Wir Menschen verstehen Texte, Bilder, Gesten oder Musik. Der Prozess des Verstehens ist so instinktiv, selbstverständlich und allgegenwärtig geworden, dass man lernt viele Dinge aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Das zeigt sich vor allem dann, wenn das Individuum meint, eine Situation nicht zu verstehen oder falsch interpretiert, da hier die unterschiedlichen Dimensionen des Verstehens erst in das Bewusstsein treten. Durch die Hermeneutik wird dieser spekulative, subjektive und willkürliche Vorgang zu einer wissenschaftliche Methode umstrukturiert, die wichtige Erkenntnisse vor allem im Bereich der geisteswissenschaftlichen Pädagogik bringt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitungsgedanke
2. Hermeneutik
2.1 Begriffsklärung
2.2 Pädagogische Hermeneutik
2.2.1 Texthermeneutik
2.2.2 Bildhermeneutik
2.2.3 Dinghermeneutik
3. Pädagogische Interpretation des Gegenstandes „Montessori – Puppe“
3.1 Die Montessori-Puppe im Blickwinkel der Dinghermeneutik
3.1.1 Beschreibung der Puppe
3.2 Entstehungsgeschichte und Bedeutungswandel der Puppe
3.3 Montessori-Pädagogik anhand der Montessori-Puppe
3.4 Funktion der Puppe für den kindlichen Entwicklungsprozess
3.4.1 Übergangsobjekt zum Aneignen und Verstehen der Welt
3.4.2 Die Puppe als Bild des Erwachsenseins
3.4.3 Gefühlsverarbeitung und Entwicklung sozialer Kompeten z en
3.5 Bedeutung der Puppe in der pädagogischen Praxis
4. Kurzes Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Montessori-Puppe (Schaumann, 2019)
1.
1. Einleitungsgedanke
„Wir nennen den Vorgang, in welchem wir aus Zeichen, die von außen sinnlich gegeben sind, ein Inneres erkennen: Verstehen“ (Dilthey 1990, S. 318). Was Dilthey mit diesem Satz aussagt, ist etwas, was alltäglich passiert. Wir Menschen verstehen Texte, Bilder, Gesten oder Musik. Der Prozess des Verstehens ist so instinktiv, selbstverständlich und allgegenwärtig geworden, dass man lernt viele Dinge aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Das zeigt sich vor allem dann, wenn das Individuum meint eine Situation nicht zu verstehen oder falsch interpretiert, da hier die unterschiedlichen Dimensionen des Verstehens erst in das Bewusstsein treten. Durch die Hermeneutik wird dieser spekulative, subjektive und willkürliche Vorgang zu einer wissenschaftliche Methode umstrukturiert, die wichtige Erkenntnisse vor allem im Bereich der geisteswissenschaftlichen Pädagogik bringt.
Diese Hausarbeit ist im Rahmen des Moduls „Hermeneutische und Vergleichende Bildungsforschung“ entstanden. In dem Seminar „Geschichte, Theorien und aktuelle Aspekte der Hermeneutischen und Vergleichenden Bildungsforschung“ wurde sich zum einen mit dem Buch „Einführung in die pädagogische Hermeneutik“ von Rittelmeyer und Parmentier auseinandergesetzt, um die drei Formen Texthermeneutik, Bildhermeneutik und Dinghermeneutik zu verstehen und anzuwenden. Im weiteren Verlauf des Seminars wurde sich dann mit dem Buch „Vergleichende Erziehungswissenschaft: Eine Einführung“ von Adick befasst, wo die verschiedenen Reflexionsebenen und Wissensformen der Vergleichenden Erziehungswissenschaften vorgestellt wurden. Um dieses theoretische Wissen anzuwenden und zu diskutieren, wurde in der anschließenden Übung „Interpretieren“ versucht Texte, Bilder und Dinge aus pädagogischer Sicht zu interpretieren. In dieser Hausarbeit soll daher nach einem kurzen Theorieteil eine pädagogische Interpretation eines Gegenstandes erfolgen. Der Theorieteil beinhaltet eine Begriffsklärung von „Hermeneutik“ und eine anschließende Vorstellung von Texthermeneutik, Bildhermeneutik und Dinghermeneutik. Anschließend folgt die pädagogische Interpretation der Puppe im kindlichen Spiel und im speziellen von der Montessori-Puppe, indem zunächst der Gegenstand beschrieben und dann seiner Entwicklung betrachtet wird. Danach findet eine Deutung mit pädagogischen Sinngehalt statt. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Hausarbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewandt. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.
2. Hermeneutik
2.1 Begriffsklärung
Hermeneutik beschreibt die Kunst des altgriechischen Begriffs „ermeneuein“. Damit ist die Kunst des Verkündens, Dolmetschen, Erklärens und Auslegens gemeint. Das Wort lässt sich auf den Götterboten Hermes zurückführen, der den Auftrag hatte, Botschaften von den Göttern an die Sterblichen zu überbringen und zu übersetzen. Übertragen auf die Hermeneutik bedeutet das, dass ein Sinnzusammenhang aus einer Welt in die eigene Welt zu transferieren und zu deuten. Nach dem deutschen Philosoph Karl-Otto-Apel bezeichnet die Hermeneutik ursprünglich die Kunst der Auslegung der Texten, weil die Hermeneutik in der Antike und dem Mittelalter bedeutsam für die Auslegung grundlegender Texte, wie zum Beispiel die Bibel, war. Um den Sinn eines Textes ermitteln zu können befasst sich derjenige beispielsweise mit Fragen wie ‚Welchen Zweck verfolgen die Autoren?‘ oder ‚Was motiviert den Verfasser?‘. Ziel ist es, dadurch auf der einen Seiten den Verfasser mit seinem sozialen und historischen Umfeld und auf der anderen Seite die Sinnauslegung des Textes zu verstehen. Denn Texte verstehen sich nicht von selbst, sondern müssen durch jemanden verstanden werden. Hermeneutik ist deshalb einerseits die Kunst den vorliegenden Text zu verstehen, aber ihn zudem auch interpretieren zu können. Es geht darum, die Inhalte und Thesen eines Textes nicht bloß offenzulegen, sondern auch die Bedeutungen des Dokuments, die bei einer oberflächlichen Lektüre nicht auffallen, herauszufiltern und zu interpretieren. Dieser eingeschränkte Anwendungsbereich der Hermeneutik im Bereich der Auslegung von Texten hat sich über die Zeit zu einer Philosophie des Verstehens entwickelt. Hermeneutik bezieht sich daher außerdem auf Situationen, Bilder, Dinge oder auch pädagogische Gesten und ist deswegen auf sehr viele Bereiche anwendbar. Zusammengefasst kann aus diesem Grund festgehalten werden, dass Hermeneutik im Allgemeinen die Auslegung von Texten und Zeichen beinhaltet und daher in verschiedensten Bereichen Anwendung findet, wie zum Beispiel in der Philosophie, Literaturwissenschaft oder Theologie (vgl. Rittelmeyer & Parmentier, 2001, S.1ff.). Die Grundlage für die hermeneutische Erziehungswissenschaft legte der Philosoph Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834). Nach seinem Studium der Philosophie, Theologie und der alten Sprachen war er zunächst Professor der Theologie. Dort entwarf er in seinen Vorlesungen über Pädagogik die wesentlichen Ansätze der heutigen hermeneutischen Erziehungswissenschaft. Diese Theorien rückten erst später in den Vordergrund und beeinflussten dadurch unter anderem Dilthey, Spranger und Nohl und somit die gesamte geisteswissenschaftliche Pädagogik (vgl. Stimmer, 2000, S. 579).
2.2 Pädagogische Hermeneutik
Die pädagogische Hermeneutik ist ein Gebiet der hermeneutischen Forschungsmethoden. Sie ist in der geisteswissenschaftlichen Pädagogik vertreten und befasst sich mit den Hauptbestandteilen Erziehung und Bildung. Da sich die Hermeneutik im Allgemeinen mit geschichtlichen Objekten befasst, ist es auch das Ziel der pädagogischen Hermeneutik die Bereiche Bildung und Erziehung beispielsweise durch die Interpretation und Deutung von historischen Texten in der Pädagogik zu verstehen und erklären. Nach der pädagogischen Hermeneutik kann ein Pädagoge lernen und sich bilden, wenn er sich mit einem Vorverständnis bzw. Vorwissen in einer bestimmten Situation befindet oder einen wissenschaftlichen Sachverhalt behandelt. Durch seine Arbeit erlangt der pädagogische Forscher neue Informationen und Ergebnisse, die dementsprechend sein Vorverständnis erweitern. Aufgrund dieser Reflexions- und Transferprozesse erweitert sich das Wissen des Pädagogen beständig und er kann dadurch sein Wissen auch besser anwenden. Dieser Kreislauf vollzieht sich immer wieder von neuem und ist theoretisch betrachtet ins Unendliche fortlaufend und heißt hermeneutischer Zirkel (vgl. Rittelmeyer & Parmentier, 2001, S. 1-46). Im Folgenden werden die drei Formen der pädagogischen Hermeneutik vorgestellt.
2.2.1 Texthermeneutik
Bei der Texthermeneutik wird sich mit historischen Texten, Redetexten, fiktionalen Texten, Äußerungen von Kinder bzw. Jugendlich oder andere Formen in Sprach- und Textversion auseinandergesetzt. Die pädagogische Texthermeneutik befasst sich im Vergleich zu literaturwissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Vorgehensweisen mit der Frage nach der pädagogischen Relevanz. Um die Texte zu verstehen und zu interpretieren, kann sich an folgenden Fragen für den Interpretationsgang orientiert werden. Zuerst gilt es zu untersuchen, wie der Text historisch einzuordnen ist, um danach zentrale Begriffe und Inhalte herauszufiltern. Anschließend wird untersucht, welche Diskursregeln den Text bestimmen und welche Deutungen und Behauptungen durch das interpretierte Textmaterial wirklich gestützt werden. Als letzten Schritt der Interpretation sollte sich damit befasst werden, ob die Interpretation zu Erkenntnissen geführt hat oder nur zu reinen Paraphrasen (vgl. Baumgartinger, 2004, S. 9f.). Zudem gibt es fünf Interpretationstechniken, die dem Leser dabei helfen sollen, strukturiert und methodisch vorzugehen. Die strukturale Interpretation befasst sich mit der Analyse des Textaufbaus. Darunter fallen Aspekte des Syntax, der Semantik und die Analyse von Konstruktionsprinzipien. Des Weiteren gibt es die kontextuelle Interpretation. Dieser Interpretationstechnik befasst sich mit der Sprachtradition oder der Sprachgruppe, die einem Text zugehören. Die Sprachanalyse kann zielführend sein, wenn Hinweise auf typische historische und regionale Sprachgemeinschaften gefunden werden, weil diese Hinweise auf das Umfeld des Verfassern liefern können. Es wird zwischen einem engen und weiten Umfeld des Textes unterschieden. Nach dem engen Umfeld des Textes kommt erst zu einem Verständnis einzelner Textteile aus dem Gesamtzusammenhang des kompletten Textes. Das Verständnis des Gesamttextes bei dem weiten Umfeld hingegen findet nur im Zusammenhang mit dem Untersuchen der historischen Epoche, der kulturellen Situation und biographischen Erfahrungen des Autors statt. Eine dritte Interpretationstechnik ist die komparative Interpretation bei dem der vorliegende Text mit einem anderen Text zu dem gleichen Thema verglichen wird, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten festzustellen. Die psychologische bzw. mimetische Interpretation untersucht, welche Motive dem Dokument zugrunde liegen. Hierfür muss sich der Interpret in den Text und dessen Bedeutung einfühlen, um Beweggründe und eine mögliche Wirkung zu ermitteln. Eine letzte Technik ist die experimentelle Interpretation, die sich mit der Frage „Was wäre, wenn…?“ beschäftigt. In der pädagogischen Interpretation kann eine weitere Frage, die durch die Analyse beantwortet werden kann, sein, welchen Stellenwert der vorliegende Text im menschlichen Bildungsprozess einnimmt (vgl. Rittelmeyer & Parmentier, 2001, S. 51f.).
2.2.2 Bildhermeneutik
Im Bereich der Bildhermeneutik werden pädagogisches Bildmaterial unserer Kulturgeschichte, zum Beispiel Kinder- und Familiendarstellungen in unterschiedlichen Epochen, Kinderzeichnungen, Schulfotos, Kinderbuch-Illustrationen, Jugendzeitschriften und andere Kunst- und Bildwerke mit pädagogischen Inhalt untersucht. Die Analyse und Interpretation von Bildern ist in den Erziehungswissenschaften eine neue und relativ unerprobte Methode, da sie erst weit nach der Texthermeneutik an Bedeutung gewonnen hat. Um den Sinn des Bildmaterials zu ermitteln kann genau wie bei der Texthermeneutik auf die fünf Interpretationstechniken zurückgegriffen werden, weil sie den Vorgang der Interpretation erleichtern. Außerdem ist es notwendig sich auf spezielle kunstwissenschaftliche und kunstdidaktische Verfahren zu berufen, da diese explizite Deutungshilfen darstellen, wenn keine Textpassagen, sondern nur Bilder zu analysieren sind (vgl. Baumgartinger, 2004, S. 10).
2.2.3 Dinghermeneutik
Material in der Dinghermeneutik sind unter anderem historisches Kindergarten- und Schulinventar, wo es sich um Objektbiografien handelt. Dinge in diesem Bereich sind beispielsweise Gebäudegrundrisse, Inventar- oder Materiallisten oder Stundenpläne. Dinge sind schon immer ein bedeutsamer Teil des symbolischen Universums, in dem sich alle Individuen bewegen und orientieren müssen, damit sie in dieser Welt zurechtkommen. Die Bedeutungen und Motive von Dingen sind nicht einfach gegeben, sondern müssen erst durch einen Analyseprozess entziffert werden (vgl. Baumgartinger, 2004, S. 11). Nach dem weiten Verständnis der Hermeneutik sind alle Sachen kulturelle Erzeugnisse und können daher als Kulturdinge gesehen werden, auch wenn sie in dem Sinne keine richtigen Gegenstände sind. In der Welt von uns Menschen gibt es keinen Gegenstand, dem keine Referenz nachgewiesen werden kann, denn ohne einen Kontext ist ein Ding „nichts“ und hat dadurch keinen weiteren Sinngehalt. Der jeweilige aktuelle Kontext entscheidet über die Art der Bezugnahme und bestimmt die Bedeutung des Dings. Hierbei kann es vorkommen, dass ein Ding gleichzeitig mehrere Bedeutungen haben kann. Dieser Aspekt ist am Beispiel eines Schwertes sehr gut zu erkennen. Im Mittelalter stellte dieses eine reine Waffe und Werkzeug in der Hand eines Kriegers da. Führte dieses Schwert zu einem Sieg in einem Krieg kann es sein, dass es über mehrere Generationen hinweg als ein heiliges Objekt angesehen wird und es in der modernen Welt in einem Museum zu finden ist. Aus einem Instrument der Vernichtung ist somit ein historisches Objekt der Verehrung geworden. Heranwachsende lernen den Bedeutungsgehalt der überlieferten Gegenstände durch die Anwendung der ‚praktischen Lektüre‘, das bedeutet, das Menschen durch den Prozess der Sozialisation lernen und somit auch die Funktion und den Sinn der Objekte kennenlernen. Im Laufe der Zeit entwickelt sich die Reichweite des Verstehens von Dingen, dennoch benötigt der Mensch Lesehilfen, um die verwirrende Semantik der Dinge zu verstehen. Zum einen hilft hierbei das Museum, das die Dingsprache entziffert, und auf der anderen Seite die Schule, die dem Individuum die grundlegenden Techniken des Lesens und Schreibens beibringt (vgl. Rittelmeyer & Parmentier, 2001, S. 104-111). „Lernen ist so gesehen eine semiologische Anstrengung – eine Lektüre von Worten und Buchstaben, aber auch von Dingzeichen und Produkthieroglyphen. Indem wir den Kosmos der uns umgebenden Dingzeichen verstehen, lernen wir uns auch selbst verstehen.“ (Baumgartinger, 2004, S. 11). In der Pädagogik ist die Dingehermeneutik ein sehr kleiner Bereich, wobei es eine Vielzahl an pädagogischen Gegenständen gibt, deren Grammatik erst noch entziffert werden muss (vgl. ebd.).
3. Pädagogische Interpretation des Gegenstandes „Montessori – Puppe“
3.1 Die Montessori-Puppe im Blickwinkel der Dinghermeneutik
Wenn Mädchen nach ihrem Lieblingsspielzeug gefragt werden, ist eine sehr häufige Antwort: Puppen. Die Kinder füttern, wickeln und umsorgen ihren Begleiter ständig und in vielen Fällen wollen sie ohne ihre Puppe nicht mehr das Haus verlassen. Das Puppenspielzeug im Allgemeinen existiert in der Geschichte der Menschen schon sehr lange und Kinder spielen dementsprechend auch seit mehreren Jahrhunderten mit menschenähnlichen Spielzeugen(vgl. Hausdörfer, 2021). Puppen sind in unserer Welt omnipräsent, da ihr Dingcharakter die Puppe zu einem kulturellen Gebilde macht, das es in allen zeitlichen und gesellschaftlichen Epochen gab und gibt(vgl. Schachtner, 2014, S. 199). Die Puppe ist zunächst nur ein Ding, dass durch einen Spieler, wie zum Beispiel kleine Kinder, verlebendigt wird und dadurch eine Funktion erlangt. Puppen die lediglich an der Wand hängen, in Schränken verstauben oder Sofas gestalten, dienen nur einer Dekorationsfunktion und werden so ihres wahren Zwecks beraubt. Da Puppen sich in den Bereich Dinge einordnen lassen, können sie beseelt, gehasst und vernachlässigt, geliebt aber auch weggeworfen werden. Die Puppe wird von ihrem Besitzer kontrolliert und kann nur durch die Vorstellungskraft des Kindes von einem bloßen Gegenstand zu einem bedeutsamen Kindheitsbegleiter übergehen. So wie eine Puppe eines Tages erscheint und wichtig wird, wird sie irgendwann vergessen und nachlässig weggeworfen, wenn sie ihren individuellen Zweck erreicht hat(vgl. Pohl, S. 2-4). Anfangs wird die Puppe in den Händen des Kindes wie ein Gegenstand verstanden und so auch behandelt. Erst ab einem Alter von ungefähr eineinhalb Jahren sind sie in der Lage, im kindlichen Spiel mit der Puppe auf der einen Seite Empathie und Fürsorglichkeit zu entwickeln und lernen auf der anderen Seite erste Verantwortung zu übernehmen(vgl. Noll, 2018). Eine Frage, die in diesem Zusammenhang aufkommt, ist, wie die Puppen einen so zentralen Stellenwelt in der kindlichen Lebenswelt erlangen. Die Puppe war schon immer ein besonderes Ding, was im späteren Verlauf des Portfolios an dem historischen Kontext ersichtlich wird. Wir Menschen verfügen von Natur aus über die Neigung, Dingen eine gewisse Bedeutung auf emotionaler Basis zuzusprechen. Über diese Fähigkeit verfügen bereits auch Kleinkinder, weswegen Dinge in ihrer Welt auch über Gefühle und Gedanken verfügen können. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn das Ding menschliche Züge besitzt, wie die Puppe. Die Beseelung von Gegenständen findet bei jedem Menschen individuell statt, da es von den eigenen Bedürfnissen aber der jeweiligen Kultur bzw. Gesellschaft abhängt. Neben Dingen mit persönlichem Inhalt neigen wir Menschen auch dazu, Dinge zu animieren und sie zu einer Bezugsmöglichkeit zu machen. Dieser Prozess nennt sich der ‚Puppen-Instinkt‘. In der Praxis ist das daran erkennbar, dass sowohl Jungen als auch Mädchen in ihrer Umwelt Puppenersatzobjekte finden und diese puppifizieren. Hierbei kann es sich um Handtücher, Kopfkissen, Haarbürsten oder sogar Lebensmittel, wie Gemüse und Obst, handeln. Festzuhalten ist daher, dass Dinge nicht einfach vor sich hin existieren, sondern auch von Kindern als Sinnträger und Bedeutungsübermittler gesehen werden(vgl. Schachtner, 2014, S. 201). Wie dieses besondere Ding die Lebenswelt der Kinder beeinflusst, wird nach der Beschreibung auf unterschiedlichen Ebenen untersucht.
3.1.1 Beschreibung der Puppe
Abbildung1Montessori-Puppe
Auf der Abbildung 1 ist seine Montessori-Puppe zu sehen. Sie hat nur leicht angedeutete Gesichtszüge und ist aus einem weichem Material hergestellt, welches viel Plastizität ermöglicht. Da die Puppe nicht detailreich gestaltet ist, kann keine Geschlechterzuordnung stattfinden und deshalb nicht als männlich und weiblich interpretiert werden. Im Allgemeinen sind Walddorf- und Montessori-Puppen im Vergleich zu den industriellen Massenspielzeugpuppen sehr frei, neutral und flexibel entworfen. Hände und Füße sind nur als Stümpfe, ohne einzelne Hand- und Fußmerkmale ausgeprägt. Das Gesicht lässt meist nur Wangen und Nase als leichte Hervorhebungen erkennen und die Ohren hingegen werden nur selten dargestellt, sind aber in der Abbildung 1 beispielsweise vorhanden. Das Design des Gesichts ist besonders ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen den Werken verschiedener Hersteller. Es kann auf die Puppe gemalt oder gestickt werden. Das Malen oder Sticken auf den Mund ist sehr wichtig, weil so verhindert wird, dass nur ausgewählte Emotionen durch die angezeigten Gesichtsausdrücke ausgedrückt werden können. Aus diesem Grund findet in den meisten Fällen nur ein leichtes Lächeln Verwendung auf dem Gesicht. Die Gestaltung des Kopfes einer Montessori-Puppe umfasst normalerweise Haare oder eine Kopfbedeckung. Das Haar hochwertigerer Puppen besteht zum Beispiel aus mit Pflanzen gefärbter Wolle, oder es kommen Perücken in Gebrauch, welche üblicherweise aus synthetischen Materialien bestehen. An und für sich gibt es keine Einschränkungen, die das Aussehen einer solchen Puppe definieren. Jeder Puppenmacher oder auch Eltern, die ihre eigene Puppe herstellen, legen in ihrer Arbeit auf unterschiedliche Aspekte ihren Fokus. Der Zweck in dem Gebrauch von Montessori-Puppen besteht darin, die Fantasie von Kindern anzuregen. Da die Gestik und Mimik der Puppe keine spezifischen Emotionen für das Kind hervorrufen, sollte das Kleinkind Gesichtsausdrücke, die es individuell beschäftigen und als wichtig empfinden, auf die Puppe übertragen. Diese Art der Leistungserbringung des jeweiligen Kindern ist entscheidend für ihr eigene Entwicklung und gleichzeitig sollten mehrere natürliche Materialien eingesetzt werden, um den Kleinstkindern vielfältige kognitive Erfahrungen zu verschaffen(vgl. Neuschütz, 2012).
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