Inhaltsangabe
1. Vorwort
2. Einführung
3. Was ist Selbstverletzung?
3.1. Begriffserklärung
4. Formen der Selbstverletzung
4.1. Selbstschädigung als Krankheit
4.1.1. Artifizielle Erkrankung
4.1.2. Münchhausen-Syndrom
4.1.3. Erweitertes Münchhausen-Syndrom
4.1.4. Borderline-Syndrom
4.2. Offene Selbstverletzung- Selbstverletzendens Verhalten
4.2.1. Alltägliche Formen der Selbstverletzung
4.3. Krankheiten mit selbstschädigendem Charakter
4.3.1. Essstörungen
4.3.1.1. Anorexia nervosa (Magersucht)
4.3.1.2. Bulimie (Ess-Brechsucht)
4.3.1.3. Adipositas (Ess-Fettsucht)
4.3.2. Sucht
4.3.3. Trichotillomanie (Zwanghaftes Haarausreißen)
4.3.4. Zwanghafte Beschädigung von Nägeln und Haut
5. Frauen mit selbstverletzendem Verhalten
5.1. Häufigkeit und Verbreitung
5.2. Arten der Selbstverletzung
5.2.1. Oberflächliche oder gemäßigte Selbstverletzung
5.2.1.1. Zwanghafte Selbstverletzung
5.2.1.2. Episodische und wiederholende Selbstverletzung
5.2.1.3. Stereotype Selbstverletzung
5.2.2. Schwerwiegende Verstümmelung
5.3. Diagnose der Selbstverletzung
5.4. Möglichkeiten sich selbst zu verletzen
5.5. Körperstellen, an denen sich Betroffene häufig selbst verletzen
5.6. Hintergründe und Entstehungszusammenhänge
5.6.1. Erfahrungshintergründe
5.6.1.1. Seelische Misshandlung
5.6.1.2. Körperliche Misshandlung
5.6.1.3. Sexueller Missbrauch
5.6.1.4. Krankheit
5.6.1.5. Beziehungsabbrüche
5.6.2. Die Posttraumatische Belastungsstörung als Folge traumatischer Ereignisse
5.7. Funktion und Dynamik der Selbstverletzung
5.7.1. Die Bewältigung von Gefühlen
5.7.2. Wichtige Aspekte von Dynamik und Funktion
5.7.2.1. Selbstverletzung und Suizid
5.7.2.2. Biologische Aspekte- Selbstverletzung als Sucht?
5.7.2.3. Selbstverletzung als nachahmendes Verhalten
5.7.2.4. Kommunikative Aspekte der Selbstverletzung
5.3.3. Selbstverletzung und Beziehung
5.3.3.1. Die Familie
5.3.3.2. Die Öffentlichkeit
5.3.3.3. Der professionelle Bereich
6. Selbstverletzung und Weiblichkeit
6.1. Weibliche Sozialisation
6.1.1. Emotionale Sozialisation der Frau
6.2. Der weibliche Körper
6.2.1. Die Bedeutung des Körpers beim selbstverletzenden Verhalten
6.2.2. Die Bedeutung des Körpers bei Essstörungen- Parallelen zur Selbstverletzung
7. Lebensbewältigung zur Selbstverletzung
7.1. Bewältigungsmodelle
7.1.1. Stress-Coping-Modell
7.1.2. Krankheits-Verhaltens-Modell
7.1.3. Das psychosomatische Krankheitsmodell
7.1.4. Sozialepidemiologisches Modell/ Sozialökonomisches Krankheitsmodell
8. Coming Out
9. Gedicht
10. Internetadressen für Betroffene und Interessierte
11. Schlussbetrachtung
12. Literaturverzeichnis
1.Vorwort
Ich habe das Thema „Selbstverletzung als Bewältigungshandeln junger Frauen“ gewählt, weil ich in meinem Bekanntenkreis eine Person habe, bei der ich bemerkt habe, dass sie sich die Arme aufschneidet. Als ich sie einmal auf die Verletzungen hin gefragt habe, kam sie mit der Ausrede „Das waren mein Kaninchen und meine Katze“, was ich ihr aber bis heute nicht abnehme. Da ich ihr gerne helfen würde von ihrem selbstverletzendem Verhalten abzukommen, interessiere ich mich sehr für das Thema, weil ich es nicht länger mit angucken kann, wie sie ihren Körper immer weiter zerstört. Außerdem würde ich gerne verstehen, was der Grund für ihr Verhalten ist.
Ich denke nicht, dass ich sie vollkommen von der Selbstverletzung abringen kann, aber ich hoffe, dass ich sie nach dem Referat verstehe und somit auch besser auf sie zugehen kann. Vielleicht gelingt es mir in ferner Zukunft ihr wirklich zu helfen.
Ich werde versuchen, mir möglichst viel Informationsmaterial zu beschaffen. Ich werde in Büchern nach Gründen, Hintergründen und Formen der Selbstverletzung suchen. Genauso werde ich im Internet nach Seiten suchen, wo Hilfe angeboten wird bzw. wie man helfen kann.
Bei dem Thema habe ich mich auf junge Frauen mit selbstverletzendem Verhalten beschränkt, da es zur Zeit noch zu wenig Literatur über Selbstverletzung bei Männern gibt. Das liegt daran, dass Männer ihre Aggressionen meistens nach außen ablassen und es somit bedeutend weniger betroffene Männer gibt.
2. Einführung
Die 200 000 Menschen, die sich selbst verletzen, indem sie sich z.B. mit Rasierklingen schneiden oder mit Zigaretten verbrennen, sind meist Frauen im Alter zwischen 16 und 30 Jahren, wobei die Dunkelziffer wesentlich höher liegt.
Seit Beginn der 90er Jahre hat man eine Zunahme der Selbstverletzung und ihrer Bedeutung festgestellt. Doch trotz steigernden Medienberichten, Zeitungsartikel und Literatur über dies schwer nachvollziehbare Phänomen, stößt man immer wieder auf Unverständnis und eine pathologische Sichtweise in der Gesellschaft. Mit dieser Einleitung zum Thema, will ich die Problematik des selbstverletzenden Verhaltens von jungen Frauen verdeutlichen. Ebenso will ich mit diesem Referat versuchen, Verständnis für die Betroffenen zu schaffen. Durch dieses Referat soll Erklärungswissen und Handlungswissen für das selbstverletzende Verhalten junger Frauen entstehen.
3. Was ist Selbstverletzendes Verhalten?
Selbstverletzendes Verhalten ist eine Verhaltensweise, die sich gegen den eigenen Körper richtet und ihn physisch und psychisch extrem reizen oder schädigen. Eine Handlung die meist absichtlich, aber nicht unbedingt bewusst geschieht. Diese Person befindet sich in einer Art Trance und steht unter dem Zwang sich selbst zu schlagen, schneiden (ritzen) oder sich einfach auch nur zu beschimpfen.
Wenn Menschen sich selbst verletzen, dann tun sie dies aus dem Empfinden, die Verbindung und den Zugang zum eigenen Körper verloren zu haben und ihn nicht mehr zu spüren. In ihrer Not kratzen oder schneiden sich blutig, verbrennen oder verätzen ihre Haut.
Die Selbstschädigung stellt einen bevorzugten Bewältigungsmechanismus dar, der den Körper schnell beruhigt und Anspannungen löst.
Nach der Verletzung fühlt sich der Betroffene schlecht und schuldig, das wieder zu Aggressionen gegen den eigenen Körper führen kann.
Die Person befindet sich in einem Teufelskreis, der nur schwer wieder zu verlassen ist.
Viele der betroffenen Personen wissen gar nicht warum sie sich selbst verletzen.
3.1. Begriffserklärung
In der Literatur gehen die Meinungen, welcher Begriff selbstverletzendes Verhalten am besten beschreibt, weit auseinander.
Begriffe, wie Automutilation, Autoaggression, Selbstschädigung, Selbstverletzung und selbstverletzendes Verhalten, beschreiben ein und dieselbe Erscheinung, was zu Verwirrungen führen kann. Es gibt also keine einheitliche Definition.
Die Auffassungen der Experten, wie Selbstverletzung zu definieren ist, sind sehr unterschiedlich. Während von Törne in einer Autoaggression eine Störung der Kommunikationsfähigkeit sieht, wobei Kommunikation dem Individuum dazu dient, sich mit seiner Umwelt auseinander zusetzen und sich entsprechend von ihr abzugrenzen, fasst Nissen die Autoaggressionen als ungeleitete aggressive Akte auf. Es sind Aggressionen, welche gegen eine andere Person gerichtet sind, jedoch nicht zugelassen oder nicht gewagt werden.
Schmeißer beschreibt selbstverletzendes Verhalten als eine Form von Autoaggression. Autoaggression ist ein aggressiver Akt gegen die eigene Person bzw. den eigenen Körper. Man unterscheidet hier zwischen leichter (z.B. Schlagen mit der flachen Hand), mittlerer (z.B. beißen, Kratzen- mit sichtbaren Verletzungen) und schwerer (z.B. Abbeißen von Fingerkuppen - lebensbedrohliche Verletzungen) Autoaggression.
4. Formen der Selbstverletzung
Die Verletzungen der Haut durch das Schneiden mit jeglicher Art spitzer Gegenstände sind die häufigste Form der Selbstverletzung junger Frauen. Aber auch Verbrennungen mit Zigaretten, sowie z.B. Verätzungen der Haut mit Chemikalien kommen häufig vor. Dies sind eher leichte Formen von Selbstverletzung, die Betroffenen müssen nicht unbedingt chirurgisch versorgt werden. Umgangssprachlich ist diese Art der Selbstverletzung unter dem Namen Ritzen oder Schnibbeln bekannt.
Weitere Formen sind die Manipulation von Wunden und Schlagen oder Quetschen der Haut und das Beibringen großflächiger Kratzspuren. Diese Form der Selbstverletzung, aber auch willentlich verursachte Knochenbrüche oder das Schlucken unverdaulicher Substanzen, sind die schwere Form der Selbstverletzung, hier kommt es auch zu tieferen, schwerwiegenderen Hautverletzungen, zum Teil Muskel-, Nerven- und Gefäßverletzungen, die oft bleibende Schäden und Narben hinterlassen und chirurgisch versorgt werden müssen.
4.1. Selbstschädigung als Krankheit
Die Selbstschädigung als Krankheit hat verschiedene Formen:
4.1.1. Artifizielle Erkrankung
Das Hauptsyndrom der artifiziellen Erkrankung ist, dass der Betroffene sich heimlich schädigt, indem er körperlich und/oder seelische Krankheitssymptome künstlich erzeugt oder vortäuscht, um die Patientenrolle einzunehmen. So werden beispielsweise Blutungen erzeug oder Schmerzen nachgeahmt, was zu wiederholten Klinikaufnahmen und medizinischen Maßnahmen, wie Untersuchungen und OPs, führt. Die Betroffenen verleugnen diese Selbstschädigung und glauben schließlich selbst eine komplizierte Krankheit zu haben. Dabei werden schwerwiegende Schädigungen des Körpers und sogar der Tod in Kauf genommen. Oft wird die richtige Problematik der Betroffenen erst Jahre später wahrgenommen.
Hervorstechend ist, dass bis zu 80% der Frauen von dieser Problematik betroffen sind und 1/3 von ihnen in medizinischen Berufen arbeiten.
Diagnosehäufigkeit in dermatologischen Kliniken: 1-2%
Diagnosehäufigkeit bei Fieberpatienten in internistischen Kliniken: 9%
Beachtet werden muss, dass die Diagnosehäufigkeit nichts über die Krankheitshäufigkeit aussagt.
4.1.2. Münchhausen-Syndrom
Die Krankheit ist nach dem Lügenbaron Münchhausen benannt. Betroffene erzählen hochstaplerische Geschichten mit falschen Namen und Biographien. Sie suchen immer wieder neue Behandlungseinrichtungen auf, brechen Behandlungen dann aber wieder ab und „wandern“ von Klinik zu Klinik. Die dabei entstehenden Krankenberichte und Listen bekannter Ärzte verbinden sie mit Stolz. Vom Münchhausen-Syndrom sind doppelt so viele Männer wie Frauen betroffen.
4.1.3. Erweitertes Münchhausen-Syndrom
Seltener als das Münchhausen-Syndrom und die artifizielle Erkrankung ist das erweiterte Münchhausen-Syndrom, wo besonders Mütter an ihren Kindern Krankheitssymptome vortäuschen oder vorhandene Krankheitssymptome verstärken(Sonderform der Kindesmisshandlung), indem sie ihrem Kind z.B. Abführ- oder Brechmittel geben. Über die Mitaufnahme der Mütter bei Klinikaufenthalten der Kinder hinaus, bekommen die Mütter Zuwendung und Hilfe.
Das Syndrom tritt aber auch gegenüber erwachsenden Personen auf, hier erzeugt die Person bei einer ihr nahestehenden erwachsenden Person Krankheitssymptome z.B. durch Beigabe von Medikamenten zum Essen.
Kennzeichnend für diese Form heimlicher Selbstschädigung ist, dass sich die Betroffenen ihres Verhaltens, das für viele sicher schwer nachvollziehbar ist, nicht bewusst sind. Das ist ein Grund dafür, dass die Betroffenen sehr schwer zugänglich sind, wenn es um Ursachen ihrer „körperlichen“ Beschwerden geht.
4.1.4. Das Borderline-Syndrom
Das Borderline-Syndrom hat viele Überschneidungen und Parallelen zum Symptom der Selbstverletzung: Der Personenkreis (ca.75% meist junge Frauen), der Zusammenhang mit anderen Symptomen wie Essstörungen, der Annahme einer Zunahme dieser Problematik, sowie die Feststellung, dass die Grenzen zwischen „Normalität und Krankheit“ fließend sein kann.
Allerdings kann man die Selbstverletzung nicht mit dem Borderline-Syndrom gleichsetzen.
4.2. Offene Selbstverletzung- Selbstverletzendes Verhalten
Unter offener Selbstverletzung versteht man, dass die Betroffenen zu der Tatsache stehen, die Verletzung, meist in Form von Schnittwunden oder Verbrennungen, sich selbst zugeführt haben. Hier wird nicht in Gruppennormen gehandelt, wie bei alltäglicher Selbstschädigung und es wird nicht daran gedacht wie die Haut später aussieht, denn der körperliche Schmerz wird gesucht, um den psychischen zu übertönen.
4.2.1. Alltägliche Formen der Selbstverletzung
Unter alltäglichen Formen der Selbstschädigung versteht man die indirekte Form, seinem Körper, meist unbewusst, Schaden zuzufügen. Es ist eine „harmlosere“ Form der Selbstverletzung. Hierzu gehört das Auszupfen von Härchen, Schönheits-OPs, Piercings, Tätowierungen und das Bräunen der Haut. Dieses Verhalten ist von der Gesellschaft akzeptiert und manchmal sogar erwünscht.
Eine andere Form der alltäglichen Selbstschädigung sind Extremsportarten, bei denen bis zur körperlichen Erschöpfung oder bis zur Entwicklung körperlicher Schäden trainiert wird, wie beispielsweise Bodybuilding.
Diese Form der Selbstverletzung kann Lebensqualität bedeuten, um in einer sozialen Gruppe dazuzugehören und auch Alltagskonflikten vorzubeugen.
4.3. Krankheiten mit selbstschädigendem Charakter
Da die Schädigung des Körpers nicht unmittelbar stattfindet, aber im Verlauf der Krankheit zwangsläufig auftritt, können die folgenden Krankheiten bzw. Störungen weder zur alltäglichen Selbstverletzung noch zur Selbstverletzung als Krankheit gezählt werden.
4.3.1. Essstörungen
Die Essstörung ist vergleichbar mit dem Balken. Sie hält einen ein Moment lang ,,über Wasser", verhindert aber, sich selbst aus einer schwierigen Situation zu befreien. Sie ist eine Zeitlang das Mittel, um mit einem viel tiefsitzenderen Problem fertig zu werden, um in dieser Situation erst einmal (über-)leben zu können. Doch irgendwann steht sie einem selbst in Wege und wird zur Falle, die verhindert, den Schritt aus dem bloßen Überleben heraus, in das eigentliche Leben zu schaffen.
4.3.1.1. Anorexia nervosa (Magersucht)
Die Magersucht zeichnet sich durch eine extreme Gewichtsabnahme aus, die durch dauerhaftes Diät- halten bis Hungern ausgelöst wird. Die Magersüchtigen haben keinen Bezug zu ihrem Körper, sie meinen selbst bei offensichtlichen Untergewicht noch, sie wären zu dick. Die Tagesstimmung hängt fast ausschließlich von der Waage ab, denn Magersüchtige fürchten sich vor jedem Gramm, das sie zunehmen. In gewisser Weise genießen sie die Kontrolle, die sie über ihren Körper haben und sind gleichzeitig abhängig davon. Magersüchtige haben sowohl Appetit als auch Hunger, sie sehen diese natürlichen Eigenschaften jedoch als Schwäche des Körpers an und bekämpfen diese mit allen Mitteln. Daraus gewinnen sie ihren Selbstwert, nämlich einen starken Willen zu haben und mit ihrem Verstand, ihren schwachen Körper besiegen zu können.
Im Gegensatz zu Bulimiker/innen kommt das Umfeld bei Magersüchtigen der Krankheit meist etwas schneller auf die Schliche, da der Verfall des Körpers durch die geringe Nahrungsaufnahme sich nicht bis in alle Ewigkeit verstecken lässt.
Anorexia nervosa liegt vor, wenn die/der Betroffene innerhalb kurzer Zeit (3-4 Monate) 20% seines Ausgangsgewichtes verliert und dies selbst durch streng kontrollierte und eingeschränkte Nahrungsaufnahme(Vermeidung von Speisen mit vielen Kalorien) und/oder Abführmittelmissbrauch und/oder übertriebene körperliche Aktivität, herbeiführt. Typisch sind für Magersüchtige außerdem das ständige Kreisen der Gedanken um Körperschema, Kalorien und Gewicht, sowie auffallender Perfektionismus und Hyperaktivität.
Oft wird in diesem Zusammenhang auch die fehlende Krankheitseinsicht als Merkmal genannt.
Auch bei der Anorexie treten im Laufe der Zeit infolge der chronischen Unterernährung körperliche Folgeschäden auf. Zuerst einmal sinken der Stoffwechsel, der Puls, der Blutdruck sowie die Körpertemperatur ab. Dies macht sich durch ständiges Frieren, Müdigkeit und Verstopfung bemerkbar. Später zeigen Haarausfall, trockene Haut und das Ausbleiben der Menstruation (Nicht bei Einnahme der Pille!) die hormonellen Veränderungen im Körper an. Als Spät- bzw. Langzeitfolge kann Osteoporose auftreten.
In diesem Zusammenhang muss leider erwähnt werden, dass Magersucht tödlich verlaufen kann, die häufigsten Todesursachen sind Verhungern und Tod durch Suizid. Immerhin 10% aller Magersüchtigen sterben an ihrer Krankheit, bei 30% tritt eine Chronifizierung der Krankheit ein, weitere 30% werden nach einer Behandlung geheilt und die restlichen 30% schaffen es aus eigener Kraft, aus der Magersucht wieder herauszukommen.
Diese gefährliche Krankheit ist auf dem Vormarsch, inzwischen ist jede/r 7. Jugendliche ein Magersucht- Risikofall. Magersucht ist nach wie vor überwiegend weiblich, es sind 16 mal mehr Frauen als Männer betroffen. Alarmierend ist aber, dass bereits zwei von fünf Mädchen glauben, zu dick zu sein, 75% aller Frauen Diäterfahrung besitzen und 15% ständig Diät machen. Derzeit sind ca. 500 Diäten auf dem Markt, die sich mittels Werbestrategien und Präsenz in nahezu jeder Frauenzeitschrift fast ausschließlich an das weibliche Publikum richten. Eine Grundlage, die nach meiner Ansicht Bulimie und Magersucht nicht bekämpft, sondern eher fördert.
4.3.1.2. Bulimie (Ess-Brechsucht)
Das Hauptmerkmal dieser Essstörung ist einerseits ähnlich wie bei der Esssucht, nämlich regelmäßig wiederkehrende unkontrollierbare Heißhungerattacken. Andererseits allerdings versuchen die Betroffenen im Unterschied zur Esssucht, über selbst herbeigeführtes Erbrechen, Abführmittelmissbrauch oder/und extreme körperliche Anstrengung die Gewichtszunahme nach einem Essanfall zu verhindern.
Meistens sind bulimische Menschen normal- bis leicht übergewichtig. Die Bulimie ist eine heimliche Essstörung, es kann mehrere Jahre dauern, bis sie von der Umwelt ,,entdeckt" wird, denn nach außen hin scheinen die Betroffenen ein ganz normales Leben zu führen. Sie sind ehrgeizig, haben hohe Ansprüche an sich und erwecken oft den Eindruck, als ginge ihnen das Leben leicht von der Hand. Im Gegensatz zum äußeren Anschein stehen sie jedoch unter einem enormen Leidensdruck. Bulimiker/innen nehmen bei einem Essanfall, welche ca. 2mal die Woche, aber auch mehrmals täglich auftreten können, 6000kcal und mehr zu sich. Eine solche Attacke kann schon mal bis zu 40 € kosten. Die Betroffenen ekeln sich vor sich selbst, haben das Gefühl abnorm zu sein, es kommt im Laufe der Zeit zu Isolierung, Depressionen und oft auch zu Selbstmordgedanken und -versuchen. Zwischen den Heißhungerattacken erlegen sie sich eine strenge Diät, meist verbunden mit intensiven körperlichen Anstrengungen, auf. Das gesamte Denken kreist nur noch um die eigene Figur, das Gewicht und manifestiert sich in einer übertriebenen Furcht, dick zu werden. Daran sieht man, wie fließend die Grenzen zwischen den Essstörungen sind. Bulimiker/innen können zwischenzeitlich anorektische Phasen haben und umgekehrt. Auch bei der Eß-/Brechsucht treten enorme körperliche Folgeschäden auf. Die typischsten sind Zahnschmelzschäden, Speiseröhreneinrisse, Magenwandperforationen und Kalium-/Magnesiummangel, welcher zu Nierenschäden führen kann.
4.3.1.3. Adipositas (Ess-Fettsucht)
Die Ess-Fettsucht macht sich in erster Linie durch immer wiederkehrende, nicht kontrollierbare Heißhungerattacken, bemerkbar, welche nicht durch Erbrechen oder Abführmittel etc. ungeschehen gemacht werden. Die Betroffenen essen übermäßig schnell, meist einfach so nebenbei, kaum bewusst bzw. genussvoll und übergehen dabei sehr häufig das Sättigungsgefühl.
Das heißt, sie essen immer weiter, selbst, wenn sie gar keinen Hunger mehr verspüren und bevorzugen zudem oft noch kalorien- und fettreiche Nahrungsmittel. Im Nachhinein leiden sie verstärkt unter Schuld- und Schamgefühlen, bis hin zu Depressionen. Das geht soweit, dass sich Esssüchtige vor sich selbst und ihrem Körper ekeln.
Die Folgen sind natürlich nicht zu übersehen, denn das markanteste Merkmal einer Esssucht ist das relativ hohe Übergewicht, welches mit einer starken Belastung des Herzens, des Kreislaufs und des Skelettes einher geht. Zu betonen ist, dass nicht jede/r Übergewichtige automatisch unter Esssucht, dies trifft auch auf besonders schlanke Menschen zu, auch hier muss nicht unbedingt eine Magersucht vorliegen.
4.3.2. Sucht
Hierbei geschieht die Schädigung des Körpers nicht direkt, ist aber bei chronischem Missbrauch von Alkohol, Medikamenten und Drogen eine zwangsläufige Folge. Schwere körperliche Erkrankungen und Folgeschäden bis hin zum Tod werden in Kauf genommen. Eine Symptomverschiebung kommt häufig bei Menschen vor, da es einen Überschneidungsbereich bei Menschen gibt, die sich selbst verletzen und Suchtprobleme haben.
4.3.3. Trichotillomanie (Zwanghaftes Haareausreißen)
Hier ist die Selbstverletzung nicht direktes Ziel, es handelt sich aber dennoch um SV.
Es geht um einen Zwang, bei dem sich Betroffene (fast nur Frauen), ihre Haare (Kopfhaar, Augenbrauen, Wimpern, Gesichtshaar oder andere Körperbehaarung) meist einzeln ausreißen, es entstehen kahle Stellen.
Es sind hierbei alle Altersstufen vertreten.
4.3.4. Zwanghafte Beschädigung von Nägeln und Haut
Nägelkauen und Nagelbettreißen ist häufig zu beobachten, in der extremen Form werden die Nägel völlig abgekaut oder abgerissen, bis es blutet. Es entstehen Verletzungen und Entzündungen, die gelegentlich auch operativ behandelt werden müssen. Hier sind ebenfalls mehr Frauen betroffen als Männer.
Zu den zwanghaften Hautbeschädigungen gehört das Kratzen an der Haut, das Aufkratzen verschorfter Wunden und das Aufkratzen von Akne, was meist in Spannungs- und Stresssituationen geschieht.
5. Frauen mit selbstverletzendem Verhalten
Im Folgenden werde ich auf die Hintergründe und Entstehungszusammenhänge vom selbstverletzenden Verhalten eingehen, sowie auf die Funktion und Dynamik.
5.1. Häufigkeit und Verbreitung
Da Betroffene nur ungern von ihrem sozial stigmatisierenden Verhalten reden und Selbstverletzung oft unter anderen Kategorien wie z.B. Suizidatät untergeht (bisher 20-40 klinische Untersuchungen und umfangreiche, auf Fragebögen basierende Erhebungen), ist die Datenlage über die Verbreitung der Selbstverletzung relativ schlecht.
Man erkennt, dass besonders Frauen im Alter von 16-30 Jahren von selbstverletzendem Verhalten betroffen sind. Der Prozentsatz der Betroffenen entspricht etwa dem der Magersucht (2,5%).
5.2. Arten der Selbstverletzung
Es werden drei Arten von selbstverletzendem Verhaltenunterschieden:
5.2.1. Oberflächliche oder gemäßigte Selbstverletzung
Dies ist die am häufigsten auftretende Form selbstverletzenden Verhaltens. Hierzu zählen alle möglichen Verletzungen, wie z.B. sich die Haare ausreißen, sich schneiden, sich verbrennen/verbrühen, sich selber die Knochen brechen, sich selbst schlagen oder in den Heilungsprozess der Wunden eingreifen.
5.2.1.1. Zwanghafte Selbstverletzung
Die zwanghafte Selbstverletzung umfasst Dinge wie Haare ausreißen, die Haut quetschen oder kratzen oder auch eine übertriebene Kritik bei dem entfernen von Makeln in der Haut (Pickel aufkratzen usw.)
Die Person, die ein solches zwanghaftes Verhalten ausübt, verwendet dieses Verhalten, um Spannungen abzubauen.
5.2.1.2. Episodische und wiederholende Selbstverletzung
Beide, die episodische und wiederholende Selbstschädigung fallen unter impulsive Handlungen, der Unterschied zwischen den beiden scheint eine Frage des Ausmaßes zu sein.
Episodische Selbstschädigung ist selbstverletzendes Verhalten, welches von solchen Menschen ausgeführt wird, die sich selbst nicht als „Selbstverletzer“ bezeichnen und über ihr Verhalten nicht nachdenken.
Was als eine solche episodische Selbstschädigung beginnt, kann sich zur wiederholenden Selbstverletzung steigern. Bei dieser Art Selbstverletzenden Verhaltens ist sich der Betroffene darüber bewusst Betroffener zu sein, auch wenn er es nicht zu dem Zeitpunkt tut.
Die episodische Selbstverletzung wird dann wiederholend, wenn das, was ehemals ein Symptom war, zu einem eigenständigen Krankheitsbild wird. Viele Betroffene beschreiben dieses Verhalten als „süchtig machend“, da die Selbstverletzung häufig zu einem Reflexverhalten bei Stresssituationen führt. Befindet der Betroffene sich gerade in einer Situation, mit der er überfordert ist, z.B. ein Streit, so greift er zu einer Klinge, Schere oder ähnlichem.
5.2.1.3. Stereotype Selbstverletzung
Hier fallen Dinge auf, wie z.B. rhythmische Bewegungen der Oberkörpers, welche auch bei autistisch behinderten Menschen zu finden ist.
5.2.2. Schwerwiegende Verstümmelung
Dies ist die schwerste Form der Selbstverletzung, sie tritt sehr selten auf, jedoch meist in Verbindung mit psychotischen Zuständen. Angewandte Verhaltensweisen sind hierbei z.B. Amputation, Kastration usw.
Studien haben ergeben, dass die gemäßigte und die stereotype Selbstverletzung am häufigsten auftreten, oftmals auch in Verbindung miteinander.
Die häufigst angewandte Schädigung war das Schneiden an immer den gleichen Stellen, wie z.B. Ober- und Unterarme, Handgelenke und die Innenseiten der Oberschenkel.
5.3.Diagnose der Selbstverletzung
Kriterien:
➙Wiederholtes Verletzen der eigenen Haut
➙Ein Gefühl der Anspannung unmittelbar vor dem entsprechenden Handeln
➙Der körperliche Schmerz geht einher mit Gefühlen von Entspannung, Befriedigung und einer angenehmen Betäubtheit
➙Das Gefühl von Scham und Angst vor sozialer Ächtung bewirkt, dass die Betroffenen versuchen Narben, Blut oder andere Anzeichen für das selbstzerrstörerische Verhalten zu verbergen.
Das letzte Kriterium spiegelt die Ambivalenz des Betroffenen wieder, da dort ein Widerspruch entsteht. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die meisten Selbstverletzungen an den Armen auftreten, da die Betroffenen dort die Möglichkeit haben, die Verletzungen situationsabhängig mit entsprechender Kleidung zu verstecken oder sie gut sichtbar für die Umwelt zu machen. Manche Betroffene versuchen durch ein Pflaster die Aufmerksamkeit auf ihre Wunde zu richten. Andere wiederum schämen sich dafür und haben Angst von anderen Personen für verrückt erklärt zu werden.
Eine psychische Krise könnte auch ein Grund für die Selbstverletzung sein.
5.4. Möglichkeiten sich selbst zu verletzen
Schneiden: 72%
Verbrennen: 35%
Sich schlagen: 30%
Die Wundheilung verhindern: 22%
Haare ausreißen: 10%
Knochen brechen: 8%
Mehrere Methoden (die oberen mit eingeschlossen): 78%
5.5. Körperstellen, an denen sich Betroffene häufig selbst verletzen
Arme (speziell Handgelenke): 74%
Beine: 44%
Bauch: 25%
Kopf: 23%
Brust: 18%
Genitalbereich: 8%
5.6. Hintergründe und Entstehungszusammenhänge
In einer Studie, mit 43 Krankenakten von Patientinnen, stellte man fest, dass 74% der Betroffenen in ihrer Kindheit/Jugend auf mindestens eine Weise schwer traumatisiert wurden. Davon 53% durch schwere frühkindliche Vernachlässigung, 48% durch körperliche Misshandlung und 46% durch sexuellen Missbrauch. Diese Erfahrung von Betroffenen werden durch schwere Kindheiten, die mit häufigen Krankenhausaufenthalten verbunden sind, Trennung- und Verlusterlebnisse (Scheidung und Tod) und aufgrund der schwierigen Familienverhältnisse entstehenden „Heimkarrieren“ der Kinder ergänzt.
Ich werde bei den jeweiligen Ereignissen in der Kindheit auf die wichtigsten Aspekte eingehen:
5.6.1. Erfahrungshintergründe
Die im Folgenden beschriebenen Ereignisse haben viele Gemeinsamkeiten in der Auswirkung auf die kindliche Entwicklung. Die körperlichen und persönlichen Grenzen der Kinder werden auf verschiedene Arten überschritten, die persönlichen Bedürfnisse und Belastungen werden missachtet. Die Mädchen erleben die Situation, dass andere Menschen die Kontrolle über den Körper des Mädchens haben, die Mädchen fühlen sich dem Schmerz ohnmächtig ausgeliefert. Die dabei entstehenden Gefühle, wie Ärger und Wut können oft nicht ausgedrückt werden.
Durch Abhängigkeitsverhältnisse in einer Familie gerät das Mädchen in eine Gefühlsverwirrung aus Liebe und Hass. Eine Reaktion dabei ist, dass sich das Mädchen für das, was ihr angetan wird, schuldig fühlt, es verliert die Selbstachtung und kann kein, von anderen unabhängiges Selbstwertgefühl, entwickeln.
Die Selbstverletzung kann nicht an einer sozialen Stellung festgemacht werden.
5.6.1.1. Seelische Misshandlung
Bei der seelischen Misshandlung wird gegenüber dem Kind eine ablehnende Haltung erzeugt, die von Beschimpfung und Demütigung bis zum Anbinden an ein Möbelstück, während das Kind alleine in der Wohnung gelassen wird, geht. Das Kind kann sich durch diese ablehnende Haltung nicht richtig entfalten. Das Nichtberücksichtigen kindlicher Bedürfnisse kann als Deprivation (das Vorenthalten für die Entwicklung motorischer, sensorischer und geistiger Reize) bezeichnet werden. Bei vielen Betroffenen waren die Eltern emotional nicht erreichbar oder überfordert, so das die Kinder früh die Elternrolle selbst übernehmen mussten (Parentifizierung).
Aber auch Overprotection (Überbehütung) durch die Eltern, zur eigenen Befriedigung, kann seelische Misshandlung bedeuten.
5.6.1.2. Körperliche Misshandlung
Körperliche Misshandlungen sind Gewalthandlungen, die zu körperlichen Verletzungen (oder sogar zum Tod) des Kindes führen. Das Kind fühlt sich in seiner Existenz bedroht und den Eltern ausgeliefert, es kann die jeweilige Reaktion der Eltern nicht einschätzen.
5.6.1.3. Sexueller Missbrauch
Eine sexuelle Misshandlung ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder der das Kind aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Um seine eigenen Bedürfnisse, auf Kosten der Kinder zu befriedigen , wird die Macht-/ Autoritätsposition ausgenutzt.
Die Täter sind oft den Kindern bekannte Personen (2/3 sind Väter, Stiefväter, Onkels und Brüder), aber die Täter können auch unbekannte Personen sein und die Tat kann auf sehr gewaltsame und sadistische Weise geschehen. Der sexuelle Missbrauch findet in einer „Atmosphäre der Verschwiegenheit“ statt. Das Thema wird tabuisiert, genauso wie die Selbstverletzung. Mädchen reagieren eher depressiv und neigen dazu die Aggressionen gegen sich selbst zu richten, Jungen reagieren eher aggressiv und dissonant und die Aggression richtet sich nicht gegen sich bei Jungen nicht gegen sich selbst, sondern gegen andere Personen oder Gegenstände.
Dies wäre ein Grund dafür, dass viel mehr Frauen, als Männer von der Selbstverletzung betroffen sind.
5.6.1.4. Krankheit
Krankheiten und Verletzungen, die schmerzhafte medizinische Eingriffe erfordern, haben viele der von Selbstverletzung betroffenen Frauen erlebt. Viele der Erkrankungen betrafen den gynäkologischen Bereich. Viele der Betroffenen haben auch schon vor dem fünften Lebensjahr viele chirurgische Eingriffe und
Krankenhausaufenthalte erlebt. Sie sind als kleine Mädchen gezwungen worden, die oft unangenehmen und schmerzhaften Maßnahmen durchführen zu lassen. Hinzu kam häufig auch noch die Trennung von den Eltern.
5.6.1.5. Beziehungsabbrüche
Beziehungsabbrüche, wie Scheidung, Trennung oder der Verlust einer wichtigen Bezugsperson in der Pubertät , sind wichtige Risikofaktoren für die Selbstverletzung, denn diese Beziehungsabbrüche ergeben sich zum Teil durch emotionale- oder physische Misshandlung, durch sexuellen Missbrauch oder Krankheit.
Aber auch schwierige Familienverhältnisse reichen aus dafür, dass einige der Betroffenen, ihre Kindheit in einem Heim verbringen müssen.
5.6.2. Die Posttraumatische Belastungsstörung als Folge traumatischer Ereignisse
Ein Ereignis wirkt traumatisierend, wenn es das „Ich“ vorübergehend außer Kraft setzt, indem es von diffusen, stark widersprüchlichen Affektstürmen (rascher Wecker von Gefühlen), überflutet wird. Dies könnte zu einer Posttraumatischen Belastung führen.
Die Kriterien hierfür sind:
A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden waren:
(1) die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Peson beinhalten.
(2) Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen
B. Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mindestens eine der folgenden Weisen wiedererlebt:
(1) Wiederkehrende und eindringlich belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können.
(2) Wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis.
(3) Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt.
(4) Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.
(5) Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.
C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität.
(1) bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen.
(2) bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen.
(3) Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern.
(4) deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten.
(5) Gefühl von Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen
(6) eingeschränkte Bandbreite des Affekts (z.B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden)
(7) Gefühl einer eingeschränkten Zukunft
D. Anhaltende Symptome erhöten Arousals( Erregung), die vor dem Trauma nicht vorhanden waren.
Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor:
(1) Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen
(2) Reizbarkeit oder Wutausbrüche
(3) Konzentrationsschwierigkeiten
(4) Übermäßige Wachsamkeit
(5) Übertriebene Schreckreaktionen
E. Das Störungsbild dauert länger als 1 Monat
F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen
5.7. Funktion und Dynamik der Selbstverletzung
Selbstverletzung erfüllt eine bestimmte oder mehrere Aufgaben in der Lebensbewältigung der Betroffenen. Für sie ist es oft die einzige Möglichkeit mit auftauchenden Gefühlen, bzw. mit dem „Gefühl, keine Gefühle zu haben“, umzugehen und dadurch handlungsfähig zu bleiben.
5.7.1. Die Bewältigung von Gefühlen
Betroffene geraten oft in zustände, in denen sie das Gefühl haben ihren Körper nicht mehr zu spüren. Bei diesen Entfremdungsgefühlen setzt das Schmerzempfinden aus. Diese sogenannten Depersonalisationszustände treten oft im Zusammenhang mit bedrohlichen Gefühlen auf, was der menschlichen Realitätsbewältigung dient. So kann bei Menschen, die ein Trauma erlebt haben, ein Reiz (auch Trigger genannt), die damals erlebte Situation wiederbeleben und die nicht verarbeiteten Gefühle auslösen. Diese emotionale Betäubung, die die Betroffene dabei erlebt, wird als quälend und unerträglich beschrieben. Die Betroffenen bekommen Angst durchzudrehen, fühlen sich tot und doch sind sie lebendig. Diese Situation wird durch die Selbstverletzung beendet.
Die jungen Frauen kommen sich und der Umwelt wieder näher, sie können den langsam einsetzenden Schmerz und damit sich selbst wieder spüren. Das aus der Wunde heraustretende Blut beruhigt sie, da es für Betroffene ihre Lebendigkeit demonstriert.
Die bewusste Selbstverletzung kann ebenso die Funktion haben, den emotionalen Schmerz, unter dem die junge Frau leidet, in körperlichen Schmerz umzuwandeln. Der innerliche Schmerz wird nicht mehr gespürt. Die Grenzen der Betroffenen wurden in der Kindheit überschritten, die dabei hervorgerufenen Wunden wurden niemals versorgt, jetzt können sie ihre Wunden, die sie sich selbst zufügen, versorgen.
Die Selbstverletzung dient auch dem Druckabbau, denn die Betroffenen kennen keine Wut und keinen Ärger. Sie sind unfähig Aggressionen zu empfinden und sie direkt auszudrücken. So lernten die diese Gefühle nur in Form einer diffusen Spannung oder Leere wahrzunehmen, sie empfinden sie so. Der dabei entstehende Druck, sich selbst zu verletzen, steigt.
Wird die Selbstverletzung dann durchgeführt, führt dies zu einer Entspannung, welche das Gefühl der Leere als Antidepressivum fällt. Der Ärger, der eigentlich andere Personen betreffen müsste, richtet sich nun in Form von Autoaggression gegen sich selbst.
Betroffene Menschen landen oft in einer Flut von vielen verschiedenen Gedanken, sie sind sehr verletzlich und fühlen sich in dem Moment hilflos und ausgeliefert. Mit einer sich selbst zugeführten Verletzung, versuchen die Betroffenen wieder Ordnung in ihr Gefühlschaos zu bringen und die Kontrolle über sich wiederzubekommen.
Viele der Betroffenen entwickeln neben Wut auf sich selbst, Selbsthass und Selbstbeschuldigung, weil sie zu hohe Anforderungen an sich selbst stellen, die meist viel zu schwer zu verwirklichen sind. Sie bestrafen sich dann mit einer herbeigeführten Verletzung, dies führt dazu, dass die Betroffenen in einen Teufelskreis geraten, der nur sehr schwer wieder zu verlassen ist: Durch die Selbstverletzung sollen Schuldgefühle beseitigt werden, gleichzeitig entstehen diese Gefühle durch die schambesetzte, allgemein oft als pervers aufgefasste Handlung, wieder.
Die Selbstverletzung kann Betroffenen das Gefühl von Stolz auf den Mut, die Macht, die Unabhängigkeit des Körpers und die eigene Schmerzempfindung geben. Diese Kontrolle zu haben und sich dadurch als „besonders“ zu fühlen, ist oft die einzige Möglichkeit, die die jungen Frauen haben, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken, denn die meisten Menschen haben Angst vor Verletzungen und Schmerzen.
5.7.2.Wichtige Aspekte von Dynamik und Funktion
Die Selbstverletzung schafft nur kurzfristige Erleichterung, sie reduziert Symptome, die zunehmende Problematik bleibt aber bestehen. Durch die dauernde Wiederholung kann die SV für immer mehr Situationen die Lösung darstellen.
Auch die körperliche Schädigung ist zu berücksichtigen. Das selbstverletzende Verhalten kann langfristig zum sozialen Ausschluss führen und mit zunehmender Verzweiflung steigt das Risiko, dass die Selbstverletzung tödlich endet. Aber Betroffene kennen den Unterschied zwischen dem Impuls sich selbst zu verletzen und einem Suizidimpuls. Sie wollen ihr Leben nicht beenden, sondern besser mit ihrem Leben klarkommen.
5.7.2.1. Selbstverletzung und Suizid
Selbstverletzung wird oft für einen Suizidversuch gehalten, doch dies ist falsch. Betroffene fügen sich Verletzungen zu um weiterzuleben. Die SV dient dazu die schmerzhaften Bewusstseinszustände zu lindern, um so andere Anforderungen des Lebens bewältigen zu können. Allerdings haben viele junge Frauen mit selbstverletzendem Verhalten auch schon Suizidversuche hinter sich. Selbstverletzung und Suizid sind keine ausschließenden Gegensätze und müssen in jeder Situation neu eingeschätzt werden.
5.7.2.2. Biologische Aspekte- Selbstverletzung als Sucht?
Der Körper schüttet bei Stress (Verletzung kann auch als Stress gewertet werden) Endorphine aus. So werden bei der Selbstverletzung angenehme, rauschartige Gefühle ausgelöst, die sich die Betroffenen immer wieder wünschen. Dies kann zur Verstärkung der Problematik führen, denn es kann zu einer sogenannten Sucht führen.
Hier einige Kriterien, die dafür sprechen:
➙ Der Gedanke der Selbstverletzung ist mit steigendem Druck verbunden, bis sich die Betroffenen verletzen. Wird die SV verhindert, so fühlen sich die Betroffenen auf Entzug. Wenn sie keinen Gegenstand zum Verletzen haben, werden sie panisch und erfinderisch um an scharfe Gegenstände zu gelangen.
➙ Die „Dosis“ wird mit der Zeit erhöht. Je länger der Krankheitsverlauf andauert, desto häufiger und stärker verletzen sich die Betroffenen, um das angenehme Gefühl zu erreichen werden die Wunden tiefer und extremere Verletzungen werden benötigt.
➙ Nach Unterbrechungen führt es zu Entzugssymptomen.
➙ Das Verhalten trägt schädliche Folgen mit sich, körperliche Folgen sind z.B. Narben oder sogar der Tod, psychische Folgen sind beispielsweise, dass die Betroffenen von anderen Personen für verrückt erklärt werden und sich die Betroffenen ausgeschlossen fühlen. Einerseits wollen die Betroffenen gesellschaftlichen Schaden verhindern (z.B. Beziehung etc.), andererseits kann es Menschen, die mit einer selbstverletzenden Person in einer festen Beziehung stehen, verletzen.
Man kann die Selbstverletzung nicht als Sucht bezeichnen, aber sie kann einen süchtigen Charakter bekommen.
5.7.2.3. Selbstverletzung als nachahmendes Verhalten
6% der Selbstverletzer durch nachahmendes Verhalten, kannten das selbstverletzende Verhalten, bevor sie damit anfingen. Entweder sie haben etwas darüber gelesen oder sie haben darüber in Form von oberflächlichem Schneiden, in Gruppen von Jugendlichen, erfahren.
Doch die, die damit nichts anfangen konnten, hörten schnell wieder auf damit.
91% von 240 Befragten gaben an, dass die erste Selbstverletzung einfach so passierte, ohne ersichtlichen Grund also.
Deswegen kann man sagen, dass die Selbstverletzung deutlich von der SV als nachahmendes Verhalten abzugrenzen ist.
5.7.2.4. Kommunikative Aspekte der Selbstverletzung
Selbstverletzung kann als Hilferuf eine Signalfunktion haben. Gefühle werden ausgedrückt, die nicht in Worte gefasst werden können oder zur Bestrafung anderer Menschen erfolgen, vor allem um der Familie oder dem/den ehemaligen Täter/n zu zeigen, dass Schaden ausgerichtet wurde. Die SV löst bei anderen meist das aus, was in dem Betroffenen vorgeht.
Selbstverletzung ist ein Ausdruck des inneren Zwiespalts, denn Betroffene wollen sich meistens nicht helfen lassen.
5.7.3. Selbstverletzung und Beziehung
Die Reaktionen der Umgebung von Betroffenen ist meistens der Rückzug, um sich vor den eigenen Gefühlen zu schützen, die z.B. die Abgrenzung durch Verurteilung wäre. Die Not der Betroffenen erkennt die Umgebung nicht. Wir gehen jetzt auf verschiedene Personengruppen näher ein.
5.7.3.1. Die Familie
Die Familie reagiert meist sehr unsensibel mit Unverständnis, Entsetzen und mit Vorwürfen. Betroffene haben meist nur negative Erfahrungen mit Angehörigen, was wahrscheinlich daran liegt, dass die Problematik oft erst in der Familie entsteht.
Die SV löst bei der Frau tiefe Verzweiflung und Hilflosigkeit aus, denn die Hilfe der Eltern/Mutter ist oft nicht erwünscht. Eltern erleben meist selbst einen starken Schmerz, wenn sie mitbekommen, dass sich die Tochter wieder selbstverletzt.
Ein weiteres Problem ist, dass die Eltern mit niemandem darüber sprechen können. Sie genieren sich. Hier wird deutlich, dass nicht nur die Betroffene betroffen ist, sondern auch nahestehende Personen, wie Eltern, Geschwister oder der Lebenspartner.
5.7.3.2. Die Öffentlichkeit
Die heutige Einstellung der Öffentlichkeit zur Selbstverletzung ist mit der Einstellung gegenüber der Magersüchtigen in den 70er Jahren zu vergleichen. Man hielt dieses Verhalten für ein völlig abgedrehtes Individuum.
Heute gerät die SV immer mehr ins Licht der Öffentlichkeit, was auch gut ist, z.B. durch Fernsehberichte, Zeitschriften zu dem Thema oder Tageszeitungsartikel.
Öffentlichkeitsarbeit ist dringend nötig, damit die Gesellschaft versteht was man tun kann und was in einem Menschen hervorgeht, wenn er sich selbstverletzt.
5.7.3.3. Der professionelle Bereich
Hier wird zwischen Mitarbeitern im pädagogischen Bereich, Ärzten und in der Beratung Tätigen differenziert.
➙ Mit pädagogischem Bereich sind z.B. Mitarbeiter aus dem Bereich der Wohngruppen gemeint, bei denen die Selbstverletzung Hilflosigkeit und Wut auslöst. Dort bestehen ähnliche Probleme wie in der Familie, da es um den gemeinsamen Alltag geht.
➙ Bei Ärzten, die zur Wundversorgung aufgesucht werden, löst die Selbstverletzung Reaktionen, von entwürdigender Behandlung bis hin zur Einweisung in die Psychiatrie (z.B. bei Annahme eines Suizidversuchs), aus.
➙ Im Bereich der Beratung und Therapie kommt es ebenfalls vor, dass Betroffene abgewiesen werden, wodurch sie sich noch mehr abgelehnt fühlen.
Wichtig ist es Verständnis für Betroffene durch Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildung in verschiedenen Bereichen zu schaffen. Außerdem müssen Betroffene (junge Frau mit selbstverletzendem Verhalten und Angehörige) auf verschiedenen Ebenen unterstützt werden.
6. Selbstverletzung und Weiblichkeit
„Psychische Erkrankungen junger Frauen treten in Wellen auf und sagen etwas über den Stand der Gesellschaft aus.“
Welche gesellschaftlichen Faktoren fördern das Selbstverletzende Verhalten?
Warum sind es hauptsächlich Frauen, die Erleichterungen in der Verletzung des eigenen Körpers suchen?
Warum ist vor allem die Altersgruppe der 16-30 jährigen davon betroffen?
6.1. Weibliche Sozialisation
Mädchen und Frauen reagieren in schwierigen Situationen eher nach innen, gegen sich. Jungen und Männer reagieren hingegen eher aggressiv nach außen.
Unter Sozialisation versteht man die Formung des nur mit rudimentären Instinkten geborenen Menschen durch die allgemeinen sozialen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse der Gesellschaft. Ziel dieses Prozesses ist, ein in seiner Gesellschaft handlungsfähiges Objekt zu werden (und zu bleiben).
Sozialisation ist lebenslang notwendig, durch die sich verändernde Gesellschaft sowie durch neue Aufgaben in den Lebensabschnitten eines Menschen.
6.1.1. Emotionale Sozialisation der Frau
Die Gesellschaft hat Verhaltenserwartungen bei Mann und Frau. Frauen gelten als emotional und ängstlich und würden sich eher traurig und hilflos fühlen, als Männer, die eher als rational gelten und Probleme allenfalls mit Aggressionen lösen würden. Diese Bilder sind in Eltern und anderen an der Sozialisation Beteiligten oft unbewusst verhaftet. Man kann annehmen, dass sie sich die Verhaltensannahmen für Weiblichkeit inzwischen verändert haben. Aber es ist zu berücksichtigen, dass junge Frauen, die heute selbstverletzendes Verhalten zeigen, in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen sind.
Die Erziehungsziele spiegeln sich im Spielverhalten der Kinder so stark wieder, dass die Kinder sich schon im Kindergartenalter und der Kindergartenzeit stark hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Verhalten sozialisieren. Verhalten und Interessen verstärken sich durch die Bevorzugung gleichgeschlechtlicher Spielkameraden/innen und sind schon mit 5 Jahren sehr ausgeprägt, was sich durch den weiteren Lebenslauf zieht.
Mädchengruppen beruhen auf Gleichheit und haben daher eher Probleme mit Konflikten und Dominanz. Sie sind auf Beziehung ausgerichtet.
Mädchen werden in ihrem Spiel- und Aktionsradius von ihren Eltern aus Angst vor sexuellen und körperlichen Übergriffen stärker eingeschränkt als Jungen. Daraus kann sich die Tendenz von Mädchen und Frauen entwickeln, ihre Lebensprobleme allein und isoliert zu bewältigen (z.B. durch Tabletten und Depressionen), im Gegensatz zu Jungen und Männern, die ihre Probleme öffentlich ausleben.
In der Schule erhalten Mädchen von Lehrern oftmals weniger Aufmerksamkeit als Jungen, da sie „eher stören“. Dadurch erfahren die Jungen mehr Sanktion.
Ein anderer Einflussfaktor sind die Medien, durch das systematische Fernsehen, wo Geschlechtsstereotype vor allem in der Werbung auf Mädchen und jungen einwirken. Im höheren Alter bieten Jugendmagazine zusätzlich noch „Anleitungen“ für weibliches Verhalten.
Diese Faktoren fördert die national gegen sich gerichteten Bewältigungsmuster von Frauen.
6.2. Der weibliche Körper
Der zentrale Ort der Selbstverletzung ist der eigene Körper, denn die Erfahrungen basieren auf der Bedrohung und Verletzung des Körpers (und auf der Persönlichkeit), die viele Betroffene in der Kindheit erlebt haben.
Deswegen werde ich jetzt auf weitere wichtige Bedeutungen des Körpers beim Selbstverletzendem Verhalten eingehen.
6.2.1. Die Bedeutung des Körpers beim selbstverletzenden Verhalten
Junge Frauen spalten ihren Körper von sich selber ab. Das Körperbild ist bei allen, die sich selbst verletzen, stark gestört. Dies kennzeichnet sich dadurch ab, dass Betroffene ihren Körper meist negativ bewerten, ablehnen und hassen. Dieser negative Bezug ist bei manchen abgespalten.
Selbstverletzendes Verhalten ist die extremste Form des lieblosen Umgangs mit dem Körper.
Die Folgen, wie Narben können später den selbstfürsorglichen und liebevollen Umgang mit dem eigenen Körper später noch erschweren.
Nicht nur die Verletzung als akuter Schmerz und offene Wunde ist für die Frauen von Bedeutung, sondern auch die entstehenden Narben. Das Bild vom makellosen weiblichen Körper wir getrübt. Oft löst das Verheilen einer Wunde Panik aus und ist mit dem Gedanken verbunden, sich neue Verletzungen zuzufügen.
Ein weiteres Zeichen für Probleme mit dem eigenen Körper , ist, dass die Selbstverletzung oft kurz nach dem Einsetzen der Menstruation eintritt.
6.2.2. Die Bedeutung des Körpers bei Essstörungen- Parallelen zur Selbstverletzung
Essstörungen und Selbstverletzung können sich gegenseitig abwechslen.
Viele der jungen Frauen haben oder hatten oder entwickeln im Verlauf der Selbstverletzung eine Essstörung.
Frauen mit Essstörungen stellen eine bedeutende Risikogruppe dar. 25-75% der Betroffenen leiden auch unter Essstörungen, Bulimie ist hier mehr vorhanden als die Magersucht.
Der Bezug zum Körper ist gestört, es besteht ein negatives Körperbild.
Junge Frauen mit Essstörungen und auch diejenigen mit Selbstverletzung lehnen ihren Körper sowie besonders die damit verbundene Weiblichkeit und Sexualität ab. Bei Magersucht wird durch Gewichtsabnahme die Ausbildung weiblicher Körperformen vermindert bzw. rückgängig gemacht. Die Menstruation, die genauso wie bei der SV abgelehnt wird, bleibt bei Magersucht aus oder wird unregelmäßig. Essstörungen werden genauso wie die SV nicht nur zur Kontrolle des Körpers, sondern auch zur Kontrolle und Bewältigung von Gefühlen eingesetzt.
Bei Frauen, die schon mal sexuellen Missbrauch erlebt haben, kommen Essstörungen und SV häufig gemeinsam vor.
Essstörungen und SV sind „Krankheiten der Zeit“, die am eigenen Körper, die durch Individualisierung entstehenden Bewältigungsaufgaben junger Frauen, sowie die individuellen Belastungen und Erfahrungen austragen. Sie machen „die psychologischen Probleme zu physischen“.
7. Lebensbewältigung zur Selbstverletzung
7.1. Bewältigungsmodelle
Stress- und Bewältigungstheorien beschäftigen sich mit der Verarbeitung hoher Anforderungen und die gesundheitlichen Folgen, die sich dadurch ergeben.
Das Stresskonzept bildet die Grundlage zu Erklärung von Gesundheitsrisiken durch soziopsychosomatische Ursachen.
In den 30er Jahren wurde es erstmals untersucht und entwickelt, der Schwerpunkt lag bei der individuellen Bedeutung von Stressoren und die Möglichkeiten der persönlichen und sozialen Bewältigung.
7.1.1. Stress – Coping – Modell
Das Stress – Coping – Modell wird auch “Belastungs-Bewältigungs-Modell” genannt, es ist auf der medizinischen Stressforschung aufgebaut und steht zwischen den psychosomatischen und soziologischen Krankheitsmodellen.
Auf das Erleben von Belastungen folgt dem Stress – Coping – Modell bewusst oder unbewusst deren Bewältigung, hierbei steht offen, ob die Bewältigung erfolgreich ist oder nicht. Die Bewältigungsmöglichkeiten und –strategien von Menschen sind von verschiedenen Faktoren abhängig, können sich unterschiedlich äußern und haben unterschiedliche Funktionen und Intentionen.
Es gibt die persönliche Bewältigungsmöglichkeit und die kollektive/ soziale Bewältigungsmöglichkeit.
Coping und Copingversuche können auch destruktiv sein und die Schädigung des Körpers fördern. Deshalb ist es schwierig zu bestimmen, ob die Funktionen und Intentionen der Bewältigung erfüllt werden bzw. zum Erfolg führen oder nicht.
7.1.2. Krankheits- Verhaltens- Modell
Das Verhaltensmodell von Krankheit erklärt die Entstehung von Krankheit durch gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen, mit denen Alltagskonflikte bewältigt werden. Diese Verhaltensweisen sind sozial akzeptiert, was für die Selbstverletzung nicht zutrifft. Deswegen kommt es für die Erklärung von Selbstverletzung nicht in Frage.
7.1.3. Das psychosomatische Krankheitsmodell
Beim psychosomatischen Krankheitsmodell „wird dem Einfluss des Psychischen und Seelischen auf das Körperliche große Bedeutung zugemessen“. Emotionen rufen im Organismus psychologische und physiologische Veränderungen hervor, die direkt auf das über die Beeinträchtigung des Immunsystems oder durch chronische Erhöhung der physiologischen Reaktivität zur Erkrankung führen.
7.1.4. Sozialepidemiologisches Modell/ Sozialökonomisches Krankheitsmodell
Den sozialen Bedingungen, die im psychosomatischen Krankheitsmodell vernachlässigt werden, kommen im Sozialepidemiologischen Modell der Krankheitsentstehung und im Sozialökonomischen Krankheitsmodell besondere Bedeutung zu. Die soziale Schicht ist bei der Selbstverletzung nicht ausschlaggebend. Die gesellschaftliche Situation wirkt zwar mit auf die Personen ein, ist aber nicht alleiniger Faktor für die Entstehung von selbstverletzendem Verhalten.
8. Coming Out
Sich jemanden zu offenbaren, wird für einen Menschen mit Autoaggressionen nicht einfach sein. Normalerweise erzählt jemand über sein Selbstverletzung, weil er/sie es satt hat, ständig einen Teil von sich verschweigen zu müssen.
Das Bedürfnis offen zu sein und jemandem zu vertrauen überwiegt die Angst, abgewiesen, gehasst oder verabscheut zu werden.
Es sollte an einem Ort stattfinden, an welchem sich alle wohl fühlen.
Im ersten Gespräch sollte man nicht zu genau seine Verletzungen beschreiben, weil für den Zuhörer wird die Tatsache, dass jemand aus seiner Umgebung sich selbst verletzt schon schwer zu ertragen sein. Als Betroffener sollte man beim Coming Out nicht mit Schuldzuweisungen aufwarten. In den meisten Fällen drängt das den Zuhörer in die Defensive und das Gespräch fährt sich fest.
Als Angehöriger macht man sich natürlich schon Gedanken was man als Mutter, Vater, Freund/in u.s.w. falsch gemacht haben könnte. Man sollte die Person wissen lassen, dass man bereit ist darüber zu sprechen. Alles weitere überlässt man am besten dem Betroffener selber.
Wenn ein Betroffener darüber reden möchte, dann sollte er/sie das Thema aufbringen, damit man ihn nicht unter Druck setzt.
Manchmal kann etwas Ablenkung Wunder wirken. Ins Kino gehen, spazieren, ein Eis essen gehen. Einfach Sachen, die nichts mit Selbstverletzung zu tun haben. Das heißt nicht, dass man ihre Gefühle ignorieren soll. Es soll ein Versuch sein die Negativ-Spirale zu durchbrechen, indem man etwas Positives einbringt.
9. Gedicht
Der Teufelskreis
Die Klinge gleitet über meine Haut
ein kleiner Stich,
ein kleiner Schmerz.
Schmerz,
der mich befreit.
Befreit von Sorgen,
die mich jahrelang belasten.
Sie verschwinden für kurze Zeit.
Kurze Zeit,
die mir wie Stunden vorkommen.
Nach dem Schmerz
endlose Leere
Leere,
die mir Angst macht.
Die Klinge gleitet wieder über meine Haut,
frisst sich rein,
bis ins Fleisch...
Es tut gut.
Gefühl von Sorgenlosigkeit steigt in mir auf.
Es kommt mir wieder wie Stunden vor...
Stunden, die zu schnell vergehen...
Blut tropft langsam,
sucht sich seinen Weg...
Sorgenlosigkeit
Ein Teufelskreis beginnt,
der nie aufzuhören scheint...
10. Heilungschancen und was Angehörige tun können
Artikel einer Betroffenen mit Essstörungen:
Ich habe es mit Hilfe von Beratungsgesprächen (ohne die ich allerdings nicht allein gesund geworden wäre!) aus eigener Kraft, d.h. ohne Therapie geschafft, den Teufelskreis der Magersucht zu durchbrechen. Meine eigene Wohnung, ein liebevoller Partner, gute Freunde und meine große Lebensfreude haben mich dabei sehr unterstützt. Ich habe das Glück und die Kraft gehabt, rechtzeitig zu bemerken, dass ich ein Problem habe und ich vermochte es, den Kopf noch rechtzeitig aus der Schlinge zu ziehen. Was hilft nun konkret, die Essstörung zu besiegen?
Es geht vor allem darum, Alternativen für die Magersucht zu finden, Dinge die einem Freude machen, die einem vor Augen führen, welche Fähigkeiten man besitzt, Dinge, die das Leben mit neuen, positiven Inhalten füllen. Kontakte zu alten und neuen Freunden knüpfen kostet zwar sehr viel Überwindung, es bestärkt aber das Selbstwertgefühl, bricht die Isolation auf und hilft, Ansprechpartner zu haben, wenn es einem mal wieder schlecht geht. Denn ich glaube, eins sollte man nicht aus den Augen verlieren, die Magersucht ist eine individuelle Bewältigungsstrategie für Probleme. Ich denke, wenn man diese Krankheit einmal hatte, besteht immer wieder die Gefahr, in bestimmten Situationen, erneut in die alten Muster zurückzufallen. Meiner Meinung nach, ist es daher sehr wichtig, in Zukunft besonders achtsam mit sich umzugehen. Auch Rückfälle gehören zu Heilung dazu, denn immerhin handelt es sich um eine schwere psychische Erkrankung, und von daher braucht es Zeit, um neue Strategien und Bewältigungsmuster zu lernen. Hilfreich ist auch eine Selbsthilfegruppe, in welcher man sich austauschen kann. Im Rahmen dieser lernen Betroffene, Verantwortung für sich selbst und ihr Handeln zu übernehmen und erfahren zugleich, dass sie nicht allein oder abnorm sind.
Für die meisten Essgestörten ist es ratsam, eine Therapie zu machen, ambulant oder auch stationär. Es hat beides Vor- und Nachteile, welche man gut gegeneinander abwägen muss, in jedem Fall ist eine psychologische und therapeutische Betreuung sehr wichtig, denn in den allermeisten Fällen schafft man es nicht mehr allein, aus dem Teufelskreis Essstörung auszubrechen.
Mein letzter Punkt beschäftigt sich mit der Frage, was Angehörige tun können, um die Betroffene zu unterstützen. Hier herrscht oft ein unklares Bild, allgemeine Verunsicherung, sowie Hilflosigkeit. Zuerst einmal ist es wichtig, dass Eltern und Freunde möglichst normal mit der Betroffenen umgehen, ihr zeigen dass sie gemocht und wertgeschätzt wird und dass sie jeder Zeit das Gespräch suchen kann. Falsch ist auf jeden Fall, eine Magersüchtige zum Essen zwingen zu wollen, das Aussprechen von Drohungen oder Erpressungen führt in den meisten Fällen nur zu einer Verschärfung der Situation und ändert nichts an den Ursachen der Krankheit.
Trotzdem darf das Thema Essen nicht völlig vermieden werden, die Eltern und Freunde sollten schon den Betroffenen ihre Sorge und Ängste mitteilen, jedoch gleichzeitig signalisieren, dass das Mädchen jeder Zeit auf Hilfe und Unterstützung zählen kann. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, einfach für die Betroffene da sein, ihr Gesprächsbereitschaft signalisieren, sie nicht im Stich lassen, jedoch trotz allem, ihre Grenzen, ihre Persönlichkeit und Bedürfnisse zu respektieren. Das ist sehr schwer, aber es ist die einzige und wohl wirksamste Möglichkeit, den Heilungsprozess zu fördern..
Dabei sollten sich Angehörige nicht scheuen, selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich unterstützen zu lassen, sei es jetzt von einer Selbsthilfegruppe oder einer professionellen Beratung.
10. Internetadressen für Betroffene und Interessierte
Inzwischen gibt es eine Menge an Internetadressen, die sich Betroffene anschauen können, um Hilfe zu bekommen, wir haben hier die unserer Meinung nach besten aufgelistet.
www.warumich-web.de
www.rotetraenen.de
www.selbstverletzung.com
www.sternentempel.de
www.maja-langsdorff.de (hier gelangt man durch einige Klicks auf eine sehr gute Seite)
www.beepage.de
www.selbstaggression.de
www.versteckte-scham.de
www.schattengebirge.de
www.rotelinien.de.vu/
11. Schlussbetrachtung
Das Beschäftigen mit dem Thema „Selbstverletzung als Bewältigungshandeln junger Frauen“ hat mir Spaß gemacht, da ich es interessant, aber auch erschreckend finde, wie junge Frauen, die diese Verhaltensweise aufweisen, mit ihrem innerlichen Schmerzen und Problemen (auch mit ihrem eigenen Körper) umgehen.
Besonders hat mir die Auseinandersetzung mit den Formen der Selbstverletzung gefallen, da mir vorher nicht bewusst war, dass z.B. schon Piercings oder Fingernägelkauen zum selbstverletzendem Verhalten zählen. So würde ich theoretisch auch ein selbstverletzendes Verhalten aufweisen, nur mein Verhalten zählt zu den alltäglichen Formen und wird somit nicht als psychische Störung angesehen.
Außerdem hat mich interessiert wie die Gesellschaft auf Personen mit Selbstverletzendem Verhalten reagieren- die Reaktionen sind meist negativ. Da ich mich jetzt besser in die Situation einer betroffenen Person hineinversetzen kann, würde ich mich jetzt wahrscheinlich anders verhalten, als früher, d.h. ich würde der Person mit mehr Verständnis entgegentreten und sie nicht abwerten.
Da ich in meinem Bekanntenkreis eine betroffene Person habe und aufgrund des Referates vermehrt auf ihr Verhalten geachtet habe, kann ich sie durch mein jetziges Wissen besser verstehen, warum sie sich z.B. von anderen Personen abgrenzt. Vielleicht kann ich ihr jetzt helfen ohne das sie es selbst merkt, sie beispielsweise in die Gruppe mehr integrieren und sie somit von ihrem Problem ablenken.
Als ich mich im Vorfeld zu dem Thema informierte, hat es mich sehr berührt, dass so extrem darauf hingewiesen wird, dass man sich genau überlegen soll, ob man sich die Internetseite wirklich angucken will: „Sind sie sich sicher, ob sie die folgenden Seiten betreten möchten, für Personen mit selbstverletzendem Verhalten könnte das Lesen zu erneuten Selbstverletzungen führen.“
Das Referat hat mir geholfen Vorurteile abzubauen und Hintergründe zu erfahren bevor ich vielleicht falsch handle. Wenn ich in Zukunft Personen mit selbstverletzendem Verhalten begegne, werde ich sie mit Respekt behandeln und auf keinen Fall abwerten.
- Arbeit zitieren
- Anne Bröhan (Autor:in), 2003, Selbstverletzung als Bewältigungshandeln junger Frauen, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/108032