Die Komplexität subjektiver und ökobilanzieller Beurteilungsprozesse und die aus dieser Komplexität resultierende Anfälligkeit für eine verzerrte Abbildung der tatsächlichen Nachhaltigkeit werden in dieser Arbeit durch folgende Leitfragen aufgegriffen:
Nach welchem Schema laufen ökobilanzielle Beurteilungen der Nachhaltigkeit von Verpackungen ab?
Von welchen Faktoren werden subjektive Beurteilungen der Nachhaltigkeit von Verpackungen beeinflusst?
Welche Grenzen haben ökobilanzielle und subjektive Beurteilungsprozesse hinsichtlich des Anspruchs auf Objektivität?
Das primäre Ziel dieser Arbeit besteht darin, einen interdisziplinären Zugang zum Spannungsfeld zwischen subjektiver, ökobilanzieller und tatsächlicher Nachhaltigkeit von Verpackungen zu erarbeiten. Bisherige Untersuchungen, die auf Fehleinschätzungen bei der subjektiv wahrgenommenen Nachhaltigkeit von Verpackungen hinweisen, ziehen üblicherweise Ökobilanzen als Referenz herbei. Auf die Schwächen ökobilanzieller Beurteilungen wird in diesem Kontext häufig nur unzureichend eingegangen. Eine breit angelegte, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Diskrepanzen zwischen ökobilanzieller, subjektiver und tatsächlicher Nachhaltigkeit erfordert einen interdisziplinären Ansatz, der die geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichen Komponenten dieses Themenbereichs verknüpft.
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
1 Motivation
2 Zielsetzung der Arbeit
3 Begriffe und Abgrenzung
II Literaturrecherche
4 Okobilanzielle Nachhaltigkeit von Verpackungen
4.1 Methodik von Okobilanzen
4.2 Bewertungsmethoden
4.3 Weitere Grunde fur Verzerrungen
5 Subjektive Nachhaltigkeit von Verpackungen
5.1 Studienlage
5.2 Beschranktheit der Rationalitat
5.2.1 im Allgemeinen
5.2.2 hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Verpackungen
5.3 Informationsprozess und Meinungsbildung
5.3.1 Medienberichte
5.3.2 Soziale Medien
5.3.3 Werbung
5.3.4 Wissenschaftliche Untersuchungen
5.3.5 Nichtregierungsorganisationen
III Empirische Untersuchung
6 Durchfuhrung
7 Untersuchungsmaterial
7.1 Relevanz der Nachhaltigkeit von Verpackungen
7.2 Beobachtete Probleme und geforderte MaBnahmen
7.3 Relevanz verschiedener Nachhaltigkeitskriterien
7.4 Informationssuche und Meinungsbildung
7.5 Soziodemografische Daten
8 Ergebnisse
8.1 Relevanz der Nachhaltigkeit von Verpackungen
8.2 Beobachtete Probleme und geforderte MaBnahmen
8.3 Relevanz verschiedener Nachhaltigkeitskriterien
8.4 Informationssuche und Meinungsbildung
9 Diskussion
IV Schlussteil
10 Das Schnittmengenmodell der subjektiven und okobilanziellen
Nachhaltigkeit
10.1 Einfuhrung des Modells
10.2 Push- und Pull-Faktoren
10.2.1 Subjektive und okobilanzielle Nachhaltigkeit
10.2.2 Okobilanzielle und tatsachliche Nachhaltigkeit
10.3 Diskussion des Modells
10.4 Schlussfolgerungen aus dem Modell
11 Fazit
12 Literaturverzeichnis
V Anhang
A Fragebogen
B Soziodemografische Daten
Abbildungsverzeichnis
1 Schematische Darstellung einer Okobilanz
2 Schematische Darstellung der Wissenschaftskommunikation
3 Relevanz der Nachhaltigkeit von Verpackungen im Vergleich zu anderen Kriterien
4 Beobachtete Probleme durch die mangelnde Nachhaltigkeit von Verpackungen
5 Geforderte MaBnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit von Verpackungen
6 Bedeutung des Materials fur die Nachhaltigkeit von Verpackungen
7 Bedeutung von okobilanziellen Wirkungskategorien fur die Nachhaltigkeit von Verpackungen
8 Beruhrungspunkte mit der Nachhaltigkeit von Verpackungen
9 Schnittmengenmodell der subjektiven und objektiven Nachhal tigkeit von Verpackungen
10 Push- und Pull-Faktoren bei der subjektiven und okobilanzi ellen Nachhaltigkeit
11 Push- und Pull-Faktoren bei der okobilanziellen und tatsachli chen Nachhaltigkeit
12 Fragebogen Seite
13 Fragebogen Seite
14 Fragebogen Seite
15 Fragebogen Seite
16 Fragebogen Seite
17 Fragebogen Seite 6 (obere Halfte)
18 Fragebogen Seite 6 (untere Halfte)
19 Geschlechterverteilung unter den Teilnehmer:innen
20 Altersverteilung unter den Teilnehmer:innen
21 Verteilung des Familienstandes unter den Teilnehmer:innen
22 Verteilung des hochsten Bildungsabschlusses unter den Teil nehmer:innen
23 Verteilung des Erwerbsstatus unter den Teilnehmer:innen
24 Verteilung des Netto-Einkommens unter den Teilnehmer:innen
Tabellenverzeichnis
1 Auswahl verschiedener Bewertungsmethoden
2 Das Schnittmengenmodell der subjektiven und okobilanziellen Nachhaltigkeit in tabellarischer Form
Teil I
I Einleitung
1 Motivation
Die Nachhaltigkeit von Verpackungen ruckt sowohl in der offentlichen Diskus- sion als auch beim produzierenden Gewerbe und im Handel immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit [siehe z.B. 1-9]. Sowohl Konsumguterher- steller als auch Handelsunternehmen gehen davon aus, dass der Bedarf an nachhaltigen Verpackungen in naher Zukunft weiter steigen wird [5, S. 11]. Unterschiede hinsichtlich der Emission von Treibhausgasen, des Verbrauchs fossiler und nachwachsender Rohstoffe sowie der Persistenz von Verpackungen in der Umwelt sind nur einige Beispiele, die auf okologische Konsequenzen in Verbindung mit der Wahl einer bestimmten Verpackungslosung hindeuten.
Eine gesamtgesellschaftliche Diskussion uber die Nachhaltigkeit von Verpa- ckungen kann moglicherweise einen Beitrag zur Starkung des Verantwortungs- bewusstseins in der Wirtschaft leisten. Gleichzeitig richtet sich laut einer branchenubergreifenden Erhebung aus dem Jahr 2020 uber ein Drittel der Konsumguterhersteller, des Handels und der Verpackungshersteller primar nach der von Kund:innen wahrgenommenen Nachhaltigkeit und nur nach- rangig nach der wissenschaftlichen Nachhaltigkeit ihrer Verpackungen [5, S. 13]. Dieser beobachtete Einfluss der Konsument:innen auf den vermehrten Einsatz bestimmter Verpackungslosungen birgt das Risiko, dass Fehleinschatzungen auf der Seite der Konsument:innen eine Abkehr von okobilanziell nach- haltig bewerteten Verpackungen zur Folge haben konnten. Wissenschaftliche Methoden zur Beurteilung der Nachhaltigkeit bergen jedoch ebenfalls das Risiko die okologischen Folgen eines Verpackungssystems nicht im vollen Umfang abbilden zu konnen. Die Beobachtung von Diskrepanzen zwischen der subjektiven Wahrnehmung und den wissenschaftlichen Erkenntnissen hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Verpackungen und die daraus resul- tierenden Probleme auf dem Weg zum verstarkten Einsatz nachhaltiger Verpackungslosungen bildeten die Motivation zum Verfassen dieser Arbeit.
2 Zielsetzung der Arbeit
Das primare Ziel dieser Arbeit besteht darin, einen interdisziplinaren Zugang zum Spannungsfeld zwischen subjektiver, okobilanzieller und tatsachlicher Nachhaltigkeit von Verpackungen zu erarbeiten. Bisherige Untersuchungen, die auf Fehleinschatzungen bei der subjektiv wahrgenommenen Nachhaltigkeit von Verpackungen hinweisen, ziehen ublicherweise Okobilanzen als Referenz herbei [siehe z.B. 10-12]. Auf die Schwachen okobilanzieller Beurteilungen wird in diesem Kontext haufig nur unzureichend eingegangen. Eine breit ange- legte, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Diskrepanzen zwischen okobilanzieller, subjektiver und tatsachlicher Nachhaltigkeit erfordert einen interdisziplinaren Ansatz, der die geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichen Komponenten dieses Themenbereichs verknupft. Die Komplexitat subjektiver und okobilanzieller Beurteilungsprozesse und die aus dieser Komplexitat resultierende Anfalligkeit fur eine verzerrte Abbildung der tatsachlichen Nachhaltigkeit werden in dieser Arbeit durch folgende Leitfragen aufgegriffen:
- Nach welchem Schema laufen okobilanzielle Beurteilungen der Nachhal- tigkeit von Verpackungen ab?
- Von welchen Faktoren werden subjektive Beurteilungen der Nachhaltig- keit von Verpackungen beeinflusst?
- Welche Grenzen haben okobilanzielle und subjektive Beurteilungspro- zesse hinsichtlich des Anspruchs auf Objektivitat?
Zur Beantwortung der Leitfragen wird zunachst eine Literaturrecherche vorgenommen. Im zweiten Schritt wird diese theoretische Untersuchung durch eine empirische Untersuchung erganzt, mit deren Hilfe ein grundlegendes Verstandnis fur die subjektive Wahrnehmung der Nachhaltigkeit und deren Verhaltnis zur okobilanziellen Beurteilung geschaffen werden soll.
3 Begriffe und Abgrenzung
Nachhaltigkeit Der Begriff der Nachhaltigkeit wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts erstmals von von Carlowitz verwendet und bezog sich seiner- zeit auf die langfristige Bestandssicherung in der Forstwirtschaft. Eine Nutzung des Begriffs aufierhalb des okonomisch-forstwirtschaftlichen Kontextes fand erst Mitte des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Umweltbewegung und wirt- schaftlichen Wachstumskritik statt [13, S. 38]. In einer Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Verwendung des Nachhaltigkeits-Begriffs beobachtet Tremmel im Jahr 2004 eine zunehmende Umdeutung. Weitgehender Konsens herrsche laut ihm uber das zugrundeliegende Konzept der Generationenge- rechtigkeit, wobei sowohl okologische, finanzielle als auch gesellschaftliche Aspekte mit dem Begriff der Nachhaltigkeit verknupft sind. Wie von Tremmel vorgeschlagen ist der Begriff der Nachhaltigkeit in dieser Arbeit - wenn nicht anders ausgezeichnet - als „okologische Nachhaltigkeit“ zu verstehen [14, S. 32 f.].
Okobilanzielle Nachhaltigkeit Die Methodik der Okobilanz steht fur eine Palette an Instrumenten zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von Produkten, Prozessen oder Dienstleistungen. Aufgrund der Vielzahl an moglichen Vorge- hensweisen im Rahmen von Okobilanzen und der damit einhergehenden Moglichkeit fur Differenzen in den Untersuchungsergebnissen wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass die okobilanzielle Beurteilung der Nachhaltig- keit von Verpackungen grundsatzlich mit Abweichungen von der tatsachlichen Nachhaltigkeit verbunden sein kann. Weiterfuhrende Erlauterungen hierzu und zusatzliche Begriffe, die im Zusammenhang mit Okobilanzen verwendet werden, sind Kapitel 4 zu entnehmen.
Subjektive Nachhaltigkeit Dieser Arbeit liegt die Annahme zugrunde, dass die menschliche Einschatzung der okologischen Nachhaltigkeit sich von der tatsachlichen Nachhaltigkeit unterscheidet. Hierbei wird angenommen, dass es keine bedeutende Rolle spielt, ob der gesamtgesellschaftliche Konsens oder die subjektive Wahrnehmung einzelner Individuen betrachtet wird. In welcher Form sich diese Annahmen in Untersuchungen zur Einschatzung der Nachhaltigkeit von Verpackungen widerspiegeln und welche Ursachen dem zugrunde liegen konnen, ist eines der Untersuchungsziele dieser Arbeit und wird in Kapitel 5 naher erlautert.
Verzerrungen In dieser Arbeit wird immer dann von Verzerrungen gespro- chen, wenn ein bestimmter Umstand dafur sorgt, dass das betrachtete Beur- teilungsverfahren dem Anspruch auf Objektivitat nicht gerecht wird. Ein GroBteil der Verzerrungseffekte wird in dieser Arbeit argumentativ hergeleitet. Die aufgezeigten Schwachstellen der Beurteilungsverfahren sind somit mehr- heitlich als mogliche Ursachen fur Verzerrungen zu verstehen und bedurfen gegebenenfalls einer naheren Untersuchung.
Verpackungen Da sich sowohl die herbeigezogene Literatur als auch die im Rahmen dieser Arbeit durchgefuhrte empirische Untersuchung in erster Linie auf die Nachhaltigkeit von Verkaufsverpackungen beziehen, werden Verpackungen, die fur Konsument:innen nicht sichtbar sind, in den Erlau- terungen nicht weiter berucksichtigt. Transportbehalter fur Halbzeuge in der Automobilindustrie und GroBgebinde fur die Anlieferung von Schuttgut in der Lebensmittelindustrie finden im Rahmen der Untersuchungen somit beispielsweise keine Beachtung.
Teil II
II Literaturrecherche
4 Okobilanzielle Nachhaltigkeit von Verpa ckungen
4.1 Methodik von Okobilanzen
Zur wissenschaftlichen Beurteilung der okologischen Nachhaltigkeit von Verpa- ckungen hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte die Methodik der Okobilanz etabliert, welche in Form einer zunehmenden Standardisierung unter wissenschaftlicher und politischer Einwirkung [siehe z.B. 15-19] kontinuierlich weiterentwickelt wurden. Als allgemeiner Standard fur die Durchfuhrung von Okobilanzen gilt hierbei die Norm DIN EN ISO 14044, die in erster Linie Vorgaben zur Transparenz und Nachvollziehbarkeit okobilanzieller Methoden macht. In ihr werden auBerdem Rahmenbedingungen fur die Festlegung des Ziels und Untersuchungsrahmens, die Durchfuhrung der Sachbilanz, die Wirkungsabschatzung und die Phase der Auswertung festgelegt [15, S. 5]. Neben der DIN-Norm bewirkte in Deutschland vor allem das Umweltbun- desamt einige Schritte zur Standardisierung von Okobilanzen. Hierzu zahlen insbesondere die Entwicklung einer Bewertungsmethode (siehe Abschnitt 4.2) und die Festsetzung von Mindestanforderungen fur die Durchfuhrung von Okobilanzen bei Getrankeverpackungen 19. Diese Mindestanforderungen werden hinsichtlich der zu berucksichtigenden Wirkungskategorien als bran- chenubergreifender Quasistandard gesehen, da sie international geschaffene Weiterentwicklungen zur Methodik der Wirkungsabschatzung berucksichtigen 20.
Mithilfe von Okobilanzen konnen sowohl Waren als auch Dienstleistungen untersucht werden [15, S. 9]. Zur Beschreibung der verschiedenen Kompo- nenten einer Okobilanz haben sich bestimmte Begriffe etabliert, die in der DIN-Norm definiert werden. Die Okobilanz wird hier als „Zusammenstellung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Schematische Darstellung einer Okobilanz [entnommen aus 16, S. 3]
und Beurteilung der Input- und Outputflusse und der potenziellen Umwelt- wirkungen eines Produktsystems im Verlauf seines Lebensweges“ [15, S. 8] bezeichnet. Eine Okobilanz besteht - wie in Abbildung 1 zu sehen - aus vier ubergeordneten Prozessschritten. Der Untersuchungsrahmen steht fur eine Reihe an Rahmenbedingungen, die bei der Durchfuhrung der Studie beruck- sichtigt und beschrieben werden mussen. Hierzu gehoren die Systemgrenzen, Auswertungsmethoden, Annahmen, Werthaltungen, Einschrankungen und Anforderungen an die Datenqualitat [15, S. 16]. Innerhalb der im Untersu- chungsrahmen festgelegten Systemgrenzen werden samtliche Energie- und Stoffflusse analysiert, katalogisiert und in der Sachbilanz zusammengefasst. Das Sachbilanzergebnis umfasst alle Energie- und Stoffflusse, die die zuvor festgelegten Systemgrenzen uberschreiten [15, S. 11]. Auf Basis dieser Sachbi- lanzergebnisse wird im Anschluss eine Wirkungsabschatzung vorgenommen. Hierzu werden die Energie- und Stoffflusse bestimmten Wirkungskategorien zugeordnet. Nach den Mindestanforderungen des Umweltbundesamtes mussen folgende Wirkungskategorien berucksichtigt werden 20:
- Klimawandel
- Stratospharischer Ozonabbau
- Photochemische Oxidantienbildung
- Versauerung
- Eutrophierung und Sauerstoffzehrung
- Toxische Schadigung von Menschen durch Feinstaub
- Naturraumbeanspruchung
- Ressourcenbeanspruchung
Um die Daten in der Wirkungsabschatzung quantitativ darstellen zu konnen, existieren sogenannte Wirkungsindikatoren fur jede Wirkungskate- gorie. Die Auswertung der Okobilanz bezieht sich sowohl auf die Festlegung des Ziels und Untersuchungsrahmens als auch auf die Ergebnisse von Sachbilanz und Wirkungsabschatzung. Zur Auswertung der Sachbilanz und Wirkungs- abschatzung werden sogenannte Bewertungsmethoden eingesetzt, auf die im Folgenden etwas naher eingegangen wird. Die Anwendung der Erkenntnisse aus den Okobilanzen ist vielfaltig und reicht von der Produktoptimierung uber die strategische Planung bis hin zur Unterstutzung politischer Entschei- dungsprozesse und MarketingmaBnahmen in Unternehmen[16, S. 3].
4.2 Bewertungsmethoden
Das Ziel beim Einsatz von Bewertungsmethoden ist eine zusammenfassende Auswertung der Daten aus der Sachbilanz oder Wirkungsabschatzung einer Okobilanz. Nur so kann eine Gesamtbewertung der untersuchten Produkte bzw. Verpackungen erfolgen.
Das Umweltbundesamt beschreibt ein konkretes Bewertungsverfahren, das den Vergleich zweier Systeme auf Grundlage der Wirkungsabschatzung ermoglicht. Hierzu werden die einzelnen Wirkungskategorien anhand ihrer okologischen Prioritat in eine Rangfolge gebracht [16, S. 14]. Die vom Umwelt- bundesamt festgelegten ubergeordneten Schutzguter menschliche Gesundheit, Okosysteme und naturliche Ressourcen - auf deren Basis die Priorisierung der Wirkungskategorien erfolgt - basieren wiederum auf gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Die Schutzguter konnen moglicherweise in Konkurrenz zueinander stehen, was ein Grundproblem der Umweltpolitik darstellt [16, S. 12]. Bei der Bewertungsmethode des Umweltbundesamts werden auch Veranderungen der Umwelt im zeitlichen Verlauf berucksichtigt. Im Hinblick auf die Rangbildung der Wirkungskategorien weist das Umweltbundesamt auf die Notwendigkeit einer regelmaBigen Aktualisierung hin, um dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand gerecht werden zu konnen [16, S. 16].
Tabelle 1: Auswahl verschiedener Bewertungsmethoden [nach 21, S. 28]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Neben der Methode des Umweltbundesamtes finden sich noch viele weitere Bewertungsmethoden fur Okobilanzen. Eine Auswahl davon ist Tabelle 1 zu entnehmen. Die methodenspezifische Gewichtung der Ausgangsdaten ist der rechten Tabellenspalte zu entnehmen. Neben der Ableitung der Gewichtung unterscheiden sich die abgebildeten Bewertungsmethoden auBerdem hinsicht- lich des Bezugspunktes innerhalb der Okobilanz. Wahrend sich die UBA- und C.A.U.-Methodik auf die Ergebnisse der Wirkungsabschatzung beziehen, basieren die restlichen dargestellten Bewertungsmethoden auf den Ergebnissen der Sachbilanz [21, S. 27 f.]. Auf eine Erklarung aller einzelnen Bewertungs- methoden und Moglichkeiten zur Gewichtung und deren Bedeutung fur das Ergebnis von Okobilanzen wird an dieser Stelle verzichtet. Vielmehr dient Tabelle 1 der Verdeutlichung der Vielfalt verfugbarer Methoden zur Auswertung der Ergebnisse aus der Sachbilanz und Wirkungsabschatzung von Okobilanzen. Bei der Deutung der Auswertung von Okobilanzen ist die Bewertungsmethode und die mit ihr einhergehende Gewichtung der verschiedenen Sachbilanz- oder Wirkungsabschatzungsergebnisse in jedem Fall zu berucksichtigen, um mogliche Einschrankungen hinsichtlich der Aussa- gekraft okobilanzieller Beurteilungen erkennen zu konnen. Zu diesem Zweck wird in DIN EN ISO 14044 gefordert, dass „methoden- und datenabhangige Annahmen und Einschrankungen, die mit der Auswertung der Ergebnisse im Zusammenhang stehen“ [15, S. 57], bei der Berichterstattung gegenuber Dritten erwahnt werden mussen. Des Weiteren wird in diesem Kontext eine „uneingeschrankte Transparenz hinsichtlich der Werthaltungen, der rationalen Grundlage und der Sachverstandigenurteile“ [15, S. 58] gefordert.
4.3 Weitere Grunde fur Verzerrungen
Neben den eben geschilderten subjektiven Einflussen durch die Auswahl der Bewertungsmethode gibt es weitere Ursachen fur Verzerrungen im Rahmen okobilanzieller Beurteilungen von Verpackungen. Viele der potenziellen Ursa- chen finden sich in den Erlauterungen zum Untersuchungsrahmen der DIN EN ISO 14044. Hier wird unter anderem die Berucksichtigung und Beschreibung der gewahlten Systemgrenzen, Annahmen, Werthaltungen, Einschrankungen und Anforderungen an die Datenqualitat gefordert [15, S. 16]. In diesem Kontext beschreibt Stahl, dass Okobilanzen sowohl innerhalb als auch aufier- halb des Bewertungsschrittes grundsatzlich subjektiven Einflussen unterliegen:
„So gehen in jeden Arbeitsschritt Annahmen, Vereinfachungen und Modellierungen ein, die auf subjektiven Kriterien und Fest- legungen beruhen. Fur die Transparenz der Okobilanz ist es jedoch notwendig, dafi [sic] diese Schritte explizit genannt und dokumentiert werden.“ [21, S. 13]
Die geforderte Transparenz hinsichtlich dieser Punkte sorgt fur eine grund- satzliche Nachvollziehbarkeit der Studienergebnisse und moglicher Verzer- rungen. Sie kann jedoch nicht verhindern, dass die genannten Punkte das Studienergebnis beeinflussen.
Ein weiteres Problem der okobilanziellen Beurteilung von Verpackungen stellt die Auswahl der Wirkungsindikatoren im Rahmen der Wirkungsab- schatzung dar. Die Auswertung mithilfe der Bewertungsmethoden kann nur Wirkungskategorien berucksichtigen, fur die entsprechende Wirkungs- indikatoren existieren und in der jeweiligen Okobilanz eingesetzt werden. Weitere Wirkungsindikatoren befinden sich in der Entwicklung, um die Wirkungsabschatzung auf Umweltprobleme auszuweiten, die bisher nicht quantifizierbar sind. Es gibt beispielsweise Bemuhungen, einen Wirkungsin- dikator fur das „Littering-Potenzial“ zu schaffen. Dieser Indikator soll das erhohte Mullaufkommen in der Landschaft und den Meeren im Rahmen der okobilanziellen Wirkungsabschatzung sichtbar machen [22-24]. Der Effekt des Litterings flieBt bislang nicht in die Wirkungsabschatzung ein, da er mangels anerkannter Wirkungsindikatoren hochstens auf qualitative Weise beschrieben werden kann.
In einer Studie von Kalbar et al. wird das Problem unzureichender Aggregationsmethoden fur sogenannte „Single Scores“ - Einzelwerte, die die Ergebnisse der Wirkungsabschatzung zusammenfassen - genannt. Verschie- dene Effekte sorgen bei dieser Zusammenfassung fur eine Verzerrung der Daten. Eine alternative Methode zur Reduzierung der Verzerrungseffekte wird von den Autor:innen vorgeschlagen 25. Eine Gewichtung der Wirkungskategorien ist prinzipbedingt jedoch immer notwendig, unabhangig davon, auf welche Weise diese stattfindet. In der DIN EN ISO 14044 wird auf diese Problematik ebenfalls hingewiesen:
„Es sollte beachtet werden, dass es keine wissenschaftliche Grund- lage gibt, Ergebnisse von Okobilanzen ubergreifend zu einer nume- rischen Rangfolge oder zu einem Einzelwert (Einpunkt-Bewertung) zusammenzufassen.“ [15, S. 15]
Speck et al. fanden bei der Untersuchung verschiedener Softwarelo- sungen zur Erstellung von Okobilanzen heraus, dass die Wirkungsindikator- Ergebnisse der unterschiedlichen Programme teilweise erhebliche Unterschiede zeigten. Einige der untersuchten Softwarelosungen waren vollstandig konform zu den Normen ISO 14040 und 14044. Im Hinblick auf den vermutlich weiter steigenden Einsatz von Okobilanzierungssoftware in Unternehmen wird diese Tatsache von den Autor:innen der Studie kritisch gesehen 26. So ware das Ergebnis der okobilanziellen Beurteilung - dadurch moglicherweise auch der Einsatz bestimmter Verpackungslosungen - abhangig von der eingesetzten Software. Inwiefern die Anwendung von Okobilanzierungssoftware in Unter- nehmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit von Verpackungen beitragen kann, ist somit fraglich und bedarf weiterer Untersuchungen.
5 Subjektive Nachhaltigkeit von Verpa- ckungen
5.1 Studienlage
In den vergangenen Jahrzehnten - insbesondere Ende der 2010er- und Anfang der 2020er-Jahre - wurden einige Befragungen zum Themenfeld der Nach- haltigkeit von Verpackungen durchgefuhrt. Da der Bedarf an nachhaltigen Verpackungen laut Herstellern und Handel weiter ansteigen und die Umsetzung von nachhaltigen Verpackungen neben dem Handel in erster Linie durch die Verbraucher:innen forciert wird [5, S. 10-12], lohnt sich ein Blick auf die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung der Nachhaltigkeit von Verpackungen. Knapp ein Drittel der deutschen Konsument:innen ist der Auffassung, dass es bereits ausreichend umweltfreundliche Verpackungen gibt [4, S. 6]. Ebenfalls etwa ein Drittel gibt an, sich aktiv zum Thema „Umgang mit Abfallen“ informiert zu haben. Der Plastik- und Verpackungsmull stellt demnach gemeinsam mit dem Thema der Lebensmittelverschwendung das wichtigste Nachhaltigkeitsthema deutscher Verbraucher:innen dar 9. Knapp die Halfte der deutschen Verbraucher:innen beobachtet indes eine positive Entwicklung der Nachhaltigkeit von Verpackungen. Ebenfalls etwa die Halfte der Befragten sind der Auffassung, dass die steigende Umweltfreundlichkeit der Verpackungen nicht zu Lasten der Handhabung und Funktionalitat geht [8, S. 1]. Fur eine Unsicherheit bei den Herstellern und Handlern sorgt wahrenddessen jedoch die Beobachtung, dass zwischen der von Kund:innen wahrgenommenen Nachhaltigkeit von Verpackungen und wissenschaftlichen Ergebnissen groBe Diskrepanzen bestehen [5, S. 13]. Hinsichtlich der Einschat- zung zur Bereitschaft von Konsument:innen, die Mehrkosten zur Verwendung nachhaltiger Verpackungen zu tragen, gibt es zwischen den Erhebungen teils groBe Differenzen. Wahrend die Selbsteinschatzungen von Kaufer:innen eine leicht erhohte Zahlungsbereitschaft bei groBen Teilen der Bevolkerung zeigen [4, S. 9][5, S. 27][7, S. 4], sind sich Hersteller und Handler in diesem Punkt uneinig [5, S. 16]. Ein GroBteil der Befragten einer weltweiten Umfrage sieht die Verantwortung im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit zumindest in Teilen bei der Bevolkerung. Sich selbst sieht hingegen ein etwas geringerer Anteil der Befragten in der Verantwortung. Am meisten Verantwortung im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung sehen Konsument:innen dieser Erhebung zufolge bei der nationalen Regierung [27, S. 5]. Im Rahmen einer norwegischen Studie mit einer offenen Fragestellung wurde aufierdem festgestellt, dass Ressourcenschutz und Naturschutz die am haufigsten genannten Assoziationen hinsichtlich der okologischen Dimension der Nachhaltigkeit sind [28, S. 681].
Die Akzeptanz sogenannter Unverpackt-Laden ist Untersuchungen zufolge in der deutschen Bevolkerung sehr hoch. Bei Befurworter:innen von Unverpackt-Laden wurden im gleichen Zuge Unterschiede zwischen der personlichen Einstellung und dem tatsachlichen Verhalten festgestellt [29, S. 3]. Inwiefern das Ergebnis dieser Untersuchung durch die Einladung zur Teilnahme beeinflusst wurde, bleibt dabei offen. Im Poster zur Bewerbung der Umfrage wurde die Uberschrift „Lust auf weniger Verpackungsmull? “ verwendet [29, S. 51]. Auch eine hohe Aufgeschlossenheit gegenuber selbst mitgebrachten Behaltern konnte in Befragungen festgestellt werden [29, S. 3] [4, S. 7]. Verbraucher:innen zufolge werden tendenziell solche Produkte vorgezogen, die wenig Verpackungsmull verursachen. Altere Menschen geben hierbei etwas haufiger als junge Menschen an, auf eine geringe Menge anfallenden Verpackungsmulls Wert zu legen [4, S. 8]. Ein grofier Teil der Bevolkerung wunscht sich aufierdem mehr Produkte ohne Kunststoff-Verpackungen 3. Eine mogliche Verringerung der Haltbarkeit von Lebensmitteln spielt in den Augen der Konsument:innen hierbei eine untergeordnete Rolle [4, S. 6]. Nachhaltige Verpackungslosungen sind aus Sicht der Konsument:innen in erster Linie durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe oder recycelter Materialien oder durch eine Wiederverwendbarkeit im Sinne von Mehrweg-Verpackungen gekennzeichnet [5, S. 28]. Der Einsatz nachhaltiger Verpackungen kann die erwartete Produktqualitat bei Lebensmitteln entsprechend einer Studie von Magnier et al. dabei in positive Richtung beeinflussen 30.
5.2 Beschranktheit der Rationalitat
5.2.1 im Allgemeinen
Aufgrund der groBen Uberschneidungen im Hinblick auf die Wahrnehmung nachhaltiger Verpackungen konnte man zu dem Schluss kommen, dass die Annahmen der befragten Bevolkerungsgruppen auf rationalen Urteilen basieren und in ihrer Gesamtheit relativ frei von subjektiven Werthaltungen sind. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass „zur Erklarung subjektiv wahrgenommener Umweltbelastung individuelle Werthaltungen und Einstellungen wichtiger sind als die anhand objektiver Kriterien gemessene tatsachliche Umweltbelastung“ [31, S. 347]. Wissenschaftliche Untersuchungen weisen in diesem Zusammenhang auBerdem darauf hin, dass die Genauigkeit kognitiver Urteile bei der Selbsteinschatzung tendenziell uberschatzt wird [32, S. 257]. Ein GroBteil der subjektiven Einflusse auf die Beurteilung der Nachhaltigkeit lasst sich aus soziologischer Sicht auf einige grundsatzliche Argumente herunter brechen, die dem Bild des rein rational entscheidenden und handelnden Menschen entgegenstehen. Hubscher nennt in diesem Zusammenhang ein epistemisches, ein psychologisches und ein kulturelles Argument [33, S. 156 f.]. Das epistemische Argument bezieht sich auf die geringe Wahrscheinlichkeit, dass menschlichen Entscheidungen und Handlungen vollstandiges und transparentes Wissen zugrunde liegen kann. Demnach sei es dem Menschen allein schon aufgrund der Fulle an Informationen unmoglich, ausnahmslos alle Handlungsalternativen und deren Konsequenzen in eigene Uberlegungen einflieBen zu lassen. Das psychologische Argument bezieht sich auf zwei grundsatzlich zu unterscheidende Systeme der menschlichen Entscheidungsfindung, von denen das eine schnell und automatisch und das andere langsam und mit bewusstem, aktivem Denken zum Ergebnis fuhrt. Psychologischen Untersuchungen zufolge werden Entscheidungsprozesse der Praktikabilitat halber haufig durch Einsatz des ersten Systems - das auch mit dem Begriff des Bauchgefuhls umschrieben wird - gefallt, wahrend das zweite, Zeit und Aufmerksamkeit erfordernde, System nur in den Fallen eingesetzt wird, in denen rationales Denken auch als notwendig erachtet wird. Demzufolge erleichtert der Einsatz des Bauchgefuhls den Fluss des Alltags, fuhrt gleichzeitig jedoch moglicherweise zu mehr Fehlentscheidungen, als durch aufwandigere, rationale Entscheidungsfindungen zustande gekommen waren. Das dritte von Hubscher erwahnte Argument bezieht sich auf die kulturelle Pragung von Individuen. Demzufolge ordne der Mensch alle erlangten Informationen in das ihm bereits Bekannte ein, das sich aufgrund personlicher und kultureller Lebensumstande von Individuum zu Individuum unterscheidet. Des Weiteren sei menschliches Verhalten grundsatzlich auch vom eigenen Selbstverstandnis gepragt. Diese drei Argumente weisen darauf hin, dass der von einigen Okonomen verfolgte Ansatz rein rational begrundeter Entscheidungen und Handlungen das tatsachliche menschliche Verhalten aufgrund der genannten kognitiven Einschrankungen nicht vollstandig abbildet [33, S. 157-159]. Die drei aufgefuhrten Argumente konnen wiederum als Rahmen fur eine Vielzahl von erkenntnistheoretischen, psychologischen und soziologischen Einzelbeobachtungen und Untersuchungen betrachtet werden, die allein aufgrund ihrer groBen Menge an dieser Stelle nicht in vollem Umfang dargestellt werden konnen. Mit dem folgenden Abschnitt wird der Zusammenhang zwischen der beschrankten Rationalitat und der subjektiv wahrgenommenen Nachhaltigkeit von Verpackungen hergestellt, indem einige Untersuchungen aus diesem spezifischen Themenbereich aufgegriffen werden.
5.2.2 hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Verpackungen
In einer indischen Studie mit jungen Teilnehmer:innen konnte festgestellt werden, dass die Kaufabsicht gegenuber nachhaltig verpackten Produkten unter anderem von personlichen Normen, dem Umweltbewusstsein und der Zahlungsbereitschaft abhangig ist 2. Haubach et al. beschreiben auf allgemeinerer Ebene, dass Informationsdefizite und Handlungsbarrieren grund- satzlich fur Diskrepanzen zwischen den okologischen Handlungsabsichten und tatsachlichen Verhaltensmustern sorgen 34. In diesem Kontext weisen Lewis und Stanley beispielsweise darauf hin, dass okobilanziell sinnvolle Verpackungslosungen bei der intuitiven Beurteilung von Konsument:innen nicht zwangsweise nachhaltig sein mussen. Zuruckzufuhren sei dies unter anderem darauf, dass ein nicht unerheblicher Teil der okologischen Vorteile von Verpackungen den Konsument:innen nicht bewusst sind. Entgegen dieser allgemeinen Tendenz seien okologische Vorteile, die sich auf die Entsorgung von Verpackungen beziehen, in vielen Fallen sehr wohl bekannt. Hierbei wird insbesondere auf die Recyclingfahigkeit, Wiederverwendbarkeit, biologische Abbaubarkeit und unnotigen Materialaufwand verwiesen [35, S. 107]. Ein Erklarungsansatz hierfur findet sich in den Erlauterungen von Ninck. Ihm zufolge konnten unmittelbar sinnlich erfassbare Umweltprobleme grundsatzlich sehr leicht als solche erkannt und benannt werden. Im Gegensatz dazu wurden Umweltprobleme, die nicht mit den eigenen Sinnen erfasst werden konnen, haufig nur dann wahrgenommen, wenn sie beispielsweise durch Prasenz in Medien oder auf anderem Wege sichtbar gemacht werden [36, S. 14]. Auch wenn Ninck sich bei seinen Erlauterungen auf die allgemeine Wahrnehmung von Umweltproblemen wie gelichtete Baumkronen oder den Treibhauseffekt bezieht, ist davon auszugehen, dass dieses Prinzip sich auch auf die konkreten Wirkungszusammenhange zwischen dem Lebensweg von Verpackungen und der Umwelt ubertragen lasst.
Einige wissenschaftliche Untersuchungen verfolgen zur Verdeutlichung der beschrankten Rationalitat im Hinblick auf die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Verpackungen den Ansatz, die Ergebnisse von Okobilanzen mit der Einschatzung von Konsument:innen zu vergleichen [siehe z.B. 10-12]. Alle Studien zeigen hierbei deutliche Diskrepanzen zwischen der okobilanziellen und subjektiven Beurteilung. Die Ergebnisse von van Dam deuten darauf hin, dass die okologischen Konsequenzen, die mit der Mullentstehung durch Verpackungen verbunden sind, in der Wahrnehmung der Konsument:innen sehr grofi erscheinen und die okologischen Konsequenzen, die unmittelbar mit dem Herstellungsprozess der Verpackung einhergehen, nur unwesentlich erscheinen 10. Aufierdem konnte Tobler zeigen, dass die Umweltbelastungen durch die Verpackung von den Konsument:innen im Vergleich zu den Ergebnissen der Okobilanzen uberschatzt wurden 11. Steenis et al. resumieren in ihrer Studie, dass Konsument:innen sich bei ihrem Urteil auf unprazise Laien- meinungen beziehen und anfallig fur ineffektive Entscheidungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Verpackungen sind. Aufierdem zeigen sie, dass die subjektiven Urteile stark von visuellen Verpackungseigenschaften abhangen, die keinen Einfluss auf die Nachhaltigkeit der Verpackung haben 12. Die Untersuchungen von Lindh et al. zeigen sogar, dass sich groBe Teile der Konsument:innen ihrer fehlerhaften Einschatzung der Nachhaltigkeit von Verpackungen bewusst sind. Ohne verstarkte Bereitstellung von Informa- tionen sei dem jedoch nicht beizukommen 37. Obwohl die betrachteten Studien eine klare Tendenz zeigen, sind sie zwingend vor dem Hintergrund zu betrachten, dass auch okobilanzielle Beurteilungen - wie in Kapitel 4 ausfuhrlich beschrieben - keine vollstandig objektiven und unverzerrten Bewertungen der Nachhaltigkeit darstellen. In den Untersuchungen selbst wird dieser Tatsache nur in geringem Umfang Beachtung geschenkt.
5.3 Informationsprozess und Meinungsbildung
Eine individuelle, subjektive Beurteilung der Nachhaltigkeit findet - wie in Abschnitt 5.2.1 beschrieben - immer auf Grundlage des sozio-kulturellen Umfeldes und der fur das jeweilige Individuum verfugbaren Informationen statt. Die Komplexitat des Meinungsbildungs- und Informationsprozesses zur Nachhaltigkeit von Verpackungen scheint vor diesem Hintergrund besonders komplex. Dennoch sollen einige Aspekte hierzu aufgegriffen werden. Grimm et al. sprechen im Kontext der Informationssuche und Meinungsbildung von vier allgemeinen Wertekonflikten, die unabhangig von den genutzten Medien auftauchen konnen [38, S. 47 f.]:
- umfassende Wahrheitssuche vs. Bequemlichkeit
- Sensationssuche vs. serioses Informationsinteresse
- selbstbestimmte Meinungsbildung vs. soziale Eingebundenheit und Gruppenloyalitat
- Verantwortungsvolle Kommunikation vs. Aufmerksamkeit und Anerken- nung
Aufgezeigt werden im Folgenden einige aus gegenwartig vorhandenen Kommu- nikationsformen resultierende Effekte, die zu Differenzen zwischen der subjek- tiven und okobilanziellen Nachhaltigkeit fuhren konnten. Die Anfuhrung der Effekte erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollstandigkeit und basiert weitestgehend auf logischen Schlussfolgerungen aus allgemeinen Forschungs- ergebnissen und Beobachtungen. Ein konkreter Einfluss dieser Effekte auf den Meinungsbildungsprozess zur Nachhaltigkeit von Verpackungen kann zum aktuellen Zeitpunkt aufgrund fehlender Forschung im Allgemeinen nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen bestatigt werden.
5.3.1 Medienberichte
Eine Erhebung aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Informationen zur Nachhaltigkeit insbesondere von der alteren Generation haufig aus klassischen Medien wie Fernsehen und Radio bezogen werden [7, S. 4]. Die mediale Prasentation von Umweltproblemen hat laut Ninck neben den eigenen Beobachtungen der unmittelbaren Umwelt einen groBen Einfluss darauf, was von der Gesellschaft als Umweltproblem definiert wird [36, S. 14]. Eisenstein zufolge sei das konstruktivistische Paradigma, dass die Wirklichkeit der Menschen durch die Massenmedien nicht nur erweitert sondern gar eine neue Wirklichkeit konstruiert werde, jedoch nur bis zu einem gewissen Grad gultig [39, S. 157 f.]. Historisch gesehen hat sich die Umweltberichterstattung in den konventionellen Medien im Laufe der spaten 1960er- und fruhen 1970er-Jahren etabliert [36, S. 15-17] [40, S. 255]. Die elementare Rolle, die den Medien zugeschrieben wird, verdeutlicht sich hierbei durch das Aufzeigen ihrer gesellschaftlichen Funktionen.
„Massenmedien werden haufig als vierte Gewalt im Staat bezeichnet - neben der Legislativen (Parlamente), der Exekutiven (Regierung) und der Judikativen (Verfassungsgericht) -, weil es in einer Demokratie die Aufgabe der Medien ist, neben der Informations- und Meinungsbildungsfunktion auch eine Kontrollfunktion auszuuben.“ [38, S. 19]
Trotz der sichtbaren Verwurzelung der Medien in die gesellschaftliche Ordnung betont Eisenstein mit dem Multi-Step Flow of Communication 39, dass massenmediale Kommunikation kein einstufiger Prozess ist. Vielmehr sei die Medienberichterstattung in ein komplexes „Interdependenzgefuge interpersonaler und massenmedialer Kommunikation“ [39, S. 157] eingebettet.
Bonfadelli weist auf das Problem hin, dass Journalist:innen im Hinblick auf den Themenkomplex der Nachhaltigkeit nicht selten das notige naturwis- senschaftliche Hintergrundwissen fehle. Gleichzeitig sieht er die Notwendig- keit, dass sich Journalist:innen neben Nichtregierungsorganisationen „als Popularisierer und Anwalte aktiv und zielorientiert fur Umweltanliegen einsetzen“ [40, S. 257]. In Kombination kann dies im schlimmsten Fall zu einer wissenschaftlich nicht korrekten Vermittlung von Umweltthemen fuhren. Eine naturwissenschaftliche Beratung von Journalist:innen wurde folglich eine Moglichkeit bieten, potenziellen Fehleinschatzungen und deren medialer Verbreitung vorbeugen zu konnen. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Darstellung von Verpackungen und deren Nachhaltigkeit in Medienberichten konnten im Rahmen der Literaturrecherche nicht gefunden werden. Somit fehlt auch die Grundlage, um die konkreten Auswirkungen der Medienberichter- stattung auf die subjektive Beurteilung der Nachhaltigkeit von Verpackungen einschatzen zu konnen.
5.3.2 Soziale Medien
Insbesondere bei jungeren Menschen stellen soziale Netzwerke im Hinblick auf die Nachhaltigkeit eine wichtige Informationsquelle dar [7, S. 4]. Auch Theis-Berglmair schreibt den Internet-Communities eine hohe Eigendy- namik und ein hohes Meinungsbildungspotenzial zu. Sie weist hierbei auf die starke Vernetzung der Nutzer hin, die eine schnelle Verbreitung von Diskursen und Themen bewirkt [41, S. 154]. Im Gegensatz zur klassischen Berichterstattung bieten soziale Medien den Rezipienten vor allem den Vorteil einer unmittelbaren Anschlusskommunikation auch aufierhalb ihres privaten Umfeldes. Fur die abschliefiende Formierung personlicher Meinungen und Handlungsabsichten spielt das soziale Umfeld und die klassische Berichter- stattung vertrauenswurdiger Medien trotz alledem eine ubergeordnete Rolle [42, S. 7].
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