Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Wissen und Wissenschaftsverständnis für Wissenschaftskommunikation zum Klimawandel eine Rolle spielt. In der sozialpsychologischen Forschung herrscht ein Dissens über die Wirkweise von Wissen und Wissenschaftsverständnis auf den Klimawandel betreffende Überzeugungen. Manche Forscher gehen davon aus, dass Wissen und Wissenschaftsverständnis durch motivated cognition Überzeugungen jeder Art verstärkt, aber nicht dabei helfen kann, Klimaskeptizismus zu beheben. Andere Wissenschaftler heben die Bedeutung von subjektiven Konsenswahrnehmungen und von kritischen Fake-News-Kompetenzen hervor.
Die Wahrnehmung des wissenschaftlichen Konsenses über den menschengemachten Klimawandel hat diesen Forschern zufolge einen Katalysator-Effekt für weitere klimawandelbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen. Wissen und ein wissenschaftliches Verständnis des Klimawandels können kommuniziert werden, ohne dass sie Polarisierung erzeugen. Motivated cognition ist allerdings ebenfalls nicht zu vernachlässigen bei der Entwicklung von Wissenschaftskommunikationsstrategien.
Inhaltsverzeichnis
1. Zusammenfassung Seite
2. Einleitung Seite
3. Hauptteil Seite
3.1 Die pessimistische Position Seite
3.2 Die optimistische Position Seite
4. Praktische Implikationen für die Wissenschaftskommunikation und Ausblick Seite
5. Literaturverzeichnis Seite
Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in dieser Hausarbeit die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
1. Zusammenfassung
In der sozialpsychologischen Forschung herrscht ein Dissens über die Wirkweise von Wissen und Wissenschaftsverständnis auf den Klimawandel betreffende Überzeugungen. Manche Forscher gehen davon aus, dass Wissen und Wissenschaftsverständnis durch motivated cognition Überzeugungen jeder Art verstärkt, aber nicht dabei helfen kann, Klimaskeptizismus zu beheben (Kahan et al. 2012). Andere Wissenschaftler heben die Bedeutung von subjektiven Konsenswahrnehmungen und von kritischen Fake-News-Kompetenzen hervor. Die Wahrnehmung des wissenschaftlichen Konsenses über den menschengemachten Klimawandel hat diesen Forschern zufolge einen Katalysator-Effekt für weitere klimawandelbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen. Wissen und ein wissenschaftliches Verständnis des Klimawandels können kommuniziert werden, ohne dass sie Polarisierung erzeugen (van der Linden et al. 2017). Motivated cognition ist allerdings ebenfalls nicht zu vernachlässigen bei der Entwicklung von Wissenschaftskommunikationsstrategien.
2. Einleitung
Obwohl 97% der Klimawissenschaftler zu dem Ergebnis kommen, dass der menschengemachte Klimawandel stattfindet, herrschen in der Bevölkerung weiterhin von der Wissenschaft differente Auffassungen und Erklärungen zum Klimawandel (Leiserowitz et al. 2014). Diese Hausarbeit hat das Ziel, den Ursachen hierfür auf den Grund zu gehen. Wer einen Blick in die einschlägige Literatur (z.B. das Fachmagazin Science Communication) wirft, bemerkt, dass eine lebhafte Debatte darüber stattfindet, wie sich Klimaskeptizismus begründen und beheben lässt. Ich schlage vor, die Debatte in zwei Grundpositionen einzuteilen. Erstere Position vertreten Forscher, die Klimaskeptizismus mit fehlendem oder falschem Wissen und mangelnder kritischer Medienkompetenz begründen. Diese Optimisten heben die Veränderbarkeit von Klimaüberzeugungen hervor und das Primat der Fakten über Ideologie (van der Linden et al. 2017). Sie problematisieren die Politisierung von wissenschaftlichem Konsens (Bolsen & Druckmann 2018) und verstehen Klimaskeptizismus als einen Mangel an akkurater Information und als fehlende Verfügbarkeit von Medienkompetenzen, um Falschinformationen einzuordnen und zu debunken (Ranney et al. 2016). Die pessimistische Grundposition geht davon aus, dass Intergruppen-Unterschiede maßgeblich für die Resilienz gegenüber Fakten verantwortlich sind (Kahan et al. 2012). Aufgrund des quasi-natürlichen Strebens nach Gruppenkonformität spielt Wissen eine untergeordnete und zugleich polarisierende Rolle, da inkongruente Informationen nur dann als relevant zugezogen werden, wenn sie die eigenen Überzeugungen wiederspiegeln. Darüber hinaus werden inkongruente Informationen umso konsequenter abgewehrt, je mehr Wissen und Argumente dem Individuum zur Verfügung stehen (Kahan et al. 2012).
Beim Verfolgen der Debatte zwischen den Sozialpsychologen Sander van der Linden (Optimist) und Dan Kahan (Pessimist) kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass die Positionen sich gegenseitig ausschließen. Uneinigkeit besteht tatsächlich weniger beim Was - die bisherige Unfähigkeit, den wissenschaftlichen Konsens über den menschengemachten Klimawandel so zu kommunizieren, dass er sich gruppenübergreifend auf die Überzeugungen und Policy-Forderungen auswirkt - , sondern eher beim Warum und beim Wie: Wie kann man die Inkongruenz zwischen wissenschaftlicher Norm und subjektiver Normwahrnehmung überwinden? Aufgrund der Uneinigkeit über die beste Wissenschaftskommunikation versuche ich mit dieser Hausarbeit zwischen den Positionen zu vermitteln und Interventionsansätze mit dem gewonnenen Verständnis zu bewerten.
3. Hauptteil
3.1 Die pessimistische Position
Dan Kahan (University of Yale) und Kollegen forschen seit circa 20 Jahren zu einem Phänomen, welches sie als kulturelle Kognition bezeichnen. Die kulturelle-KognitionsHypothese (KKH) dient dazu, Intergruppen-Unterschiede in der Wahrnehmung von öffentlich debattierten Themen innerhalb der US-Amerikanischen Gesellschaft zu erklären (van der Linden 2015). Als Ausgangssituation nimmt die KKH die in vielen politischen Fragen polarisierte US-Amerikanische Gesellschaft. Als bestes Beispiel dient der menschengemachte Klimawandel, über dessen Existenz in der US- Amerikanischen Bevölkerung noch deutliche Unsicherheit herrscht[I]. Die Bildung der KKH erfolgt als Gegenhypothese zur sogenannten Science Comprehension Thesis (SCT) (Kahan et al. 2012). Die SCT erklärt Klimaskeptizismus durch einen in der Bevölkerung vorliegenden Mangel an Wissen und (natur)wissenschaftlichem Verständnis. In der Tat fehlt der überwältigenden Mehrheit der US-Amerikanischen Bevölkerung das physikalische und chemische Basiswissen, um die Mechanismen des Klimawandels akkurat zu erklären (Ranney et al. 2016). Kahan und Kollegen verwerfen die SCT, für deren empirische Gültigkeit eine positive Korrelation zwischen wissenschaftlichem bzw. technischem Verständnis und der klimawandelbezogenen Risikowahrnehmung zu erwarten wäre. Durch die Abwesenheit der erwarteten positiven Korrelation schließen die Autoren auf eine alternative Erklärung, die KKH. Plausibel wird die KKH insbesondere durch die Ergebnisse, die die Forscher erhalten, wenn man die Stichprobe nach Weltanschauungen (hierarchisch-individualistisch / egalitär-kommunitaristisch) differenziert. Sie interpretieren die negative bzw. positive Korrelation zwischen technisch-wissenschaftlichem Verständnis und Klimawandeleinstellungen bei konservativen bzw. liberalen Weltanschauungen kausal. In anderen Worten, sie gehen davon aus, dass höheres technisches/wissenschaftlichesVerständnis dazu führt, dass sich Individuen in ihren Risikowahrnehmungen und Einstellungen polarisieren. Als einfache Begründung hierfür ziehen die Forscher die klassischen Biases der Kognitionspsychologie heran: Confirmation Bias, Disconfirmation Bias, Sophistication Bias - besser bekannt unter dem Stichwort motivated reasoning (Taber & Lodge 2006). Taber und Lodge (2006) haben in ihrer Klassikerstudie herausgefunden, dass Individuen mit fundiertem Wissen besonders stark dafür prädestiniert sind, inkongruente Argumente nach intensivem Gegenargumentieren zu verwerfen und folglich die am stärksten polarisierten Überzeugungen besitzen. Um kognitive Dissonanzen zu vermeiden, unternehmen sie jeden noch so großen kognitiv-argumentativen Aufwand auf sich. Das verfügbare Wissen dient dem Individuum also hauptsächlich dazu, mit der Identität verknüpfte Überzeugungen zu beschützen wie ein wertvolles Eigentum. Kahan und Kollegen (2012) knüpfen mit der KKH daran an und argumentieren, dass dem Schutz der eigenen, an einer Gruppennorm orientierten Identität eine höhere Priorität zukommt als der an dem Gemeinwohl orientierten Überzeugung, der menschengemachte Klimawandel bedrohe unsere Gesundheit und Zukunft.
Given how much the ordinary individual depends on peers for support-material and emotional-and how little impact his beliefs have on the physical environment, he would probably be best off if he formed risk perceptions that minimized any danger of estrangement from his community. (Kahan et al., 2012: S. 734)
Wissen und wissenschaftliches Verständnis werden ähnlich wie bei Taber & Lodge (2006) als instrumentelle Ressource verstanden, welche dem Schutz der Identität dient, wodurch Kahan et al. (2012) die kausale Interpretation der Effekte rechtfertigen. Das tiefere Verständnis von wissenschaftlichen Themen wie dem Klimawandel führt also nicht zu einer höheren Offenheit gegenüber Informationen, die den eigenen Überzeugungen widersprechen, sondern zu Verschlossenheit und stärker verwurzelten Überzeugungen.
In der Literatur wird die Arbeitsgruppe um Dan Kahan dafür kritisiert, Korrelationen fälschlicherweise kausal zu interpretieren (Ranney et al. 2016; Van der Linden 2015). Van der Linden (2015) schreibt in seiner Kritik an der KKH: „The approach [...] overgeneralizes specific findings from social psychology and underappreciates the many audiences that comprise the general public “(van der Linden, 2015: S. 28). In anderen Worten, man sollte das Individuum und deren Entscheidungsmechanismen nicht auf motivated reasoning reduzieren. Darüber hinaus verstärkt die Dichotomie zwischen zwei Kulturen - das konservative und das liberale Spektrum - den Eindruck, dass extreme Einstellungen den gesellschaftlichen Diskurs dominieren, was die Rolle der gemäßigten Mitte unterschätzt.
In einer Studie von Drummond und Fischbach (2017) wurde versucht, den von Kahan et al. (2012) gefundenen Effekt zu replizieren. Sie kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie Kahan und Kollegen (2012), betonen aber, dass die kausalen Mechanismen hinter dem Zusammenhang zwischen politischer Identität und Wissenschaftsverständnis eine Blackbox darstellen. Sie mutmaßen, dass die Art und Weise, wie Frageitems gestellt werden, eine Rolle spielen könnte. Das Frageitem zum Klimawandel („Inwiefern sind Sie besorgt über den Klimawandel?“) setzt zum Beispiel voraus, dass der Klimawandel existiert. Personen mit hoher Bildung und hohem Wissen könnten dieses Wording bewusster wahrnehmen als ungebildete Versuchspersonen und Reaktanz zeigen, wenn sie den Klimawandel anzweifeln, was wiederum zu einer extremeren Position und folglich zu Polarisierung führen könnte (Drummond & Fischbach 2017). Die kausalen Schlüsse von Kahan et al. (2012) sind mit Vorsicht zu genießen, zudem in ihrer Arbeit eine Studie zitiert wird, welche belegen soll, dass mehr Wissen über den Klimawandel bei Überzeugungen zum Klimawandel kontraproduktiv ist. Entgegen der Erwartung finden die Forscher dieser Studie eine signifikante positive Korrelation zwischen selbst-berichtetem Wissen zum Klimawandel und Klimaskeptizismus. Kellstadt et al. (2008) weisen jedoch deutlich darauf hin, dass der Zusammenhang aufgrund methodischer Schwächen - selbst-berichtetes Wissen ist meist unkorreliert mit objektiv gemessenem Wissen - nicht kausal interpretiert werden sollte.
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1 Umfragen aus dem Jahr 2019 zeigen, dass zwar 91 % der US-Amerikaner zustimmen, dass der Klimawandel stattfindet. Über die Ursachen und die Wahrnehmung des wissenschaftlichen Konsenses gibt es jedoch sehr heterogene Überzeugungen (De Pinto et al. 2019: https:/ / www.cbsnews.com/news/cbs-news-poll-most-americans-say-climate-change-should-be- addressed-now-2019-09-15/.).