Mit dieser Arbeit stelle ich mir die Frage, ob Zwangsmaßnahmen heutzutage noch immer notwendig sind und wenn ja, wie diese besser zu kontrollieren sind. Im ersten Teil dieser Arbeit stelle ich die aktuelle gesetzliche Regelung dar und versuche die Legitimierung der Zwangsmaßnahmen im Kontext der Grundrechte zu betrachten.
Das zweite Kapitel behandelt die Thematik kritisch, es werden Bewertungen der Zwangsmaßnahmen sowie Erfahrungsberichte beschrieben. Mit dem Einbezug der Rolle der Sozialen Arbeit werde ich das zweite Kapitel abschließen. Es soll erörtert werden, ob die Soziale Arbeit zur Wahrung der Menschenrechte im Zwangskontext der Betroffenen beitragen kann. Beendet wird die Arbeit mit zwei unterschiedlichen Ansätzen: zum einen wie Gewalt und zum anderen wie Zwang im psychiatrischen Kontext vermieden werden kann.
Anwendung von Zwang, sei es in Form einer Unterbringung gegen den Willen des Patienten, sei es in Form einer Zwangsmaßnahme wie Zwangsmedikation, Fixierung oder Isolierung, stellt im Zusammenhang mit einer stationären psychiatrischen Behandlung unzweifelhaft eines der ethisch schwierigsten und ältesten Probleme der Psychiatrie dar.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rechtliche Beleuchtung
2.1 Zivilrechtliche Maßnahmen
2.2 Öffentlich-rechtliche Unterbringung
2.3 Grundgesetz
3. Zwangsmaßnahmen im sozialen Kontext
3.1 Begrifflichkeit
3.2 Auswirkungen der Zwangsbehandlungen
3.3 Rolle der Sozialen Arbeit
4. Möglichkeiten der Veränderung
4.1. Patientenverfügung
4.2 Soteria Konzept
5. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Anwendung von Zwang, sei es in Form einer Unterbringung gegen den Willen des Patienten, sei es in Form einer Zwangsmaßnahme wie Zwangsmedikation, Fixierung oder Isolierung, stellt im Zusammenhang mit einer stationären psychiatrischen Behandlung unzweifelhaft eines der ethisch schwierigsten und ältesten Probleme der Psychiatrie dar. Im März diesen Jahres gab es zuletzt einen großen öffentlichen Skandal in einer psychiatrischen Klinik in Frankfurt. Mehrere Patient*innen sollen tagelang fixiert worden sein und erhielten keine angemessene Betreuung. Die Staatsanwaltschaft wertet die Protokolle der Zwangsmaßnahmen aus und möchte im Herbst 2019 zu einem Urteil kommen. Psychiatrische Stationen geraten immer wieder mit solchen Schlagzeilen in Verruf. Es gibt hunderte von negativen Erfahrungsberichten obwohl die Regierung die Gesetze ständig anpasst. Mit dieser Arbeit stelle ich mir die Frage, ob Zwangsmaßnahmen heutzutage noch immer notwendig sind und wenn ja, wie diese besser zu kontrollieren sind. Im ersten Teil dieser Arbeit stelle ich die aktuelle gesetzliche Regelung dar und versuche die Legitimierung der Zwangsmaßnahmen im Kontext der Grundrechte zu betrachten.
Das zweite Kapitel behandelt die Thematik kritisch, es werden Bewertungen der Zwangsmaßnahmen sowie Erfahrungsberichte beschrieben. Mit dem Einbezug der Rolle der Sozialen Arbeit werde ich das zweite Kapitel abschließen. Es soll erörtert werden, ob die Soziale Arbeit zur Wahrung der Menschenrechte im Zwangskontext der Betroffenen beitragen kann. Beendet wird die Arbeit mit zwei unterschiedlichen Ansätzen: zum einen wie Gewalt und zum anderen wie Zwang im psychiatrischen Kontext vermieden werden kann.
2. Rechtliche Beleuchtung
Um in das Thema einzusteigen ist es notwendig den rechtlichen Rahmen zu darzustellen. Die gesetzliche Regelung für Zwangsmaßnahmen sind stetig im Diskurs und werden angepasst. Seit 20 Jahren verändern sich die gesetzlichen Regelungen der Zwangsmaßnahmen nahezu jährlich. Die Gesetze wurden gründlich differenziert und seit dem Jahre 2009, als die UN-Behindertenrechtskonvention in deutsches Recht rückte, steht die Autonomie und Selbstbestimmung der Patienten im Vordergrund.
Es wird zwischen drei Formen der Unterbringung unterschieden: die öffentlich-rechtlichen, die zivilrechtlichen und die strafrechtlichen. Diese Arbeit soll Zwangsmaßnahmen im Kontext akut psychiatrischer Patienten beleuchten, deshalb gehe ich allein auf öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche Maßnahmen ein und grenze die Arbeit somit von den, hier nicht relevanten, strafrechtlichen Maßnahmen ab.
2.1 Zivilrechtliche Maßnahmen
Das Betreuungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs differenziert in §1906 freiheitentziehende Maßnahmen sowie Unterbringen und in §1906a ärztliche Zwangsmaßnahmen. Die genannten Gesetzestexte regeln die Versorgung eines Patienten, dem Betreuer*innen bestellt worden sind. Zivilrechtliche Unterbringungs-maßnahmen werden von Amts wegen eingeleitet. Vorausgesetzt wird, dass diese Unterbringung „zum Wohl des Betreuten“ erforderlich ist. Laut §1906 Abs.1 darf den Patient*innen die Freiheit nur entzogen werden, wenn eine akute Eigengefährdung vorliegt oder sie aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht in der Lage sind, einer notwendigen ärztlichen Behandlung, zuzustimmen.1
2.2 Öffentlich-rechtliche Unterbringung
Die öffentlich-rechtliche Unterbringung wird in Deutschland durch Landesgesetze geregelt. Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Baden-Württemberg regelt laut §1 Hilfen und Unterbringungen für Personen, die aufgrund einer psychischen Störung krank oder behindert sind. „Zu den Hilfen gehören insbesondere die Beratung, Betreuung, Hinführung zur ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung, die Vermittlung von Hilfen zur Selbsthilfe und Angeboten der Sozialen Arbeit sowie ehrenamtliche Hilfen.“ (§5 Abs. 1 PsychKHG) Ziel der Hilfen ist es laut §5 Abs. 2 den Personen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu fördern und zu erhalten.
In Teil 3 §13 - §31 des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz werden Unterbringungen geregelt. „Unterbringungsbedürftig ist, wer infolge einer psychischen Störung nach §1 Abs.1 sein Leben oder seine Gesundheit erheblich gefährdet oder eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für Rechtsgüter anderer darstellt, wenn die Gefährdung oder Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden kann.“ (§13 Abs. 3 PsychKHG) Im diskutierten Gesetz wird beständig auf einen menschenwürdigen Umgang und die Achtung der persönlichen Freiheit hingewiesen. In §20 Behandlung ist ein Aufklärungsgespräch vor den einzuleitenden Maßnahmen, die Dokumentation, die Beachtung einer Patientenverfügung und eine Nachbehandlung bzw. Nachbesprechung geregelt.
Nachfolgend ein Auszug aus § 25 Besondere Sicherungsmaßnahmen Abs. 1 und 2, dieser wird hier umfangreich dargestellt um einen Überblick der Zwangsmaßnahmen darzulegen:
(1.) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn und solange eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für die Sicherheit in der anerkannten Einrichtung besteht, insbesondere bei erheblicher Selbstgefährdung, der Gefährdung bedeutender Rechtsgüter Dritter oder wenn die untergebrachte Person die Einrichtung ohne Erlaub- nis verlassen will, und dieser Gefahr nicht mit weniger eingreifenden Mitteln begegnet werden kann.
(2) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind:
1. die Beschränkung und der Entzug des Aufenthalts im Freien,
2. die Wegnahme oder Vorenthaltung von Gegenständen,
3. die Absonderung in einem besonders gesicherten Raum,
4. die Fixierung,
5. das Festhalten anstelle der Fixierung.
In den weiteren Absätzen des §25 wird Befristung, die Überwachung und die Dokumentation geregelt. Zuletzt ist §26 Unmittelbarer Zwang aufzuführen, der in Absatz 2 als Einwirkung auf Personen durch körperliche Gewalt oder andere Hilfsmittel definiert ist. Unmittelbarer Zwang ist anzudrohen und „Unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs ist diejenige zu wählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.“ (§26 Abs. 5 Satz 1)2
Trotz der klar ausdifferenzierten Gesetzeslage hat das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen zehn Jahren Zwangsbehandlungen in mehreren Fällen als verfassungswidrig eingestuft. Zwangsbehandlungen greifen in das Recht auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit, welche durch das Grundgesetz geschützt sind.
2.3 Grundgesetz
Die im deutschen Grundgesetz festgelegten Grundrechte sind zugleich als Menschenrechte, abgeleitet aus der Europäischen Menschrechtskonvention, zu verstehen. Behandlungen gegen oder ohne den Willen einer Person stellen einen schweren Eingriff in die Grundrechte dar. Der Art. 2 Abs. 2 GG schützt das Grundrecht körperlicher Unversehrtheit. Das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG ist auch als Selbstbestimmungsrecht einer Person zu verstehen, denn jeder Mensch hat das Recht, über seine Lebensführung und damit auch über Maßnahmen, die seine Gesundheit betreffen, selbst zu bestimmen.3
Das Grundgesetz stellt den elementaren Rahmen für unsere Gesellschaft dar. Wie ist es also möglich, dass für psychisch kranke Menschen hier schlichtweg Ausnahmen gemacht werden können? Meiner Ansicht nach können Zwangsmaßnahmen mit der subjektiven Bertachtung der Grundgesetze nicht legitimiert sein.
3. Zwangsmaßnahmen im sozialen Kontext
Zwangsmaßnahmen im psychiatrischen Bereich ist ein kontroverses Thema und bedarf einer differenzierten Auseinandersetzung. Die Psychiatrie muss humaner und offener werden, so könnte eventuell auch die Stigmatisierung psychisch Kranker abnehmen. Den betroffenen Menschen muss in unserer Gesellschaft größtmögliche Freiheit und Teilhabe ermöglicht werden, auch die Soziale Arbeit kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten.
3.1 Begrifflichkeit
Unter Zwang versteht man die Überwindung des Willens einer Person durch Dritte. Der Begriff Wille hat zwei verschiedene Bedeutung: zum einen die generelle Fähigkeit zu Handeln und zum anderen die konkrete Intention für eine bestimmte Handlung. Der Wille des Menschen entwickelt sich im Laufe des Lebens zu einem freiverantwortlichen und selbstbestimmten Handeln. Ein freiverantwortliches Handeln schwindet, wenn eine Person aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht mehr in der Lage ist ihre Lebenssituation zu verstehen und die Folgen ihres Handelns abzumessen.4 Freiheitsentziehende Maßnahmen gegenüber Menschen mit psychischer Erkrankung haben in Deutschland eine unschöne Vergangenheit und hatten in der nationalsozialistischen Zeit ihren grausamen Höhepunkt.5 Inzwischen sollen Zwangsmaßnahmen auf psychiatrischen Stationen nur noch als letztes Mittel benutzt werden. Folgt man jedoch den Empfehlungen und Veröffentlichungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem UN-Hochkommissariats, werden Zwangsbehandlungen anders bewertet. Die Weltgesundheitsorganisation ist der Ansicht, dass Zwangsmaßnahmen noch immer unnötig eingesetzt werden und die Patienten vor Missbrauch geschützt werden müssen. Der UN-Hochkommissariat für Menschenrechte bezeichnet alle Formen psychiatrischer Zwangsbehandlung als Folter bzw. grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Juan E. Méndez, Sonderberichterstatter über Folter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, forderte in seiner Rede in der 22. Sitzung des "Human Rights Council" am 4. März 2013 alle Staaten dazu auf, alle nicht einvernehmlich medizinischen Interventionen bzw. Zwangsbehandlungen von Menschen mit Behinderungen zu verbieten.6 Dieses Bündnis wurde von einer Vielzahl von Organisationen in Deutschland unterzeichnet, wie dem Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg, dem Verein zum Schutz vor psychiatrischer Gewalt und Wildwasser Wiesbaden.
[...]
1 (Nomos, 2018 S. 722-723)
2 (Landesrecht Baden Württemberg, 2014)
3 (Nomos, 2018 S. 1010-1011)
4 (vgl. Deutscher Ethikrat, 2018 S. 27-31)
5 (Dr. Torsten Hinz, 2018)
6 (Méndez, 2013)