In dieser Arbeit wird die Frage soll geklärt werden, wie die Identität eines Individuums in Verbindung zu Eskapismus in virtuelle Scheinidentitäten steht. Dabei wird sich auf eskapistisches Nutzungsverhalten in sozialen Netzwerken fokussiert.
Es wird ein Modell erarbeitet, das die Hintergründe für die Realitätsflucht in virtuelle Scheinidentitäten darstellen soll. Des Weiteren soll der Zusammenhang zwischen eskapistischem Verhalten und der Identitätsarbeit skizziert werden. Dabei wird auch die Wechselbeziehung zwischen sozialer Rolle und der Patchwork-Identität thematisiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Wofür dienen und was bieten soziale Netzwerke?
3. Was meint der Begriff Eskapismus in Bezug auf die Mediennutzung?
4. Soziale Rollen in der Soziologie
5. Identität
5.1. Was bedeutet zugeschriebene Identität und Patchwork – Identity?
5.2. Was stellt die virtuelle Identität dar?
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
In dieser Arbeit wird die Fragestellung behandelt, welche Auslöser und Folgen bezüglich der Identität eines Individuums in Verbindung zu Eskapismus in virtuelle Scheinidentitäten stehen. Dabei wird sich auf eskapistisches Nutzungsverhalten in sozialen Netzwerken fokussiert.
Soziale Netzwerke sind dafür bekannt, dass sie, anders als die traditionellen Medien wie zum Beispiel das Fernsehen, Möglichkeiten zum Informationsaustausch und gleichzeitig Beziehungsaufbau bieten. Allein 2012 waren auf Facebook, nur einem sozialen Netzwerk von vielen, weltweit ca. 900 Millionen Nutzer*innen registriert; Tendenz steigend (vgl. Bayrisches Landesamt für Verfassungsschutz 2012, S. 7). Doch neben dem Genuss von Unterhaltung, Entspannung und Erholung können Nutzer*innen diese sozialen Netzwerke zusätzlich als Ort der Flucht oder Ablenkung nutzen (vgl. Krüger 2011, S. 67). Dabei müssen die Nutzer*innen noch nicht einmal sie selber sein: dank der vorhandenen Anonymität in sozialen Netzwerken kann sich jede*r eine virtuelle Scheinidentität zulegen und Teil des virtuellen Maskenballs werden; ein Spiel mit dem eigenem Rollenverständnis und der eigenen Identität in einem Raum voller Freiheiten und Möglichkeiten.
Warum Nutzer*innen diesem virtuellen Maskenball beitreten und was das Spielen einer anderen Person für Auswirkungen auf diese Nutzer*innen hat soll in dieser Arbeit Schritt für Schritt ausgearbeitet werden.
Zuerst wird darauf eingegangen, wofür soziale Netzwerke überhaupt dienen und welche Möglichkeiten sie für Nutzer*innen bieten. Auf die dargestellten Aspekte wird sich die Arbeit folgend beziehen. Anschließend wird der Begriff des Eskapismus in Bezug auf Mediennutzung definiert sowie erklärt, um auch hier eine Basis für die weitere Analyse zu schaffen. Daraufhin wird in Kapitel 4 erläutert, was soziale Rollen in der Soziologie darstellen und was diese für Individuen bedeuten. Im darauffolgendem Kapitel wird auf den Begriff der Identität eingegangen, wobei zwischen der zugeschriebenen Identität bzw. Patchwork – Identity und der virtuellen Identität in sozialen Netzwerken unterschieden wird. Dabei wird der Fokus auf die virtuelle Scheinidentität gelegt; also das Vortäuschen einer Identität, die die Nutzer*innen in diesem Dasein so in Wirklichkeit nicht verkörpern. Um die Informationen aus diesen Kapiteln zu bündeln und ein vernetztes Fazit zu schließen, wird im letzten Kapitel die Fragestellung mit Hilfe eines eigens erstellten Modells beantwortet. Dieses Modell basiert auf den Inhalten der Kapitel dieser Arbeit und dient als Orientierung beziehungsweise Illustration, um die Verknüpfungen und Zusammenhänge zwischen Eskapismus, virtueller Scheinidentität, der Patchwork – Identity sowie der sozialen Rollen nachvollziehbar darzustellen.
2. Wofür dienen und was bieten soziale Netzwerke?
Soziale Netzwerke im Internet würden einen Unterschied zu den traditionellen Medien, zu denen unter anderem das Fernsehen gehöre, darstellen. Der markanteste Unterschied sei der Fokus auf soziale Interaktionen in sozialen Netzwerken, welchen es in den traditionellen Medien nicht so stark gäbe (vgl. Müller 2017, S. 19 f.).
Soziale Netzwerke erfüllen verschiedene Funktionen für ihre Nutzer*innen. Zum einen würden soziale Netzwerke eine Sozialisationsfunktion übernehmen, bei der es darum gehe, dass innerhalb von sozialen Netzwerken Werte, Normen, Denkformen und Verhaltensweisen vermittelt werden würden (vgl. Krüger 2011, S. 66). Daraus resultiere die Möglichkeit der sozialen Orientierung, da Nutzer*innen sich mit bestimmten Werten bestimmter Gruppen/Milieus identifizieren könnten. Darüber hinaus sorge auch die Verfügbarkeit von Informationen zu Gütern und Dienstleistungen für die soziale Orientierung (vgl. Krüger 2011, S. 66). Daneben beschreibt Krüger die Rekreations- oder Gratifikationsfunktion. Diese beschreibe mögliche Effekte der Nutzung sozialer Medien: Unterhaltung, Entspannung, Erholung, aber auch Flucht und Ablenkung (vgl. Krüger 2011, S. 67). Zuletzt gehöre auch die Integrationsfunktion zu den Merkmalen sozialer Netzwerke. Nutzer*innen könnten im virtuellen Raum Zugehörigkeiten zu Gruppen, Milieus oder Bewegungen entwickeln und sich mit Gleichgesinnten vernetzen, was letztendlich die Integration in eine virtuelle Gemeinschaft bedeute (vgl. Krüger 2011, S. 67).
Der angenommene Hauptnutzungspunkt von sozialen Medien und Netzwerken stelle nach der Spieltheorie den Unterhaltungsfaktor dar. In der Spieltheorie werde davon ausgegangen, dass das Nutzen von Medien eine Art freiwilliges Spiel sei, „indem sich der Rezipient dem Gefühl der Spannung hingibt und ein Bewusstsein über den Unterschied zum alltäglichen Leben erfährt“ (Krüger 2011, S. 33). Ergänzend werde angenommen, dass soziale Netzwerke neben der Unterhaltung auch Ablenkung bieten könnten, was unter anderem auch zu einer „Ersatzbefriedigung von ungünstigen Umständen und Problemen“ führen könne (Müller 2017, S. 17). Durch diese Ablenkung könnten die Nutzer*innen „die reale Welt für einen Augenblick […] verlassen“ (Krüger 2011, S. 48).
Damit gehe die Möglichkeit, virtuelle Beziehungen in sozialen Netzwerken aufzubauen, als Nutzungsgrund und Chance einher (vgl. Krüger 2011, S. 45). Der Aufbau von sozialen Beziehungen erfolge in der virtuellen Welt der sozialen Netzwerke jedoch anders als in der realen Welt bei face to face Kommunikationen. Laut Krüger wurde in Untersuchungen festgestellt, dass junge Menschen durchaus über soziale Netzwerke soziale Kontakte entwickeln würden, was man an „einer zunehmenden Vernetzung von Online- und Offline-Kontakten, den sogenannten Hybrid-Beziehungen“ erkenne (Krüger 2011, S. 42).
Soziale Netzwerke würden nicht nur räumliche Distanz und zeitliche Kontrolle bieten, sondern auch ein Ort sein, an dem man als Nutzer*in anonym interagieren könne (vgl. Krüger 2011, S. 45 f.). Aufgrund dessen, dass Nutzer*innen sich bei Konversationen nicht persönlich gegenüberstehen würden und sie sich durch die zeitliche Kontrolle jederzeit aus einer Konversation entziehen oder hinzugesellen könnten, entstehe eine „ungewohnte Freiheit“ (Krüger 2011, S. 45). Das Fehlen einer face-to-face-Kommunikation und der damit eingehenden Distanz und gegebenen Rückzugsmöglichkeit könne dazu führen, dass die Kommunikation über unangenehme oder komplexe Themen für die Nutzer*innen einfacher wahrgenommen werde, was zu „subjektiv als offener, emotionaler und intimer erlebten Fülle an virtuellen Beziehungen führen kann“ (Krüger 2011, S. 45 f.). Kritisch angemerkt wird von Schumann, dass es jedoch zu „problematischer Abhängigkeit“ führen könne, wenn die Internetbekanntschaften aus den sozialen Netzwerken von Nutzer*innen so einen hohen Stellenwert erhalten würden, dass die Nutzer*innen sie vor ihren realen sozialen Beziehungen priorisieren würden (vgl. Schumann, S. 2). Auch Hitzinger merkt an, dass Internetfreundschaften oft für ihre Oberflächlichkeit kritisiert würden und sie als parasozial gelten würden (vgl. Hitzing 2002, S. 66).
Des Weiteren würden soziale Netzwerke aufgrund der möglichen Anonymität für die Nutzer*innen einen Raum mit vielen Freiheiten, und dafür jedoch weniger Pflichten und Normen bieten (vgl. Gisa 2016, S. 23). Einerseits könnten diese Freiheiten in sozialen Netzwerken dazu genutzt werden, sich experimentell mit sich und seiner Identität auseinanderzusetzen. So führt Schumann das Beispiel an, dass schüchterne Nutzer*innen durch das Chatten in sozialen Netzwerken ihre Schüchternheit verringern könnten. Der Chat könnte als Übung gesehen werden, „auf fremde Menschen zuzugehen“ (vgl. Schumann, S. 2). Deshalb werde das Internet von Turkle auch als Ort bezeichnet, an dem Nutzer*innen mit Teilen der Identität experimentieren könnten (vgl. Krüger 2011, S. 47). Andererseits würden diese Freiheiten dazu genutzt werden, „die Möglichkeit des unerkannten Handelns“ wahrzunehmen. Dies meine, dass Handlungen in sozialen Netzwerken eben durch die vorhandene Anonymität nicht zwangsläufig auf die Personen zurückgeführt werden könne, die in der realen Welt hinter den von den Profilen ausgehenden Handlungen stecken (vgl. Hitzing 2002, S. 52). Krüger merkt an, dass es daher „zu keinerlei negativen Konsequenzen, bzw. nur in eingeschränktem Maße“ komme (Krüger 2011, S. 48).
So kann sich zum Beispiel der 20 jährige Mark aus Dortmund auf Twitter „Frechdachs24“ nennen und, im Namen von Frechdachs24, mit anderen Nutzer*innen öffentlich flirten, ohne dass es für die anderen Nutzer*innen erstmal erfahrbar ist, dass hinter Frechdachs24 der 20jährige Mark aus Dortmund sitzt und ohne, dass er negative Konsequenzen, wie zum Beispiel Spott von seinen realen Freunden, befürchten muss, falls er von anderen Nutzer*innen abgelehnt wird. Die herrschende Anonymität in sozialen Netzwerken ermögliche, sofern Nutzer*innen daran interessiert seien, einen „Wechsel der eigenen Identität und [das] Erschaffen eines Traum-Gegenüber“ (Schumann, S. 2).
3. Was meint der Begriff Eskapismus in Bezug auf die Mediennutzung?
Im folgendem Kapitel soll erläutert werden, was unter dem Begriff Eskapismus verstanden wird.
Eskapismus sei kein allgemein gültig definierter Begriff. Somit habe jede*r Autor*in auch verschiedene Definitionen oder Interpretationen von diesem Wort (vgl. Gisa 2016, S. 12). Allgemein werde Eskapismus oft als Realitätsflucht bezeichnet (vgl. Gisa 2016, S. 15). Der Begriff der Realitätsflucht beschreibe das „intentionale Entkommen aus der dinglichen Welt“ (Gisa 2016, S. 12). Gemeint sei also, dass sich das Individuum aus der Realität gedanklich zurückziehe. Fliehen könne das Individuum somit, bezogen auf dessen Gedanken und Handlungen, von seiner Lebensrealität in eine mediale Welt (vgl. Müller 2017, S. 17). Bezogen auf den Umgang mit sozialen Medien äußere sich Realitätsflucht, also Eskapismus, oftmals durch eine gesteigerte oder abnormale Internetnutzung (vgl. Krüger 2011, S. 68).
Eine eskapistische Mediennutzung habe Auswirkung auf das jeweilige Individuum. So greift Krüger auf die von Schenk fünf definierten Merkmale zurück, die den typischen eskapistischen Medieninhalt beschreiben. Der erste Punkt sei die Ermöglichung dazu, Probleme aus der realen Welt für die Nutzungszeit zu verdrängen. Nutzer*innen würden hier durch ihre eskapistische Mediennutzung so in den Medieninhalt vertieft sein, dass sie gedanklich sich nicht mit realitätsbezogenen Problemen beschäftigen würden (vgl. Krüger, S. 68). Als Konsequenz daraus und auch als zweites und drittes Merkmal resultiere zum einen, dass sich die Nutzer*innen passiv entspannen könnten und zum anderen, dass der Medieninhalt Ablenkung von Normen und Regeln des Alltags ermögliche (vgl. Krüger 2011, S. 68).
Während der eskapistischen Mediennutzung sei es demnach den Nutzer*innen möglich, ihren Fokus nicht auf Probleme, Normen oder Regeln aus der Realität zu legen, was wiederrum eine entspannende, ablenkende Wirkung habe.
Darüber hinaus erläutere Schenk, dass eskapistisches Medienverhalten Emotionen erzeuge, wie zum Beispiel Freude, und daher stellvertretend andere Wünsche kompensieren würde (vgl. Krüger 2011, S. 69). Zudem greift Müller auf, dass aus einer qualitativen Interviewstudie mit 20 aktiven Facebook-Nutzer*innen geschlussfolgert werden konnte, dass „Eskapismus vor allem während Zeiten des Leerlaufs und der Langeweile als Coping-Strategie eingesetzt wird und zwar meistens dann, wenn die Nutzer alleine sind“ (Müller 2017, S. 223). Wenn ein Individuum gelangweilt sei, dann wünsche es sich Ablenkung. Diese Ablenkung würden die sozialen Medien bieten. Daher werde hier der Wunsch nach Ablenkung durch die eskapistische Mediennutzung erfüllt. Insgesamt könne die Wirkung von eskapistischer Mediennutzung also als ablenkend zusammengefasst werden, was den Nutzer*innen eine Pause von „Zwängen, Verantwortungen und Pflichten“ ermögliche, welche zur Entspannung der Nutzer*innen beitrage (vgl. Gisa 2016, S. 19).
Da hinter den Nutzer*innen jedoch individuelle Menschen stecken, die verschiedene Persönlichkeiten und Rollen verkörpern, soll nun darauf eingegangen werden, welche Merkmale einen eskapistischen Medienkonsum begünstigen.
Bereits in den 1950er Jahren wurde untersucht, welche Faktoren einen eskapistischen Medienumgang beeinflussen, damals noch mit dem Fernsehen als Hauptmedium. Herausgefunden wurde, dass „Deprivation und Entfremdung […] als Treiber für den Wunsch zur Flucht [galt]“, wobei Entfremdung vor allem die soziale Isolation oder Bedeutungslosigkeit betone (Müller 2017, S. 51). Young habe zehn (weitere) Faktoren erforscht, die eskapistischen Medienkonsum begünstigen sollen:
„Einsamkeit, Unzufriedenheit in der Ehe, Stress in der Arbeit, Langeweile, Depressionen, finanzielle Probleme, Unsicherheit in Bezug auf das Aussehen, Angst, Kampf bei der Genesung von anderen Süchten, eingeschränktes Sozialleben“ (Krüger 2011, S. 68).
Vor allem der Einfluss des sozialen Umfelds wird auch bei anderen Autor*innen betont. Als Beispiel hierfür kann Müller angeführt werden, die Einsamkeit, belastende persönliche Beziehungen und eine niedrige Lebenszufriedenheit als psychosoziale Merkmale sehe, die eine eskapistische Mediennutzung steigern könnten (Müller 2017, S. 58). Aber auch Gisa beschreibt, dass soziale Akzeptanzprobleme oder sozialer Stress, mit welchem sie Beziehungsprobleme, die Lebenssituation und den Status meine, die Tendenz zur eskapistischen Mediennutzung verstärken könnten. Darüber hinaus betont sie jedoch auch psychische Probleme, die Young mit seinem Faktor der Depression ebenfalls anschneidet, oder gesellschaftliche Missstände, die Nutzer*innen dazu bewegen würden, sich in soziale Netzwerke zu fliehen (vgl. Gisa 2016, S. 21 f.).
Des Weiteren wirft sie ein, dass Nutzer*innen auch wegen Überforderungen mit Alltagspflichten und -zwängen sowie Rollen zur eskapistischen Mediennutzung neigen.
Nutzer*innen, die sich mit ihren sozialen Rollen und deren Anforderungen und Pflichten überfordert fühlen, würden demnach dazu neigen, sich in die Welt der sozialen Medien zu flüchten (vgl. Gisa 2016, S. 23). Wie bereits dargestellt wird, folge aus dieser Flucht ein Gefühl der Entspannung und Entlastung.
4. Soziale Rollen in der Soziologie
Der Begriff der sozialen Rolle und die dazugehörigen Rollentheorien haben sich vor allem durch Ralf Dahrendorf in Deutschland etabliert. Sein Aufsatz „Homo Sociologicus“ gelte als „einflußreichste theoretisch-soziologische Veröffentlichung, die nach dem Kriege in Deutschland erschienen sei“ (Röhl 1987, S. 334).
Wenn man heute über soziale Rollen schreibt, beinhaltet dies immer die Betrachtung der Wechselbeziehung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft (vgl. Röhl 1987, S. 335). Im folgendem soll Schritt für Schritt aufgearbeitet werden, was man unter sozialen Rollen versteht.
Heute definiere man die soziale Rolle
„als eine auf den Träger abgestimmte Kombination von Verhaltensmustern, während sich die Institution als ein Aggregat von Regeln darstellt, die zusammenwirken, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen“ (Röhl 1987, S. 333).
Aufbauen tue diese Definition auf der soziologischen Annahme, dass jedes Individuum in der Gesellschaft verschiedene soziale Positionen und Plätze einnehmen würde. Solch ein Platz könnte zum Beispiel die Rolle eines Studierenden sein. Zu betonen sei, dass diese Plätze, die von Individuen eingenommen werden, „das Individuum überdauern“ (Röhl 1987, S. 334). Das bedeute, dass die Rolle des Studierenden grundsätzlich immer existiere, auch, wenn einzelne Individuen diese Rolle verlassen, da sie ihr Studium vollendet haben. Denn genau so, wie einzelne Individuen die Rolle der Studierenden verlassen, nehmen neue Individuen diese Rolle wieder ein, so die Annahme. Ergänzend soll ebenfalls angemerkt werden, dass eine soziale Rolle nicht die Persönlichkeit einer Person abbilde. Vielmehr verkörpere das Individuum in einer Rolle auch nur eine bestimmte Seite seiner oder ihrer Persönlichkeit (vgl. Röhl 1987, S. 341). So kann ein Individuum in der Rolle eines Studierenden aufgrund von Ehrgeiz gewissenhaft und pünktlich alle Abgaben für die Universität fristgerecht einreichen, aber gleichzeitig in der Rolle des/der Freund*in Verabredungen vergessen und somit nicht mehr als gewissenhafte*r, püntkliche*r Freund*in gesehen werden.
Festgehalten werden kann also, dass Rollen über dem Individuum hinaus existieren und nicht die gesamte Persönlichkeit eines Individuums darstellen würden.
Doch was genau beinhalten soziale Rollen dann?
Röhl erklärt, dass an soziale Rollen auch soziale Erwartungen, Anforderungen, Normen, Werte und Wünsche geknüpft seien (vgl. Röhl 1987, S. 336). Man könne dies auch so sehen, dass typische (Verhaltens-) Regeln an jeweilige soziale Rollen gestellt werden würden (vgl. Röhl 1987, S. 333). Für das Beispiel der Studierenden würde das heißen, dass es explizite Normen, Regeln und Anforderungen gäbe, die sich an jedes Individuum richten würden, das die Rolle der Studierenden einnehme. So wird von Studierenden erwartet, dass sie ihre Abgaben fristgerecht einreichen. Tun sie dies nicht, widersprechen sie einer Regel an ihre Rolle, und als Konsequenz wird ihr Verhalten sanktioniert; zum Beispiel durch die Benotung mit einer 6 oder einer Verwarnung. Ein Individuum nehme also nicht nur mehrere Rollen in der Gesellschaft ein und habe seinen damit einhergehenden Platz vorerst gesichert; das Individuum unterläge innerhalb seiner sozialen Rollen auch Normen, Regeln und Anforderungen bezüglich des Verhaltens und Handelns, sodass es diesen Ansprüchen gerecht werden müsse, also aktiv handeln müsse, um die Rollenerwartungen zu erfüllen.
Den Prozess des Individuums, in Wechselwirkung mit der Gesellschaft diese rollenspezifischen Verhaltenserwartungen zu erlernen, mehrere Verhaltenserwartungen miteinander zu verknüpfen und Rollen einzunehmen sowie abzulegen, nenne man Sozialisation (vgl. Röhl 1987, S. 335). Durch das „Stichwort Sozialisation, [werde] in der Soziologie der Vorgang des Rollenlernens erfaßt“ (Röhl 1987, S. 335). Es wird erläutert, dass das Individuum durch „Beobachtung, Nachahmung und bewußtes Lernen“ rollenspezifische Normen, Regeln und Anforderungen erlerne, die es dann in sein eigenes Rollenhandeln inkludieren könne (Röhl 1987, S. 335).
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