Diese Arbeit möchte sich der Domestizierung von (Wild-)Tieren im Zirkus nähern. Dafür geht diese zunächst auf die tierhistorische Entwicklung im Zirkus ein, beginnend mit der Pferdedressur Philip Astleys im 18. Jahrhundert, über die ersten Raubtierdressuren durch damalige Größen wie beispielsweise Thomas Batty im 19. Jahrhundert bis hin zum heutigen Aufkommen von tierischen Darstellern in traditionellen wandernden Zirkussen. Verbunden mit dieser Historie wird sich die Arbeit mit der Ästhetik des Risikos befassen. Abschließend wird ein Blick auf den Circus Krone und dessen heutiges Vorgehen geworfen, sowie die Kritik durch Tierschützer beleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Es war einmal: eine Geschichte
2.1 Wie alles begann
2.2 Die Suche nach der Gefahr
3. Von Risiko und Überlegenheit
3.1 Der fragile Mensch inszeniert sich als Übermensch
3.2 Die Ästhetik des Risikos
4. Das Wohl des Tieres
4.1 Circus Krone - Eine tierisch große Familie
4.2 Kritikenrundschau
4.2.1 Peta
4.2.2 AAP und Vier Pfoten im gemeinsamen Kampf
5. Ein ausblickendes Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ein Circus ohne Tiere ist kein Circus, sondern ein reisendes Varieté oder eine Theatershow.“1
Diese Worte stehen in der Publikation des Circus Krone „Ihr Wohl - Unser Streben. Tierschutz im Circus Krone“. Und auch meine assoziativen Kindheitserinnerungen an den ein oder anderen Zirkusbesuch sind:
Bunt, Tiere, Clowns, Spannung!
Genauso bedienen sich Medien wie Film oder Theater gerne am Klischee des bunten, wilden, traditionellen Zirkus, wenn es um dessen Darstellung geht. Ein Dompteur2 der unter Trommelwirbel zu seinen Raubkatzen in die runde Manege des Zelts tritt. Atem anhalten. Ein Tusch! Der Tiger gehorcht ihm, klettert auf sein Podest. Der Dompteur ist sicher, das Risiko abgewehrt. Eine Beleuchtung wie etwa die des rein akrobatischen Zirkus ist selten anzutreffen.
Aber wie zeitgemäß kann solch eine Aussage wie die obige des Circus Krone im 21. Jahrhundert sein? Ist dieses Bild nicht vielmehr eingeschränkt, überholt, widerlegt, veraltet und wir sollten uns von dieser Version eines Zirkus verabschieden? Oder sind (Wild-)Tiere im Zirkus auch heute noch gesellschaftlich sowie künstlerisch wertvoll?
Diese Arbeit möchte sich der Domestizierung von (Wild-)Tieren im Zirkus nähern. Dafür werde ich im Folgenden zunächst auf die tierhistorische Entwicklung im Zirkus eingehen, beginnend mit der Pferdedressur Philip Astleys im 18. Jahrhundert, über die ersten Raubtierdressuren durch damalige Größen wie beispielsweise Thomas Batty im 19. Jahrhundert bis hin zum heutigen Aufkommen von tierischen Darstellern in traditionellen wandernden Zirkussen. Verbunden mit dieser Historie werde ich mich darauf folgend mit der Ästhetik des Risikos befassen. Abschließend möchte ich einen Blick auf den Circus Krone und dessen heutiges Vorgehen werfen, sowie die Kritik durch Tierschützer beleuchten.
An dieser Stelle ist zu betonen, dass sich diese Arbeit vor allem auf die Geschichte und heutige Entwicklung im deutschen beziehungsweise europäischen Raum bezieht.
2. Es war einmal: eine Geschichte
2.1 Wie alles begann
1772 gründete der englische Kunstreiter Philip Astley eine Reitschule in London, 1782 ließ er das erste feststehende Zirkusgebäude in London errichten: Astleys Amphitheater.3 Die für den Zirkus heute noch charakteristische runde Manege lässt sich auf die Bedürfnisse der Pferdedarbietungen zurückführen.
Nach und nach nahm Philip Astley akrobatische Einlagen in seine Pferdevorführungen auf. Dies unterschied ihn grundlegend von anderen Kunstreitergesellschaften, die im 18. Jahrhundert durch den adeligen Geschmack florierten. Auch wenn Philip Astley zeitlebens den Begriff Zirkus ablehnte, so fußt der Zirkus wie wir ihn heute kennen doch auf seinen Errungenschaften: „Der frühe Zirkus war Pferdezirkus.“4 Ohne Tierdressur wäre also eine Zirkusgeschichte, wie wir sie bis heute verfolgen können, nicht geschehen. Die Kunstform wäre womöglich nicht entstanden, die Gaukler und Artisten wären weiter auf den Jahrmärkten statt in den Manegen aufgetreten und aus dem traditionellen Zirkus hätten sich nicht noch weitere Zirkusformen, wie beispielsweise der Noveau Cirque, entwickeln und weltweiten Anklang finden können.
Auch Großstädte hatten einen gewaltigen Einfluss auf die Zirkusgeschichte, da diese den Bau von Zirkusgebäuden begünstigten. Der amerikanische Wanderzirkus, der am Stadtrand gastiert, hielt erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Deutschland (respektive Europa) Einzug.5 Diese Zentralisierung von Zirkusbauten in den Städten war jedoch nicht nur von Vorteil für Artisten und Zuschauer. Großtiere, die aus den Stallungen ausbrachen, waren keine Seltenheit, Mensch und Tier wurden verletzt, da die Entflohenen gefangen und zum Teil getötet werden mussten.6 Aber auch Großbrände der Zirkusbauten mitten in Großstädten wie London, Berlin oder Paris waren eine nicht zu unterschätzende und immer wieder auftretende Gefahr.7 Nicht zuletzt, weil die Bauten aus Holz waren und auch das Stroh der Tiere darin hervorragender Zunder war. Doch es waren eben nicht nur Pferde, die eine Gefahr darstellten und selbst in Gefahr waren.
2.2 Die Suche nach der Gefahr
Den Beginn der Raubtierdressur im Zirkus setzt Thomas Batty 1863 bei einem Auftritt im Zirkus Renz.8 Dabei handelte es sich jedoch keineswegs um eine Dressur, wie sie erst Jahre später entwickelt wurde und wie sie heute noch dargestellt wird. Die Kunst Thomas Battys bestand darin, die wilden Tiere -ähnlich wie bei einer Wandermenagerie- vorzuführen, den Käfig zu betreten und: lebendig wieder zu verlassen. Diese ersten Wildtiernummern waren demnach zirzensisch wie dramaturgisch belanglos und nicht mehr als eine grausame Machtdemonstration des Dompteurs.9 Doch wieso das alles? Wieso wuchs der Wille der Akteure und das Verlangen der Zuschauer danach, diese für Tier und Mensch nicht ungefährlichen Nummern zu produzieren beziehungsweise zu bestaunen? Günter Bose und Erich Brinkmann sprechen in „Circus. Geschichte und Ästhetik einer niederen Kunst“ aus dem Jahre 1978 von der „Signatur der neuen Macht“ und dem Ziel der „Ästhetik der Unterwerfung“.10 Der Reiz für Publikum und Dompteur liegt also darin, das Raubtier dem Menschen zu unterwerfen, die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Dabei sind Tiger und Löwen bedeutend interessanter und reizvoller als Elefanten und Pferde, da diese keine Nutztiere sind. Sie sind nicht ruhig und zur Arbeitsleistung bereit, sondern allzeit darauf vorbereitet, sich zu wehren und anzugreifen.
Um diesen Bereich der Macht noch weiter zu erweitern, entwickelt Carl Hagenbeck Ende des 19. Jahrhunderts die sogenannte zahme Dressur. Er entdeckt als Tierhändler, dass der Verkaufswert der Tiere steigt, wenn sie dressiert und somit in ihrer Natur gebrochen sind. Güte im Umgang mit dem Tier wird gepaart mit Strenge. Dadurch wurde ein System der Klassifikation zwischen den einzelnen Tieren und den Menschen begünstigt und auch eine Gruppenperformance aus gemischten Tieren ermöglicht. In den Programmheften und Werbeflyern wird damit geworben, dass Löwen auf den Rücken von Pferden reiten, einzelne Namen von durch Carl Hagen- beck in dessen Schule ausgebildeter Dompteure gelangen zu großer Berühmtheit: Heinrich Mehrmann, Julius Seeth, Richard Sawade und viele mehr.11
Carl und Wilhelm Hagenbeck sind es auch, die 1892 den großen Zentralkäfig erfinden, der aus den plumpen Machtdemonstrationen der Zirkusleute zunehmend etwas dramaturgisch sehenswertes macht. Gut für die Zirkusunternehmen, denn die bloße Schaulust des Publikums nimmt ab, sie wollten etwas inszenatorisch wertvolles, keine bloße Adel-Militär-TierSchau. Und sie bekamen es.
Ästhetisch wertvoll ist dabei das Wechselspiel der Macht im Zentralkäfig: Haben die Raubkatzen auf der einen Seite die Macht über Leben und Tod, so ist es auf der anderen Seite der Dompteur, der die Herrschaft durch Worte, Gesten und Gebärden über das Tier ausübt und kontrolliert.12 Dennoch ist auch die Sensationslust der Zuschauer befriedigt, wenn mitreißende Werbeslogans wie zum Beispiel „Kampf mit der Tiger-Bestie“ nicht nur einen Schaukampf versprechen, sondern in einem echten tödlichen Kampf enden können. Tiere waren und bleiben zwar durchaus dressierbar aber nicht kontrollierbar. So ist es wie oben bereits beschrieben nicht unüblich, dass Wildtiere aus ihren Käfigen ausbrechen und die Stadt heimsuchen oder in der Manege auf den Dompteur losgehen. Tod und Verletzung sind die Folge. Ein Risiko, das nie völlig ausgeschlossen werden kann.
3. Von Risiko und Überlegenheit
3.1 Der fragile Mensch inszeniert sich als Übermensch
Zunächst bleibt die Frage nach dem „Warum?“ bestehen. Warum werden heute noch diese tierischen Darbietungen im Zirkus ausgestellt, riskante Situationen provoziert und schließlich auch bestaunt?
Paul Bouissac stellt die These auf, dass Zirkus eine Zusammenkunft aus typischen Handlungen ist, die für das menschliche Überleben in der Evolution wichtig waren. Diese Kernaktionen sind: 1. Balancieren 2. Greifen/ Hängen 3. Hindernisse überwinden 4. Werfen/Fangen 5. Kontrolle über Tiere und 6. Verhandeln sozialer Situationen.13
Er geht dabei davon aus, dass das Ausüben dieser künstlichen Konstruktion von Grenzsituationen im Zuschauer eine Empathie auslöst, da wir alle noch durch unsere Wurzeln das Gefühl der Gefahr und den Willen nach dem Überleben in uns tragen und dass diese Bewunderung durch Spiegelneuronen erreicht wird. Folglich inszeniert der Zirkusartist sich in seiner fragilen menschlichen Gestalt als Übermensch.14
Theatral gesehen sind diese tierischen Acts -genau wie die akrobatischen- nicht mehr als eine grenzgefährliche Inszenierung. Durch jahrelanges Training werden die Verhaltensmuster der Tiere an den Willen des Dompteurs angepasst. Obwohl in der Manege immer ein Risiko des Scheiterns herrscht, setzen die Artisten durch genaues Einstudieren ihrer Nummern alles daran, der Situation keinen spontanen Charakter zu verleihen, wodurch sie sich selbst (noch mehr) in Gefahr zu begeben würden. Die Inszenierung des Acts minimiert somit jegliches Risiko, ohne es völlig auszuschalten. Mit der realen Gefahr in der Natur hat diese Darstellung jedoch nichts mehr gemeinsam.
Damit wäre eine erste Antwort auf die Frage nach dem Warum gegeben. Warum wird das „Beherrschen“ des (Wild-)Tieres im Zirkus bestaunt? Weil es unserem Wesen und unseren tiefsten Trieben inne ist und wir als Menschen es bestaunen, wenn ein anderer dieses übermenschliche Können, dieses fundamentale Potential, das in uns allen steckt, durch Training perfektioniert. Er begibt sich absichtlich in eine Gefahr, die er als Über- mensch im Griff zu haben scheint und doch kann die Situation jederzeit eskalieren. Das befriedigt obendrein die Sensationslust der Zuschauer. Und so geschieht es, dass der Zirkus nach wie vor die Erwartungen, die der Zuschauer durch jahrzehntelange Seherfahrung an ihn stellt, adaptiert: riskante Show-Acts (mit Tieren).15
Doch obwohl das Publikum des 21. Jahrhunderts gebildeter und aufgeklärter über das Leben, die Gesundheit und das Arbeiten der Tiere ist als das des 18.-19. Jahrhunderts, lassen es sich Zirkusse in den allermeisten Ländern nicht nehmen, noch immer mit Wildtieren wie Löwen, Tigern, Nashörnern, Flusspferden, Giraffen, Elefanten und vielen mehr zu reisen. Doch dazu möchte ich in Kapitel 4: „Das Wohl der Tiere“ näher eingehen. Zunächst nähere ich mich einem zweiten Punkt, der die Faszination Wildtier im zirzensischen Akt genauer erklären kann und den ich in diesem Unterpunkt bereits angeschnitten habe.
[...]
1 Circus Krone 2019, 17.
2 Aufgrund des einfachen Leseflusses wird in dieser Arbeit die männliche Form bei personenbezogenen Substantiven verwendet. Im Sinne der sprachlichen Vereinfachung sind in diesen Ausdrücken männliche, weibliche und diverse Geschlechter inbegriffen.
3 Vgl. Bose/Brinkmann 1978, 40.
4 Ebd., 41.
5 Vgl. Kirschnick 2016, 53f.
6 Vgl. Ebd., 55f.
7 Vgl. Bose/Brinkmann 1978, 40.
8 Vgl. Ebd., 149.
9 Vgl. Kirschnick 2016, 57.
10 Vgl. Bose/Brinkmann 1978, 148.
11 Vgl. Ebd., 150f.
12 Vgl. Kirschnick 2016, 57-60
13 Vgl. Bouissac 2006, 1.
14 Vgl. Ebd., 2f.
15 Vgl. Ebd., 7.