GLIEDERUNG
1.) Einleitung:
1.1 These: „Regime können ihren Erfolg nicht überleben“
1.2 Gegenüberstellung mit dem Beispiel NATO woraus kann sich das Bestehen von Regimen begründen?
2.) Hauptteil:
2.1 Darlegung der Theorien des
- Realismus
- Neorealismus
2.2 Darlegung der Regimetheorie
2.3 Kritikpunkte an der Regimetheorie von
- Realismus
- Neorealismus
2.4 Was spricht für ein Fortbestehen von Regimen?
- Begründung aus der Regimetheorie
- Beispiel: Geschichte der NATO
3.) Schluss: Kommunikation im internationalen Bereich durch Regimebildung
Quellenangaben
1.)
„Es zählt inzwischen zum Allgemeingut der Sicherheitspolitik, dass siegreiche Bündnisse ihren Erfolg noch nie überlebt haben. Die Geschichte der internationalen Beziehungen lehrt, dass erfolgreiche Allianzen meist nur aus Not geboren werden und auch wieder zerfallen, wenn die Gefahr abgewendet ist.“[1]
Diese These von Stefan Kornelius kann sozusagen als „Musterbeispiel“ eines Sich- Wehrens des Realismus und vor allem auch des Neorealismus gegen die Grundaussagen der Regimetheorie gewertet werden: Bündnisse können nicht aus Wohlwollen entstehen, sondern lediglich aus strategischen Gründen oder aus Gefahrensituationen, und ihr Bestehen reicht niemals über ihre akute sicherheitspolitische Notwendigkeit hinaus.
Möchte man gegen diese These argumentieren, ist es sinnvoll, ein Beispiel für das Fortbestehen einer als Regime definierbaren internationalen Organisation zu suchen. Ideal erscheint hierbei das transatlantische Bündnis NATO: die nordatlantische Allianz ist eine Wertegemeinschaft freier, demokratischer Staaten, die sich zusammengeschlossen haben, um Frieden im internationalen Bereich zu wahren und die Grundsätze von Demokratie und Menschenrechten zu schützen.
Die NATO besteht als Verteidigungsbündnis bereits seit 1948; die Grundlage- also der Gedanke der Verteidigung- entspricht durchaus realistischen Ansätzen bezüglich des Zustandekommens von Bündnissen. Aber allein das Fortbestehen der NATO über internationale Krisen hinaus könnte bestätigen, dass eine akute Bedrohung der Sicherheit nicht die Voraussetzung für das Entstehen eines Regimes bedeutet, genauso wenig wie das Ende einer kritischen Situation gleichzeitig das Ende des Regimes bedeuten muss. Auch ist die NATO längst nicht mehr als bloßes Verteidigungsbündnis angelegt- allein eine Begriffsdefinition, die sich auf die Aufgabe der NATO als Hüterin der Menschenrechte bezieht, ist nicht mehr aus rein realistischem „Profitdenken“ begründbar.
Was werden aber von den Theoretikern des Regimeansatzes für Argumente für Ent- und vor allem Bestehen von Regimen verwendet und wie versuchen Realisten und Neorealisten dagegenzuhalten? Und kann Kornelius’ These bereits durch ein Beispiel- nämlich das der Nato- widerlegt werden?
Im Folgenden soll erörtert werden, inwieweit der Regimeansatz durch Realismus und Neorealismus angreif- oder sogar widerlegbar ist bzw. inwiefern sich die Regimetheorie am Beispiel der NATO erklären, vielleicht auch durchsetzen kann.
Zunächst möchte ich allerdings die Grundprinzipien der jeweiligen Theorien darlegen, um eine schlüssige Basis für die weitere Argumentation zu schaffen.
2.)
2.1
Die Basis des politischen Realismus wird bereits von Thomas Hobbes in „Leviathan“ dargelegt: durch die theoretischen „Wurzeln“ des Menschen im Naturzustand wird ein staatliches Zusammenleben auf der Basis des Misstrauens geschaffen; das Leben der Menschen im Naturzustand wird ständig durch Überlebensängste und Konkurrenzkampf eines jeden gegen jeden bedroht. In diesem Naturzustand herrscht das Recht des Stärkeren, jeder darf mit allen Mitteln sein Überleben gegen Übergriffe durch andere verteidigen. Eine Gesetzesgrundlage auf staatlicher Basis existiert nicht, weshalb jeder darauf angewiesen ist, sich durch Erweiterung seiner persönlichen Macht nach außen hin abzusichern.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, einen relativ straff organisierten Staat zu gründen, der den Schutz des Lebens seiner Bürger gewährleisten soll.
In der Theorie des politischen Realismus nach Morgenthau wird der Gedanke des Hobbes’schen „Naturzustandes“ auf die Beziehungen zwischen Staaten im internationalen Bereich ausgedehnt; Hauptinteresse des Staates ist demnach Erhalt bzw. Erweiterung der Macht zur Sicherung des eigenen Weiterbestehens („Aus persönlicher Angst wird Sorge um die Nation. Die Identifizierung mit der Nation erfüllt hier eine doppelte Funktion: persönliches Machstreben wird befriedigt und persönliche Angst beschwichtigt, indem beides auf die internationale Ebene übertragen wird.“[2] - für den Realisten ein objektives und unabänderliches Gesetz. Vor allem die Frage nach der Wirkung der ausgeübten Politik auf die Macht des Staates ist ein zentrales Thema.
Morgenthau geht in seiner Theorie des politischen Realismus von dem Hobbes’schen Menschenbild aus: jeder Mensch handelt rational, wenn er nach seinen eigenen Interessen vorgeht, wobei der Machttrieb im Vordergrund steht, denn Macht ist definiert als Herrschaft von Menschen über Menschen. Je mehr Macht man also besitzt, desto mehr Möglichkeiten hat man, das eigene Überleben gegen andere zu sichern.
Wie bereits erwähnt, ist der „Machttrieb“ eines jeden Menschen objektives Gesetz, kann also auch nicht durch übergeordnete Institutionen geändert werden. Deswegen ist es ein natürlicher Vorgang, dass sich Handeln in der internationalen Politik an Macht orientiert, so wie z. B. Wirtschaft sich an Geld orientiert. Ideologien und ethische Wertvorstellungen können hierbei also vollständig vernachlässigt werden; auch persönliche Wünsche oder der Staatsmann als Individuum spielen in der internationalen Politik für den Realisten absolut keine Rolle.
Das internationale System ist keiner bestimmenden oder gar gesetzgebenden Institution untergeordnet; es handelt sich um eine Anarchie, deren Beschaffenheit ebenfalls einem „Naturzustand“ entspricht: durch das ihm eigene Machtstreben befindet sich ein Staat in ständig angespannter Beziehung zu anderen Staaten.
Dadurch entsteht das Phänomen des außenpolitischen „Nullsummenspiels“: gewinnt ein Staat an Macht, verliert sie ein anderer, niemals können alle Staaten gleichzeitig profitieren. Nur, wenn sich ein Mächtegleichgewicht einstellt, ist die Friedenserhaltung gewährleistet- die „balance of power“ stellt für den Realisten eine beinahe automatische Folge aus der vorhandenen Situation dar und sichert ein friedliches „Zusammenleben“ der Staaten nebeneinander und gilt für Morgenthau als „grundlegendes Prinzip des modernen Staatensystems“, da sie „für die Erhaltung der Unabhängigkeit von Staaten“[3] unerlässlich scheint.
Morgenthaus Theorie entstand zur Zeit des Kalten Krieges; ihr Sinn besteht nicht darin, einen „Wunschzustand“ der internationalen Politik zu schaffen, sondern lediglich darin, deren „Ist- Zustand“ zu analysieren. Während des Ost- West- Konflikts wurde eine machtpolitisch völlig neue Situation in den internationalen Beziehungen geschaffen, und der politische Realismus bemüht sich um eine Theorie der Friedenserhaltung durch die „balance of power“ als „Spiel der Welt“: alle politischen Vorgänge im internationalen Bereich ergeben ein Gleichgewicht verschiedener Mächte im Sinne der Sicherheitspolitik.
Der Hintergrund eines zwanghaften Strebens nach Macht als „natürliches Gesetz“ wird allerdings beibehalten und kann auch nicht ausgeschaltet, sondern lediglich unter „Kontrolle“ gebracht werden. Deshalb wird die Erhaltung eines dauerhaften Mächtegleichgewichts beinahe unmöglich: „ Die Unsicherheit jeder Machtberechnung verhindert die praktische Anwendung des Gleichgewichts der Mächte.“[4]
Während beim Realismus das Handeln im internationalen Bereich vom Überlebens- und Machtinstinkt der beeinflusst wird, steht bei der Theorie des Neorealismus nach Kenneth Waltz der „Überlebenskampf“ eines Staates im internationalen System im Mittelpunkt: „The structure of a system acts as a constraining and disposing force, and because it does so system theories explain and predict continuity within a system.“[5]
„System“ bedeutet die Gesamtheit aller Einheiten in der internationalen Politik, umfasst also Staaten und Akteure; wie beim realistischen Ansatz ist das internationale System anarchisch und die Staaten existieren voneinander unabhängig. Prinzipiell sind sie gleichgestellt, Schwankungen im Machtgefüge treten jedoch durch den unvermeidlichen Kampf um Macht auf. Das System determiniert die Staaten dadurch, dass sie zu machterweiterndem Handeln gezwungen werden und macht dadurch Handlungen voraussehbar: Handeln im Sinne des Überlebensdranges wiederholt sich immer wieder.
Da im anarchischen internationalen System keine verbindliche Ordnung besteht, kann kein Staat sich seiner Position sicher sein- aus der ständigen Gefahr eines Übergriffes durch andere Staaten entsteht ein Sicherheitsdilemma, welches die Selbsterhaltung als oberstes Ziel in der internationalen Politik ausweist. Die Handlungen eines Staates sind also zwar eigenständig, hängen aber doch vom Verhalten anderer Staaten ab („Each state arrives at policies and decides on actions according to its own internal processes, but its decisions are shaped by the very presence of other states as well as by interactions with them.”[6] ). Wichtig ist hierbei auch die unterschiedliche Verteilung der sog. „capabilities“, eine Art „Ressource“, die der Staat im internationalen Wettkampf aufweisen kann (z. B. auf Waffengewalt bezogen); ihre Zuordnung erfolgt ähnlich dem Ordnungsprinzip des Marktes, hat also auch einen Einfluss auf die Struktur und somit auf das Handeln des Staates („The structure of a system changes with changes in the distribution of capabilities across the system’s units.“[7] ).
Eine Einschätzung der anderen Akteure bezüglich bevorstehender Handlungen ist nach neorealistischer Einschätzung nahezu unmöglich: alle Aktionen können wegen der unsicheren internationalen Struktur durchaus unbeabsichtigte Folgen haben, der eigene Gewinn wird durch bloßes Handeln nicht gesichert.
Auch hier wird die Theorie des „Nullsummenspiels“ angewendet: gewinnt ein Staat an Macht, verliert sie ein anderer, niemals können alle Staaten gleichzeitig durch eine Veränderung im internationalen Machtgefüge ihren Vorteil erreichen.
Durch dieses Sicherheitsdilemma wird Kooperation zwischen Staaten- außer kurzfristig aus machtpolitischen Gründen- praktisch ausgeschlossen. Kein Staat kann es sich leisten, sich durch Zusammenarbeit mit einem anderen Staat in eine politische Abhängigkeit zu begeben, da keine Sicherheit über die Gewinnverteilung gegeben ist.
Zentrales Prinzip des Neorealismus ist die bereits beim Realismus angedeutete „balance of power“, das Gleichgewicht der Mächte, dass sich aus dem Wechselspiel des Machtkampfes in einem anarchischen System, in dem jeder mindestens das eigene Überleben (oder höchstens eine Art „Universalherrschaft“ im internationalen Bereich) erreichen will, ergibt. Zusätzlich zu der Problematik eines Sicherheits- und Machtdilemmas belastet also der „Zwang zum Machtausgleich“ die Staaten.
Wie kann im internationalen Bereich also überhaupt noch gehandelt werden?
„Balance of power“ bedeutet nicht die machtpolitische Gleichstellung aller Staaten; wahrscheinlicher ist nach der Theorie des Neorealismus die Bildung eines bipolaren Systems mit zwei „Machtpolen“, zwischen denen ein permanenter Machtausgleich stattfindet. Dies kann geschehen, indem sich mehrere kleinere- bzw. weniger einflußreiche- Staaten zusammenschließen, um ein „Gegenmachsystem“ zum bestehenden „Machtsystem“ zu schaffen, oder - aus dem gleichen Grund- durch wettbewerbartiges Aufrüsten zweier „Supermächte“, wie es sich am Beispiel USA- Sowjetunion zeigt.
Staaten, die sich von ihrer inneren Verfassung her ähnlich sind, arbeiten hierbei meist zusammen; ein „gegen- den- Strom- Schwimmen“ hat überlebenstechnisch keinen Wert, da die durch das balancing entstandenen „Machtpole“ das internationale System beeinflussen, wenn nicht sogar allein beherrschen.
Konzentriert man sich also im internationalen Bereich auf die Entstehung eines Macht- und eines Gegenmachtsystems, werden die Handlungsmöglichkeiten der Staaten eingeschränkt und somit das Sicherheitsdilemma verringert. Die „balance of power“ ergibt sich laut Kenneth Waltz „automatisch“ durch das Sicherheitsbedürfnis der einzelnen Staaten. Das internationale System basiert nicht auf Kooperation mit dem Ergebnis gegenseitiger Hilfe, sondern ist ein „self help system“, in dem jeder auf sich selbst gestellt ist und sich so selbst um sein Überleben bemühen muss: „In any self help system, units worry about their survival, and the worry conditions their behaviour.“[8]
2.2
Sowohl Realismus als auch Neorealismus schließen das Ent- und vor allem Bestehen von Bündnissen gegen den stetigen Machtkampf im internationalen Bereich völlig aus. Das persönliche macht- und sicherheitspolitische Interesse steht für den Staat unabwendbar im Vordergrund.
Als beinahe natürliche Folge zu den realistischen Machtstaatsgedanken entwickelt sich in der internationalen Politik der Regime- Ansatz als „teil- idealistischer“ Versuch, Kooperation zu erklären und ihre Notwendigkeit zur Erhaltung der Sicherheit deutlich zu machen.
Der Regime- Ansatz kann als Weiterentwicklung der Interdependenztheorie angesehen werden; Interdependenz bedeutet Abhängigkeit von Staaten untereinander, die zwangsweise auf mindestens einem Politikfeld entsteht. Auch die Wirtschaftspolitik wird mit eingebunden, die Konzentration liegt also nicht mehr ausschließlich auf Macht- und Sicherheitspolitik- „Struktur der Anarchie“ im internationalen System ist nicht mehr das „Nullsummenspiel“ von Realismus und Neorealismus sondern die zwischenstaatlichen Beziehungen, von denen jeder Staat auf lange Sicht profitiert.
Eine Art „Untergruppe“ des Interdependenzsystems bilden die Regime, die im internationalen System durch Institutionalisierung, also durch die Schaffung von Rechten und Pflichten in der Zusammenarbeit der Kooperationspartner, eine Struktur schaffen. Kooperation in Regimen findet in verschiedenen Politikfeldern statt, bedeutet also nicht die Schaffung eines die gesamte Außenpolitik abdeckenden Kooperationsgeflechts.; ein Beispiel für ein Regime wäre die NATO als Sicherheits- und Verteidigungsbündnis.
„Regime sind Institutionen, d.h. dauerhafte Ordnungen für interpersonales Handeln und Kommunikation; sie bestehen aus einem Geflecht von Rollen, die durch Regelungen oder Konventionen zusammengehalten werden.“[9]
Besonders wichtig ist bei der Analyse von Regimen, dass sie nicht als spontane Handlungen des „Wohlwollens“ entstehen; genauso wenig bildet sich ein Regime aus einem langwierigen Entwicklungsprozess wie z. B. die Diplomatie. Regime werden aus Notsituationen geschaffen und sind vorher nicht im Hintergrund existent; die „balance of power“ kann also nicht als Regime bezeichnet werden, da sie sich gezwungenermaßen aus dem Sicherheitsdilemma ergibt und nicht erst in einer Krise geschaffen wird. Außerdem müssen Staaten zur Entstehung von Regimen freiwillig kooperieren.
Die Regeln dieser Kooperation sind trotz der expliziten Vereinbarung zwischen den beteiligten Staaten nur teilweise verbindlich; natürlich gibt es Regelungen mit Rechtscharakter, die Vereinbarungen über gewisse Standards beruhen aber auch häufig auf Empfehlungen (Beispiel: Sicherheit in der Kernenergie) und ist somit nicht rechtlich bindend. Der materielle Aspekt steht bei der Regimebildung im Hintergrund; die Hauptfunktion bleibt die Kommunikation zwischen Staaten zur Schaffung von allgemeinen Vorteilen. Häufig wird hierbei auf die Mithilfe von internationalen Organisationen (wie z. B. der UNO), die eine starke Rolle in der Weltpolitik spielen und somit das Regime sichern bzw. dessen Kommunikationsmöglichkeiten verbessern, zurückgegriffen.
Warum erhebt die Regimetheorie nun den Anspruch, Konflikte durch Kooperation lösbar zu machen?
Regime bedeuten wie bereits erwähnt Kooperation in verschiedenen Politikfeldern, wobei die Wirtschaftspolitik miteinbezogen wird. Grundsätzlich bleibt ihre Intension aber die Prävention und vor allem auch die Lösung von Konflikten im internationalen Bereich („Sie dienen der Erleichterung oder der Ermöglichung von Koordination und/oder Zusammenarbeit zwischen konkurrierenden Akteuren.“[10] ).
Voraussetzung für eine funktionierende Zusammenarbeit von Staaten bleibt in jedem Fall der Nutzen, den die Beteiligten daraus ziehen. In diesem Punkt wird die Regime- Theorie „realistisch“ beeinflusst: Kooperation muss sich lohnen, damit sie attraktiv bleibt. Krisensituationen bilden daher nicht die einzige Voraussetzung für die Bildung von Regimen, es spielen auch Faktoren wie Informationsaustausch zwischen Staaten, Verbindlichkeit von Abmachungen und die neu gewonnene „Durchschaubarkeit“ der Bündnispartner eine Rolle. Denn das Sicherheitsbedürfnis der Akteure in der im internationalen Bereich vorherrschenden Anarchie wird auch in der Regimetheorie als gegeben angesehen, und durch Informationsaustausch kann das Verhalten der Bündnispartner eingeschätzt werden, was ein gegenseitiges Ausnutzen verhindert.
2.3
Auf den zweiten Blick greift die Regimetheorie also durchaus realistische und neorealistische Ansätze zur Beurteilung des Verhaltens von Staaten auf, hauptsächlich, indem der Nutzen für die Staaten bei der Frage nach der Funktion eines Regimes in den Vordergrund tritt.
Ist aber nach der Theorie des Realismus eine solch „vernünftige“ Übereinkunft zwischen Staaten überhaupt möglich?
Staaten leben in einem vom Willen nach Machterweiterung beherrschten anarchischen System; dieses Interesse an Macht bleibt als Grundlage menschlichen Überlebens zeitlos. Deshalb kann das Handeln von Menschen- oder eben das Handeln von Akteuren im internationalen System- niemals durch ideologische Ansätze, Wünsche oder Ideen außerhalb dieses Überlebensbereiches beeinflusst werden („International politics is the realm of power, struggle, and of accomodation () being hanarchic, horizontal, decentralized, homogenous, undirected, and mutually adaptive.“[11]. Das bestehende „Grundmisstrauen“ verursacht eine ständige Anspannung in der „internationalen Situation“. Zusammenarbeit erfolgt aufgrund dieses Misstrauens nur in Krisensituationen
und geht niemals über deren Ende hinaus; Staaten führen ein voneinander unabhängiges Dasein und vertreten ausschließlich ihre eigenen Interessen. Regime können durchaus über einen längeren Zeitraum bestehen; nach der realistischen Theorie beschränkt sich ihre Effizienz jedoch ausschließlich auf die Regelung eines Konfliktes, da kein Interesse zur Erhaltung einer Zusammenarbeit besteht- jeder Staat bleibt alleiniger Vertreter seiner Interessen.
Die Regelung eines Regimes durch gewisse Normen ist eine nicht mit dem Realismus vereinbare Methodik: Normen in einem Regime bauen auf gewissen vereinbarten Moralvorstellungen auf (wie z. B. Vereinbarungen über den Umweltschutz), die im internationalen System nach Morgenthau schlichtweg nicht existieren können. Das internationale System bleibt eine Anarchie, in der die Selbsterhaltung im Vordergrund steht und moralische Vorstellungen untergeordnet bleiben.
Auch sind die jeweiligen Interessen eines Staates nicht auf andere Staaten übertragbar; natürlich können sich die Interessen verschiedener Staaten ähneln, eine Dauerhafte Kooperation wird jedoch immer vom durch den Selbsterhaltungstrieb verursachten Misstrauensgedanken unterbunden.
Im Zentrum des Neorealismus steht- wie bereits erwähnt- das Problem der Sicherheit im internationalen System. Durch das Sicherheitsdilemma werden die Staaten zu einem Handeln verleitet, das ihr Überleben nach außen hin sichert, sind also auch durchaus zu Gewalt- die sie ja auch von außen erwarten können- bereit: „...each state plots the course ist thinks will best serve ist interests. If force is used by one state or ist use is expected, the recourse of other states is to use force“[12].
Dadurch sinkt die Kooperationswahrscheinlichkeit in der neorealistischen Theorie gegen Null; auch sind durch das im internationalen System vorherrschende Charakteristikum des „Nullsummenspiels“ (s. o.: wenn ein Staat Macht verliert, gewinnt sie ein anderer; Ergebnis: balance of power) die Unsicherheiten über die Gewinnverteilung so groß, das eine Zusammenarbeit praktisch ausgeschlossen werden kann. Wegen des ständig herrschenden Misstrauens im internationalen Bereich steigt auch die Angst vor Abhängigkeiten, auf die man sich ja bei der Bildung einer Kooperation einlässt.
Im Grunde wäre die Regimetheorie mit der Basis von gemeinsamen Normen durchaus zuträglich zur Lösung des Sicherheitsdilemmas: schließlich gewinnt man durch Zusammenarbeit Aufschluss über die Beschaffenheit und die Interessen der Staaten, mit denen man kooperiert. Für den Neorealisten kann es aber dennoch niemals längerfristig zu einer solchen Kooperation kommen; das Misstrauen kann nur zur Lösung akuter Probleme überwunden werden, der Nutzen einer längerfristigen Zusammenarbeit wird durch das Sicherheitsbedürfnis verdrängt. Auch ist die einzig akzeptable gemeinsame „Norm“ von Staaten ihr Überlebenswille- keine sehr gute Basis beispielsweise für ein Bündnis zum Umweltschutz.
Im Allgemeinen stellt die Kooperation durch Regimebildung sowohl für die Realisten als auch für die Neorealisten also keine ernstzunehmende Möglichkeit für die Lösung des internationalen Konflikts, des Sicherheitsdilemmas, dar; das einzige, was Staaten zur gegenseitigen Verständigung leisten können, ist einem „balancing“ hinzuzuarbeiten, was nicht Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten bedeutet, sondern Bildung von Macht- und Gegenmachsystemen, in denen sich ähnliche Staaten zusammenschließen. Eine gewisse Art der Kooperation entsteht hierbei schon, allerdings lediglich aus dem Grund, nicht dem System entgegenzuarbeiten, was die Zerstörung der eigenen Existenz bedeuten würde. Machtausgleich ist das Ziel- andere Politikfelder werden in diese Zusammenarbeit nicht miteingebunden, da das Risiko durch Unsicherheit die Gewinnverteilung betreffend für die „realistisch“ bzw. „neorealistisch“ denkenden Staaten überwiegt („Balance-of-power-politics prevail wherever two, and only two requirements are met: that the order be anarchic and that it be populated by units wishing to survive.”[13] )
Das Ziel, das erreicht werden muss, um ein gewisses Minimum an Sicherheit im internationalen System zu schaffen, ist die Bildung oben genannter Macht- und Gegenmachtsysteme, in die sich die einzelnen Staaten ihren Möglichkeiten gemäß einordnen, um weiter bestehen zu können. Diese Art der Kooperation entsteht aber nicht aus Einsicht, wie es die Regimetheorie verlangt, sondern aus eben diesem Zwang, sich selbst gegen das Misstrauen der anderen schützen zu müssen, um sich zu erhalten.
Eine weitere Möglichkeit zur Schaffung eines Regimes wäre die Einsicht nach einer Aushandlung, die die Vorteile einer Regimebildung für alle Beteiligten deutlich macht. Hier besteht für den realistischen Ansatz das Problem der argumentativen Diskussion: kein Staat entscheidet sich zu einer Kooperation, ohne dabei seinen Nutzen 100%ig gesichert zu sehen. Denn durch das bloße Entstehen eines Regimes ist die gleichteilige Nutzenverteilung noch lange nicht garantiert. „Mächtigere“ Staaten können im Vorstand des Regimes dominieren (wie man es evtl. von den USA im Falle der NATO behaupten könnte); für den „Realisten“ ein Grund, warum ein Staat sich niemals auf die Schließung eines solchen Bündnisses einlassen würde. Jeder ist schließlich auf seinen eigenen Vorteil sowie die Vermehrung seiner eigenen Macht bedacht, es liegt nicht im Interesse der „Natur“ des Staates, andere auch an seinen „Privilegien“ teilhaben zu lassen.
Der strategische Aspekt bleibt jedem politischen Handeln im internationalen Bereich erhalten; Kooperation ist zwar zur kurzfristigen Nutzenmaximierung möglich, entsteht aber niemals längerfristig auf der Basis von Einsicht, sondern höchstens durch Abhängigkeit von anderen Staaten (vgl. Interdependenztheorie). Der persönliche „Überlebenswille“ ist für die realistische Theorie immer stärker als jeder Vorteil aus Zusammenarbeit. Natürlich könnte man hierbei anführen, dass es erwiesen ist, dass ein Regime wie die NATO meist nur in Kriegszeiten aktiv agiert; wäre dann aber nicht in während des Friedens ein Verfall des Bündnisses vorprogrammiert? Warum besteht die NATO immer noch als „Friedensbündnis“, ohne dass alle Teilnehmer, um Ihre Sicherheit zu fördern und aufgrund des natürlichen Misstrauens, ihre Teilnahme versagt haben?
2.4
Wie bereits oben erwähnt, basiert der Regimegedanke durchaus auf einer realistischen Grundlage, nämlich der des gegenseitigen Nutzens. Die Bekämpfung eines akut auftretenden Problems begünstigt die Regimebildung, indem sie ihr einen konkreten Anreiz gibt: alle sind von der Krise im internationalen Bereich betroffen, und alle finden zu ihrem gemeinsamen Nutzen hierfür eine Lösung (z. B: Umweltpolitik, Regelungen über Abgase). Besonders wichtig ist hierbei, dass alle teilnehmenden Staaten sich dazu verpflichten, zum Vorteil aller zu handeln, der ja auch ihr eigener Vorteil ist. Die Grundlage des Misstrauens fällt hierbei also beinahe weg- durch Vertragsbruch würde sich der jeweilige Staat nur selbst schaden.
Durch die Informationen, die man in einem Regime zum Handeln anderer Staaten gewinnt, wird die eigene Lage weniger misslich und die Sicherheit des einzeln agierenden Staates gewährleistet; niemand kann mehr von mächtigeren bzw. ihn täuschenden Staaten ausgenutzt werden. Die Gefahr eines „Prisoner’s Dillemma“, in dem jeder aufgrund mangelnder Informationen im Endeffekt falsch (also entweder zu einem suboptimalen Spielausgang oder zum Desaster hingreifend) entscheidet, erübrigt sich, da das Verhalten des Partners abschätzbar wird. Man kann aufgrund der „Durchsichtigkeit“ der Bündnispartner viel einfacher zu einer sicher effektiveren Lösung gelangen. Zur optimalen Ausnutzung einer Kooperation müssen aber alle Parteien zur Kooperation durch Einsicht bereit sein („ Ein einseitiges Kooperationsangebot läuft Gefahr, vom Mitspieler ausgenutzt zu werden“).[14]
Wird ein Regime geschaffen, so liegen ihm Prinzipien zugrunde, auf die sich alle Teilnehmer geeinigt haben; bei der NATO hieße das Prinzip beispielsweise „Friedenserhaltung“. Daraus ergeben sich die Normen, die Rechte und Pflichten der Bündnispartner festlegen und aus denen schließlich die genau einzuhaltenden Regeln resultieren. Allein durch die Existenz dieser Regeln wird der Entscheidungsspielraum eines Staates im internationalen Bereich eingeschränkt; jeder, der sich nicht an die Regeln hält, muss mit einem Schaden für sein Land rechnen, und sei es „nur“ durch Sanktionen. Nachdem sich aber alle Bündnispartner ihres Vorteils durch das Regime aus Gründen der Einsicht bewusst sind, sind sie nach der Regime- Theorie durchaus bereit, ihr Handeln für andere „durchschaubarer“ zu machen. Schließlich gewinnen auch sie selbst Aufschluss über die Initiativen der Teilnehmer und somit mehr Sicherheit.
Das Verhalten der „Bündnispartner“ wird auf gewisse Weise berechenbar und birgt so keine unmittelbare Gefahr mehr in sich. Durch Regimebildung strukturnaher Staaten soll also ein Optimum erreicht werden, das im anarchischen internationalen System im „Alleingang“ nicht erzielt werden kann („Die Summe der unkoordinierten Aktionen, die aus dem System der Selbsthilfe resultieren, ergibt ein unbefriedigendes Resultat für alle.“[15] )
Auch die weniger „feste“ Struktur eines Regimes kann einen Anreiz zur Teilnahm bilden: die meisten Richtlinien basieren auf Empfehlungen und sind nicht rechtlich bindend; für die Einhaltung der dennoch bestehenden verbindlichen Regeln in einem Regime bekommt der teilnehmende Staat die „Belohnung der Information“: Kommunikation führt zu Informationsaustausch, der ohne einen gemeinsamen „Wertegrundstock“ hart erkämpft werden müsste, eventuell sogar unmöglich wäre.
Abgesehen von dem längerfristigen Nutzen der „Aufklärung durch Zusammenarbeit“ bemühen sich Regime natürlich um Maßnahmen zur Konfliktlösung und -vorbeugung im internationalen Bereich, wie z. B. im Umweltschutz. Staaten, die sich an einem Bündnis zur Lösung solcher Probleme beteiligen, profitieren mit Sicherheit davon: nur wenn es eine internationale Einigung über solche „globalen Probleme“ gibt, funktioniert die Konfliktlösung. Gerade die Umwelt betreffende Probleme müssen von allen behandelt werden, da sie ja auch alle im gleichen Maße betreffen.
„Hauptanreiz“ bleibt bei der Bildung eines Regimes dennoch die Schaffung von Sicherheit im internationalen System; in einer Anarchie besteht die Gefahr der Ausbeutung weniger mächtiger Staaten, da keine Verbindlichkeiten bestehen. Auch werden durch die Regimebildung Probleme als gemeinsam erkannt, was die Kommunikation und dadurch die Entscheidungsfindung bei der Konfliktlösung maßgeblich erleichtert. Die „Transparenz“, die das Handeln der beteiligten Staaten bekommt, schafft Sicherheit, die das „höchste Gut“ in der internationalen Politik darstellt.
Auch die Einklammerung anderer Politikfelder wie z. B. Wirtschafts- und Umweltpolitik macht die Teilnahme an einem Regime attraktiv: das Prinzip lautet nicht mehr „Selbsthilfe der Staaten“, sondern „Gegenseitige Hilfe zur Konfliktlösung und -prävention“- jeder zieht daraus seinen persönlichen Nutzen; durch die Abhängigkeit entsteht keine negative Situation, sondern es wird Sicherheit dazugewonnen. Für realistische Ansätze ist diese Art der Zusammenarbeit- trotz ihrer bewiesenen Effizienz- unmöglich, da der dauerhafte Nutzen hinter dem augenblicklichen Sicherheitsbedürfnis steht.
Natürlich basieren auch Regime auf gegenseitigem Nutzen, allerdings können sie nur auf der Grundlage gegenseitigen Einvernehmens gegründet werden; und wenn die Einsicht der Staaten in diesem Bereich bereits so weit geht, stehen die Chancen für ein langes Bestehen des Regimes sehr gut. Ob Regime den Weg zum „Weltfrieden“ ebnen, soll hierbei in Frage gestellt werden; sie stabilisieren lediglich die Lage im internationalen Bereich. Ihre Erhaltung kann nicht erzwungen werden, sie müssen Nutzen für alle Beteiligten garantieren. Dazu muss ein Konsens zumindest auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner vorhanden sein.
Ein aktuelles Beispiel für das erfolgreiche Bestehen eines Regimes liefert die NATO als Wertegemeinschaft freier, demokratischer Staaten zum Schutz von Demokratie und Menschenrechten und zur Wahrung des Friedens. Die gemeinsame Basis der Teilnehmerstaaten ist die Demokratie, Grundlage zur Bildung der NATO 1948 war jedoch der Wunsch nach einem Verteidigungssystem durch eine Initiative des US- Senats.
Die NATO ist also ein Verteidigungsbündnis, das nach „klassischer“ Art der Regimetheorie entstanden ist und jedem der Teilnehmerstaaten Nutzen durch Sicherheit verschaffen sollte. In diesem Sinne stand auch der NATO- Doppelbeschluss 1979, in dem vereinbart wird, dass Russland die nuklearen Mittelstreckenwaffen abzieht um die Spannung im Verhältnis Ost- West zu reduzieren- ein wichtiger Beitrag zur Schaffung einer internationalen Sicherheit, da bereits zur Zeit der Korea- Krise das Krisenverhältnis zwischen Ost und West kurz vor der Eskalation stand.
Ab 1990 hat die NATO einen „neuen Weg“ eingeschlagen: von der Verteidigung durch Konfrontation wurde ein Übergang zur Kooperation eingeschlagen, was erstmalig im Jugoslawien- Konflikt zum Tragen kam: das neue strategische Konzept der NATO besteht in Dialog und Kooperation zur Erhaltung der Verteidigungsfähigkeit, nicht unbedingt in direktem Eingreifen gegebenenfalls mit Waffengewalt. Grundcharakter bleibt jedoch das Prinzip des „Bündnisses zur Sicherung des Friedens“, was besonders durch den Beitritt des ehemaligen „Krisenherdes“ Russland 1994 sowie durch die Schaffung der „Partnerschaft für den Frieden“, einer Art „Nebenelement“ der NATO, dem auch Staaten außerhalb des ursprünglichen Bündnisses angehören, gesichert wurde. Diese „Partnerschaft“ hat die maßgebliche Aufgabe der Koordination von Interessen, d. h. Einzelstaaten vertreten und erörtern ihre Ziele vor den NATO- Gremien. Dies hat natürlich den längerfristigen Vorteil, dass Aufschluss über die Pläne und Aktionen von Staaten außerhalb des Bündnisses gewonnen wird und somit auch eine gewisse „Kontrollfunktion“ durch die NATO ausgeübt werden kann- wiederum ein Beitrag zur Sicherheit.
Auch wenn man ihre Struktur betrachtet, ist die NATO ein Regime im Sinne der Theorie: vor allem durch NATO- Rat und - Generalsekretär wird eine feste „Politik“ und somit Kontinuität innerhalb des Bündnisses geschaffen; auch die anderen Gremien, wie z. B. der Rat der Verteidigungsminister und die NATO- Ausschüsse, tragen zur Ordnung des Regimes bei. Dadurch werden die Kommunikationsmöglichkeiten stabilisiert und es entsteht eine gewisse Verbindlichkeit.
Wichtig ist hierbei auch die Bedeutung der „Ämterverteilung“ innerhalb des Regimes: der NATO- Rat als höchstes politisches Gremium besteht aus Vertretern aller Mitgliedstaaten, die somit beinahe gleich stark repräsentieren können. Natürlich kann es zu Diskontinuitäten zwischen einflussreichen und weniger einflussreichen Ländern kommen, im Allgemeinen ist der Profit für alle Staaten jedoch groß genug- „Großmächte“ können hierbei eine stärkende Position einnehmen, was die Zugehörigkeit zur NATO zusätzlich attraktiv macht: gerade wenn eine Krisensituation auftritt, ist es sinnvoll, Bündnispartner auf seiner Seite zu haben. Auch bleibt eine Großmachstellung nicht unbedingt gesichert: gerade am Beispiel der Sowjetunion kann man sehen, wie wichtig es ist, eine stabile Partnerschaft mit anderen Ländern auf internationalem Gebiet zu pflegen.
Sicher kann man hierbei das Argument anführen, dass gerade in einem Regime wie der NATO die USA als momentan einflussreichster - und zusätzlich von Europa „abgekoppelter“ - Staat übervorteilt wird. In der Tat ist es so, dass der NATO- Generalsekretär, in der Regel ein Europäer, das wichtigste politische Amt inne hat, jedoch die zwei Obersten Alliierten Befehlshaber für Europa und den Atlantik US- Amerikaner sind. Zumindest für den europäischen Bereich wäre es vielleicht logischer, einen Europäer in dieses Amt einzusetzen- jedoch gewährleistet das alleinige Vorhandensein eines Regimes nicht unbedingt eine komplett gleichartige Verteilung der Einflussbereiche, genauso wenig wie gleicher Nutzen für alle garantiert werden kann. Nachdem die USA aber zumindest nach dem „Sieg“ im Ost- West- Konflikt als Großmacht im Vordergrund stehen, muss dies von den Bündnispartnern zu ihrem eigenen Vorteil akzeptiert werden. Kennzeichnend für ein Regime ist nämlich unter anderem auch, dass die Teilnahme vollkommen freiwillig auf der Basis des Konsens erfolgt, und wenn sich ein längerfristiger Gewinn durch den Beitritt zur NATO abzeichnet, bleibt es für einen Staat auch unter dem Einfluss der USA lohnenswert, dem Regime beizutreten, was ja auch durch aktive Bemühungen vieler Staaten um einen Beitritt bestätigt werden kann.
Eine weitere Institution, die das Bestehen der NATO festigt, ist der 1997 gegründete Euro- Atlantische Partnerschaftsrat (EAPR), in dem gemeinsame Werte und Prinzipien der NATO- Staaten dargelegt wurden. Diesem Rat gehören neben den NATO- Staaten u. a. auch noch alle ehemaligen Staaten der Sowjetunion an, was wiederum die Annäherung zwischen Ost und West im Rahmen der Geschichte der NATO deutlich macht. Der EAPR bietet im Rahmen der NATO als „Zusatzinstrument“ Möglichkeiten zur Krisenbewältigung im internationalen Bereich und stellt natürlich eine weitere Kommunikationsmöglichkeit dar.
Betrachtet man die mittlerweile über 40jährige Geschichte der NATO, kann man insgesamt zu dem Schluss kommen, dass ein Regime über einen langen Zeitraum gemäß der Regimetheorie bestehen kann; sie hat sich trotz zeitweiser „Ruhelage“ als bisher „funktionsfähigstes“ Verteidigungssystem erwiesen. Durch ihre Institutionen wird eine Art Disziplin in den Teilnehmerstaaten geschaffen, die nur durch die längerfristige Attraktivität der Teilnahme gesichert werden kann. Deutlich wird das vor allem auch durch die Förderung der inneren Stabilität der Teilnehmerstaaten: durch die Schaffung einer internationalen Verständigungsmöglichkeit wird zunächst Sicherheit geschaffen, die sich positiv auf die innere Struktur von Staaten auswirken kann. Ebenso die Institutionalisierung bestimmter Wertvorstellungen und Richtlinien wirkt positiv „nach innen“: die der NATO zugehörigen Staaten haben im Allgemeinen auf der Verteidigungs- sowie auf der Wirtschaftsebene stabile Verhältnisse. Gerade die wirtschaftliche Struktur eines Landes kann durch Kooperation, die ja nicht nur den Verteidigungssektor betrifft, sondern sich im internationalen Bereich auf ein Geflecht von Bündnissen ausbreitet, positiv beeinflusst werden.
Eine weiterer Punkt für das Fortbestehen der NATO ist das einfache Argument, dass militärische Krisen niemals auszuschließen sind: zwar könnte man behaupten, dass die NATO nach dem Ende des Kalten Krieges durch das Wegfallen der Bipolarität einen „Tiefpunkt“ erreicht hatte, durch die Neuorientierung zum Friedensbündnis haben sich jedoch andere Konfliktfelder erschlossen (Beispiel: Jugoslawienkrieg).
3.
Aus der Analyse der Regimetheorie sowie aus der Darstellung des Beispieles der NATO kann man schlussfolgern, dass Regime durchaus Chancen auf ein längerfristiges Bestehen haben, solange die Teilnahme- evtl. auch bedingt durch eine Neuorientierung- lohnenswert bleibt. Insofern weicht der Regimeansatz von der logischen Argumentation in diesem Punkt gar nicht so weit von den realistischen Ansätzen ab: wird kein Nutzen garantiert, besteht kein Interesse am Erhalt eines Regimes. Dass dies nach einem Gewissen Zeitraum (nämlich nach der Regelung einer akuten Notlange) automatisch geschieht, wie Stephan Kornelius in seinem Artikel behauptet, ist jedoch nicht gewährleistet: das Sicherheitsbedürfnis der Menschen, dass ja auch sowohl im Realismus als auch im Neorealismus als Grundprinzip menschlichen Handelns gedeutet wird, wird von der Regimetheorie durchaus berücksichtigt, was allein schon durch die beschriebene Funktion eines Regimes deutlich wird. Gerade die NATO als
Sicherheits-, Verteidigungs- und vor allem Friedensbündnis wird niemals ihren aktuellen Wert verlieren.
Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass das Sicherheitsproblem ein akutes Problem im internationalen Bereich ist und deswegen allein ein Verteidigungsbündnis eine Chance auf Erhalt hat; umgekehrt hat die NATO ihr Bestehen über den Kalten Krieg hinaus auch in Friedenszeiten gesichert, indem sie sich als „Bündnis für den Frieden“ neu ausgewiesen hat. Ziel eines Regimes ist meiner Meinung auch nicht das ständige aktive agieren, sondern dauerhaft gesicherte Zusammenarbeit zur Konfliktlösung und -prävention (der NATO- Rat beispielsweise tagt zwar regelmäßig, aber nur in Krisenzeiten wirklich häufig) sowie zur Kommunikationserleichterung.
Zwar erfolgt der Zusammenhalt eines solchen Bündnisses wohl meist aus rein strategischen Gründen- nämlich zur Sicherung des Wohls des Staates, was ein natürlicher Beweggrund gerade auch für den „Realisten“ ist- jedoch ist die aktive Teilnahme freiwillig. Man kann auch nicht bewiesenermaßen davon sprechen, dass „Nicht- Teilnehmer“ bewusst benachteiligt werden- Teilnehmer ziehen lediglich einen Vorteil aus der Zusammenarbeit.
Quellenverzeichnis
- Morgenthau, Hans: „Macht und Frieden“, Gütersloh 1963 aus: Reader „Einführung in die internationale Politik“, Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft, LMU München
- Müller, Harald: „Die Chance der Kooperation. Regime in den internationalen Beziehungen“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1993 aus: Reader „Einführung in die internationale Politik“, Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft, LMU München
- Pernetta, Robert: „Forming an European Security and Defence Identity”, Universytet Jagiellonsky 2000 (wissenschaftliche Arbeit, zu finden bei “www.hausarbeiten.de”)
- „Vom Kalten Krieg bis zur Osterweiterung – ein Bündnis im Wandel“, zu finden bei: „www.e-politik.de“
- Waltz, Kenneth: „Theory of International Politics“, in: Keohane, Robert (ed.): „Neorealism and its Critics”, New York 1986
[...]
[1] Stefan Kornelius: Leitartikel „Rückkehr des Nationalen“, Süddeutsche Zeitung vom 18.12.99
[2] Morgenthau, Hans: Macht und Frieden, Gütersloh 1963, Seite 71 Mitte im Reader zur Einführung in die internationale Politik
[3] Morgenthau, Hans: Macht und Frieden, Gütersloh 1963, Seite 95 oben im Reader zur Einführung in die internationale Politik
[4] Morgenthau, Hans: Macht und Frieden, Gütersloh 1963, Seite 98 oben im Reader zur Einführung in die internationale Politik
[5] Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, in: Keohane, Robert (ed.): Neorealism and its Critics, New York 1986, Seite 69 Mitte
[6] Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, in: Keohane, Robert (ed.): Neorealism and its Critics, New York 1986, S. 65 Mitte
[7] Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, in: Keohane, Robert (ed.): Neorealism and its Critics, New York 1986, S. 97 Mitte
[8] Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, in: Keohane, Robert (ed.): Neorealism and its Critics, New York 1986, Seite 105 Mitte
[9] Müller, Harald: Die Chance der Kooperation. Regime in den Internationalen Beziehungen, Darmstadt 1993, Seite 26 unten
[10] Müller, Harald: Die Chance der Kooperation. Regime in den Internationalen Beziehungen, Darmstadt 1993, Seite 27 unten
[11] Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, in: Keohane, Robert (ed.): Neorealism and its Critics, New York 1986, Seite 113 Mitte
[12] Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, in: Keohane, Robert (ed.): Neorealism and its Critics, New York 1986, Seite 113 unten
[13] Waltz, Kenneth: Theory of International Politics, in: Keohane, Robert (ed.): Neorealism and its Critics, New York 1986, Seite 121 Mitte
[14] Müller, Harald: Die Chance der Kooperation. Regime in der Internationalen Politik, Darmstadt 1993, Seite 31 Mitte
[15] Müller, Harald: Die Chance der Kooperation. Regime in der Internationalen Politik, Darmstadt 1993, Seite 31 Mitte
- Arbeit zitieren
- Eva Ludwig (Autor:in), 2000, Können Regime ihren Erfolg überleben? - Diskussion anhand realistischer und neorealistischer Theorien, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/107628