzept der Sprachmigration, das versucht, Migration und Sprache miteinander zu verbinden. Sprachsoziologen gehen von drei verschiedenen Typisierungen aus:
1. Gesellschaftsaufbau durch Immigranten mit dominanter Immigrantensprache (Englisch in den USA)
2. Regionale Erschließung eines Einwanderungslandes mit regional dominanter Sprache (Deutsch in den USA im 19. Jahrhundert)
3. Migration in industrialisierte Länder ohne Bildung kompakter Migrantensprachengebiete (vorherrschend im 20. Jahrhundert)
(vgl. Stölting-Richert 1987, 1564)
Ein weiteres Phänomen ist, dass die sprachwissenschaftliche Tradition der Untersuchung von Sprachkontakten vor dem Hintergrund der „Implikation, dass ein Territorium von einer Sprachgemeinschaft [...] unter Ausschuss anderer eingenommen wird“ (Stölting-Richert 1987, 1564) immer von stabilen Zuständen in Sprachgemeinschaften ausgeht. In der Realität ist das so nicht der Fall und entspricht deshalb der veralteten Nationalideologie. Die heutigen Industriegesellschaften verlangen von den Menschen aus unterschiedlichen Ländern eine größere Mobilität, so dass die Untersuchung des Phänomens unterschiedlicher Sprachkontakte nicht mehr von der Einzelsprachenforschung geleistet werden kann und deshalb zu einem Bereich der Soziolinguistik geworden ist.
2.2 Aktualität des Themas, Daten und Fakten
Spätestens nach den neuesten Ereignissen (Frankreich und Berlin) hat das Thema Migration seine alte Aktualität zurück erlangt. Erneut steht die Frage der Integration im Mittelpunkt.
„Ich möchte keine zweisprachigen Ortsschilder haben“, lautete 2002 die Überschrift eines Interviews mit dem damaligen deutschen Innenminister Otto Schily. Im Vergleich zu den Inhalten des Interviews erscheint die Überschrift harmlos. Schily vertritt die Meinung, dass die Minderheit sich anpassen und Deutsch lernen soll, denn die beste Integration sei Assimilation (vgl. List 2003, 33). Bei der Erhebung von Daten bezüglich der Migrationsbewegungen in Deutschland muss beachtet werden, dass in Ausländer-Statistiken ausschließlich Menschen mit einem ausländischen Pass berücksichtigt werden. Da die Kinder von Aussiedlern sofortigen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft haben, werden sie nicht berücksichtigt. Auch Kinder aus Mischehen und eingebürgerte Kinder finden keine Berücksichtigung. Aus diesen Gründen sind amtliche Statistiken aus der bildungssoziologischen Sicht wenig sinnvoll, aber dennoch relevant. Die Zahl an Menschen mit Migrationshintergrund wird derzeit auf insgesamt 14 Millionen geschätzt.
„Die Bundesrepublik Deutschland ist seit ihrer Entstehung de facto ein Einwanderungsland“ (Wilpert 1991, 34). Die höchste Einwanderungsrate stellte sich, abgesehen von Kriegszeiten, direkt nach dem zweiten Weltkrieg dar. Zwischen 1961 und 1970 wurden 7,5 Millionen Zuzüge gezählt, von 1971 bis 1980 waren es 7,0 Millionen und von 1981 bis 1990 sogar 7,7 Millionen (vgl. Wenning 1994, 53). Gegenwärtig leben ca. 7,3 Millionen Menschen nicht deutscher Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland, was 10% der Bevölkerung ausmacht und die Salden der Zuwanderung aus dem Ausland betragen seit den neunziger Jahren etwa 50 -100 000 Ausländer jährlich. Mit diesen Zahlen kann man auch in Zukunft rechnen.
Die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin sowie die Bundesländer Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen weisen die höchsten Ausländeranteile auf. In den neuen Bundesländern leben hingegen nur ca. 2,3% Ausländer. Der Großteil der Zuwanderer stammt aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien und Migranten aus Italien (vgl. Rösch 2003, 6).
Diese multiethnische Bevölkerungsstruktur zeigt sich auch in der Schule. Schülerinnen und Schüler mit einer nicht deutschen Staatsangehörigkeit stammen zu 81% aus Europa, davon sind 16% aus EU-Ländern und 65% aus anderen europäischen Ländern und 12% der Schülerschaft stammt aus Asien. Die größte Gruppe bilden die Schülerinnen und Schüler aus der Türkei mit knapp 45%, gefolgt von den Schülerinnen und Schülern aus Jugoslawien 7,5%, aus Italien 7,4%, aus Griechenland 3,5%, aus Kroatien 2,2%, aus Bosnien- Herzegowina 2,1%, aus Polen ebenfalls 2,1% und aus der Russischen Förderation 2,0% (Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland 2002, die Angaben beziehen sich auf die Schuljahre 1990/2000 und 2000/2001).
Im Schuljahr 2004/2005 lag der Anteil von Kindern und Jugendlichen ausländischer Herkunft in der Grundschule bundesweit bei fast 12 Prozent. In den alten Bundesländern betrug die Quote 12,3 Prozent, in den neuen Ländern (einschließlich Berlin) hingegen 6,8 Prozent (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2005).
Für die Schule bedeuten diese Zahlen, dass etwa jeder 10. Schüler eine nicht deutsche Staatsangehörigkeit hat. Man muss allerdings noch diejenigen Schüler berücksichtigen, die eingebürgert sind. Demzufolge liegt der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund insgesamt wesentlich höher.
2.3 Geschichte der Migration
Die Geschichte der Migration beginnt lange vor der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und geschah in der Regel nicht freiwillig, sondern meist unter ökonomischem Druck, der Entstehung und dem Zerfall von Reichen oder der Verschleppung von Sklaven. Diese Zwangsmigrationen hatten Einfluss auf die Vielfalt der modernen westeuropäischen Sprachen. Die Sprachentwicklungstheorien, die sich mit dieser Vielfalt beschäftigen, berücksichtigen Migration als externen, die bestehende Sprache beeinflussenden Faktor und lassen sich im Wesentlichen in zwei Theorien unterteilen.
Die erste der beiden ist die S t a m m b a u m t h e o r i e, die auf der Annahme der Zerstreuung von Volksstämmen in die unterschiedlichen Gebiete der heute bekannten westeuropäischen Länder basiert (vgl. Stölting-Richert 1987, 1564).
Die zweite Theorie ist die sogenannte S u b s t r a t t h e o r i e, die von indoeuropäisch sprechenden Eroberern Europas ausgeht, die ihre siegreiche Sprache auf die Besiegten übertrugen und diese so beeinflussten (vgl. Stölting-Richert 1987, 1564 f).
2.4 Formen der Migration in Deutschland
Um die Entwicklung der Zweisprachigkeit und die Erziehung von Mehrsprachigkeit gegenwärtig in Deutschland weiterhin untersuchen zu können, muss man zunächst einmal die Frage klären, welche Formen von Migration vorliegen. Nach REICH (1990) ist die Migration von drei Phasen geprägt.
Die erste Phase der Migration beginnt in der Mitte der fünfziger Jahre und ist geprägt durch eine explosionsartige Zuwanderung von Arbeitskräften. Sie war verbunden mit einer sich anschließenden Konsolierung durch Entwicklung längerfristiger Aufenthaltsperspektiven mit Familiennachzug oder Familienneugründung (vgl. Reich 1990, 5; siehe 2.5).
Die zweite Phase der Migration ist nach Reich charakterisiert durch ein gewisses Maß an ständiger Zuwanderung und Abwanderung. Durch Familiennachzug einerseits und durch Abwanderung wie zum Beispiel Rückkehr in die Heimat, Weiterwanderung oder Auswanderung andererseits entstehen in Deutschland und in den europäischen Nachbarländern neue Wanderungsgesellschaften (vgl. Reich 1990, 5).
Diese Wanderungsgesellschaften sind erheblich heterogener geworden, wenn man sie mit den Anfangszeiten der Arbeitsmigration vergleicht. Die Gruppe der Arbeitsmigration aus den sogenannten ehemaligen Anwerbeländern wird durch neue Gruppen ergänzt:
Asylsuchende und Bürgerkriegsflüchtlinge, die vorübergehend Schutz und Unterstützung benötigen. In Deutschland kommt zusätzlich die Gruppe der Aus-und Übersiedler hinzu.
Die dritte Phase ist zusätzlich geprägt durch die europäische Integrationspolitik, die Realisierung eines einheitlichen Binnenmarktes mit Niederlassungsfreiheit für Bürger aus den Mitgliederländern der europäischen Union (vgl. Reich 1990, 5f).
2.5 Die Arbeitsmigration
Bei der Untersuchung des Zweitspracherwerbs bzw. der Mehrsprachigkeit durch Migration wird ein bestimmter Typ der Migration zugrunde gelegt, nämlich die der A r b e i t s m i g r a t i o n.
Um später folgende Rückbezüge verständlich machen zu können, bedarf es einer Definition. Die Arbeitsmigration unterscheidet sich von den zuvor erwähnten Migrationen durch den freiwilligen Wechsel des Wohnsitzes und durch den gleichzeitigen Wechsel des Arbeitsplatzes zur Verbesserung der sozialen Stellung. Hierbei unterscheidet man zwei Typen der Arbeitsmigration.
Der erste Typ ist die sogenannte Binnenmigration, die Migration innerhalb der Grenzen des Landes, mit der kein Wechsel der dominanten Sprache verbunden ist.
Der zweite Typ ist die Migration von einem Land in ein anderes, welcher in der Folge von Interesse sein wird, da die Migranten durch sie meist mit einer für sie fremden Sprache konfrontiert werden. Dieser besonders im 20.Jahrhundert zu beobachtende Migrationstyp hat nicht nur Auswirkungen auf die Menschen, die ihre Heimat verlassen, sondern auch auf die Einwohner des Einwanderungslandes, da es durch vorher nicht vorhandener Sprachkontakte zu interkultureller Kommunikation „zwischen Menschen mit unterschiedlichem soziokulturellen Hintergrund“ (Stölting-Richert 1987, 1565) kommt, die aus sprachwissenschaftlicher Sicht aber insbesondere die Sprache der Migranten beeinflusst.
In der Bundesrepublik Deutschland fand im Jahre 1955 die erste Anwerbung von ausländischen Arbeitern statt. Zu dieser Zeit wurden kostengünstige Arbeitskräfte besonders in der Landwirtschaft benötigt. Mit Italien wurde ein erstes Abkommen getroffen und so wurden bis 1959 etwa 50.000 Personen aus Italien angeworben. Weitere Abkommen folgten im Jahr 1960, hervorgerufen durch die expandierende Wirtschaft und eine steigende Nachfrage nach Industriearbeitskräften. Durch die damalige Arbeitszeitverkürzung, den Eintritt der geburtenschwachen Kriegsjahrgängen in das Erwerbsleben und den Bau der Berliner Mauer (Übersiedler aus der ehemaligen DDR blieben fern) gab es einen stetigen Rückgang der inländischen Arbeitskräfte.
1961 und 1968 wurden dann weitere Anwerbeverträge mit der Türkei (vgl. 2.5.1), Portugal, Marokko und Jugoslawien abgeschlossen (vgl. Wenning, 1994, 18f). Durch die Arbeitsmigration erhoffte sich Deutschland große Vorteile, welche zu der Zeit als Gastarbeiter bezeichnet wurden, da sie nur für einen begrenzten Zeitraum in der Bundesrepublik arbeiten sollten. Daher wurden sie von der Politik und Gesellschaft nicht als Einwanderer, sondern als arbeitende Gäste betrachtet.
2.5.1 Die türkische Migration
Die größte Gruppe der Migranten in Deutschland stellt die der türkischen dar. Deshalb wird in diesem Abschnitt die türkische Migration separat betrachtet. Dies begann zu Beginn der sechziger Jahre und gegenwärtig leben ca. 2,5 Millionen Türken in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt). Es kam damals zu einer umfangreichen Migration türkischer Arbeitnehmer nach Europa. Die Gründe dafür sind im starken Bevölkerungswachstum der Türkei und im Arbeitskräftemangel in Europa, insbesondere in Deutschland, zu suchen (vgl. Daller 1999, 8).
Die Bevölkerungszahl der Türkei verdoppelte sich zwischen 1960 und 1990 von ca. 27 Millionen auf über 56 Millionen (Zentrum für Türkeistudien 1993, 4). Die türkische Wirtschaft hätte jährlich 400.000 bis 600.000 neue Arbeitsplätze schaffen müssen, um dieses starke Bevölkerungswachstum kompensieren zu können.
Dies konnte jedoch nicht gelingen, da die negative Leistungsbilanz der Türkei das Hauptproblem war und somit war die Migration nach Europa eine große Chance, um der finanziellen Notlage zu entkommen. Auch für die Gastländer, deren Wirtschaftswachstum ohne die türkischen Arbeitsnehmer in dem Maße nicht möglich gewesen wäre, profitierten von den türkischen Arbeitnehmern und so kam es dazu, dass am 30.10.1961 die erste Anwerbevereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei getroffen wurde. Aber erst nach einer Neufassung dieses Anwerbevertrages kamen türkische Arbeitsnehmer in größerem Umfang nach Deutschland (vgl. Mehrländer 1986, 53). Meist waren es männliche Türken, während sich die Zahl der türkischen Frauen erst durch die Familienzusammenführung erhöhte. In den 70er Jahren verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage, so dass die Bundesregierung 1973 einen Anwerbestopp beschloss. Die Zahl der in Deutschland lebenden Türken stieg allerdings durch Familienzusammenführung, Familienneugründung und Geburten weiter an (vgl. Daller 1999, 9).
Die Anwerbung türkischer Arbeitnehmer war zunächst als befristete Maßnahme gedacht. Nach einer gewissen Zeit sollten die Gastarbeiter wieder zurück in ihre Heimat kehren, doch dies geschah nicht. Einerseits hatte die Wirtschaft kein Interesse daran, die gut eingearbeiteten Arbeitnehmer durch neue, ungelernte Arbeitnehmer zu ersetzen, andererseits stellten sich auch die türkischen Arbeitnehmer, die eigentlich davon ausgegangen waren, dass sie in die Türkei zurückkehren, im Laufe der Jahre auf einen dauerhaften Verbleib. Trotzdem wurde in der Mitte der 80er Jahre versucht eine Rückwanderung durch finanzielle Anreize zu bewirken. Am 28.11.1983 trat in Deutschland ein neues Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft in Kraft, welches bis zum 30.09.1984 galt. Dieses Gesetz wurde auch 10.500 Mark Gesetz genannt, denn hierbei bekamen Arbeitslose oder Kurzarbeiter diesen Betrag ausgezahlt, wenn sie in ihre Heimat zurückkehrten. Für jedes Kind kamen weitere 1.500 DM hinzu und es gab zusätzlich die Möglichkeit sich die Beiträge der Rentenversicherung sofort auszahlen zu lassen. Insgesamt wurden nur 12.000 Anträge bewilligt und nach 10 Monaten wurde das Gesetz wieder abgeschafft (vgl. Mehrländer 1986, 65).
Die türkischen Arbeitsnehmer arbeiteten aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse und geringer Schulausbildung in der Regel als ungelernte Arbeiter. 50% dieser Arbeitnehmer hatten 1980 eine Schulausbildung von weniger als sechs Jahren, bei den Frauen konnten sogar 14,6% gar keine Schulausbildung nachweisen (vgl. Zentrum für Türkeistudien 1993, 20).
ÖLCEN rechnet die Jahrgänge bis 1955 zur ersten Generation (vgl. Ölcen 1986, 11). Somit ist die zweite Generation heute bereits im Elternalter und die Kinder, die in den letzen Jahren geboren wurden, bilden bereits die dritte Generation.
Eine Remigration in größerem Umfang ist in den nächsten Jahren nicht zu erwarten, da die türkischen Arbeitnehmer zum festen Bestandteil der Gesellschaft geworden sind. Zudem nimmt die Zahl der Einbürgerungen immer weiter zu.
2.6 Migration und Sprache
Durch den Prozess der Migration gibt es gegenwärtig in Deutschland Sprachen, die es in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Dies führte zu einer Intensivierung der Untersuchung von Sprachkontakten. Diese Untersuchung unterscheidet sich von der traditionellen sprachwissenschaftlichen Herangehensweise der Untersuchung des Kontakts von romanischen und germanischen Sprachen, den vorherrschenden Sprachen in Europa. Durch Migration tritt die Beziehung von germanischen und romanischen Sprachen wie z.B. Türkisch in den Vordergrund, die nicht der indoeuropäischen Sprachfamilie angehören. Durch Migration werden Migranten mit einer dominanten Landessprache konfrontiert, die sie sich aneignen müssen, um sich in die Gesellschaft eingliedern zu können.
3. Spracherwerbstheorien
In diesem Kapitel geht es um zwei bedeutende Spracherwerbstheorien, die das Phänomen Spracherwerb auf verschiedene Art und Weise erklären. Die Theorien beantworten jeweils unterschiedlich die Fragen, wie und warum ein Kind bestimmte Fähigkeiten erwirbt.
3.1 Die behavioristische Spracherwerbstheorie
Als Behaviorismus bezeichnet man die psychologische Schule, die sich hauptsächlich für das beobachtbare Verhalten interessiert. Die inneren Prozesse werden bei Untersuchungen außer Acht gelassen. Die Psychologie als Wissenschaft vom Verhalten setzte sich im frühen 20. Jahrhundert durch. Damit vollzog sich eine Abwendung von der bis dahin vorherrschenden introspektiven Psychologie, deren Untersuchungsgegenstand in erster Linie das menschliche Bewusstsein darstellte. Der erste Wissenschaftler, der sich zum Behaviorismus bekannte, war JOHN B. WATSON. Die behavioristische Theorie untersucht primär das menschliche Verhalten. Um menschliches Verhalten zu erklären, war menschliches Bewusstsein nicht länger von Bedeutung. Man sollte jedoch beobachten, was eine Person tut oder sagt. Wenn man Sprechen mit Handeln gleichsetzt, kann man Sprache als Verhalten ansehen, deshalb ist die Sprache infolgedessen ebenfalls Gegenstand behavioristischer Betrachtung. Der Behaviorist will das menschliche Verhalten nicht nur beobachten, sondern auch vorhersagen und vor allem kontrollieren. Man nennt das dem Behaviorismus zugrunde liegende Modell R e i z – R e a k t i o n s – M o d e l l. Ein Reiz wirkt auf einen Organismus ein und verursacht eine bestimmte Reaktion, also ein beobachtbares Verhalten. Im Hinblick auf den Anspruch, jedes Verhalten nicht nur beobachten, sondern auch vorhersagen und manipulieren zu können, bedient es sich der Behaviorismus einer Methode, die er als K o n d i t i o n i e r u n g beschreibt. Mit ihrer Hilfe werden Reize, die normalerweise keine Reaktion bewirken zu Reaktionsauslösern gemacht (vgl. Watson 1930, 13).
Der Psychologe B.F. SKINNER ist einer der bekanntesten Vertreter der Theorie, dass die Sprache als ein verbales Verhalten durch o p e r- a n t e s Konditionieren gelernt wird. Skinner (vgl. 1978, 50) vertritt die Meinung, dass ein Verhalten, das belohnt wird, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit erneut auftritt. Demnach wird ein Verhalten durch seine Folgen verstärkt. Diese Folgen bezeichnet man als V e r s tär k e r. Für den Spracherwerb bedeutet dies, dass ein Kind seine Muttersprache in erster Linie durch das Nachahmen und durch das Verstärken lernt. Den Spracherwerbsprozess beschreibt Watson als Konditionierung. Erwachsene versuchen Laute, die vom Säugling produziert werden, mit dem entsprechenden Objekt zu verbinden. Hierbei tritt der Laut für ein Objekt ein. Watson sagt, dass man auch schon einmal Silbe für Silbe konditionieren muss, um ein Wort zu erhalten. Das bedeutet, dass für nur ein einziges Wort mehrere Konditionierungen nötig sind (vgl. Watson 1930, 231).
Demzufolge besagt diese Theorie, dass ein Kind seine Muttersprache durch Assoziationen erlernt, indem die Bezugsperson beispielsweise auf Dinge zeigt und dabei wiederholt das bezeichnende Wort ausspricht. Die Kinder ahmen dieses nach und werden dafür belohnt, wobei eine Verstärkung des gezeigten Verhaltens stattfindet. Gemäß der behavioristischen Theorie bewirkt diese Verstärkung, dass sich das gezeigte Verhalten gegenüber allen anderen möglichen Verhaltensweisen durchsetzt. Somit formt sich also die Sprache eines Kindes. Doch wie kommt es, dass alle Kinder in einer bestimmten Phase ihrer sprachlichen Entwicklung ähnliche Fehler machen?
Zur Entkräftung der behavioristischen Theorie führt CRYSTAL den Erwerb unregelmäßiger grammatikalischer Strukturen an. Kinder ersetzen in einer bestimmten Phase die unregelmäßige Präteritumsform oder die Pluralform durch regelmäßige Formen, beispielsweise esste statt aß oder Apfeln statt Äpfel. Diese Formen werden natürlich nicht durch das Nachahmen gelernt, sondern erwecken eher den Anschein, dass Kinder versuchen die jeweilige richtige Form herauszufinden. Dabei gehen sie von der Regelhaftigkeit der bekannten grammatischen Strukturen aus (vgl. Crystal 1993, 234).
Auch JAMES erhebt Einspruch gegen die behavioristische Theorie. Dabei stützt sie sich auf das Verhalten der Erwachsenen, die die sprachlichen Äußerungen der Kinder aufgrund ihres Sinnes loben, aber die grammatischen Fehler nicht beachten (vgl. James 1990, 165). Es hat den Anschein, dass der Syntaxerwerb nicht durch die behavioristische Theorie erklärt werden kann. Diese Theorie beschreibt vielmehr das Kind als einen passiven Empfänger und nicht als einen aktiven Teilnehmer des Spracherwerbprozesses. Doch wenn Sprache so erworben werden würde, wäre das Merkmal Produktivität nach HOCKETT überflüssig. Aber gerade die Produktivität der Sprache ist doch eines der Hauptmerkmale menschlicher Sprache, wo ständig neue Aussagen gebildet werden, die zuvor weder gehört noch gesagt wurden. Man kann selbst bei ganz kleinen Kindern beobachten, dass sie bereits in einem sehr frühen Stadium diese Leistung erbringen.
Trotz der Kritik muss man beachten, dass Imitation und Verstärkung durchaus eine Rolle in der Sprachentwicklung spielen. Die Imitation ist gerade während der phonologischen Entwicklung von Bedeutung. Da der Syntaxerwerb sich wiederum mit dieser Theorie mehr schlecht als recht erklären lässt, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Art und Weise des Spracherwerbs in den verschiedenen Entwicklungsphasen verändert. Kinder imitieren Sprache nicht nur bruchstückhaft, sondern suchen offensichtlich der Sprache zugrunde liegende Regeln. Dies wird deutlich, wenn man Crystals Beispiel von den unregelmäßigen grammatikalischen Strukturen ins Gedächtnis ruft. Folglich scheint ein Kind nicht nur das Wortbild einer Sprache zu lernen, sondern dringt vermutlich tiefer in die der Sprache zugrunde liegenden grammatikalischen Strukturen ein.
3.2 Die nativistische Spracherwerbstheorie
NOAM CHOMSKY setze sich gegen Ende der 50er Jahre in seiner Rezension von Skinners V e r b a l B e h a v i o r mit der behavioristischen Theorie äußerst kritisch auseinander und erklärte diese für unzureichend. Seine Kritik bezieht sich dabei in erster Linie auf die Tatsache, dass Skinner seine Ergebnisse, die er aus Untersuchungen von Tieren gewonnen hat, ohne Modifikation auf das menschliche Sprachverhalten überträgt.
„Recent work has shown that the methods can be extended to human behavior without serious modification“ (Skinner in: Chomsky 1959, 26).
Seine Kritik richtet sich gegen Skinners Begriffe S t i m u l u s, R e s- p o n s e und R e i n f o r c e m e n t innerhalb der experimentellen Umgebung und anderen eingeschränkten Situationen, die zwar gut definiert sind, sich aber nicht auf menschliches Verhalten und auf reale Situationen und vor allem nicht auf menschliche Sprache übertragen ließen (vgl. Chomsky 1959, 30 ff.). Chomsky beschäftigt sich vor allem mit der Frage, was es dem Menschen ermöglicht, Sprache in einer relativ kurzen Zeit zu erwerben.
“The fact that all normal children acquire essentially comparable grammars of great complexity with remarkable rapidity suggests that human beings are somehow specially designed to do this, with data-handling or hypothesis-formulating ability of unknown character and complexity.“ (Chomsky 1959, 57)
Des Weiteren beruft er sich auf die Tatsache, dass der Mensch neue Laut- und Satzkombinationen erzeugen und verstehen kann. Er behauptet, dass der Mensch dies nicht aufgrund von Ähnlichkeiten bezüglich einer neuen und bereits bekannten Äußerung vermag, sondern, dass der Mensch diese Sätze versteht, weil er aus irgendeinem Grund fähig ist, sie in ihrer Entstehung aus der jedem Menschen innewohnenden grammatischen Kenntnis herzuleiten (vgl. Chomsky 1959, 56).
An Skinners Theorie kritisiert Chomsky, dass Voraussagen über das Verhalten eines komplexen Organismus, wie der Mensch einer ist, neben den Informationen über äußere Stimuli auch ein Wissen um die internen Strukturen dieses Organismus erfordert und damit ein Wissen um die Methode, wie Informationen verarbeitet werden und ein bestimmtes Verhalten gezeigt wird (vgl. Chomsky 1959, 27).
Allgemein richten sich die Vorwürfe Chomskys dagegen, dass Skinner in seiner Theorie eben diejenigen Aspekte, die für den Spracherwerb von Interesse wären, nicht weiter untersuchte und somit nur eine sehr oberflächliche Erklärung des Spracherwerbs gibt.
Nach Skinners scharfer Kritik am Behaviorismus verlor diese Theorie an Bedeutung für die weitere Forschung und die Aufmerksamkeit richtete sich auf den von Chomsky untersuchten Erwerb der Syntax.
Die nativistische Theorie geht davon aus, dass Sprache komplizierter konzipiert ist und dass Kinder aufgrund angeborener Kenntnisse von Strukturierungsprinzipien natürlicher Sprachen überhaupt erst dazu befähigt werden Sprache zu erlernen. Nach der nativistischen Ansicht spielt die Umwelt eher eine untergeordnete Rolle. Sie ist sozusagen nur noch der Auslöser, um das angeborene Wissen in Gang zu setzen. Jedoch sind sich die Vertreter dieser Theorie nicht völlig einig, was genau dieses angeborene Wissen ausmacht. Sogar Chomsky präsentiert verschieden Ansätze zur Erklärung des Spracherwerbs.
Eine seiner frühen Annahmen war die, dass ein Kind mit einem gewissen S p r a c h e r w e r b s m e c h a n i s m u s ausgestattet ist. Diesem liegt ein angeborenes Wissen zugrunde, dass sich auf diejenigen Merkmale bezieht, die alle Sprachen der Welt gemeinsam haben. Die sogenannten l i n g u i s t i s c h e n U n i v e r s a l i e n beziehen sich zum einen auf das Wissen über den Aufbau von Sprachen und zum einen auf die Tatsache, dass alle Sprachen beispielsweise Wortarten wie Nomen und Verben enthalten (vgl. Chomsky 1969, 43). Chomsky unterscheidet daher zwischen formalen und substantiellen Universalien.
“Substantielle Universalien [...] betreffen das Vokabular der Beschreibungsmittel der Sprache; formale Universalien betreffen dagegen mehr den Charakter der Regeln, die in Grammatiken erscheinen, und die Weise, in der sie untereinander verbunden werden können“ (Chomsky 1969, 46).
Chomsky nimmt an, dass Kinder intuitiv über derartige Universalien verfügen, weil es den Kindern schließlich möglich ist jede Sprache der Welt zu erwerben. Chomsky zufolge tragen diese angeborenen Universalien erheblich dazu bei, den Spracherwerb zu beschleunigen. Anhand dieser primären sprachlichen Daten, also anhand der Sprache, die es seiner Umwelt entnimmt, bildet das Kind eine „interne Repräsentation eines Regelsystems [...] das bestimmt, wie Sätze gebildet, benutzt und verstanden werden.“ (Chomsky 1969, 40)
Demnach entnimmt das Kind nicht nur Wörter, sondern auch die grammatikalischen Regeln der Sprache und bildet sich aufgrund dessen Hypothesen, wie die einzelnen grammatischen Regeln seiner Muttersprache aussehen könnten. Das Kind findet heraus, ob diese Regeln richtig sind oder nicht, indem es selbst die Sätze bildet, die auf der erzeugten Hypothese basieren. Stellt sich eine Hypothese als falsch heraus, wird sie verworfen und durch eine neue Hypothese ersetzt.
Die Theorie des Spracherwerbsmechanismus, der sich aufgrund angeborener linguistischer Universalien, Hypothesenbildung und des Testens dieser Hypothese vollzieht, bezieht sich auf das, was Chomsky als L a n g u a g e – A c q u i s i t i o n – D e v i c e (LAD) bezeichnet (vgl. Chomsky 1986, 3). Mit Hilfe des LAD findet jedes Kind die Grammatik, die für seine Erstsprache von Bedeutung ist.
Nicht ganz geklärt ist die Frage, woher das Kind weiß, welche der gebildeten Hypothesen richtig und welche falsch sind. Das Kind durchläuft einen Lernprozess, wenn er dies herauszufinden versucht. Dieser Lernprozess verläuft jedoch nicht geradlinig, sondern führt über viele Umwege. Mit Hilfe dieser Theorie lässt sich auch nicht erklären, warum der Spracherwerbsprozess im Großen und Ganzen bei allen Kindern der Welt in ähnlichen Phasen verläuft. Wenn man jedoch davon aus, dass die Hypothesen aufgrund der Sprachdaten der Umwelt gebildet werden, muss man außerdem beachten, dass diese Daten oft wesentliche Defizite aufweisen und in den meisten Fällen auch nicht aus vorbildlich formulierten Sätzen bestehen.
Viele Linguisten, so auch Chomsky, kommen zu der Folgerung, dass das beschriebene Modell in dieser Form nicht ausreicht, den Spracherwerb hinreichend zu erklären; nicht zuletzt wegen des defizitären sprachlichen Inputs, den ein Kind erhält.
Chomsky hat aus diesem Grund eine Theorie entwickelt, der zufolge stärker einschränkende Prinzipien den Spracherwerb regulieren. Diese Prinzipien sind Bestandteil einer dem Menschen angeborenen U n i v e r-s a l g r a m m a t i k. Diese ist für alle Menschen dieselbe. Die Universalgrammatik spezifiziert, was ein Kind beim Spracherwerb erlangen muss, damit dieser erfolgreich ist (vgl. Chomsky 1977, 41). Die Prinzipien der Universalgrammatik bilden das Gefüge für jede menschliche Sprache, sozusagen die Grundlagen für den Spracherwerb. Da sich nun die natürlichen Sprachen der Welt unterscheiden, haben die Prinzipien der Universalgrammatik verschiedene P a r a m e t e r, die durch Erfahrung entweder in der einen oder in der anderen Weise festgesetzt werden.
Chomsky verdeutlicht seine Theorie der Prinzipien und Parameter an einem Beispiel. Dabei vergleicht er die Sprachfähigkeit mit einem komplexen und verworrenen Netzwerk ähnlich dem eines Schaltkastens. Dieser Schaltkasten besteht aus Kombinationen von Schaltern, die jeweils in zwei verschiedene Positionen stehen können.
Sofern die Hebel nicht in der einen oder anderen Position stehen, funktioniert es, in Abhängigkeit der Hebelposition jeweils unterschiedlich, wodurch sich die Unterschiede von Sprachen wie z. B. Deutsch und Türkisch ergeben.
Das Netzwerk entspricht dem System von Prinzipien der Universalgrammatik. Die Hebel stellen die Parameter dar, die von den sprachlichen Daten, die das Kind in seiner Umwelt erfährt, müssen demnach ausreichen, um die Schalter entweder in die eine oder in die andere Richtung festzusetzen.
Wenn diese Hebel fixiert sind, beherrscht das Kind eine bestimmte Sprache. Nach Chomsky determiniert jede zulässige Kombination von Ausrichtungen der Hebel eine andere Sprache (vgl. Chomsky 1989, 62f.).
Gemäß dieser Theorie ist Spracherwerb ein Prozess, in dessen Verlauf Parameter festgelegt werden, die in der Universalgrammatik noch nicht spezifiziert sind. Um den Vergleich Chomskys zu verwenden: Es werden sozusagen die Hebel in die Positionen gebracht, die bewirken, dass das System funktioniert. Chomsky behauptet auch, dass der Spracherwerb des Kindes nicht unbedingt ein aktiver Prozess ist, sondern dass er vielmehr etwas ist, was dem Kind geschieht, sofern es sich in einer angemessenen Umwelt befindet.
„Der Lernende hat keinen »Grund«, die Sprache zu erlernen; er hat sich nicht dazu entschieden, kann unter normalen Umständen um die Erlernung der Sprache aber auch nicht umhin, genauso wenig, wie er sich dazu entscheidet (bzw. umhin kann), das Gesichtsfeld in einer bestimmten Weise zu organisieren- bzw. genauso wenig, wie gewisse Zellen im Embryo die Wahl haben (umhin können), sich unter den entsprechenden Umweltbedingungen zu einem Arm oder den visuellen Zentren des Gehirns zu entwickeln.“ (Chomsky 1977, 89, Hervorh. im Original)
Chomsky beschreibt den Spracherwerbsprozess als einen Reifungsprozess. Der Körper eines Kindes reift in einer bestimmten Weise heran, wenn das Kind von seiner Umwelt mit genügend Nahrung versorgt wird. In gleicher Weise entwickelt sich die Sprache. Der sprachliche I n p u t entscheidet, in welcher Weise die Parameter der Universalgrammatik festgesetzt werden, d.h. welche Sprache das Kind erwirbt.
Dem nativistischen Ansatz entsprechend lernen Kinder ihre Erstsprache daher nicht (wie von den Behavioristen angenommen) durch Imitation, sondern sie sind aufgrund angeborener Fähigkeiten überhaupt erst dazu in der Lage, eine Sprache zu erwerben. Sobald das Kind mit einer Sprache in Berührung kommt, wird dieser angeborene Mechanismus quasi in Gang gesetzt.
Die Meinungen darüber, was genau angeboren ist und wie man dieses Angeborene charakterisieren soll, gehen weit auseinander. Dass jedoch ein derartiges Konzept das einzige ist, welches die Geschwindigkeit, mit der sich der Spracherwerb vollzieht, zu erklären vermag, darüber sind sich die Vertreter des Nativismus einig (vgl. Crystal 1993, 234).
4. Bilingualismus, Erst- und Zweitspracherwerb
Es gibt heute weltweit etwa 3000 bis 4000 Sprachen und das in nur 150 Ländern. Diese Tatsache macht die meisten Länder zu mehrsprachigen Gebieten, in denen Menschen oft darauf angewiesen sind, auch die Sprache der Nachbarn zumindest in Grundzügen zu kennen, um ein angenehmes Zusammenleben zu ermöglichen. Es gibt kaum ein Land, welches man als monolingual bezeichnen kann. In vielen Staaten leben Sprachminderheiten, die sowohl ihre eigene Sprache sprechen als auch die Sprache der Mehrheit beherrschen. Es wäre aber falsch, aus diesen Gegebenheiten ableiten zu wollen, dass die ganze Menschheit bilingual wäre. In der Realität geht man davon aus, dass etwa die Hälfte der Menschen der Weltbevölkerung zweisprachig ist, wobei die meisten dieser Menschen beide Sprachen als ihre Muttersprache besitzen. Wann aber ist ein Mensch als bilingual zu bezeichnen? In allen Werken, die sich mit dem Thema beschäftigen, steht zu Beginn das Problem einer Definition.
4.1 Bilingualismus- Versuch einer Definition
Die Meinungen darüber, was B i l i n g u a l i s m u s oder auch M e h r- s p r a c h i g k e i t genannt im Sinne einer linguistischen Kompetenz bedeutet, gehen weit auseinander, denn jeder hat eine bestimmte Vorstellung, was darunter zu verstehen ist. Es sind sich zwar alle, die sich damit beschäftigen einig, dass damit der Gebrauch von zwei Sprachen gemeint ist, jedoch gibt es viele Erklärungsmöglichkeiten. Zwischen zwei Erklärungen können Welten liegen, da unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. So legt BLOOMFIELD (1935) in seinem Werk „Language“ dar, dass man von Bilingualismus spricht, wenn der Erwerb der zweiten Sprache die Erstsprache nicht verdrängt. Er vertritt die maximalistische Sichtweise, wonach er der Erwartung nachgeht, dass der Lerner der zweiten Sprache, dieselbe Kompetenz in der zweiten Sprache zeigt wie auch in seiner Erstsprache. Er fordert also eine gleichwertige Beherrschung der zweiten Sprache wie die der Muttersprache. Diese Form wird auch p e r f e c t oder t r u e b i l i n g u a l i s m genannt. Eine eher minimalistische Sichtweise vertritt MCNAMARA (1969). Er sieht bereits ein Individuum als bilingual an, der die vier Grundfertigkeiten, die sogenannten s k i l l s Sprechen, Hören, Schreiben und Lesen in einem nur minimalen Ausmaß in zwei Sprachen beherrscht. Auch DIEBOLD (1964) definiert bereits die Kompetenz in einem einzelnen Sprachbereich als Bilingualismus, nämlich bloßes Verstehen. Dieses wird auch i n c i - p i e n t b i l i n g u a l i s m genannt. HALL verlangt „zumindest einige Kenntnisse der grammatikalischen Struktur der Zweitsprache“ und HAUGEN die Fähigkeit, „vollständige sinnvolle Äußerungen in der anderen Sprache zu machen“. Die Unterscheidung in c o o r d i n a t e b i l i n g u a l i s m, d.h. dass die Individuen die Sprachen in jeweils zwei voneinander getrennten sozialen Kontexten lernen und zwei getrennte Sprachsysteme ausbilden und c o m p o u n d b i l i n g u a l i s m, d.h. dass der Sprachlernkontext der zweiten Sprache von dem ersten nicht separiert ist, z. B. beim Fremdspracherwerb in der Schule, wobei die Sprachen lautlich unterschieden werden, in anderen sprachlichen Dimensionen aber gemischt werden, stammt von ERVIN und OSGOOD. Hier wird nur der koordinierte Bilingualismus als langfristig stabil angesehen, indem zwei Sprachen gleichwertig nebeneinander bestehen. Diese Theorie spielte lange Zeit eine dominante Rolle in der Zweisprachigkeitsforschung.
WEINREICH (1953, 1967) fügt dieser Typisierung den Begriff des s u b- o r d i n a t e b i l i n g u a l i s m hinzu, bei dem von sprechenden Individuen die Strukturen der Zweitsprache (L2) den Regeln der Erstsprache (L1) untergeordnet werden. PEAL und LAMBERT sprechen von b a l a n c e d b i l i n g u a l i s m, wenn zwei Sprachen unabhängig voneinander gleich gut beherrscht werden. Sie orientieren sich also an dem Kriterium der Performanz. Wie man sehen kann, herrscht unter den Linguisten Uneinigkeit über eine allgemeingültige Definition des Begriffs Bilingualismus. Zwei- oder Mehrsprachigkeit wird grundsätzlich in allen Disziplinen auf zwei Ebenen, nämlich der individuellen und der gesellschaftlichen untersucht. Der Mensch lebt in einer Gesellschaft, in der er sich mit anderen Menschen verständigen, seine Gefühle und Gedanken äußern muss. Er ist ein Individuum, welches über Eindrücke der Welt nachdenkt und seine Gedanken in Worte fasst. Dazu, und um die Verständigung zu realisieren, braucht der Mensch die Sprache als Kommunikationsmittel. Das heißt, dass die Sprache und das Individuum, das Individuum und die Gesellschaft nicht voneinander zu trennen sind. Also kann festgehalten werden, dass individueller und gesellschaftlicher Bilingualismus zusammenhängen und nicht voneinander zu trennen sind. Die Art und Weise wie jemand eine weitere Sprache erwirbt und ob jemand zwei oder mehrere Sprachen beherrscht, ist für den Überbegriff Bilingualismus irrelevant. Dennoch sollten die verschiedenen Möglichkeiten zum Bilingualismus, kurz erwähnt werden. Durch natürliche Kommunikationssituationen können Kinder zwei oder mehr Sprachen gleichzeitig erlernen. Der Erwerb von zwei oder mehr Sprachen, der bis zum Ende des dritten Lebensjahres beginnt, wird in der Forschung als b i l i n g u a l e r E r s t s p r a c h e r w e r b bezeichnet. MCLAUGHLIN (1997) nennt diese Erwerbssituation s i m u l t a n e o u s b i l i n g u a l - i s m. Vom dritten bis zum vierten Lebensjahr wird der Erwerb einer zweiten oder weiteren Sprache als Z w e i t s p r a c h e r w e r b (ZSE) des Kindes oder wie MCLAUGHLIN es nennt als s u c c e s s i v e b i l i n- g u a l i s m definiert. Ähnlich wie MCLAUGHLIN lässt auch KLEIN (1992) die bedeutende Rolle des Alters beim Zweitspracherwerb nicht außer Acht. Er spricht vom Bilingualismus, wenn das Kind gleichzeitig eine Erst- und Zweitsprache erlernt. Den Erwerb einer Zweitsprache zwischen dem 3. und 4. Lebensjahr bis zur Pubertät bezeichnet er ebenfalls als den ZSE. Der ZSE ab der Phase der Pubertät gilt als ZSE im Erwachsenenalter. Dies macht Klein anhand einer Tabelle deutlich.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Klein 1992, 27
Zudem differenziert KLEIN zwischen g e s t e u e r t e m und u n g e s t e u e r t e m ZSE. Wenn eine Zweitsprache ohne systematische intentionale Versuche nur in der alltäglichen Kommunikation erworben wird, so müsste man nach KLEIN vom u n g e s t e u e r t e n ZSE sprechen, der zweckgebunden ist. Er nennt ein Beispiel für den zweckgebundenen ZSE, den ZSE eines Gastarbeiters, der nur mit geringem Kontakt zu Einheimischen steht und eingeschränkte Bleibeabsichten im Gastland hat. Außerdem hält KLEIN die begriffliche Unterscheidung zwischen ungesteuertem ZSE und gesteuertem ZSE für angemessen und differenziert noch mal zwischen gesteuertem ZSE und Fremdspracherwerb. Zu dieser Unterscheidung bringt er folgende Erklärung:
„Mit Fremdsprache ist demnach eine Sprache gemeint, die außerhalb ihres normalen Verwendungsbereiches- gewöhnlich im Unterricht- erlernt und dann nicht neben der Erstsprache zur alltäglichen Kommunikation verwendet wird. (...) Eine Zweitsprache hingegen ist eine Sprache, die nach oder neben der Erstsprache als zweites Mittel für Kommunikation dient und gewöhnlich in einer sozialen Umgebung erworben wird, in der man sie tatsächlich spricht.“ (Klein 1992, 31)
In der Regel wachsen Kinder bilingual auf, wenn die Elternteile verschiedene Sprachen sprechen und auch bestrebt sind, diese an ihre Kinder weiterzugeben. Eine andere Möglichkeit bilingual zu werden ist der Erwerb durch die Umgebung wie bei Arbeitsmigranten und Auswanderern, die untereinander und mit ihren Kindern ihre Heimatsprache sprechen, außerhalb der Familiengemeinde aber eine andere Sprache sprechen. Wenn ein Kind eine weitere Sprache lernt ohne dabei die Erstsprache zu verlieren, so spricht man laut LAMBERT (1972) vom a d d i t i v e n B i l i n g u a l i s m u s. Jedoch kann es passieren, dass ein Individuum seine Erstsprache zugunsten einer neuen Sprache vernachlässigt oder vollständig verliert. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Erstsprache einer Person in dem kulturellen Umfeld, in dem sie lebt, einen deutlich geringeren Status hat als die von der Gemeinschaft gesprochene Sprache. Die Erstsprache wird dann häufig zugunsten der prestigeträchtigeren Gemeinschaftssprache aufgegeben um sich zu integrieren und um sich mit der Gemeinschaft zu identifizieren. Man bezeichnet dieses Phänomen als s u b t r a k t i v e n B i l i n- g u a l i s m u s.
4.2 Der Erstspracherwerb
Jedes Kind lernt in der Regel im Verlauf einiger Jahre eine Sprache. Man sagt Erstsprache dazu oder auch Muttersprache. Jeder Mensch, ohne eine ernsthafte und somit prägende körperliche oder psychologische Einschränkung bzw. Behinderung, erlernt im Laufe kognitiver Entwicklungsstadien eine erste Sprache. Hierbei wird das Erlernen der Sprachfähigkeit in der frühen Kindheit Erstspracherwerb genannt und die zu erlernende Sprache als die Muttersprache bezeichnet.
Der Erstspracherwerb des Kindes ist ein Prozess, der sich etwa in den ersten fünf Lebensjahren des Kindes vollzieht. Dieser Prozess wird häufig in verschiedene Phasen eingeteilt, die den Entwicklungsstand eines Kindes in einem bestimmten Alter darstellen. Die Einteilung ist hilfreich, um den normalen Entwicklungsverlauf zu verdeutlichen. Die Sprachentwicklung ist ein Reifeprozess und vollzieht sich bei jedem Kind individuell. Deswegen müssen die einzelnen Phasen als Richtwerte verstanden werden.
Die Sprachentwicklung beginnt bei der Geburt. Jedoch muss man die Fähigkeit des Kindes, bereits pränatal Geräusche wahrzunehmen bedenken und auf diese Weise kann man die Anfänge des Spracherwerbsprozesses schon ab diesem vorgeburtlichen Zeitpunkt festlegen. Die wichtigste Zeit für die Entwicklung sind die ersten vier Lebensjahre. Diese Phase wird auch die „sensible Phase“ genannt (Richter 2001, 21). Das Kind braucht in dieser Phase den sprachlichen Input, damit es die Syntax und die Morphologie seiner Muttersprache erwirbt. Kinder sind ab dem fünften Lebensjahr der Muttersprache mit ihren spezifischen Wörtern und ihrer Grammatik weitgehend mächtig und sind somit in der Lage, sich sprachlich korrekt zu artikulieren. Damit ist aber die Sprachentwicklung noch lange nicht abgeschlossen, denn Wortschatz und Sprachstil unterliegen einer ständigen Weiterentwicklung. Sogar im Erwachsenenalter kann man neue Wörter lernen, sodass man sagen kann, dass die Sprachentwicklung lebenslänglich stattfindet. Natürlich kann man keine gravierenden Veränderungen mehr erwarten, aber der Prozess des Spracherwerbs endet demzufolge wohl niemals. Der monolinguale Erstspracherwerb ist bei weitem die besterforschte Form des Spracherwerbs.
4.3 Die Phasen der Sprachentwicklung
4.3.1 Die vorsprachliche Phase
Die Mutter verwickelt den Säugling in konstante kommunikative Interaktionen. Elterliche kommunikative und emotionale Zuwendungen und auch das Erkunden der Umwelt mit Hilfe der Eltern finden stets unter Einbeziehung aller Sinne statt. Schon durch das Hören der Muttersprache erhält das Kind Informationen über dessen Aufbau. Die Sprachentwicklung ist also im vollem Gange, noch bevor überhaupt ein Wort gesprochen wird. Die Kinder verstehen mehr, als sie sprechen können. Die Interaktionen zwischen dem Kind und den Eltern basiert in den ersten Monaten auf dem Austausch von Emotionen und Bedürfnissen. Zwar spricht die Mutter auch zum Kind, aber die eigentliche Interaktion verläuft zunächst hauptsächlich über die nonverbalen Kanäle, wie Berührungen und Blickkontakt. Auf die mütterliche Ansprache reagiert ein Säugling mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, zunächst durch Strampeln und später auch mittels Lächeln oder Lautäußerungen. Diese frühen Formen der sozialen Entwicklung können als Interaktionen gedeutet werden. Am Anfang der Entwicklung beschränkt sich die Lautäußerung auf das Weinen des Kindes. Denn das ist zu dem Zeitpunkt das einzige Mittel zur Kommunikation. Das Weinen ist zunächst noch undifferenziert und wird im Laufe der Zeit immer spezifischer, so dass man im weiteren Verlauf das Kind Lautsignale produziert, denen durchaus verschiedene Bedeutungen zugewiesen werden können. HASSENSTEIN (vgl. 2001, 34) unterscheidet zwischen folgenden Lautsignalen: Der Alarmruf des Kindes soll bezwecken, dass es aus der von ihm empfundenen Hilflosigkeit erlöst wird. Der Säugling gibt den Alarmruf mit einem Kontaktlaut, wenn er nach dem Aufwachen feststellen will, ob sich jemand in der Nähe befindet. Ein anderer Laut, nämlich der Unmutslaut dient dazu um Unbehagen auszudrücken. Das Kind signalisiert der Mutter beim Wohlergehen den Schlaflaut, wenn es schläft. Ein weiterer Laut signalisiert den Eltern, dass dem Kind die Nahrung in der richtigen Menge zur Verfügung steht. Diesen Laut nennt man Trinklaut. Der Wohligkeitslaut, ist ein Signal dafür Wohlbehagen nach einer Mahlzeit auszudrücken. Diese Lautäußerungen haben eine kommunikative Funktion, denn die Mutter kann diese Laute durch den Klang der Stimme deuten und weiß, welche Bedürfnisse das Kind hat. Jedoch muss sich die Anatomie des Artikulationstraktes verändern, damit der Säugling überhaupt in der Lage ist differenzierte Laute zu äußern. Dabei senkt der Kehlkopf sich ab und der obere Stimmtrakt wird ausgebildet. Somit ist es möglich, dass der Säugling Vokale und Konsonanten bildet (vgl. Papousek/ Jürgens/Papousek 1992, 11).
Zunächst einmal spielt der Säugling mit der Stimme und produziert Laute, die als Schnalzen, Gurgeln oder Quietschen bezeichnet werden können. Die Laute kommen natürlich nicht in der Muttersprache des Kindes vor. Etwa zwischen dem siebten und dem zehnten Lebensmonat passt sich das Kind artikulatorisch der Klanggestalt seiner Muttersprache zunehmend an. Das Kind ist in der Lage die Laute seiner Umwelt zu selektieren und hört die Laut- und Silbenproduktionen der Bezugspersonen und versucht sie zu imitieren. Einhergehend mit dieser Einstimmung auf das lautliche Inventar der Muttersprache hört das Kind auch langsam auf nichtmuttersprachliche Laute zu produzieren (vgl. Butzkamm 1999, 57). Die Äußerungen des Kindes werden denen der Erwachsenen immer ähnlicher, indem es sich von den für die Muttersprache irrelevanten Phoneme trennt. Das Kind beginnt nun richtige Sprachsilben und Silbenketten zu formen und verfügt ab dem ersten Lebensjahr über eine breite Palette von Lauten. Diese Phase der Sprachentwicklung wird auch oft B a b b e l- oder L a l l s t a d i u m genannt. Bereits ab diesem Zeitpunkt können erste einfache Wortproduktionen auftreten. Diese müssen nicht immer richtig artikuliert werden, haben aber die Funktion Objekte zu benennen, wie zum Beispiel Wörter wie Wau-Wau oder Mama (vgl. Abb. Wendelandt 1995 in: Butzkamm 1999, 242).
4.3.2 Die Einwort-Phase
Zwischen dem 12. und 18. Lebensmonat verwendet das Kind einzelne Wörter, die Phrasen oder Sätze ausdrücken. Es baut zunehmend Beziehungen auf zwischen den Wörtern und der Gegenstandswelt. Es findet im Vergleich zur Lallphase eine gezielte Lautbildung bei der Produktion von Wörtern statt. Das Kind verwendet nur ein Wort, um ganze Inhalte mitzuteilen. Häufig sind auch so genannte Übergeneralisierungen zu beobachten. Durch die Betonung erzeugt es Fragen (vgl. Wendelandt in: Butzkamm 1990,242). Die Bezugspersonen verstehen und interpretieren die Wörter anhand des Kontextes. Im Vergleich zur vorsprachlichen Phase kann das Kind nun kombinierte Wörter verwenden.
4.3.3 Die Zweiwort-Phase
Das Kind kann zwischen dem 18. und 24. Lebensmonat zunehmend mehr Laute artikulieren und produziert nun Zwei- oder Dreiwortsätze, wie zum Beispiel Papa weg. Das Kind richtet sich nicht nach der Erwachsenensprache, sondern bildet die Sätze nach seinen eigenen Regeln. Fragen werden formuliert, indem eine Satzmelodie erzeugt wird. Das geschieht erst mal nur mit Hilfe der Intonation. Ob eine Aussage nun deklarativ oder interrogativ gemeint war, erkennen die Eltern an der Betonung der Wörter. Der Wortschatz umfasst derzeitig ca. 50 Wörter, hauptsächlich Nomen, einfache Verben, vor allem Infinitive und Adjektive (vgl. Wendelandt in: Butzkamm 1999, 242).
4.3.4 Die Mehrwort-Phase
In dieser Phase entwickelt das Kind ab dem 30. Lebensmonat die ersten grammatikalischen Kategorien. Die Kinder produzieren zunehmend Mehrwortsätze, wobei die Flexionen der Nomen und Verben noch nicht den grammatischen Strukturen der Muttersprache folgen, sondern beliebig gebildet werden wie zum Beispiel Da kommen Briefmann. Wie man an diesem Beispiel sehen kann, kommen Wortschöpfungen vor. Der Wortschatz wird erheblich erweitert und die Mutter-Kind-Dialoge nehmen zu. GRIMM nennt diesen enormen Wortschatz-Zuwachs „Wortexplosion, die den Boden für den Grammatikerwerb vorbereitet“ (Grimm 1999, 34).
Schwierigere Lautverbindungen lernt das Kind erst mit dem dritten Lebensjahr. Auf grammatischer Ebene ist es fähig einfache Sätze zu bilden und beginnt sogar mit Bildungen von Nebensätzen. Die gebildeten Sätze enthalten bereits Merkmale der Erwachsenensprache. Durch die Verwendung der Fragewörter warum, wie und was erfahren Kinder ihre Umwelt und erschließen Zusammenhänge. Fragen werden nun offensichtlich gebildet und nicht mehr nur durch Intonation erzeugt (vgl. Wendelandt in: Butzkamm 1999, 242). Das Kind nutzt ganz besonders die Warum-Fragen, um sein Bedürfnis nach Wissen zu stillen und auch um Dialoge aufrecht zu erhalten.
Es ist nachgewiesen, dass Mädchen in der Regel früher sprechen als Jungen, nämlich mit 24 Monaten und Jungen nach 33 Monaten, wobei der produktive dem rezeptiven Wortschatz nachhängt.
Mit ungefähr vier Jahren hat das Kind die grundlegenden Strukturen seiner Muttersprache erworben und beherrscht nun weitestgehend die Laute seiner Erstsprache. Es ist in der Lage komplexe Sätze zu bilden, wobei es hin und wieder zu Unsicherheiten bei der Bildung komplexer Haupt- und Nebensatz- Konstruktionen kommen kann. Der Wortschatz hat sich vergrößert und weiter ausdifferenziert. In seinem aktiven Wortschatz verfügt es nun auch über abstrakte Begriffe und kann diese auch situationsgerecht verwenden (vgl. Wendelandt in: Butzkamm 1999, 242).
Das Kind kann sich damit auch auf zukünftige oder vergangene Ereignisse beziehen. Zum Ende des fünften Lebensjahres werden in der Regel alle Laute korrekt gebildet, die Regeln der Grammatik werden beherrscht und das Kind kann seine Gedanken und Wünsche formulieren. Der bis zu diesem Zeitpunkt erworbene Wortschatz ermöglicht dem Kind eine differenzierte Ausdrucksweise.
Bei der Einteilung der Sprachentwicklung des Kindes in verschiedene Phasen sollte man unbedingt berücksichtigen, dass die Entwicklung der kindlichen Sprache sich nicht abrupt von einer Phase zur nächsten vollzieht, sondern dass die Stufen der Sprachentwicklung sich auch überschneiden. Ebenso kann der zeitliche Ablauf variieren. Die genannten Zeitangaben sind daher Durchschnittswerte. Man orientiert sich an diesen Vorgaben, wenn man Sprachentwicklungsverläufe, die sich anders vollziehen, als abweichend bezeichnet. Beim ESE gibt es viele Punkte, die für den ZSE und sein Verhältnis zum ESE von Bedeutung sind (vgl. 7.1).
4.4 Der Zweitspracherwerb
Wie bereits in Kapitel 4.1 erläutert, bezeichnet man den Erwerb einer weiteren Sprache nach dem dritten Lebensjahr als den Zweitspracherwerb oder sukzessiven Spracherwerb. Dieser Typ des Zweitspracherwerbs in Bezug auf Migrantenkinder ist Gegenstand dieser Arbeit. Man geht davon aus, dass die Grundzüge der Erstsprache bereits erworben sind, wenn eine zweite Sprache in die Lebenswelt eines Kindes hinzutritt. Kinder können, während sie einen sukzessiven Zweitspracherwerbsprozess durchlaufen, durchaus ein dem monolingualen Erwerb gleichkommendes Sprachniveau erreichen. Natürlich spielen hierbei individuelle Faktoren wie beispielsweise soziale Integration oder kommunikative Bedürfnisse eine entscheidende Rolle (vgl. Klein 1992, 18). Dazu später mehr.
Wenn sich Zweisprachige in Gemeinschaften und Situationen ihresgleichen befinden, neigen sie zu S p r a c h w e c h s e l- und S p r a c h m i s c h u n g (vgl. 6.1 und 6.2). Als Ursachen können kontextuelle, situative und persönliche Motivationsgründe genauso wie gemeinsame kulturelle und sprachliche Erfahrungshintergründe ausgemacht werden. Das Lernen jeder weiteren Sprache bewirkt zunächst eine globale I n t e r f e r e n z (vgl.6.3), die erst durch eine mehr oder weniger bewusste Einstellung zurückgedrängt wird. Dies sind typische Merkmale des bilingualen Sprachgebrauchs, worauf im 6. Kapitel intensiv eingegangen wird.
4.5 Konzepte des Zweitspracherwerbs
4.5.1 Ungesteuerter und gesteuerter Zweitspracherwerb
Es ist wichtig zu unterscheiden auf welche Weise, in welchem Alter und vor allem mit welchem Ziel eine zweite Sprache erlernt wird. Hierbei spielt besonders der Umstand, ob eine Sprache mit oder ohne Unterricht gelernt wird, eine große Rolle. Im Folgenden werde ich sowohl den u n g e- s t e u e r t e n als auch den g e s t e u e r t en (durch Unterricht) Spracherwerb separat voneinander behandeln (vgl. Klein 1992, 28ff).
4.5.1.1 Ungesteuerter Zweitspracherwerb
Von u n g e s t e u e r t e m Z w e i t s p r a c h e r w e r b, der auch n a-tür l i c h e r Z w e i t s p r a c h e r w e r b genannt wird, ist die Rede, wenn eine Zweitsprache nicht systematisch, sondern in der alltäglichen Kommunikation erworben wird. Jedoch kann man ungesteuerten Zweitspracherwerb nicht einheitlich sehen, denn z.B. ein türkischer Arbeitnehmer, der in Deutschland lebt und oft geringen Kontakt mit seinem sozialen Umfeld hat, aber dafür intensiveren Kontakt zu seinen Landsleuten pflegt, wird sich geringere Deutschkenntnisse aneignen als z.B. ein Missionar, der zu einem unerforschten Stamm kommt und dessen Sprache durch seine Sozialkontakte lernt. Jemand, der eine bestimmte Intention verfolgt, wird anders und mehr lernen, als jemand, der in ein fremdes Land kommt, um dort zu arbeiten (vgl. Klein 1992, 28). Die alltägliche Kommunikation kann mit sehr unterschiedlichen Mitteln erfolgen und sehr unterschiedlich intensiv sein. Manchmal ist es ausreichend mit bestimmten Gesten oder wenigen Ausdrücken zum Ziel zu kommen. Zu Anfang hat der Lernende ein eingegrenztes Ausdrucksrepertoire zur Verfügung. Dies besteht fast ausschließlich aus nonverbalen Mitteln. Der Lerner wird mit zwei Aufgaben konfrontiert. Zum einen muss er dieses nonverbale Repertoire im Verstehen und in der Produktion optimal nutzen und zum anderen muss er dieses an die Zielsprache anpassen. Diese zwei Aufgaben hängen eng miteinander zusammen, dürfen aber nicht verwechselt werden, denn „die Ausbildung einer festen Lernervarietät und ihre optimale Nutzung erleichtern die Kommunikation; der Lerner kann sozusagen im Haus der Sprache den Mantel ausziehen und sich einrichten. Die Lernaufgabe, also die Notwendigkeit, das Vorhandene zu verlassen, es zu verbessern und zu reorganisieren, ist ein dynamischer Faktor: Er treibt den Erwerbsprozeß [sic] voran [...]“(Klein 1992, 29). Die sogenannte V e r m e i d u n g s- s t r a t e g i e, auch a v o i d a n c e s t r a t e g i e s genannt ist eine bekannte Erscheinung des ZSE (vgl. Kleinmann 1978, 154-174). Sie besagt, dass der Lerner sich mit Umschreibungen behilft, wenn er bestimmte Wörter oder Konstruktionen nicht weiß oder sich unsicher über ihren Gebrauch ist. Es kann auch vorkommen, dass er sie umgeht oder das Thema wechselt. Diese Gebrauchstrategie kann man im Bereich der ersten Aufgabe einordnen. Weil sie den Druck, den Erwerbsprozess voran zu treiben verringert, wirkt sie eher hemmend.
Ein weiterer Aspekt, der in Verbindung mit dem Lernen in Alltagssituationen steht, ist die „geringe Fokussierung auf die Sprache selbst“ (Klein 1992, 29). Dem Lerner ist es wichtig, die Sprache zu verstehen und sich verständlich zu machen. Ihm ist der kommunikative Erfolg wichtiger als die formale Richtigkeit und deshalb legt er größeren Wert auf die Ausdrucksmittel, die er lernen muss. Die metalinguistische Komponente wird nur gering ausgebildet und inwieweit die metasprachliche Komponente den Spracherwerbprozess tatsächlich beeinflusst, liegt offen. Diese Annahme bildet auch die Grundlage für die „Monitor-Theorie“ von KRASHEN. Was Krashen genau in seiner Theorie formuliert wird in Kapitel 5.5 erläutert.
4.5.1.2 Gesteuerter ZSE
Der Unterschied zwischen g e s t e u e r t e m und u n g e s t e u e r t e n Spracherwerb liegt darin, dass bei ersterem systematisch und intentional durch Unterrichtsmethoden ein bestimmter Weg gegangen wird. Sicherlich wird im ungesteuerten Spracherwerbsprozess auch gelegentlich gelehrt z.B. wenn dem Lerner Bezeichnungen von Gegenständen oder Konstruktionen gesagt werden. Jedoch geschieht dies nicht systematisch wie beim gesteuerten ZSE. Beim gesteuerten ZSE spielen zwei Begriffe eine große Rolle: Zum die F r e m d s p r a c h e und zum anderen die Z w e i t s p r a c h e. Den ersten Begriff verwendet man beim Erwerb einer Sprache wie z.B. Latein, die gewöhnlich im Unterricht gelernt wird. Im Gegensatz zur Zweitsprache wird die Fremdsprache nicht zur alltäglichen Kommunikation verwendet. Im Vergleich dazu wird die Zweitsprache nach oder neben der Erstsprache erworben. Sie wird gewöhnlich in der sozialen Umgebung erworben, in der man sie spricht. Es gibt zahlreiche Methoden den ZSE-Prozess systematisch zu beeinflussen (vgl. Klein 1992,32). Im Folgenden gehe ich auf zwei Punkte ein, in denen sich diese Methoden unterscheiden, nämlich auf die Darbietung des Materials und auf die Nutzung des jeweiligen Repertoires zum Verständigen und zur Produktion. Im ungesteuerten ZSE hat der Lerner durch kommunikative Situationen Zugang zu der Sprache, die er lernen soll. Im gesteuerten ZSE wird dem Lerner hingegen nur Material aufbereitet oder auch nur eine Beschreibung des Materials angeboten wie z.B. im Grammatikunterricht. Im Gegensatz dazu steht der kommunikative Unterricht mit vielen Rollenspielen und wenig Grammatik (siehe z. B. Piepho 1974). Diese Form ist so wenig gesteuert, dass sie einem ungesteuerten Spracherwerbsprozess nahe kommt. Zwischen diesen beiden Extremfällen gibt es zahlreiche Stufen.
Die Art und die Reihenfolge der Eigenschaften der zu erlernenden Sprache sind ebenfalls anders als im ungesteuerten ZSE. Die Reihenfolge ist meist bestimmt durch Lernschwierigkeiten und durch die Wichtigkeit von betreffenden Strukturen. Dies unterscheidet sich extrem von den natürlichen Reihenfolgen beim ungesteuerten Erwerb. So wird beispielsweise beim Fremdsprachenerwerb der Flexionsmorphologie eine große Rolle zugeteilt, wogegen sie im ungesteuerten ZSE eine nachgeordnete Rolle spielt. Daraus folgt, dass man in der Auswahl und der Darbietungsform den ungesteuerten ZSE nicht genau nachahmen sollte, weil die Bedingungen recht ungünstig sind. Es macht daher keinen Sinn Material in einer Art und Reihenfolge anzubieten, welches das Sprachlernvermögen schlecht verarbeiten kann (vgl. Klein 1992, 33).
Wie erwähnt, muss man bedenken, dass beim ungesteuerten ZSE kein Zwang dahinter steckt die Sprache anzuwenden, während man im ungesteuerten ZSE dazu gezwungen ist, um zu kommunizieren. Im ungesteuerten ZSE wird dieser Zwang beispielsweise durch Diktate oder Aufsätze simuliert.
4.5.2 Die Grundgrößen des Zweitspracherwerbs
In diesem Teil der Arbeit wird nun das sehr heterogene Bild des Spracherwerbs verdeutlicht und die verschiedenen Faktoren, die ihn kennzeichnen, auf einige wenige Grundgrößen reduziert. Aus den unterschiedlichen Ausprägungen und ihrem Zusammenspiel ergeben sich dann die einzelnen Formen des Spracherwerbs. Hier stellt sich zunächst einmal die Frage welche Komponenten in den einsetzenden Spracherwerbsprozess eingehen. Für den Lerner gibt es zunächst eine Veranlassung eine Sprache zu lernen, einen A n t r i e b. Aber ein solcher Antrieb genügt nicht aus. Er ist zwar notwendig, aber er ist keine hinreichende Ursache. Demzufolge muss der Lerner die Fähigkeit, sein S p r a c h v e r mög e n, haben eine weitere Sprache zu erwerben. Gemeint ist die Fähigkeit Sprache zu verarbeiten, sprachliche Äußerungen zu bilden, zu verstehen und dies, wo nötig, zu lernen (vgl. Klein 1994,43). Dazu zählt beispielsweise Laute zu produzieren und auch zu unterscheiden, Schallfolgen in Einheiten zu zerlegen und diese mit gewissen Gegebenheiten der Umwelt zu verknüpfen. Hinzu kommt, dass man sich solche Schallfolgen merken muss, um einzelne Wörter zu größeren Einheiten zusammenstellen zu können. Jedoch reichen diese beiden Komponenten Antrieb und Sprachvermögen nicht aus. Eine weitere Komponente, die notwendig ist, ist der Z u g a n g zu der Sprache. Jede Komponente kann unterschiedlich ausfallen, muss aber in irgendeiner Form vertreten sein. Nachdem all diese Komponenten gegeben sind, beginnt der Spracherwerbsprozess. Man lernt die Züge der Sprache in einer gewissen Reihenfolge, also hat der Prozess eine gewisse S t r u k t u r, eine bestimmte V e r l a u f s s t r u k t u r. Der Prozess kann, unabhängig von der Verlaufsstruktur langsamer oder schneller verlaufen. Hierbei spielt es eine Rolle wie intensiv der Antrieb ist, wie gut der Zugang oder auch wie entwickelt das Sprachvermögen ist. Demnach hat also der Prozess ein bestimmtes T e m p o, das nicht konstant sein muss und schließlich kommt der Punkt, an dem die Entwicklung praktisch aufhört, d.h. wenn die Entwicklung einen bestimmten E n d z u s t a n d erreicht hat (vgl. Klein 1992, 44). In diesem Endzustand kann die Sprachbeherrschung der eines Muttersprachlers gleichkommen, sie kann aber auch weit davon entfernt sein. Dies hängt von den Änderungen des Antriebs und dem Sprachvermögen ab.
Es gibt damit drei Komponenten, die den Spracherwerbsprozess bestimmen und drei Kategorien, nach denen man diesen Prozess selbst kennzeichnen kann (vgl. Klein 1992, 45).
Im Folgenden werde ich diese sechs Grundgrößen einzeln untersuchen.
4.5.2.1 Antrieb
„Unter Antrieb versteht man die Gesamtheit aller Faktoren, die den Lerner dazu führen, seine Sprachlernfähigkeit auf eine bestimmte Sprache anzuwenden“ (Klein 1992, 45). Hierbei gibt es verstärkende und auch abschwächende Faktoren, deren Zusammenwirken den Antrieb ausmacht. Es ist schwierig hier eine Ordnung hineinzubringen. Es ist aber wichtig, die einzelnen Komponenten auseinander zu halten, weil sie sich nicht einheitlich auf alle Aspekte auswirken und weil sie von den einzelnen Komponenten unterschiedlich gut zu beeinflussen sind, was für den Unterricht wichtig ist (vgl. Klein 1992, 45). Nun werden die einzelnen Faktoren in vier Gruppen eingeteilt:
Beim ESE ist die s o z i a l e I n t e g r a t i o n sicherlich ein dominierender Faktor. „Je weiter sich die Form des Spracherwerbs vom ESE des Kindes entfernt, umso geringer ist im allgemeinen die Bedeutung dieses Faktors.“ (Klein 1992, 46). Die soziale Integration spielt für ein Kind, das eine Zweitsprache lernt sicherlich eine größere Rolle, als für einen erwachsenen Migranten, der eine Zweitsprache lernt. Jedoch kommt es darauf an, wie stark dieser sich sozial integrieren möchte. Beim Fremdsprachenunterricht spielt die soziale Integration die geringste Rolle.
Dieser Faktor kann sich aber auch negativ auswirken beispielsweise, wenn sich ein Migrant in eine neue Sprachgemeinschaft integriert, hierbei aber den Verlust seiner Identität befürchtet.
Ein weiterer Faktor sind die k o m m u n i k a t i v e n B e dür f n i s s e, die man von der sozialen Integration trennen muss, obwohl beide Faktoren oft Hand in Hand gehen. Dennoch gibt es zwischen dem Aspekt in einer Gemeinschaft integriert zu sein und dem die Sprache zu verstehen und selbst verstanden zu werden ein Unterschied. Beide Faktoren werden auch deshalb getrennt, weil sie sich sehr unterschiedlich auf den Spracherwerb auswirken können. Das lässt sich an fünf Bereichen feststellen: Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik und spezielle Diskursfähigkeiten (vgl. Klein 1992, 46f). Für die bloße Verständigung ist es nicht wichtig wie gut die Aussprache und wie stark der Akzent ist und auch die korrekte Syntax ist nicht ausschlaggebend. Durch eine Äußerung wie Is bittä Brot statt Ich hätte gern ein Brot, wird nur deutlich, dass ein Sprecher ein Fremder ist.
„Der Wortschatz, den man lernt, wenn man in erster Linie bestimmte kommunikative Bedürfnisse verwirklichen will, wird sich ziemlich eng an jenen inhaltlichen Bereichen orientieren, in denen diese kommunikativen Bedürfnisse liegen“ (Klein 1992, 47).
Dies gilt sowohl für den gesteuerten, als auch für den ungesteuerten ZSE, weil die alltägliche Interaktion einer sozialen Gemeinschaft durch ritualisierte Gesprächsformen bestimmt ist. Für den Grad der sozialen Integration ist das Ausmaß, mit dem jemand diese Formen beherrscht und anwendet, ausschlaggebend. Für die bloße Verständigung sind sie größtenteils überflüssig.
Die Unterscheidung zwischen sozialer Integration und kommunikativen Bedürfnissen entspricht der Unterscheidung zwischen i n t e g r a t i v e r und i n s t r u m e n t e l l e r M o t i v a t i o n von GARDNER und LAMBERT (1972).
Jemand, der eine zweite Sprache erlernt, kann unterschiedliche Einstellungen zu der Sprache und seinen Sprechern haben. Es wird angenommen, dass sich das intensiv auf den ZSE auswirkt. Es ist nachvollziehbar, dass man eine negative Einstellung zu der Sprache hat, wenn man deren Sprecher und die Sprache selbst nicht mag. Dies können Gründe dafür sein, dass man eine die Sprache weniger gut lernt, als eine Sprache, zu der man eine positive Einstellung hat. Eine solch subjektive Einstellung kann sich aber auch auf eine weniger direkte Weise zeigen, wie in dem erwähnten Beispiel seine s o z i a l e I d e n t i tät zu gefährden oder das unbewusste und auch bewusste Gefühl, es nicht nötig zu haben die betreffende Sprache zu lernen (vgl. Klein 1992, 48). Es ist für einen Deutschen wesentlich leichter Niederländisch zu lernen als beispielsweise Türkisch oder Italienisch, weil er relativ viel verstehen oder erraten kann. Doch kann sich dieser Umstand erschwerend auswirken, denn er unterschätzt die Aufgabe und wendet ihr daher unbewusst weniger Aufmerksamkeit und Anstrengung zu.
Ein weiteres Beispiel ist die unterschiedliche E g o-P e r m e a b i l i tät, d.h. „die unterschiedliche Bereitschaft, sich in seiner Unvollkommenheit zu exponieren und durch ungeschicktes, hilfloses, vielleicht gar lächerliches sprachliches Verhalten zu blamieren“ (Klein 1992, 48). Kinder, die eine Zweitsprache lernen, unterscheiden sich nach WONG-FILLMORE (1976) hierbei erheblich. Einige Kinder reden einfach unbekümmert darauf los, während andere sehr vorsichtig sind und sich erst äußern, wenn sie sich ihrer Sache sicher sind. Diese Einstellung kann man eher dem sozialen Verhalten zuordnen, statt dem sprachlichen Verhalten (vgl. Klein 1992, 48).
Das Sprachenlernen ist ein Teil des Erziehungskonzepts einer Gesellschaft, man gilt als gebildet, wenn man Latein oder Französisch beherrscht. Für den Lerner ist der Antrieb beispielsweise der Sozialerfolg, gemessen an guten Noten. Man spricht im Unterricht von Motivation, um dem Sprachenlernen einen Grund zu geben, den man mit solchen Faktoren verknüpft und ihm damit eine Antriebskraft gibt, die es im allgemeinen nicht hätte. Jedoch spielt dieser Faktor außerhalb des gesteuerten Spracherwerbs kaum eine Rolle (vgl. Klein 1992, 49).
4.5.2.2 Sprachvermögen
Nach SAUSSURE (1916) ist der Mensch von Natur aus fähig Sprache zu verarbeiten. Er hat also die faculte du langue. Dazu muss sich der Lerner eines „bestimmten sozial normierten Systems einer Einzelsprache (langue)“ (Klein 1994, 49) bedienen. Zum Sprachvermögen gehört auch das Abstellen der Sprachverarbeitung auf solch ein soziales System. Für die Sprachverarbeitung ist von Bedeutung, dass nicht nur jene Teile des menschlichen Hirns, wie die Motorik und die Wahrnehmungsorgane zuständig sind, sondern auch die Fähigkeit Sprachproduktion und Sprachverstehen an das verarbeitende Material anzupassen. Ferner führt Klein aus (1992), dass es wichtig ist zu sehen, dass das Sprachlernen nicht eine separate Fähigkeit ist, sondern vielmehr die Eigenschaft des Sprachverarbeiters ist, sich bis zu einem gewissen Maße reorganisieren zu können, wenn ein entsprechender Antrieb besteht. Aus diesem Grund kann der Spracherwerb und die damit verbundenen Gesetzlichkeiten nicht verstanden werden, solange man nicht weiß, wie der Sprachverarbeiter funktioniert. Im Folgenden werden einige Grundlinien dazu skizziert.
Die Funktion des Sprachverarbeiters hängt zum einen von biologischen Determinanten und zum anderen von dem verfügbaren Wissen ab.
Periphere Organe wie der Artikulationsapparat vom Kehlkopf bis zu den Lippen, die Ohren usw. und Teile des Zentralnervensystems zählen zu den biologischen Komponenten. Dem Menschen sind diese Komponenten und auch die Zusammenwirkung angeboren. Diese Komponenten ändern sich im Laufe des Lebens und sie setzen gleichsam den Rahmen, innerhalb dessen sich die Sprachverarbeitung vollziehen kann. Die generative Grammatik, also die Tatsache, dass ein großer Teil der Sprache angeboren ist und sich im Verlauf des Spracherwerbsprozesses aktiviert wird, nimmt eine einflussreiche Rolle ein. Einige andere Forscher gehen davon aus, dass diese angeborenen Komponenten nur einen geringen Anteil der Sprachbeherrschung ausmachen (vgl. Klein 1994, 49f)
Sowohl die Sprachproduktion als auch das Sprachverstehen hängen von dem sprachlichen, aber auch von dem nicht sprachlichen Wissen ab. Damit man einen Satz wie beispielsweise Ich komme morgen um elf rüber verstehen kann, muss man zum einen die Phoneme des Deutschen kennen, zum anderen die Morphologie, die Bedeutung der Wörter und natürlich die syntaktischen Regeln und vieles mehr kennen. Allerdings muss man hierbei bedenken, dass das Wissen unterschiedlich verarbeitet wird und die Verarbeitung wie beispielsweise die Phonologie von der Verarbeitung in einem anderen Bereich abhängig ist. Um das obige Beispiel verstehen zu können, reicht das sprachliche Wissen nicht aus. Damit man verstehen kann, was genau gemeint ist, muss man die Informationen entweder aus vorausgehenden Äußerungen oder aus dem allgemeinen Wissen entnehmen (vgl. Klein 1992, 51). Demzufolge verbinden sich bei der Kommunikation kontextuelle Informationen und geäußerte Informationen, wobei bei der kontextuellen Information das allgemeine Wissen und bei der geäußerten Information das sprachliche Wissen wie z.B. Grammatik von Bedeutung ist. Beim ungesteuerten Spracherwerb findet ständig eine Verschiebung der Balance zwischen diesen Informationsarten statt. Während der Lerner in den frühen Lernvarietäten sich auf sein Wissen im Kontextbereich beruht und darauf aufbaut, bezieht er sich im späteren Verlauf auf sein sprachliches Wissen. Oft ist es so, dass ein Lerner Äußerungen in der Zielsprache richtig versteht, obwohl er einige Wörter oder syntaktische Regeln nicht kennt. Der Lerner kann sich in solchen Situationen auf sein nichtsprachliches Wissen stützen (vgl. Klein 1994, 51f).
Dies wirft ein ungewohntes Licht auf die aktive Sprachbeherrschung, also auf die Fähigkeit des Produzierens und auf die passive Sprachbeherrschung, also auf die Fähigkeit des Verstehens. Wenn beispielsweise ein Lerner zum gegebenen Zeitpunkt vielleicht über etwa die Hälfte des sprachlichen Wissens, das zu einer Äußerung in der Zielsprache erforderlich ist verfügt und jemanden hört, der diese Äußerung korrekt produziert, versteht er sie oft vollständig, weil er hierbei auf sein nichtsprachliches Wissen zurückgreifen kann. Doch wenn der Lerner diese Äußerung selber produzieren soll, wird sie nur zur Hälfte richtig sein, ein Muttersprachler wird sie dennoch richtig verstehen können, weil er sich auf sein nichtsprachliches Wissen stützen kann. Es liegt hier kein wirklicher Unterschied zwischen den Sprachkenntnissen vor (vgl. Klein 1992, 52).
Der Erwerbsprozess schreitet nicht nur im Zusammenspiel von sprachlichem und nicht sprachlichem Wissen voran, sondern auch in den beiden Bestandteilen des Sprachverarbeiters. Da die Artikulationsorgane zum Teil aus Muskeln bestehen und man Muskeln trainieren kann, ist es somit möglich sogar die biologischen Determinanten zu verändern. Dies ist wohl in diesem Bereich das Einzige, was man verändern kann, weil diese eine relativ stabile und eigentlich unveränderliche Komponente ist. Die Sprachverarbeitung des verfügbaren Wissens hingegen verändert sich fortlaufend. Der Sprachverarbeiter ist selbstorganisiert und es kommt immer wieder neues Wissen hinzu, während altes Wissen vergessen wird.
Man kann hiervon ausgehend einen kurzen Blick auf den Unterschied zwischen ESE und ZSE werfen, der auf zwei Ebenen liegt. Die erste Ebene ist die, dass der Lerner der Zweitsprache älter ist, aber trotzdem die Möglichkeit hat, seine biologischen Determinanten in den betreffenden Bereichen der Sprachverarbeitung zu verändern kann. Die zweite Ebene beruht zum einen auf dem veränderbaren Wissen im Bereich des nichtsprachlichen Wissens und zum anderen beherrscht der Lerner bereits eine Sprache und kann sich beim ZSE bewusst oder unbewusst auf dieses vorhandene Wissen stützen (vgl. Klein 1992, 52f). So schlägt die Erstsprache auf die Zweitsprache durch und es kommt zu Erscheinungen wie beispielsweise die Interferenz (vgl. 6.3).
4.5.2.3 Zugang
Wenn ein Sprachverarbeiter keinen Zugang zu der Sprache hat, kann er diese nicht lernen. Man muss hier zwischen den beiden eng zusammengehörenden wesentlichen Komponenten unterscheiden. Die erste ist die E i n g a b e (Input) und die zweite die Mög l i c h k e i t zu k o m m u n i z i e r e n (vgl. Klein 1992,53f).
Die Zielsprache wird für den Lerner in Form von S c h a l l f o l g e n zugänglich. Diese Schallfolgen kann man besser als winzige, auf das Trommelfell wirkende Luftdruckschwankungen verstehen. Der Lerner muss mit seinen biologischen Determinanten und seinem verfügbarem Wissen (vgl. 4.5.2.2) versuchen alles, was diese Sprache von anderen unterscheidet heraus zu destillieren. Genauer gesagt muss er aus diesen Luftdruckschwankungen die Grammatik, das Vokabular usw. herausfiltern.
Doch wenn der Sprachverarbeiter nur diese Schallwellen zur Verfügung hätte, würde dies nicht funktionieren. Der Sprachverarbeiter kann bestimmte Segmente in Bezug setzen, wenn er sieht, wer wann wo zu wem spricht. Dies bezeichnet man als P a r a l l e l i n f o r m a t i o n e n (vgl. Klein 1992, 54). Im ungesteuerten ZSE bilden diese beiden Komponenten Schallstrom und Parallelinformationen, während sie im gesteuerten Spracherwerb zwar stark verändert, aber dennoch vorhanden sind. Hier findet eine starke Vorsegmentierung statt. Dem Lerner werden zusätzlich zu den Äußerungen einzelne Wörter vorgegeben. Es kann auch vorkommen, dass dies ohne die Äußerungen erfolgt und der Schallstrom wird auch oft durch geschriebene Texte ersetzt. Auf diese Weise funktioniert auch die Parallelinformation. „Die Bedeutung der Schallfolge wird nicht aus ihrer Verknüpfung mit einer bestimmte Komponente der Situation abgeleitet, sondern in Form einer Vokabelliste vermittelt; sie stützt sich also auf ein bereits verfügbares Wissen aus der Erstsprache“ (Klein 1992, 54). Dies hat seine Vor-, aber auch Nachteile. Die Arbeit wird dem Lerner deutlich leichter gemacht, was aber die ganze Sache schwieriger machen kann, wenn solch eine Aufbereitung gegen die gewohnten Verarbeitungsprinzipien verstößt (vgl. Klein 1992, 55).
Beim ungesteuerten Spracherwerb besteht die Eingabe aus der alltäglichen Kommunikation. Doch es kann zu bestimmten Anpassungen kommen, wenn ein Muttersprachler seine eigene Sprachproduktion verändert, weil er denkt, dass dann seine Aussagen für den Lerner einfacher und verständlicher werden. Diese Anpassungen werden beim ESE häufig als m o t h e r e s e (Snow/Ferguson 1977) und beim ZSE als f o r e i g n e r t a l k oder A u s län d e r r e g i s t e r (Ferguson 1977, Ferguson-de Bose 1977, Clyne 1982) bezeichnet. Dem Lerner wird es nicht leichter gemacht, wenn ein Satz wie beispielsweise „Du gehen Bürgermeister“ statt „Sie müssen aufs Einwohnermeldeamt“ geäußert wird. Wenn der Lerner sich in einer fortgeschrittenen Phase befindet, kann so eine Aussage das Verstehen eher erschweren. „Diese Veränderungen beruhen auf bewussten oder unbewussten- Hypothesen des Muttersprachlers darüber, wie er seine Sprache dem Verständnisvermögen des Lerners anpassen kann“ (Klein 1992, 55). Hinzu kommt, dass solche Änderungen soziale Distanz oder sogar Herablassung signalisieren.
Wie bereits mehrfach erwähnt, lernt man beim ungesteuerten Spracherwerb die Zielsprache durch Kommunikation. Damit der Lerner Äußerungen anderer verstehen kann und selber Äußerungen bilden kann, setzt er sein verfügbares Wissen– seine Lernvarietät ein. Es ist ihm auch möglich seine eigene Sprachproduktion in seiner Lernumgebung zu überprüfen und zu kontrollieren. Für die Sprachverarbeitung bzw. für den Spracherwerb ist diese Art der Überwachung Monitoring (vgl. 5.5) sehr wichtig, denn der Erwerbsprozess kommt dann zum Erliegen, wenn der Lerner keine Unterschiede zwischen seiner eigenen Produktion und seiner Lernumgebung feststellt. Klein (1992) stellt fest, dass die Strukturen, die sich in der Erst- und Zweitsprache sehr ähnlich sind, auf Dauer größeren Lernhindernisse darstellen können als stark verschiedene Strukturen. Ferner sagt er, dass dies nicht unbedingt etwas mit der Fähigkeit zu tun hat, sondern mit der Einstellung, wie beispielsweise mit der Bereitschaft genau hin zu hören (vgl. Klein 1992, 56f).
4.5.2.4 Struktur des Verlaufs
Bei der Bestimmung der Verlaufsstruktur stellen sich zunächst einmal zwei leitende Fragen, auf die nacheinander eingegangen wird:
1. Wie sind die einzelnen Fertigkeiten und Kenntnisse, die erworben werden müssen, synchronisiert?
2. Wie variabel ist der Verlauf bei verschiedenen Lernern und Lerngruppen? (Klein 1992, 57)
Damit man eine Sprache beherrschen kann, bedarf es Kenntnisse verschiedener Art. Dies trifft auch dann zu, wenn man die nichtsprachlichen Kenntnisse außen vor lässt. Wenn man Deutsch können will, muss man beispielsweise wissen, dass es einen Unterschied zwischen langen und kurzen Vokalen wie z.B. in Mitte-Miete oder Wann-Wahn gibt. Dies trifft beispielsweise in der spanischen Sprache nicht zu und im Gegensatz zum Englischen gibt es einen Unterschied zwischen stimmhaften und stimmlosen Verschlusslauten im Auslaut wie beispielsweise bei Rad-Rat oder Werg-Werk. Zudem hat das Deutsche einen festen Wortakzent, der sich bei der Flexion nicht ändert und es hat bestimmte Intonationskonturen. Man bezeichnet dies und vieles andere als phonologisches Wissen.
Zum morphologischen Wissen gehört, dass das Deutsche eine starke und eine schwache Adjektivflexion hat mit jeweils bestimmten Formen, das aber diese Flexion bei prädikativem Gebrauch neutralisiert. Außerdem markiert es die finiten Verben nach Temporalität mit Endungen, Umlaut oder Hilfsverben und es hat Genus-, Numerus- und Kasusflexionen, die aber hauptsächlich nicht durch die Nomina oder Adjektive selbst, sondern durch den Artikel ausgedrückt werden.
Zum syntaktischen Wissen zählt, dass das Deutsche das attributive Adjektiv nicht hinter, sondern vor das Bezugsnomen stellt, den attributiven Relativsatz hingegen aber dahinter stellt und nicht davor. Im Nebensatz positioniert es das finite Verb gewöhnlich ans Ende, während es in Entscheidungsfragen an den Anfang und im Hauptsatz an die zweite Stelle positioniert. Ferner kennt es eine Klammerbildung bei zusammengesetzten Verbformen und stellt die Satznegation im Nebensatz vor das gesamte Verb und im Hauptsatz und in Entscheidungsfragen meist direkt hinter das finite Verb (vgl. Schönpflug 1971, 122ff).
Man zählt zum lexikalischen Wissen bestimmte Verknüpfungen von Schallwellen und das Deutsche hat zudem elementare Bedeutungseinheiten. Es hat also einen Wortschatz, der aus Funktionswörtern wie beispielsweise in, und, vor, nicht und aus Inhaltswörtern wie Tisch, Freiheit, schlafen, reizend und aus zusammengesetzten Wendungen besteht (vgl. Klein 1992, 57f).
Diese vier Bereiche decken zwar nicht das gesamte Gebiet ab, aber genügen, um das Problem deutlich zu machen. Der Sprachlerner muss sich Kenntnisse in all diesen Gebieten aneignen, die er jedoch nicht unabhängig voneinander lernen kann, weil sie eng miteinander zusammenhängen. Jedes Stadium des Erwerbsprozesses, d.h. jede Lernvarietät zeigt eine subtile Balance dieser verschiedenen Formen von sprachlichem Wissen. Diese Balance verabschiedet sich beim Übergang von einer Lernvarietät zur nächsten bis der Endzustand erreicht ist. Die Struktur des Verlaufs ist dadurch gekennzeichnet, dass bestimmte Formen hinzugelernt werden und sich so unter Umständen eine gewisse Erwerbsfolge abzeichnet. Es verändern sich Lernervarietäten, die durch eine doppelte Balance gekennzeichnet sind. „Intern spielen die verschiedenen Formen sprachlichen Wissens miteinander zusammen, und extern befinden sich sprachliches und nichtsprachliches Wissen in einem beständigen Gleichgewicht. In beiden Bereichen ist das Gleichgewicht relativ instabil, und die beständigen Verschiebungen dieses Gleichgewichts kennzeichnen den Verlauf des Spracherwerbs“ (Klein 1992, 59).
Es ist selbstverständlich, dass die Struktur des Verlaufs nicht für jeden Lerner gleich ist. Sie kann sehr unterschiedlich ausfallen und man muss unterscheiden, welche Konstellationen von kausalen Faktoren vorliegen. Hierbei spielt eine Rolle in welchem biologischen oder interlektuellen Zustand sich der Sprachverarbeiter befindet und zu welcher Eingabe er Zugang hat. Demzufolge kann man sagen, dass der Spracherwerb variabel ist, aber dennoch festen Gesetzlichkeiten folgt (vgl. Klein 1992, 60). Im folgenden gehe ich auf das Tempo des Verlaufs ein.
4.5.2.5 Das Tempo des Verlaufs
Das Tempo wird durch die drei Faktorenkomplexe Antrieb, Sprachverarbeiter und Zugang bestimmt. Der Spracherwerb geht schneller vonstatten, wenn die kommunikativen Bedürfnisse recht hoch sind. Wenn diese Bedürfnisse niedrig sind und die Eingabe nicht groß ist, kann man davon ausgehen, dass der Erwerb langsamer verläuft. Zudem kommt noch hinzu, dass Gedächtnisprobleme den Spracherwerb hemmen können. Beim Tempo spielen die beiden Größen Antrieb und Zugang eine wichtige Rolle und verändern sich während des Erwerbs. Im Laufe der Zeit lassen sich die kommunikativen Bedürfnisse besser verwirklichen, was die Schubkraft verringert. Der Endzustand ist erreicht, wenn der Antrieb aufgebraucht ist oder nicht mehr stark genug ist, die Entwicklung fortzutreiben (vgl. Klein 1992, 60f).
4.5.2.6 Endzustand
Der Endzustand ist im Optimalfall die völlige Beherrschung der Zielsprache. Jedoch muss man hierbei beachten, dass sich die Zielsprache aus vielen Varietäten wie beispielsweise aus Dialekten, Registern und Soziolekten (=Gruppensprache, bezeichnet eine Sprachvarietät, die für eine sozial definierte Gruppe charakteristisch ist. In: Bußmann 2002, S. 692.) zusammensetzt, sodass man die Sprache nie ganz beherrschen kann. Sogar die Muttersprachler beherrschen sie unterschiedlich. Es kann durchaus vorkommen, so dass sich ein Zweitsprachler in einigen Bereichen wie beispielsweise im Wortschatzreichtum oder Syntax weitaus mehr aneignet als ein Muttersprachler. Doch in der Regel gelangt der Lerner sowohl beim ungesteuerten als auch beim gesteuerten ZSE an ein Stadium, das weit davor liegt. Man bezeichnet diesen Verlauf als V e r s t e i n e r u n g der Entwicklung. SELINKER (1972) hat für diesen Ausdruck den Begriff F o s s i l i e r u n g eingeführt. Im Folgenden werden zwei Kennzeichen dieses Festfrierens demonstriert.
Die Fossilierung ist relativ, d.h. sie kann unterschiedliche Komponenten der Sprachbeherrschung zu verschiedenen Zeiten erreichen. Ein Beispiel dafür ist die Beherrschung der P h o n o l o g i e im ZSE. Die Entwicklung im syntaktischen oder lexikalischen Bereich geht noch lange weiter, während die Entwicklung im Bereich der Aussprache der Zielsprache nicht weiter angeglichen wird. Dies kann unterschiedliche Gründe haben. Der Lerner benötigt beispielsweise keine weitere Verbesserung seiner Aussprache oder es kann sein, dass der Lerner unbewusst einen gewissen Ausdruck seiner bisherigen sozialen Identität bewahrt. Wie man anhand dieser Beispiele sehen kann, gibt es wahrscheinlich keine einfache monokausale Erklärung für die Selektivität der Fossilierung (vgl. Klein 1992, 62).
Bei einem Lerner, der sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet, kann es sogar vorkommen, dass er mitten im Gespräch in ein früheres Stadium zurückfällt. Bei dieser Art von Rüc k f a l l (vgl. Klein 1992, 62) kann es passieren, dass beispielsweise Flexionsendungen, die eigentlich schon beherrscht werden, weggelassen werden. Hier kann man sehen, dass beim Spracherwerb ältere Lernvarietäten in einem gewissen Sinne immer noch vorhanden sind und nicht durch neue ersetzt werden.
4.6 Semilinguale Sprecher versus ausgewogene bilinguale Sprecher
Die Zweisprachigkeit wurde nicht immer positiv bewertet. In den frühen 30er Jahren wurde Zweisprachigkeit als etwas Negatives und für die Entwicklung des Kindes Hemmendes angesehen:
Den Begriff S e m i l i n g u a l i s m u s führt HANSEGARD (1968) zum ersten Mal ein. Er bezeichnet Sprecher als Semilinguale, die verglichen mit Monolingualen sowohl qualitative als auch quantitative Defizite in beiden Sprachen aufweisen. Diese Sprecher stehen mit ausgewogenen bilingualen Sprechern, die zwei Sprachen gleichermaßen gut und fließend beherrschen, im Gegensatz. Semilinguale haben einen geringen Wortschatz und demzufolge haben sie Schwierigkeiten bei der Bildung von Sätzen. Sie müssen lange überlegen und können nicht spontan auf Fragen antworten und können in keiner der beiden Sprachen ihre Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen. Aus diesem Grund ist Semilingualismus eine unzureichende Ausbildung in beiden Sprachen.
“Semilingualism refers to a person who does not know any language properly (of course a child is not semilingual if he/she is prificient in one of his/her languages). Semilingualism can be defined starting either with the demanse made on use of language by the community or with the abilities of the individual.” (Skutnabb-Kangas 1977, 19)
Bei der Einteilung der Sprecher als ausgeglichene Bilinguale und Semilinguale gibt es jedoch Probleme, da bei der Art, wie dies bestimmt werden soll, außerlinguistische Faktoren, wie beispielsweise Motivation, keine Berücksichtigung finden. Bei Sprachtests kann man in den meisten Fällen nicht das gesamte Sprachvermögen feststellen.
Nach SKUTNABB-KANGAS (1981, 249) und nach BAETENS BEARDSMORE (1985, 12) ist die Berücksichtigung der außerlinguistischen Faktoren besonders bei der Einstufung der Sprecher als semilingual wichtig. Diese Autoren begründen die Semilingualität mit spezifischen gesellschaftlichen Verhältnissen, also mit wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhältnissen einer Gesellschaft. ZU diesem Zusammenhang sagt Baetens Beardsmore (1985, 12):
“The real arguments for semilingualism is when speaker cannot function adequately in either of his languages and such cases are usually determined by social or psychological factors which are reflected linguistically but not determined by language.”
Auch BAKER (1983, 10) vertritt die Meinung, dass diese Unterentwicklung der Sprachkompetenz in beiden Sprachen meist mit den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zusammenhängt. Dazu äußert er sich wie folgt:
“Rather than highlight the apparent deficit in language development, the more positive approach is to emphasizt that, when suitable consitions are provided, languages are easily capable of evolution beyond the semilstate.”
Man kann durch die oben vorgetragenen Meinungen sehen, dass die Unterscheidung von Sprechern in ausgewogene Bilinguale und Semilinguale in der Praxis kaum anwendbar ist. Denn wenn Bilinguale die Möglichkeit haben, beide Sprachen zu gebrauchen, werden sie diese auch für unterschiedliche Funktionen einsetzen.
“[…] it is more often the case that where bilingualism exists at either or individual level, that the two languages are functionally differentiated and coexist in a diglossic relationship.” (Romain 1986, 33)
5. Theoretische Ansätze zum Zweitspracherwerb
5.1 Die Kontrastivhypothese
Die Kontrastivhypothese basiert auf der behavioristischen Spracherwerbs-und Lernforschung, die von FRIES (1947) initiiert und von LADO (1957) fortgeführt wurde. Sie bildet die Grundlage für Interferenzuntersuchungen und misst der bereits erworbenen Sprache eine besondere Bedeutung zu, da ihre Struktur den Zweitspracherwerb in wesentlichem Maße prägt. Das Erlernen einer zweiten Sprache wird dabei als ein Prozess der Nachahmung und Verstärkung gesehen, d.h. die Lernenden versuchen das zu übernehmen, was sie hören und eignen sich durch regelmäßige Übung akzeptable Gewohnheiten im Umgang mit der neuen Sprache an. Die Zweitsprache wird danach während des Erlernens von bestimmten Merkmalen der Erstsprache beeinflusst. Hierbei werden Laute, Strukturen und Aspekte des Sprachgebrauchs von der Erstsprache (L1) auf die Zweitsprache (L2) transferiert. Man muss hier zwischen zwei Arten des T r a n s f e r s unterscheiden, nämlich der n e g a t i v e n und der p o- s i t i v e n. Zu negativem Transfer oder Interferenz kommt es, wenn das in L1 gültige Prinzip in L2 unzulässig ist. Der negative Transfer ist ein entstehendes Problem beim ZSE. Man spricht vom positiven Transfer, wenn es sich aufgrund von Gemeinsamkeiten zwischen den zwei Sprachen als akzeptabel erweist, wenn Merkmale von L1 in L2 gebraucht werden. Diese Hypothese entspricht aber KLEIN zufolge nicht der Realität, da er zwar feststellt, dass es Fehler und Lernschwierigkeiten gibt, wenn zwei Sprachen strukturelle Unterschiede aufweisen, aber solche Strukturen können ihm zufolge ohne Probleme gelernt werden. Ferner behauptet er in strukturähnlichen Bereichen oft Lernschwierigkeiten und Fehlern begegnen zu können. Die bereits erlernte L1 kann sich sowohl negativ als auch positiv auf den Erwerb einer weiteren Sprache auswirken (vgl. Klein 1992, 32).
5.2 Die Identitätshypothese
Die Identitätshypothese basiert auf der Theorie von CHOMSKY, dass jeder Mensch einen angeborenen Spracherwerbsmechanismus besitzt (vgl. CHOMSKY 1965). Demzufolge gibt es keinen Unterschied zwischen dem Erst- und Zweitspracherwerb, denn sie besitzen die gleichen grammatischen Universalien, die genetisch im Menschen verankert sind. Der Lerner einer Zweitsprache durchläuft die gleiche Entwicklung wie ein Kind, das seine Erstsprache erwirbt. Genauso wie beim L1-Erwerb reaktiviert der Lerner beim L2-Erwerb angeborene mentale Prozesse. Diese i n n a t e i d e a s bewirken, dass die zweitsprachlichen Strukturen und Elemente in derselben Reihenfolge wie beim Erstspracherwerb, nach universalen kognitiven Prinzipien erworben werden. Der mentale Mechanismus b u i l t - i n s y l l a b u s (Corder 1967) kristallisiert aus dem herausgetragenen sprachlichen Datenmaterial (Input) die Daten heraus, die der Lerner auf seiner jeweiligen Entwicklungsstufe in der L2 verarbeiten kann, woraus dann Hypothesen über das L2 Regelsystem gebildet werden, die er immer wieder an dem einlaufenden Sprachmaterial prüft und gegebenenfalls aufgibt, verfeinert oder bestätigt sieht. Dadurch entwickelt sich das L2-System des Lerners immer mehr in die Richtung des tatsächlichen L2-Systems.
“A learner’s errors […] provide evidence of the system of the language that he is using (i.e. has learned) at a particular point in the course (and it must be repeated that he is using some system, although it is not yet the right system). They are significant in three different ways. […] Thirdly (and in a sense this is their most important aspect) they are indispensable to the learner himself, because we can regard the making of errors as a device the learner uses in order to learn. It is a way the learner has of testing his hypotheses about the nature of the language he is learning.” (Corder 1967, 167).
In der L2 sind Fehler der Unvollkommenheit dieser Übergangskompetenz zuzuschreiben.
Ein Lernender kann bei seinen Hypothesenbildungen nicht auf den Transfer von der Erstsprache zurückgreifen, da der Zweitspracherwerb gemäß dieser Hypothese lediglich nach den allgemein linguistischen Strukturauffindungsverfahren erfolgt. Ein Vergleich zwischen der Erstsprache und der Zweitsprache wird dargestellt. Die Identitätshypothese untersucht vielmehr die gemeinsamen und nicht die differenzierenden Aspekte zwischen diesen Erwerbsformen. Weil beide Fälle des Transfers keine Einschränkungen bieten, liegt dieser Hypothese die These zugrunde, dass der Erst und Zweitspracherwerb isomorphe Züge aufweisen. Demnach ist die Erstsprache gleich die Zweitsprache. Für die resultierenden Fehler wird nicht die Struktur der Ausgangssprache, sondern die der Zielsprache verantwortlich gemacht.
Bei der Identitätshypothese gibt es, ähnlich wie bei der Kontrastivhypothese, zwei Versionen. Die dominante Version bezieht sich auf alle Spracherwerbstypen (bei verschiedenem sprachlichem Hintergrund und Alter, unabhängig von soziolinguistischen Faktoren usw.). Im Gegensatz dazu unterscheidet die schwache Version zwischen ungesteuertem Lernen (second language acquisition) und einem bewussten Lernen. Dieser Unterschied wird von Corder (1967) und von Krashen (1976) wieder aufgegriffen (vgl. 5.5).
5.3 Die Interlanguagehypothese
Genauso wie die anderen Zweitspracherwerbshypothesen kann die Interlanguagehypothese als eine globale Hypothese bezeichnet werden, weil sie sich auf erwachsene Lerner, Kinder und auf den gesteuerten und ungesteuerten Zweit- und Fremdspracherwerb bezieht. Dieser Begriff Interlanguage (=Zwischensprache) wurde von SELINKER 1972 etabliert. Selinker entwickelte die Interlanguagehypothese aus der empirischen Überprüfung der Kontrastivhypothese, eine weiterführende Sicht auf den L2 Erwerb. Die Hypothese versucht die Defizite der Kontrastiv-und der Identitätshypothese, die mittlerweile beide in ihrer Absolutheit als widerlegt gelten, aufzunehmen und sozialpsychologische Faktoren einzubeziehen (Bausch/Kasper 1979, 15). Die Interlanguagehypothese besagt, dass der Lernende bei dem Erwerb der Zweitsprache ein ihm eigenes, spezifisches Sprachsystem herausbildet. Der Ausgangspunkt der Interlanguagehypothese ist:
“The Interlanguage hypothesis claims that second language speech rarely conforms to what one expects native speakers of the target language to produce, that it is not an exact translation of the native language, that it differs from the target language in systematic ways, and that the forms of the utterances produced in the second language by a learner are not random. This interlanguage hypothesis proposes that the relevant data of a theory of second language learning must be the speech forms which result from the attempted expression of meaning in a second language.” (Selinker/Swain/Dumas 1975, 140).
Die Züge der Erst- und der Zweitsprache und auch neue, davon unabhängige sprachliche Merkmale werden aufgewiesen. Diese sind flexibel und gleichzeitig folgt ihr Aufbau systematischer Prinzipien und ist durch lernspezifische Prozesse, Strategien und Regeln gekennzeichnet. Eine zweite Sprache soll erst dann im Unterricht eingeführt werden, wenn die muttersprachliche Entwicklung zu einem gewissen Abschluss gelangt ist. Eine Nicht- Beobachtung dieser Prinzipien würde negative Folgen für die sprachliche, die allgemeine kognitive und die psychosoziale Entwicklung der zu früh zweisprachig erzogenen Schüler haben. Daraus erschließt sich, dass schulische Erziehung zur Mehrsprachigkeit erst dann einsetzen darf, wenn der Erwerb der Erstsprache abgeschlossen ist.
5.4 Die Interdependenz und Schwellenhypothese
Der britische Linguist CUMMINS hat die I n t e r d e p e n d e n z und S c h w e l l e n h y p o t h e s e, aufbauend auf die Studie von SKUTNABB- KANGAAS/TOUKOMA an Kindern finnischer Arbeitsmigranten in Schweden aufgestellt. Die Interdependenz und Schwellenhypothese besagt, dass die Entwicklung sprachlicher Kompetenz in der Zweitsprache sowie die allgemein kognitive Entwicklung abhängig von der Entwicklung der Erstsprache ist. Ein hoher Stand in der Erstsprache ermöglicht eine gute Zweitsprachentwicklung, wohingegen sich eine mangelhaft ausgebildete muttersprachliche Kompetenz negativ auf die Zweitsprache auswirkt. Die Entwicklung muss ein bestimmtes Schwellenniveau überschritten haben, damit sich die Zweitsprache erfolgreich entwickeln kann und negative Auswirkungen der Zweisprachigkeit auf die allgemein kognitive Entwicklung umgangen werden. Dieses Schwellenniveau ist nach den Beobachtungen der Forscher bei einer normalen Sprachentwicklung etwa mit dem zehnten Lebensjahr erreicht.
5.5 Die Monitor-Theorie nach KRASHEN
Die oben diskutierten Hypothesen befassen sich mit der Beziehung zwischen dem Erst und Zweitspracherwerb. KRASHEN’s Monitor- Theorie dagegen beschäftigt sich mit dem Verhältnis von u n g e s t e u e r t e m und g e s t e u e r t e m Spracherwerb. Nach KRASHEN’s Theorie weisen der ungesteuerte und gesteuerte Zweitspracherwerb bedeutende Unterschiede auf. In beiden Prozessen stehen aber die unbewussten von mehr oder minder festen Regeln geprägten Prozesse im Mittelpunkt. Man kann diese durch Lernen und unterrichtliches Lehren überwachen und auch beeinflussen.
Nach den Erörterungen der unterschiedlichen Hypothesen kann man zusammenfassend sagen, dass es sich beim Zweitspracherwerb um einen langjährigen und nicht endenden Prozess handelt, ebenso wie beim monolingualen Erstspracherwerb.
6. Sprachliche Besonderheiten
6.1 Sprachmischung und Ethnolekt
Zweisprachige Kinder und Jugendliche neigen oft zu Sprachmischungen. Genauso wie der Sprachwechsel gehört auch die Sprachmischung zu den Eigenschaften eines Zweisprachigen. JONEKEIT UND KIELHÖFER (2002, 76) definieren Sprachmischung wie folgt:
„[...] vor dem Bewußtsein [sic] der Zweisprachigkeit gibt es eine relativ naive Sprachmischung, später hängt sie ab von der Strenge des eigenen Ordnungsprinzips, dem Vorbild der Eltern, dem Formalitätsgrad der Situation, der Einschätzung des Gesprächspartners, der Art des Gesprächsthemas etc. Die Ursachen für punktuelles Umschalten der Sprachen innerhalb einer Äußerung können vielfältig sein. Meist sind Wort- und Sprachnot in einer Sprache und größere Geläufigkeit der entsprechenden Struktur oder des Wortes in der anderen Sprache beteiligt. Aus Ökonomie und Bequemlichkeit wird in die andere Sprache gewechselt. Zuerst gelernte, geläufige und allgemeinere Wörter einer Sprache werden besonders gern in die andere „eingeflickt“.“
Es trifft jedoch nicht immer zu, dass Zweisprachige die Sprachen mischen, weil sie sie nicht gut genug beherrschen. Aus einigen Untersuchungen geht hervor, dass „Sprachmischungen zumeist aus sprechstrategischen Gründen entstehen und somit eine interaktive Leistung der Gesprächsteilnehmer darstellen“ (Dirim 2005, 25). Gerade für Jugendliche hat der abwechselnde Gebrauch von Sprachen eher eine gruppenbildende Funktion. Also kann man davon ausgehen, dass das Hin- und Herschalten zu einem geringeren Teil aus sprachlicher Not stattfindet. Sie ist eher als ein Phänomen zu betrachten, dass einen strategischen und geschickten Umgang mit den Mitteln verschiedener Sprachen aufweist (vgl. Dirim 2005, 25).
Demzufolge wirken sich Sprachmischungen nicht negativ auf die sprachliche Entwicklung aus, denn es handelt sich hierbei um einen kontextgebundenen Sprachgebrauch, der nur in angebrachten Situationen eingesetzt wird. Die Kinder und Jugendlichen lernen im Laufe der Sprachentwicklung in welchen Situationen sie die Sprachen mischen dürfen. Auf die unterschiedlichen Arten der Sprachmischung wird in 6.2 eingegangen.
Zweisprachige Kinder und Jugendliche können möglicherweise zu den Sprechern eines E t h n o l e k t s gehören. Nach den Erkenntnissen der neueren soziolinguistischen Untersuchungen hat sich dieser, auf Deutschland bezogen gesehen, wie in anderen europäischen Ländern in die deutschen Großstädte etabliert (vgl. Dirim 2005, 27). Hierbei handelt es sich um einen systematisch veränderten deutschen Sprechstil. Diese Veränderungen lassen sich auf den Einfluss der Migrantensprachen zurückführen und können im Bereich der Grammatik, Lexik und Intonation auftreten (vgl. Dirim 2005, 27). Im grammatikalisch- syntaktischen Bereich kann beispielsweise der unbestimmte Artikel wegfallen, wie in dem Satz Hast du Taschentuch? „Lexikalische Besonderheiten dieses Sprechstils sind vor allem die Übernahme aus dem Türkischen [...]“(Dirim 2005, 27) und deshalb wird er meist mit türkischen Jugendlichen in Verbindung gebracht. Demnach kann er als Ethnolekt der deutschen Sprache identifiziert werden. Dieser Sprechstil wird aber auch von monolingual aufwachsenden Jugendlichen und Jugendlichen anderer Herkunft übernommen und aus diesem Grund könnte sich der Ethnolekt in einen Soziolekt verwandeln (vgl. Auer 2002).
Dieser, durch die Migrantensprachen beeinflusster Sprachstil wird besonders gerne in den Print- und Hörfunkmedien thematisiert und auch in der Werbung eingesetzt. Der Fernseh-Moderator Kaya Yanar bedient sich bevorzugt dieser Sprechart. Man nennt diesen Stil Balkanslang oder Dönerdeutsch. Wie man sehen kann, wird dieser nicht nur durch die Jugendlichen verbreitet, sondern auch durch die Medien (vgl. Androutsopoulos 2001).
Im Vergleich zum Standarddeutsch zeigen sich hierbei Defizite in unterschiedlichen Bereichen. Dieser Sprechstil hat seine eigene Struktur und ist eher eine jugendsprachliche Innovation (Dirim 2005, 28). Obwohl aus der Sicht des Standarddeutschen Fehler gemacht werden, sollte man diesen Stil nicht unterbinden, weil er emotional gesehen, für die Jugendlichen eine positive Bedeutung hat. Vielmehr sollte man deutlich machen, dass es in manchen Situationen unangebracht ist, diesen Stil einzusetzen und stattdessen das Standarddeutsche verwenden sollte (vgl. Dirim 2005, 28).
6.2 Code-Switching und Code-Mixing
Wie erwähnt beschränken sich bei der Konversation mit anderen Bilingualen, die Mitglieder bilingualer Gruppen nicht nur auf eine Sprache. Sie nutzen vielmehr ihr sprachliches Repertoire optimal aus, indem sie zwischen den ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen hin- und herwechseln. Diesen Sprachwechsel innerhalb bilingualer Kommunikation bezeichnet man als C o d e-s w i t c h i n g und C o d e-m i x i n g. Dieses Umschalten gilt als eine der bewundernswertesten Leistungen des Zweisprachigen. Es ist ein Phänomen mit welcher Geschwindigkeit und Leichtigkeit der Wechsel von der einen in die andere Sprache stattfindet. „Das totale Umschalten erfasst nicht nur die Sprache, sondern auch Sprachgestik und –mimik, Sprachrhythmus und –geschwindigkeit“ (Jonekeit/Kielhöfer 2002; 43). WEINREICH ordnet alle Besonderheiten der Sprache Bilingualer unterschiedslos dem Begriff der Interferenz (mehr dazu in 6.3) zu und versteht darunter:
“those instances of deviation from the norms of either language which occur in the speech of bilinguals as a result of their familiarity with more than one language...“( Weinreich 1953, 1)
Dieser Auffassung gegenüber ist Code-switching als Übergang von einem Sprachsystem zum anderen im Gespräch ohne Beeinträchtigung der normativen Form der Äußerung unterschieden worden. Beim Code-mixing handelt es sich um ein dichtes Code-switching. Das Code-mixing bezeichnet den satzinternen Wechsel, d.h. einzelne Wörter oder Satzteile erfolgen in der anderen Sprache. Code-switching hingegen meint den Wechsel zwischen den Sätzen, d.h. einzelne Sätze werden komplett in einer Sprache geäußert, ohne dass sie Merkmale der anderen Sprache enthalten. Es ist nicht einfach Code-switching von Code-mixing zu trennen. Zwischen diesen beiden Arten des Sprachwechsels liegt der qualitative Unterschied darin, „dass beim Code-mixing mit den einzelnen Sprachwechseln keine voneinander unterscheidbaren Sprechstrategien verfolgt werden, sondern dass das dichte Sprachengemisch selbst eine Strategie (der sozialen Abgrenzung) darstellt.“(Dirim 2005, 23)
Code-switching sollte vom Transfer als Übernahme einzelner Elemente einer Sprache in eine andere unter Integration in deren Normen innerhalb einer Äußerung unterschieden und als selbstständiges Phänomen betrachtet werden. Den Wechsel einer Sprache innerhalb einer Gesprächssituation in der Kommunikation von Bilingualen haben auch die Autoren der klassischen Version der c o m p o u n d - c o o r d i n a t e Theorie als Phänomen erwähnt und versucht, ihn in Hinblick auf die individuelle Zweisprachigkeit zu erklären. Allerdings nannten sie Code-switching im Zusammenhang mit Interferenz. Weinreich hat die S w i t c h i n g – f a c i l i t y eines bilingualen Individuums und dessen Gesprächsverhalten in zweisprachige Kommunikation folgendermaßen charakterisiert:
“The ideal bilingual switches from one language to the other according to appropriate changes in the speech situation (interlocutors, topics, etc.), but not in an unchanged speech situation, and certainly not within a single sentence. If he does include expressions from another language, he may mark them off explicitly as ‘quotations’ by quotation marks in writing and by special voice modifications (slight pause, change in tempo, and the like) in speech” (Weinreich 1953, 73).
Nach Weinreich beinhaltet bilinguale Kompetenz also auch die korrespondierende Fähigkeit, eine einmal gewählte Sprache konstant im Gespräch beizubehalten. Zwar gesteht Weinreich auch dem kompetenten Bilingualen einen gelegentlichen Sprachwechsel zu, doch nur als besonders gekennzeichnetes stilistisches Mittel des Zitats einzelner anderssprachiger Ausdrücke innerhalb der benutzen Grundsprache. Generell aber hält er den Übergang von einer Sprache zur anderen innerhalb einer gleichbleibenden Sprechsituation in normaler bilingualer Kommunikation bei kompetenten Sprechern für unmöglich. Wenn Code-switching dennoch auftritt, ist es ein Zeichen der Fähigkeit, die gewählte Sprache beizubehalten. Code-switching bei Weinreich ist also eher die Ausnahme als die Regel. Es signalisiert ein Defizit in der bilingualen Kompetenz.
Andere empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass Code-switching keineswegs ein seltenes und vereinzeltes Phänomen ist, sondern häufig und weitverbreitet als eine regelmäßige Erscheinung von sprachlicher Kommunikation bei Bilingualen zu finden ist. Eine Vielzahl von Funktionen des Code-switching ist festgestellt worden. Aufmerksamkeitssteuerung, Adressaten-Markierung und Ausschluss von Zuhörern sind einige kommunikative Funktionen des Sprachwechsels. Als stilistisches Gestaltungsmittel dient bilinguales Code-switching einer Reihe von Zwecken: Zitat, Vermeidung, Verdeutlichung, Nebenbemerkung, Ausdruck von Humor, Ärger, Prahlerei, Ideologie oder Tabu- Wort. Code-switching ist bei Migrantenschülern ein oft zu beobachtendes Phänomen. Meistens benutzen Sie im Gespräch auf Deutsch ausländische Schimpfwörter.
Empirische Befunde und diese theoretischen Überlegungen zum bilingualen Sprachwechsel zeigen insgesamt deutlich, dass Code-switching soziale Funktionen auf der Grundlage der gesellschaftlichen Organisation der Zweisprachigkeit hat und von Bilingualen außer zu sozialen Zwecken in vielfältigen kommunikativen Funktionen im Gespräch eingesetzt wird. Code-switching ist ein wichtiges Element bilingualer Kommunikation. Die Fähigkeit zum Code-switching in seiner sozialen und kommunikativen Form muss daher als integraler Bestandteil der kommunikativen Kompetenz bilingualer Individuen gelten.
6.3 Interferenz
Das Phänomen der Interferenz spielt bei der sprachlichen Entwicklung der Kinder mit Migrationshintergrund eine besondere Rolle. Deshalb soll im folgenden Teil der Arbeit die begriffliche Klärung der Interferenz vorgenommen werden, um dieses Phänomen dann durch konkrete Beispiele zu belegen.
Als Interferenz wird in der Sprachwissenschaft im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit die Beeinflussung von einer Sprache durch eine andere oder auch die gegenseitige Beeinflussung bezeichnet. Tatsache ist, dass die Sprachlerner ihr Wissen aus zuvor erlernten Sprachen in die neue Sprache übertragen. Man nennt diesen Vorgang Transfer und das Produkt Interferenz. WEINREICH geht davon aus, dass jegliches Abweichen von der Sprachnorm, unabhängig davon, ob die Ausgangs- oder Erstsprache oder Zweitsprache interferiert wird bzw. interferierend wirkt. Sowohl die einseitige als auch die gegenseitige Sprachbeeinflussung umfasst der Interferenzbegriff. Weinreichs Auslegung von der Interferenz enthält die These, dass die Interferenz mit der Reorganisation des Sprachsystems einhergeht. Als Resultat von Interferenz ergibt sich für ihn „the rearrangement of patterns“ (Weinreich 1953). Seiner Meinung nach führt die Interferenz zu einer Reorganisation des Sprachsystems. Er folgt somit der strukturalistischen Auffassung, wonach jede Bereicherung oder Verarmung eines Systems zur Reorganisation aller distriktiven Oppositionen führt. Noch vor Weinreich vertrat PAUL die Auffassung, dass Interferenz im Falle eines Sprachkontaktes bei bilingualen Sprechern grundsätzlich bidirektional wirken kann, d.h. die Muttersprache kann durch die fremde Sprache und umgekehrt beeinflusst werden. MACKEY geht davon aus, dass es sich bei der Interferenz um einen unbewussten Transfer von sprachlichen Strukturen handelt. Das bedeutet, dass dem Zweisprachigen überhaupt nicht bewusst ist, dass seine Äußerungen in seiner Sprache durch Strukturen der jeweils anderen Sprache beeinflusst werden. MCLAUGHLIN zufolge ist das Auftreten von Interferenz eine Folgeerscheinung von unausgewogener Zweisprachigkeit. CZOCHRALSKI äußert eine weit verbreitete Meinung, dass die Richtung der Interferenz bei Zweisprachigen in den meisten Fällen bevorzugt von L1 auf L2 verläuft. Wenn die Zweitsprache vollkommen beherrscht wird, kann dieses Phänomen auch umgekehrt verlaufen. Laut GROSJEAN (1982) kommt es in Gesprächssituationen mit Monolingualen zu Interferenzerscheinungen. Der Bilinguale kann nicht auf sein gesamtes Sprachwissen zurückgreifen. JUHASZ (1970) schließt sich in den wesentlichen Punkten der Definition von Weinreich an. Unter Interferenz versteht er den Prozess der Beeinflussung bzw. die verursachte Verletzung einer sprachlichen Norm durch die Beeinflussung von anderen Elementen. Juhasz untersuchte die Auswirkungen der Interferenz auf das Sprachsystem. Er kritisiert Weinreich, dass dieser den Prozess der Interferenz nicht scharf genug von den Auswirkungen der Interferenz trennt und im Gegensatz zu Weinreich sieht er das „Rearrangement of patterns“ als häufig vorkommendes, aber nicht als nötiges Resultat der Interferenz. Der Begriff der Interferenz ist für Juhasz beeinflusst durch den Begriff der Lernpsychologie zwischen r e t r o a k t i v e r und p r o v o - k a t i v e r I n t e r f e r e n z. Bei retroaktiver Interferenz wird bereits Gelerntes durch das nachfolgend Gelernte beeinträchtigt während provokative Interferenz vorliegen, wenn das Erlernen und Behalten eines neuen Inhaltes durch das zuvor Gelernte erschwert wird. Wenn man diese Termini der Lernpsychologie auf die Zweitsprachenforschung überträgt, ist der Einfluss der Muttersprache auf das Erlernen und den Gebrauch der Zweitsprache proaktiv, der Einfluss der Zweitsprache wiederum retroaktiv. Die Lernpsychologie setzt für ihren Interferenzbegriff voraus, dass der Lerner die fragliche Komponente beziehungsweise Eigenschaft der Sprache prinzipiell kennt oder mit ihr schon einmal konfrontiert worden sein muss. Die Verletzung der Sprachnorm, eben durch das Übertragen der Teilsysteme einer Sprache auf das andere, verläuft aber meist unwillkürlich oder unbewusst. Juhasz übernimmt das Prinzip der Lernpsychologie in seine Definition der Interferenz, die besagt, dass es sich nur um Interferenz handelt, wenn z.B. die bilingualen Migrantenkinder, die gegen die Norm der jeweiligen Sprache verstoßen, Kenntnis über diese haben. Somit erweitert Juhasz den Interferenzbegriff Weinreichs.
Die Interferenz kann sowohl den Sprachwandel als auch die Reorganisation des Sprachsystems bewirken. Die betroffene Sprache wird demzufolge nicht bereichert, sondern vielmehr gestört. Weinreich führt für die einzelnen Auswirkungen der Interferenz den Begriff der Transferenz ein. Juhasz bezeichnet als Transfer das nicht Verletzen der Normen einer Sprache, wenn man von einer Sprache auf eine andere einwirkt. Er nennt es Interferenz, wenn eine Normenverletzung stattfindet.
Der Oberbegriff Transfer wird sowohl für die positive, transferierende als auch für die negative, interferierende Einwirkung einer Sprache auf den Gebrauch einer anderen Sprache verstanden. Die transferierende Einwirkung kommt dann zustande, wenn zwischen den beiden Sprachen eine gewisse Ähnlichkeit besteht, so dass die Übertragung der Elemente einer Sprache nicht zu Verletzungen der sprachlichen Norm durch den Einfluss anderer Sprachelemente führt. Wenn die übertragenen sprachlichen Elemente in der anderen Sprache Gültigkeit haben, spricht man vom positiven Transfer und somit führte ihre Anwendung zu einem korrekten Ergebnis in diesem Sprachsystem führt. Man spricht vom negativen Transfer, was oft als Interferenz bezeichnet wird, wenn es keine Entsprechung in der anderen Sprache gibt dies und eine Übertragung zu falschen Ergebnissen führt. Die Differenz zwischen Transfer und Interferenz besteht demnach im Einhalten der Norm beziehungsweise im Verstoß gegen sie. Positiver Transfer ist obigen Ausführungen zufolge das Antonym der Interferenz. Das Synonym dagegen ist der negative Transfer.
Das Problem der Interferenz ist eines der wichtigsten Probleme des Sprachunterrichts und auffällig unter der Bedingung, dass es sich um zweisprachige Migrantenkinder handelt. Aufgrund ihrer Zweisprachigkeit sind Migrantenkinder in der Lage sowohl die immanenten Gesetze der Muttersprache z.B. Türkisch in der Zweitsprache z.B. Deutsch zur Geltung zu bringen, als auch die Normen der Zweitsprache in die Muttersprache zu übertragen. Das Ergebnis der Interferenz kann dabei zu Fehlbildung in der Muttersprache und in der Zweitsprache führen. Auch auf diese Fehlbildungen geht Juhasz ein und in seiner Auslegung der Interferenz ist ein Fehlerkonzept inkorporiert. Sie bewirkt einen Verstoß gegen die Norm. Er differenziert zwischen Irrtum und Fehler, wobei der Irrtum auf mangelhafter Kenntnis oder Unkenntnis der Norm beruht, der Fehler hingegen auf der Handlung, die gegen die Absicht ihres Urhebers vom Richtigen abweicht und deren Unrichtigkeit bedingt ist durch ein Versagen psychischer Funktionen. Die kontrastive Linguistik erklärt mittels eines systematischen Vergleichs die Interferenzfehler der Erstsprache und der Zweitsprache. Die hauptsächlich auf die Optimierung des Fremdsprachenunterrichts ausgerichtete Methode der kontrastiven Analyse fasst Interferenz als einen Vorgang auf, bei dem sich die Muttersprache des Lerners als Störfaktor im Zweitsprachenerwerb erweist. Die kontrastive Analyse geht davon aus, dass sich durch das Auffinden der systembedingten Unterschiede zwischen der Erst- und Zweitsprache die Lernschwierigkeiten direkt folgern lassen. Die Vertreter der kontrastiven Linguistik hingegen erwarten, dass Ähnlichkeiten sich lernerleichternd auswirken. Diese gehen davon aus, dass man nach einem Sprachvergleich alles vermeiden muss, was die beiden Sprachen gemeinsam haben, so dass die Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachenunterricht nur die Unterschiede lernen müssen, die die kontrastive Analyse ergeben hat. Die kontrastive Analyse wird auch dafür verwendet um Sprachlernschwierigkeiten und Interferenzfehler, die durch den Kontrast zwischen der Muttersprache und der jeweiligen Migrantengruppe und der Zweitsprache entstehen zu ermitteln. Dabei wird erwartet, dass beim Erlernen des Deutschen die Migrantenkinder Fehler machen, die sich als Interferenzen aus der jeweiligen Muttersprache erklären lassen. Diese Annahme ist in ihrer Pauschalität jedoch problematisch. Es kann inzwischen als erwiesen gelten, dass eine Reihe von Fehlern keine interferenzbedingte Ursache hat. Denn neben der Interferenz existieren auch andere Ursachen für die Entstehung von Fehlern wie z.B. Alter des Lernenden, Sprachfähigkeit des Sprechers, Grad der Beherrschung beider Sprachen, mangelnde Aufmerksamkeit des Sprechers, Lehr- und Lernmethoden, psychisch bedingte Unkonzentriertheit und auch Müdigkeit. Die Interferenz stellt also nur eine von zahlreichen Fehlerquellen dar. Interferenzen können auf verschiedenen sprachlichen Ebenen vorkommen. Dabei wird zwischen phonologischer, orthographischer, grammatischer und lexikalischer Ebene differenziert.
Ein kurzer Vergleich mit Beispielen der türkischen Sprache versucht diese Interferenzebenen zu erläutern.
Auf der phonologischen Ebene werden Interferenzen oft als ausländische Akzente aufgefasst. Hierbei prägt die Schreibweise das Bewusstsein über die Lautung. Jedoch weicht die Lautung von der Rechtschreibung ab. Die Eigenschaft der Buchstaben ist es den Laut zu fixieren und sichtbar zu machen, damit der Laut über das Medium der Buchstaben zum Gegenstand der Betrachtung werden kann. Hierbei ist der sichtbar gemachte Buchstabe ein bewusst handhabbarer Laut. Die meisten Schüler versagen dort, wo scheinbar Rechtschreibfehler in Wahrheit grammatisch bedingt sind, wie beispielsweise bei den Endungen von Artikeln und Adjektiven. Die türkische Rechtschreibung verfährt nach dem Prinzip: Jeder Laut der Standartsprache wird unter allen Umständen durch ein und denselben Buchstaben wiedergegeben. Es besteht als ein 1:1 Verhältnis zwischen Laut und Buchstabe der Hochsprache im Türkischen. Das Türkische kennt keine Buchstabenkombination. Deshalb haben türkische Schüler lautlich gesehen scheinbar relativ wenig Schwierigkeiten. Jedoch fällt bei den türkischen Kindern im Bereich Rechtschreibung im Deutschen auf, dass ganz massive Lautprobleme dahinter stecken, die beim oberflächlichen Zuhören nicht auffallen, wie z.B. Zeit= sat. In der Regel handelt es sich hierbei um die Übertragung phonologischer Elemente aus der Erstsprache, die in der Zweitsprache nicht vorhanden sind. Der sogenannte Sprossvokal stellt ebenfalls eine weitere phonetische Abweichung dar, der sich teilweise auch als Orthographiefehler widerspiegelt. Dieses stellt das Integrieren eines Vokals zwischen die im Deutschen häufiger vorkommende Doppelkonsonanz. Die türkische Sprache hat insgesamt acht Vokale, genauso wie das Deutsche. Doch das Deutsche hat fünfzehn unterschiedliche Vokallaute und deshalb können türkische Kinder hierbei Fehler machen, da für sie die Hälfte der Vokale fehlen würden. Deshalb können sie nicht alle Vokalunterscheidungen des Deutschen richtig wahrnehmen und reproduzieren. Ein türkisches Migrantenkind, das aus der Phonetik des gesprochenen Türkisch keine Konsonantenhäufung gelernt hat, kann bei dem Begriff Köln dazu verleitet werden zwischen den Graphemen L und N einen Vokal einzufügen und den Begriff Kölün auszusprechen und auch zu schreiben, wobei die Sprossvokale der türkischen Vokalharmonie entsprechen müssen.
Interferenz auf der orthographischen Ebene bezeichnet die Übertragung von Rechtschreibregeln der einen Sprache auf die andere. Bei einem Satz wie Da kommt mein Bruder schreibt das Kind den Begriff Bruder so, wie es ihn auch ausgesprochen hätte, also mit der Verwendung eines Sprossvokals. Es ist auffällig, dass das Einfügen von Vokalen zwischen den Konsonantenanhäufungen am Wort- bzw. am Silbenanfang keine ausschließlich phonetische Erscheinung ist, sondern sich in der Orthographie widerspiegelt. Im Vergleich mit dem Deutschen gibt es im Türkischen keinen systematischen Unterschied in der Vokaldauer. Aus diesem Grund unterscheiden türkische Schüler die deutsche Kurz- und Langvokale nicht unter dem Aspekt ihrer Dauer, sondern ausschließlich ihrer Weite vom Öffnungsgrad. Dies bedeutet, dass z.B. der Unterschied zwischen den beiden i’s in biete und bitte zwar gehört, aber nicht als Unterschied in der Länge des ungefähr gleichen Lautes wahrgenommen wird, sondern zwischen zwei verschiedenartigen Lauten. Oft verwechseln türkische Schüler Hülle mit Höhle, jedoch auch Höhle mit Hölle, Kehle mit Kelle oder Ofen und offen. Im Türkischen ist es eine Frage des Öffnungsgrades und im Deutschen eine Frage der Vokallänge. Obwohl es im Türkischen Diphthonge gibt, kann es trotzdem sein, dass sich der Konsonant y wie ein Diphthong anhört, wie z.B. in Weise und Waise= Wayse oder Meyer= Mayer.
Groß-und Kleinschreibungen führen auch zu Orthographiefehlern und auch gleiche Lautwerte unterschiedlicher Buchstaben, wie z.B. Vetter statt Wetter. In der türkischen Sprache werden alle Wörter, außer Eigennamen und Satzanfänge klein geschrieben (wie im Englischen). Deshalb übertragen türkische Schüler oft diese Rechtschreibung auf das Deutsch und schreiben Substantive klein. Es kommt auch oft vor, dass der Dehnungsvokal h ausgelassen wird, so dass die Schüler die Wörter zwar richtig aussprechen können, aber falsch schreiben z.B. nahmen= namen oder frühstücken= früstücken.
Weitere Fehler sind auch diese, die unterschiedliche Grapheme in beiden Sprachen haben, wie beispielsweise Ich gucke am liebsten Türkise Programme. Hier wird das deutsche sch mit dem türkischen s verwechselt, welches den gleichen Lautwert hat. Der Umlautäexistiert im Türkischen nicht und deshalb wird dieser durch das ähnlich lautende e ersetzt wie in ungefer statt ungefähr.
AYTEMIZ (1990) und NEUMANN (1981) zufolge kommen diese Fehler dadurch zustande, weil diese Art der graphematischen Ersetzungen auf der Unterschiedlichkeit des Alphabets der beiden Sprachen beruht.
Interferenzen auf der grammatikalischen Ebene sind vielfältiger und können Aspekte des Syntax, den Gebrauch von Pronomen, von Präpositionen, der Zeit und des Modus betreffen. Ein Beispiel: Zwei Mann. In diesem Beispiel schreibt der Schüler nach dem Zahlwort das Nomen im Singular, obwohl im deutschen Regelsystem Zahlwort und Nomen kongruent sein müssen, d.h. in diesem Fall im Plural als zwei Männer. Im türkischen Regelsystem ist diese Regelung richtig, denn dort folgt das Nomen im Singular auf ein Zahlwort. Der Schüler folgt bei der deutschen Sprachproduktion wahrscheinlich der Regel des Türkischen.
Da es im Türkischen keine grammatischen Differenzierungen existieren, werden auch hier häufig Fehler beobachtet. Im Deutschen muss der bestimmte Artikel vor einem Substantiv stehen, das in Kontext vorher erwähnt wurde und unter kommunikativem Aspekt nun nicht mehr das Neue, sondern das schon Identifizierte und Bekannte in der Mitteilung darstellt, wie beispielsweise Dort steht ein Haus oder Das Haus gehört meiner Mutter. Aus diesem Grund ist eine erhöhte Fehlerquote in diesem Bereich der türkischen Schüler nachweisbar. Sätze wie Der Kathrin sagt... oder die Feuerwehrmann macht die Alarm aus sind häufig zu finden. Beim letzten Beispiel hat der Schüler zwar einen Artikel vor dem Substantiv eingesetzt, jedoch hat er diesen nicht richtig dekliniert. Anstatt den Alarm verwendet er die Alarm. Im Türkischen werden alle Substantive mit Hilfe von Kasussuffixen gebildet und an die entsprechenden Substantive angehängt z.B. Ali adresi verdi= Ali gab die Adresse.
Zu den Schwierigkeiten zählt auch der unbestimmte Artikel. Beispiele hierzu sind: Hier brennt einen Haus; Hilfe ein Wohnung brennt; es dauert ein halbe Stunde. Im Deutschen muss der unbestimmte Artikel ebenfalls mit dem zugehörigen Substantiv hinsichtlich Genus, Kasus und Numerus übereinstimmen, was als grammatische Kongruenz bezeichnet wird. Im Türkischen wird durch das Zahlwort bir, was übersetzt eins bedeutet, der unbestimmte Artikel ausgedrückt. Bir ev yaniyor bedeutet also eine Wohnung brennt. Der flektierte Bestandteil des Verbs steht im deutschen Hauptsatz an zweiter Stelle, im türkischen Satz jedoch am Schluss. Nicht flektierte Bestandteile (Präverben, Infinitive, Partizipien) stehen im deutschen Hauptsatz auch am Satzschluss und im Nebensatz tritt der flektierte Stamm unmittelbar dahinter oder davor, z.B. Er kauft bei Aldi ein/ Er hat bei Aldi eingekauft/ ...weil er bei Aldi einkauft/ ...bei Aldi einkaufen. Tendenziell steht das Verb im Deutschen auch am Satzende. Diese Theorie wird durch das Voranziehen des jeweils flektierten Stammes im Hauptsatz durchbrochen. Wenn Deutsche versuchen sich Ausländern gegenüber verständlich zu machen, verwenden sie oft die Infinitivform des Verbs (Du jetzt schnell Schule gehen). Die Interferenzfehler der türkischen Schüler werden durch die Verbendstellungstendenz des Deutschen nur verstärkt. Die Verbendstellung bleibt auch dann aufrechterhalten, wenn die richtigen Personalformen gebildet werden (z.B. Meine Mutter Fabrik geht/ Du Straßenbahn gehst). Allerdings schwanken die meisten Schüler zwischen Endstellung des Infinitivs und Zweitstellung des richtig flektierten Verbs. Der Infinitiv kann auch flexibel eingesetzt werden, z.B. Ein Mann sitzen auf dem Tisch. Das Verb kann auch hinter dem Hilfsverb treten, wie etwa Ich bin arbeite schnell. Hierbei handelt es sich um falsche Verallgemeinerung der deutschen Perfektform und wird aufs Präsens übertragen. Solche Umschreibungen von Tempora und mit Hilfsverben gibt es im Türkischen nicht. Bei der Konjugation der schwachen und straken Verben tauchen Probleme wie Ali siehte Kinder draußen spielen auf. Im Türkischen werden die Verben durch die entsprechenden Personal- und Tempussuffixe konjugiert. An dem Verbstamm werden die Tempussuffixe angehängt, auf die die Personalsuffixe folgen, z.B. Ben oku-yo-rum= Ich lese. Die einzige Veränderung dieser Suffixe beruht auf die Anpassung der Vokale an dem Wortstamm, gemäß der sogenannten Vokalharmonie. Die Personalpronomen werden im Türkischen nur dann ausdrücklich genannt, wenn sie betont oder hervorgehoben werden sollen. Ansonsten können sie entfallen, da durch die Personalendung am Verb die jeweilige Person bezeichnet wird.
Im Bereich der Präposition sind ebenfalls große Schwierigkeiten zu beobachten, da es im Türkischen keine Prä- sondern Postpositionen gibt. Man unterscheidet nur zwei Arten von Postpositionen. Diese sind zum Einen die echten, die unveränderlich sind und zum Anderen die unechten, die im Dativ, Lokativ oder Ablativ stehen und im dem Wort, das sie regieren, durch eine Genitivkonstruktion verbunden sind, z.B. An einem schönen und sonnigen Tag schauten Ali und Fatma vom Fenster. Anhand des Beispiels ist deutlich zu sehen, dass der Schüler die Wiedergabemöglichkeit durch die Ablativendungen –den/-dan/-ten/-tan im Türkischen für die Präposition von und aus entweder Herkunft oder Entfernung von einer bestimmten Stelle aus nutzt. Bei der Angabe der Richtung wird im Türkischen das Dativsuffix –e/-a direkt an das Substantiv oder an die Postposition angehängt.
Adjektive werden auch oft falsch dekliniert. Es handelt sich hierbei um einen negativen Transfer der L1 auf L2, da es im Türkischen sowohl in attributiver als auch in prädikative Stellung das Adjektiv unverändert bleibt, z.B. attributiv: Bu güzel ev benim= Dieses schöne Haus gehört mir, prädikativ: Bu ev güzel="<"/i> Dieses Haus ist schön. Ein wesentlicher Fehlertyp ist die Auslassung von Personalpronomen in Sätzen, da es im Türkischen nicht obligatorisch ist, die Personalpronomen zu nennen. Anhand der Endungen der Verbflexion kommen die Personalpronomen zum Ausdruck z.B. oynuyorum=" Ich spiele. Die Personalpronomen werden im Türkischen nur dann erwähnt, wenn sie zu einer besonderen Hervorhebung oder zur Behebung von Mehrdeutigkeiten dienen sollen (Ben oynuyorum= Ich spiele). Sehr wahrscheinlich übertragen die türkischen Schüler diese Form der L2 auf die L2 und machen somit Fehler.
Die Deklination der Personalpronomen bereitet ihnen zusätzliche Probleme. Deshalb kommt ein Satz wie beispielsweise Ella wusste die Nummer nicht, sein Bruder diktierte ihn zustande.
Auch im Bereich der Possessivpronomen kommen Fehler vor. Possessivpronomen richten sich im Deutschen nach Kasus, Genus und Numerus des Bezugwortes. Da es aber im Türkischen kein grammatisches Geschlecht gibt, kommen auch hier etliche Fehler zustande, wie beispielsweise Sabrina und sein Bruder. Auch ist es so, dass im Türkischen das rückbezügliche Reflexivpronomen sich nicht existiert. Das Türkische kennzeichnet die Rückbezüglichkeit mit einen Suffix, welches direkt an den unveränderten Verbstamm angehängt wird, z.B. yikamak= waschen, yikanmak= sich waschen.
Laut JONEKEIT& KIELHÖFER (2002) sind lexikalische Interferenzen auf Grund partieller Äquivalenz zwischen einem Wort in der einen Sprache und einem Wort in der anderen Sprache zu verstehen. Beim lexikalischen Transfer handelt es sich um den Transfer einer Wortbedeutung, wie Mach das Telefon zu. Im Türkischen wird dieser Satz mit dem Verb kapatmak= zu machen ausgedrückt, da es telefonu kapatmak= das Telefon zu machen heißt. Im Deutschen kann das Verb machen im Zusammenhang mit der Sprachbezeichnung Telefon nicht ausgedrückt werden.
Im Bereich der Idiomatik kann die Übertragung vom Deutschen ins Türkische und umgekehrt nicht immer fehlerfrei erfolgen. Homogene Idioms, wie sich etwas in den Kopf setzen= birseyi kafasina koymak oder jemandem auf die Nerven gehen= birinin sinirine gitmek und bildanaloge Idioms wie einen Bärenhunger haben= kurt gibi ac olmak oder wie ein Murmeltier schlafen= ölü gibi uyumak können eventuell falsch übertragen werden. Denn, wenn die bildanalogen Idioms im Deutschen nicht bekannt sind, können die türkischen Idioms falsch übertragen werden, wie ein Auge drauf werfen anstelle von einen Blick drauf werfen.
Es ist auffallend, dass bei Gesprächen und Unterhaltungen der Zweisprachigen oft zwischen den beiden Sprachen hin- und hergeschaltet wird. Häufig werden die sogenannten Sprachcodes gewechselt, so dass dieses linguistische Verhalten auf ein bestimmtes Umschalten der Sprache schließen lässt, was eine Abgrenzung zum Sprachwechsel darstellt (vgl. 6.2).
Es liegt auf der Hand, dass nicht alle türkischen Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, die oben genannten Interferenzen in gleicher Häufigkeit aufweisen müssen. Während einige Interferenzen sehr häufig auftreten, tauchen andere eher selten auf. Ferner muss man auch berücksichtigen, dass Interferenzfehler nicht auftreten müssen und dass nicht alle Fehler mit Unterschieden zwischen den Sprachen erklärt werden können (vgl. Dirim 2005, 54).
Bei der Auseinandersetzung mit Interferenzen zeigt sich auch, dass „geringe Kenntnisse in einer Sprache ausreichen, um Schülern dieser sprachlichen Herkunft beim Erwerb des Deutschen zu helfen. Kleine Sprachvergleiche könnten die Schüler auf Unterschiede zwischen den Sprachen aufmerksam machen und die Fehlerwahrscheinlichkeit in bestimmten Bereichen reduzieren“ (Dirim 2005, 57).
7. Wichtige Faktoren zum Zweitspracherwerb von Migrantenkindern
7.1 Die Bedeutung der Erstsprache für die Zweitsprache
Beim Erwerb einer zweiten Sprache nutzt das Gehirn die Muster der bereits erlernten Sprache und in der wissenschaftlichen Forschung ist es unbestritten, dass die Sprachkompetenz von mehrsprachigen Sprechern nur dann adäquat erfasst werden kann, wenn sowohl die Kenntnisse in L1 als auch die Ausbildung der L2 betrachtet werden. Die L1 wirkt sich also positiv auf die L2 aus, denn das implizite Wissen über den Sinn des Sprachgebrauchs, über die Konstruktion einer sprachlichen Äußerung und die Nutzung des Sprachapparats dient dazu, den zweitsprachlichen Input einzuordnen, abzuspeichern und zu nutzen (vgl. Rösch 2005, 17f).
Bei den Migrantenkindern muss stets die Muttersprache berücksichtigt und auch gefördert werden, auch wenn sie nicht immer voll ausgebildet erscheint. Es ist wichtig, dass sich die Muttersprache entwickelt, da sie die Basis für die kognitive Entwicklung bildet und die Basis für das Lernen im deutschen Bildungssystem, was sich anhand von folgender Grafik nachvollziehen lässt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Fthenakis, Wassilos E./Sonner, Adelheid et al. (1985): Bilingual-bikulturelle Entwicklung des Kindes, München, S.56
Ein in Deutschland aufwachsendes Migrantenkind lernt in der Regel zunächst in der Familie die Muttersprache, die die D e n k b a s i s für den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache bildet.
Die Sprachkenntnisse sind in der Zweitsprache direkt relevant für die Schulleistungen (vgl. Benholz/Iordanidou 2004, 8). Wie bereits in 5.4 erläutert, entwickelte Cummins zum Zusammenhang zwischen L1 und L2 die Interdependenzhypothese und Schwellenhypothese.
Zusammenfassend kann man dazu sagen, dass die Kenntnisse in der L1 erhalten und immer weiter ausgebaut werden sollten, denn sie bildet eine wertvolle Ressource. „Die kognitive und sprachliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wird nicht durch Zwei- oder Mehrsprachigkeit gefährdet, sondern durch ungünstige Rahmenbedingungen“ (Benholz/Iordanidou 2004, 8).
In der Schule sollte auch daher der Umgang mit Texten in der L1 gefördert werden, damit die kognitive Entwicklung des Kindes positiv beeinflusst wird (vgl. Benholz/Iordanidou 2004, 8). Zum Thema schulische Förderung der Migrantenkinder wird in 8.2 eingegangen werden.
7.2 Die Rolle des Inputs
Es ist leicht verständlich, dass die Sprache, in der die Eltern zu ihrem Kind sprechen, einen direkten Einfluss auf die sprachliche Entwicklung des Kindes hat. Die Sprache der Gesellschaft hat in den ersten Lebensjahren des Kindes nur geringe Auswirkungen, da das Kind mit der Gesellschaft nur punktuell in Kontakt tritt. Die Sprache des Mikrokosmos, in dem sich das Kind bewegt, ist in diesem Zusammenhang um einiges wichtiger. Die direkte Umgebung, d.h. die Eltern, die Geschwister, die Großeltern, die Verwandten, Bekannte oder andere Personen, die direkt mit dem Kind kommunizieren, ist von großer Bedeutung.
7.2.1 Einfluss der außersprachlichen Faktoren
Kinder mit Migrationshintergrund sprechen zum größten Teil in ihren Familien die Sprache des Herkunftslandes, kommen aber durch ältere Geschwister oder Medien wie Fernsehen oder Radio bereits vor Eintritt in den Kindergarten oder Schule in Kontakt mit Deutsch. Diese Mischkonstellation findet aber in den momentan bestehenden Kategorisierungen der Spracherwerbstypen keine Berücksichtigung.
Im Folgenden wird der Einfluss der außersprachlichen Faktoren wie Familie, soziales Umfeld, Medien, Kindergarten und Schule näher betrachtet.
7.2.1.1 Familie und soziales Umfeld
Man geht davon aus, dass monolinguale Kinder ausschließlich in ihrer Familiensprache kommunizieren (die deutsche oder die nicht-deutsche Herkunftssprache bei ausländischen Kindern), Bilinguale mit dominanter Erstsprache sprechen dagegen in zwei Sprachen, bevorzugt jedoch in ihrer Familiensprache. Bilinguale mit dominanter Zweitsprache haben ihre Herkunftssprache gering ausgebildet, wohingegen Bilinguale auf eine gut entwickelte Zweisprachigkeit zurückgreifen können.
Hierbei müssen die sprachliche Lernsituation der Migrantenkinder, kulturelle und individuelle Lernermerkmale berücksichtigen werden, so z.B. das Einreisealter bzw. die Aufenthaltsdauer und das Wohn- bzw. Enkulturationsgebiet. Bei Schülern mit spätem Einreisealter bzw. kurzer Aufenthaltsdauer, die in einem homogenen Wohnviertel mit hohem Ausländeranteil leben (Seiteneinsteiger in Ausländervierteln) lässt sich feststellen, dass sie meist auf die Erstsprache als Basissprache oder dominante Sprache zurückgreifen. Kinder, die in Deutschland geboren sind, und in einem heterogenen Enkulturationsgebiet bzw. einem von Deutschen bewohnten Viertel leben, verwenden dagegen häufiger die deutsche Sprache.
Es wurde oben erwähnt, dass die Kinder innerhalb der Familie in der Regel ihre Muttersprache sprechen. Doch gibt es unterschiedliche bzw. auch gegensätzliche Ergebnisse zur Kommunikationssprache bei den in Deutschland lebenden Familien. FRITSCHE (1985, 165) kommt zum Ergebnis, dass die Muttersprache in der Familie gar nicht mehr gepflegt würde. Im Gegensatz dazu bemerken HEPSÖYLER/LIEBE-HARKORT (1991,23), dass die Muttersprache innerhalb der Familie erhalten geblieben ist:
„Das widerspricht der These, dass zumindest in der zweiten Generation die Muttersprache weitgehend von der Zweitsprache auch im häuslichen Rahmen abgelöst sei.“
Jedoch scheint dies allein nicht auszureichen, um den weiteren Spracherwerb und Spracherhalt sichern zu können. Die erste Generation der Migranten gehört zum größten Teil der niedrigen sozialen Schicht an und deshalb ist die sprachliche und auch kulturelle Förderung ihrer Kinder vielfach eine Überforderung für die Eltern.
Demzufolge muss man den Einfluss der Familie und den Einfluss des sozialen Umfelds bei jedem Kind individuell betrachten.
7.2.1.2 Medien
“Radio, television, the cinema, recordings, newspapers, books, and magazines are powerful media in the maintenance of bilingualism“ (Mackey 1962, 60).
Bilinguale Sprecher, die keine andere Möglichkeit zum Kontakt mit der Muttersprache haben, sind beim Spracherwerb und beim Spracherhalt auf die Hilfe von Medien angewiesen. Massenmedien können einen positiven Einfluss auf den Spracherwerb und Spracherhalt ausüben. Im Vergleich zur ersten Generation der Migranten in Deutschland, weist die zweite und/oder dritte Generation weniger sprachliche Defizite auf und kann aufgrund ihrer Sprachkompetenz häufig gleichermaßen deutsche wie ausländische Angebote nutzen (vgl. Goldberg 1997, 135). Das Angebot jedenfalls ist vielfältig. Über Satellit haben Migranten die Möglichkeit zahlreiche ausländische Fernsehsender und Hörfunkprogramme zu empfangen. Zeitungen und Magazine werden entweder aus dem Ausland importiert oder in Deutschland produziert.
Nach Goldberg (1997, 133) kann die Nutzung ausländischer Medien zwei Auswirkungen haben. Es kann zum einen zu einer „medienmäßigen Ghettoisierung und Isolierung von der dominierenden Gesellschaft führen“. Zum anderen „kann der Konsum muttersprachlicher Medien zur Stärkung der eigener ethnisch- kulturellen Identität beitragen.“ Dadurch könnte der Spracherhalt der Muttersprache gefestigt werden.
7.2.1.3 Bildung: Kindergarten und Schule
Zum ersten Mal hat das Kind regelmäßigen Kontakt zu anderen Kindern im Kindergarten. Dort ist die Umgangssprache fast immer die Umgebungssprache und das Kind beginnt nun Kontakt zu den anderen Kindern auf zu bauen und Freundschaften zu schließen. Da das Kind dort mehr Sprachanregungen als im Umgang mit den Familienmitgliedern zu Hause erhält, ändert sich der sprachliche Umgang völlig. Das Kind ist jetzt ganz auf sich selbst gestellt und muss sich sprachlich ohne Hilfe artikulieren. Die Sprachentwicklung des Kindes geht jetzt schnell voran, weil es sehr viel Sprachanregung in der Umgebungssprache als in der Nichtumgebungssprache erhält. Es kommt sogar oft vor, dass sich die Umgebungssprache zur dominanten Sprache entwickelt. Jedoch muss man beachten, dass die Nichtumgebungssprache immer schwächer wird, wenn sie keine Unterstützung erfährt (vgl. Burkhardt-Montanari 2000, 89). Die Nichtumgebungssprache kann aber vom Kindergartenbesuch profitieren, wenn sie gefördert wird, beispielsweise durch intensives Spielen oder durch Reisen. Es kann auch sein, dass sich die Ausdrucksfähigkeit des Kindes auch in dieser Sprache sprunghaft verbessert und es wendet plötzlich neue Strukturen und Wörter an (vgl. Burkhardt-Montanari 2000,89). Fortschritte in der einen Sprache können auch Fortschritte in der anderen Sprache bewirken. Man nennt diesen Effekt b o o t s t r a p p i n g (vgl. Burkhardt-Montanari 2000, 89). Dies lässt sich dadurch erklären, dass sich im Gehirn nicht zwei Systeme entwickeln (Interessante Indizien dazu sind Interferenzen). Man nimmt an, dass „beim bookstrapping entdeckte Kategorien und Strukturen einer Sprache auf die andere Sprache angewendet werden“ (Burkhardt-Montanari 2000, 89).
Zusammenfassend kann man sagen, dass Kinder bis 6 Jahren in informellen Spielsituationen und/oder durch Imitationslernen relativ schnell einfache mündliche Strukturen erwerben. Da Kinder in dem Alter recht neugierig sind, besteht eine recht hohe Motivation durch das natürliche Kontaktbedürfnis. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Sprache meist ohne Akzent gelernt wird.
Nach dem Kindergartenbesuch kommuniziert das Kind nun mit seinen Klassenkameraden und Lehrern in der Schule. Oft ist es so, dass die Schule der einzige Ort ist, wo sich das Kind in der Nichtumgebungssprache verständigt, da in den meisten Familien ausschließlich die Muttersprache gesprochen wird. Auch in der Schule geht der Erwerb der Zweitsprache relativ schnell voran, da der Schüler ständig mit anderen Schülern und Lehrern kommuniziert. Das strukturelle Wissen erleichtert aufgrund der kognitiven Entwicklung das Lernen durch Übertragung. Doch sind die Anforderung in der Schule komplexer und die Spontanität nimmt ab. Deshalb können Sprechängste auftreten.
Durch beispielsweise Übersetzungen und Regelanwendungen findet ein bewusster Transfer von der einen Sprache in die andere erst im Alter von etwa 12-13 Jahren statt (vgl. Apeltauer 1997, 12f). Das systematische Lernen entwickelt sich hierbei zu einer wichtigen Ergänzung. Tatsache ist, dass Kinder und Jugendliche ein niedriges sprachliches Niveau beibehalten, wenn sie keinen Unterricht erhalten. Aus diesem Grund sollte der Unterricht bereits in der Grundschule einem Fremdsprachenunterricht gleichkommen, jedoch in einem höherem Niveau. Im Laufe der Entwicklung nähert er sich in den schriftsprachlichen und fachsprachlichen Anforderungen immer mehr dem Erstsprachenunterricht bzw. dem Deutschunterricht (vgl. Rösch 2005, 41ff).
Weitere Faktoren, die den Spracherwerb beeinflussen, sind beispielsweise die Sprachlern-Motivation, d.h. der Stellenwert der Sprache in der sozialen Umgebung, die Intelligenz des Lerners, die wichtiger ist beim ESE, sowie gelebte Sprachkontakte, die im Falle des Fehlens den Erwerb länger dauern lässt und der Sprachkontrast, also die Entfernung zum Sprachsystem der Herkunftssprache (vgl. Klein 1992, 10ff).
8. Schulische Situation der Migrantenkinder
Zu Beginn der Arbeitsmigration (vgl. 2.4) war die Population der ausländischen Kinder sehr gering, daher gab es kaum Probleme bei ihrer Beschulung:
„[...] ohne viel Auflebens in ihrem Alter entsprechende Vorschulklassen eingewiesen und dank meist intensiven Zuwendung engagierter Lehrerinnen und Lehrer und der sich rasch ergebenen Kontakte mit den deutschen Mitschülern in der Regel auch ohne große Probleme in Schulleben integriert.“ (Marburger 1991, 23)
Somit konnte die 1964 durch die Konferenz der Kultusminister beschlossene Schulpflicht für ausländische Kinder umgesetzt werden. Im Zuge des Familiennachzuges jedoch stieg die Zahl der zu beschulenden ausländischen Kinder um ein Vielfaches. Da das Erlernen der deutschen Sprache für ausländische Kinder in der Grundschule höchste Priorität besaß, wurde 1971 ein erneuter Beschluss durch die Konferenz der Kultusminister erlassen. Es wurden Vorbereitungsklassen eingerichtet, die zum Ziel hatten die sprachlichen Defizite der Migrantenkinder zu kompensieren, um ihnen eine schnellere Eingliederung in die Regelklasse zu ermöglichen (vgl. Borelli 1992a). Darauf lassen sich auch die Grundlagen für die Ausländerpädagogik finden, die jedoch nicht lange ohne Kritik blieb, da die Ausländerpädagogik sich an den Defiziten der ausländischen Kinder orientierte, sie wurde z.B. als Sonderpädagogik für Ausländer kritisiert. Schnell wurde klar, dass sich die Struktur der Schule ändern musste. Ausländerpädagogische Arbeit sollte sich nicht mehr auf ausländische Kinder konzentrieren, sondern alle Kinder allgemein ansprechen. So entwickelten sich in Deutschland unterschiedliche konzeptionelle Differenzierungen interkultureller Erziehung.
Trotzdem unterscheiden sich die Schulkarrieren von Kindern mit Migrationshintergrund vom Schulerfolg einheimischer Schüler, denn Kinder ausländischer Herkunft erreichen nicht das gleiche Bildungsniveau wie die Einheimischen. Die Gründe für diesen Unterschied sind vielfältig. Einer der größten Hürden sind die mangelhaften Kenntnisse der deutschen Sprache. Die Ursachen für die schlechten Schulleistungen der Migrantenkinder können auch in den Bedingungen der häuslichen und familiären Situation zu finden sein. Ihre Schulkarriere hängt nämlich von den Bedingungen der Familienmigration (Familienkonsolidierung und Einreisealter), sowie von kontextuellen (Nationalität, Einwanderungsperiode, ethnische Konzentration in der Wohnumgebung) und individuellen Bedingungen (Erfahrungen im Herkunftsland, kulturelles Milieu, Bildung der Eltern) ab. Als erklärende Determinanten kommen somit zahlreiche Faktoren in Frage Die Qualität der Deutschkenntnisse ist für einen erfolgreichen Schulbesuch ausschlaggebend und deshalb konzentriert sich die systematische Förderung auf die deutsche Sprache. Die Schülerschaft, deren Erstsprache nicht deutsch ist, ist äußerst heterogen und reicht von Schülern, die überhaupt keine Deutschkenntnisse haben wie es beispielsweise bei neueingereisten Schülern der Fall ist, über Schüler mit Schwierigkeiten in der Zweitsprache Deutsch bis hin zu Schülern mit sehr guten Deutschkenntnissen. Die Ausgangsbedingungen sind demnach also sehr unterschiedlich. Die Probleme in Deutsch als Zweitsprache (DaZ) äußern sich dadurch, dass eine nicht altersentsprechende Ausbildung des Leseverstehens, des Schriftsprachenerwerbs und des mangelnden Umgangs mit unterrichtsüblichen Arbeitstechniken vorhanden ist. Diese Probleme können natürlich auch bei Kindern, deren Erstsprache Deutsch ist auftreten, jedoch haben sie andere Ursachen und fordern dementsprechende Förderungen. Auch durch gezielte Förderungen können nicht alle Probleme gelöst werden, denn bildungsferne Elternhäuser und allgemein schwierige Lernvoraussetzungen sowie psychosoziale Probleme wirken sowohl bei Migrantenkindern, als auch bei Kindern mit deutscher Erstsprache hinderlich. Zudem kommt noch die besondere Lernsituation ZSE hinzu. Das hat zur Folge, dass einfachere Strukturen für DaZ-Kinder ein Problem darstellen (Rösch 2005).
8.1 Die Situationsbeschreibung
Da Deutsch in der Regel die einzige Unterrichtssprache ist, erhalten DaZ-Kinder keine systematische Förderung in ihrer Erstsprache und sie müssen darüber hinaus den schulischen Lernprozess auf Deutsch bewältigen, was sie nicht ihrem Alter entsprechend beherrschen. Die PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) besagt, dass sich sprachliche Defizite in allen Fächern auswirken und die Folge ist, dass die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss recht hoch ist. Ausländische Schüler sind an den Realschulen und an den Gymnasien unterrepräsentiert, doch an den Haupt- und Sonderschulen sind sie überrepräsentiert, was anhand der Tabelle 1 deutlich wird.
Tabelle 1: Anteile ausländischer Schüler/-innen nach ausgewählten Schularten, Schuljahr 2002/2003 (in % aller Schüler/-innen)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2004a
Im Schuljahr 2001/2002 erreichten nur 9,6% der ausländischen Schulabsolventen die allgemeine Hochschulreife, die Quote der deutschen Absolventen betrug im Vergleich 25,1%. 40,8% der ausländischen Absolventen erwarben den Hauptschulabschluss, während es bei den deutschen Absolventen lediglich 24,1% waren (siehe Tabelle 2). Im Schuljahr 2001/2002 verließen 19,5% der ausländischen Schüler die Schule ohne einen Schulabschluss. Bei den deutschen Schülern waren es 8,2%, die ohne Abschluss die Schule verließen (Statistisches Bundesamt 2004b). Die Tabelle 2 macht dies deutlich.
Tabelle 2: Absolvent/-innen des Schuljahres 2001/2002 nach Abschlussarten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2004b
Allerdings muss man bedenken, dass ausländische Schüler zwischen 1989/1990 und 1998/1999 höhere Schulabschlüsse erreichten. Der Anteil der ausländischen Schüler mit Hochschulreife hat sich in diesem Zeitraum um mehr als zwei Prozentpunkte auf 9,8% erhöht. Trotzdem besteht eine stabile Differenz zu de Zahl deutschen Schülern in den verschiedenen Schularten. Wenn man die Anteile der ausländischen Schüler an weiterführenden Schulen betrachtet, findet man einen Anteil von nur 6,8%. An den Gymnasien lag im Schuljahr 2002/2003 ein Anteil von 3,9% vor. Zudem sind die Bildungsverläufe von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund brüchiger (vgl. Herwartz- Emden 2004,ff). Nach KROHNE, MEIER und TILLMANN (2004) tragen diese ein zwei- bis dreifaches Risiko eine Klasse zu wiederholen als Kinder mit deutscher Herkunft. Sowohl in der Grundschule, als auch in der Hauptschule wiederholen Kinder mit Migrationshintergrund zu einem sehr hohen Anteil die Klassenstufe.2
Die deutschen Grundschulen weisen nach der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) die höchste Leistungsdifferenz zwischen den Migrantenkindern und Kindern ohne Migrationshintergrund (vgl. Schwippert/Bos/Lankes 2003).
Zusammenfassend kann man sagen, dass in allen Bundesländern in ähnlicher Weise eine Überrepräsentation an Hauptschulen von Kindern mit Migrationshintergrund herrscht, während sie in den höheren Bildungsgängen unterrepräsentiert sind. Doch die Zahlen schwanken je nach Bundesland drastisch. Wie bereits in 2.2 erwähnt, ist der Anteil der Ausländer in den neuen Bundesländern sehr gering und daraus folgt, dass die Ausländeranteile an den Hauptschulen selten über der Ein-Prozent-Marke liegen. Im Vergleich dazu liegt der Anteil in Berlin, Hamburg, Hessen, Bremen und Nordrhein- Westfalen zwischen 20% und 30%.3
In einigen Ballungsgebieten stammen weit über die Hälfte der Schüler an den Hauptschulen aus Familien mit Migrationshintergrund.
Ein anderer wichtiger Faktor sind die unterschiedlichen Nationalitäten der Schüler. Der Gymnasiastenanteil der italienischen Schüler lag im Schuljahr 2000/2001 bei lediglich 6,1%, während er bei den spanischen Schülern bei 16,6% lag. Der Anteil der türkischen Gymnasiasten lag mit 5,4% ziemlich niedrig. Unterschiede lassen sich auch bei der Quote der Sonderschüler feststellen. Diesen Schultyp besuchen 4,9% der spanischen Schüler, während es bei den türkischen Schülern 6,3% sind. Mit 9,6% liegt der Anteil der Schüler aus dem ehemaligen Jugoslawien hier recht hoch. Der Anteil der italienischen Sonderschüler liegt mit 8% ebenfalls recht hoch. (Statistisches Bundesamt 2001). Über Ursachen dieser Unterschiede lassen sich nach derzeitigen Forschungsstand nur Spekulationen anstellen. Eine Möglichkeit ist im unterschiedlichen Verhalten der Eltern liegen (vgl. Thränhardt 2000, 15-51).
Auch zwischen den einzelnen Bundesländern fallen die Bildungserfolge der ausländischen Schüler unterschiedlich aus. Die Schulerfolge hängen nicht unwesentlich vom sozialräumlichen Umfeld ab, hinzu kommen noch regionale Bedingungen. Im Schuljahr 2000/2001 verließen 225.289 Schüler die Schule mit der Hochschul- und Fachhochschulreife, davon hatten 8.566 Schüler eine ausländische Staatsangehörigkeit. Diese Zahl entspricht einem Anteil von insgesamt 3,8%. Wenn man die Bundesländer einzeln betrachtet, so waren es 6,6% in Hessen, während die Quote in Bayern bei nur 2,5% lag. Für diese Unterschiede im Ländervergleich müssen zum einen die Systembedingungen und zum anderen die Zusammensetzungen der Gruppen der ausländischen Schüler beachtet werden (vgl. Herwartz-Emden 2005, 17). Länderunterschiede erweisen sich dann als erstaunlich robust, wenn man sozio-ökonomische Variablen wie den Bildungsstand der Eltern, das Haushaltseinkommen oder auch die Aufenthaltsdauer in Deutschland statistisch kontrolliert (vgl. Hunger/Thränhardt 2001, 51-64). Zwischen 1985 und 2000 sind die Chancen auf einen qualifizierten Abschluss in Nordrhein- Westfalen von 47,7% auf 73,6% angestiegen und in Bayern von 30,5% auf 52,2% (vgl. Hunger/Thränhardt 2004, 180). „Die Möglichkeiten, höhere formale Bildungsabschlüsse zu erzielen, scheinen zu steigen, wenn in einem Bundesland der Erwerb der Bildungszertifikate nicht eng an eine Schulform gebunden ist und Übergänge zwecks Höherqualifizierung (z.B. Berechtigung zum Oberstufenbesuch bei qualifizierendem Realschulabschluss) erleichtert werden“ (Herwartz- Emden 2005, 18). Somit sind also institutionelle Faktoren am Zustandekommen von Bildungserfolgen von Migrantenkindern nicht unerheblich beteiligt. Schulerfolge kommen durch verschiedene Faktoren zustande und der fehlende Erfolg kann nicht nur auf der Ebene des Unterrichts oder in fehlenden Deutsch-Förderprogrammen der Schulen gesucht werden. Demnach verlangt es nach einem breiteren Erklärungsrahmen. NOVÉ und WEIL (2000) nennen folgende Gründe:
- schlechte soziale Lebensbedingungen; bildungsferne Elternhäuser
- mangelnde individuelle Zuwendung, mangelnde Berücksichtigung der Interkulturalität, unerlassene Persönlichkeitsstärkung
- mangelnde Stärkung der mentalen Grundlagen des Lernens: Sicherheit, Zugehörigkeit/ Identität, Respekt
- geschlechtsrollenspezifische Erziehung: dominante Männlichkeitsrolle und daraus resultierend: mangelnde Selbstständigkeit, gering ausgeprägte Leistungsbereitschaft, geringe Frustrationstoleranz (Nove/Weil 2000 in Deutsch als Zweitsprache)
Hier muss man bedenken, dass solche Eigenschaften häufig den Migrantenkindern nur zugeschrieben werden, um die Schwierigkeiten mit diesen Kindern zu belegen.
Aus dem internationalen Vergleich der PISA-Studie geht hervor, dass der Anteil der Schüler in Deutschland mit extrem gering ausgebildeten Kompetenzen recht hoch ist. Diese Defizite liegen besonders in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Hauptsächlich besteht diese Gruppe aus männlichen Jugendlichen aus Familien mit niedriger Sozialschicht, geringem Bildungsniveau und Migrationshintergrund. Aus dem Vergleich mit anderen deutschsprachigen Ländern wie Österreich oder der Schweiz geht hervor, dass DaZ-Schüler in Deutschland eine geringere Chance haben.
Ferner haben Zuwanderer in Schweden und Norwegen einen anderen Status als in Deutschland. Dort werden den betroffenen Schülern effektive Sprachförderungsprogramme angeboten (vgl. Baumert u.a. 2001, 397
8.2 Möglichkeiten zur Förderung
In diesem Abschnitt werden einige Möglichkeiten zur sprachlichen Förderung nur kurz erwähnt, da dieses Thema sehr komplex ist und den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
In Deutschland werden ebenfalls Maßnahmen zur Förderung gefordert. Die betroffenen Kinder sollen bereits im Kindergarten in der Zweitsprache gefördert werden, insbesondere während des Übergangs zur Schule. Zusätzlich soll es Angebote zur zweisprachigen Erziehung geben und es sollen auch Deutschkurse für die Eltern angeboten werden.
9. Schluss
Die vorliegende Arbeit befasste sich mit diversen Aspekten des Zweitspracherwerb von Kindern mit Migrationshintergrund. Von besonderer Relevanz waren dabei die Phänomene Erst-und Zweitspracherwerb, die theoretischen Ansätze, die sprachlichen Besonderheiten und vor allem die Faktoren, die man beim Zweitspracherwerb beachten sollte und zuletzt die schulische Situation der Kinder.
Zu Beginn wurden Informationen zur Migration gegeben und somit wurde eine Basis geschaffen für das eigentliche Thema geschaffen.
Anschließend habe ich versucht die Spracherwerbstheorien so präzise wie möglich, darzustellen und anschließend bin ich intensiv auf den Erst- und Zweitsprache eingegangen.
Dabei bin ich auch näher auf die Faktoren eingegangen, die den Zweitspracherwerb beeinflussen.
Wie man sehen konnte, spielt beim Zweitspracherwerb die Erstsprache eine große Rolle, denn die Zweitsprache baut auf den Strukturen, der bereits erworbenen Sprache auf. Die Behauptung, dass die Muttersprache keine Rolle spielt, ist demzufolge nicht richtig.
Zudem wurde die schulische Situation der Migrantenkinder dargestellt und mögliche Förderungen kurz erwähnt.
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1 In dieser Arbeit wird jeweils die neutrale Bezeichnung Migranten, Schüler, Kinder, usw. verwendet. Natürlich sind hier beide Geschlechter gemeint.
2 Dies gilt für beide Geschlechter. Zwar wiederholen Jungen- ähnlich wie in der Gruppe der Kinder ohne Migrationshintergrund- häufiger, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind jedoch bei den Migranten nicht annähernd so ausgeprägt. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Schulversagen sind bei Kindern mit Migrationshintergrund damit deutlich geringer als bei Kindern ohne Migrationshintergrund.
3 Hierbei handelt es sich um Durchschnittswerte. Im Schuljahr 2002/2003 lag der Ausländeranteil an Hauptschulen bei 18,2% (Statistisches Bundesamt 2004).
- Arbeit zitieren
- Mutlu Sagir (Autor:in), 2006, Der Zweitspracherwerb von Kindern mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/110192