Dieser Arbeit geht die These voran, dass die Verzerrungen nicht nur erzählerische Funktion besitzen, um den narrativen Spannungsbogen des Films auszurichten, sondern vielmehr dem Zweck propagandistischer Manipulation und Mobilmachung zugunsten nationalsozialistischer Ideologie dienen. Gerade weil die Aufgabe der Propaganda darin bestand, subtil die Gesellschaft mit politischen Anschauungen zu unterwandern, wird auch die historische Figur eines Robert Kochs Teil der NS-Verblendung. Zumal der Film, als audiovisuelles Medium, enorme massenpsychologische Wirkungskraft besitzt, die optimal für
politische Zwecke verwertet werden kann.
Was hier wie das Plädoyer eines revolutionären Politikers anmutet, ist nicht weniger als die Abschlussrede Robert Kochs, die er, verkörpert von Emil Jannings, im 1939 erschienenen Film Robert Koch – Bekämpfer des Todes von Hans Steinhoff, an die junge Generation im Publikum adressiert. Aus historischer Sicht scheint es kaum überraschend, dass dem Bakteriologen Koch im Film das Attribut eines politischen Führers oktroyiert wird. Obwohl sich der Film – der am 26. September 1939 im Berliner Ufa-Palast am Zoo uraufgeführt und damit 25 Tage nach dem Überfall auf Polen datiert – vordergründig als Filmbiographie
(Biopic) präsentiert, mit dem Ziel die Entdeckung des Tuberkelbazillus durch Robert Koch filmisch zu inszenieren, zwingt eine tiefere Analyse zur Annahme, dass hier weitaus mehr politisches Kalkül verborgen liegt, als es eine oberflächliche Sichtung des Films verraten lässt. Es sind besonders biografische und wissenschaftliche Verzerrungen im Film, die hier in den Blick geraten.
Inhaltsverzeichnis
Exposition
Konfrontation
I. Das Narrativ
II. Bakteriologischer Jargon: die Pathologisierung der Feinde
III. Teleologie und Theologie - Die Inszenierung des Fuhrers
Auflosung
Exposition
«Ihr jungen Menschen, ihr werdet mich verstehen, wenn ich sage, dass es kein Leben und kein Vorwarts zu groben Zielen gibt ohne Opfer. Ich weib, dass alles Grobe und Gute in Euch weiterlebt, in Eurem Geist, in Euren jungen Herzen. Wenn einmal die Fackel aus uns'ren Handen gleitet, reibt Ihr sie wieder hoch und tragt sie in den neuen, schoneren Tag hinein.»1
Was hier wie das Pladoyer eines revolutionaren Politikers anmutet, ist nicht weniger als die Abschlussrede Robert Kochs, die er, verkorpert von Emil Jannings, im 1939 erschienenen Film Robert Koch - Bekampfer des Todes von Hans Steinhoff, an die junge Generation im Publikum adressiert. Aus historischer Sicht scheint es kaum uberraschend, dass dem Bakteriologen Koch im Film das Attribut eines politischen Fuhrers oktroyiert wird. Obwohl sich der Film - der am 26. September 1939 im Berliner Ufa-Palast am Zoo uraufgefuhrt und damit 25 Tage nach dem Uberfall auf Polen datiert - vordergrundig als Filmbiographie (Biopic) prasentiert, mit dem Ziel die Entdeckung des Tuberkelbazillus durch Robert Koch filmisch zu inszenieren,2 zwingt eine tiefere Analyse zur Annahme, dass hier weitaus mehr politisches Kalkul verborgen liegt, als es eine oberflachliche Sichtung des Films verraten lasst.3 Es sind besonders biografische und wissenschaftliche Verzerrungen im Film, die hier in den Blick geraten. Dieser Arbeit geht daher die These voran, dass jene Verzerrungen nicht nur erzahlerische Funktion besitzen, um den narrativen Spannungsbogen des Films auszurichten, sondern vielmehr dem Zweck propagandistischer Manipulation und Mobilmachung zugunsten nationalsozialistischer Ideologie dienen. Gerade weil die Aufgabe der Propaganda darin bestand, subtil die Gesellschaft mit politischen Anschauungen zu unterwandern,4 wird auch die historische Figur eines Robert Kochs Teil der NS-Verblendung. Zumal der Film, als audiovisuelles Medium, enorme massenpsychologische Wirkungskraft besitzt, die optimal fur politische Zwecke verwertet werden kann.5
Verzerrung, Verheifiung, Verblendung, wie es im Titel dieser Arbeit heiBt, beschreibt daher das begriffliche Dreigespann, welches den Rahmen dieser Arbeit absteckt. Man konnte sagen, es sind jene Termini, die das intrinsische Programm jeder Propaganda im Kern abbilden, da mittels der Verzerrung des Realen eine (zukunftige) Welt verheiBen wird, die nur auf dem Fundament totaler Verblendung funktioniert. Aufgabe des Robert Koch Films war daher auch weniger die Darstellung faktisch korrekter wissenschaftlicher Forschung und biographischer Genauigkeit, als vielmehr die Inszenierung eines groBen Genies.6
Dass diese <geniale> Darstellung Teil nationalsozialistischer Indoktrination ist, lasst sich schon allein dadurch plausibilisieren, als mit dem am 16.02.1934 in Kraft getretenen Lichtspielgesetz alle Filme dem Reichspropagandaministerium und damit NS-Zensur unterlagen. Letztendlich wird die Figur Robert Koch als ein Fuhrermodell stilisiert, der man Gehorsam und Gefolgschaft schuldet.7 Durch ihn wird die Menschheit von der «schrecklichen Plage des Menschengeschlechts»8 (Tuberkulose) erlost, weil er eisern fur (s)eine groBe Idee einsteht, fest daran glaubt und sich von seinen Gegnern9 nicht unterkriegen lasst. Wen lasst das nicht an den Erlosermythos Hitlers denken?
Du schreitest in das Volk als sein Erloser, weil du vom Glauben ganz besessen bist.10
Konfrontation
I. Das Narrativ
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Schnee- und Regenschauer fegen uber winterliche Felder. Heulend fangt sich der Wind in dem steinigen Hohlweg, durch den in fruher Morgenstunde der Landarzt und Kreisphysikus Dr. Robert Koch zu einem sterbenden Kinde fahrt. Die Tochter eines armen Waldhuterpaares ist der tuckischen Tuberkulosekrankheit, die jedes vierte Kind in dem landlichen Kreise dahin rafft, zum Opfer gefallen.
Erschuttert steht Koch an der Leiche der Kleinen. Jedes vierte Kind im Kreise ... Und keine Aussicht, diese furchterliche Seuche mit Erfolg zu bekampfen. Seit Jahren beschaftigt er sich damit, den Erreger der Tuberkulose zu finden. In seinem Sprechzimmer in Wollstein hat Koch sich einen kleinen Verschlag gebaut. Hier arbeitet er in jeder freien Minute an seinen Praparaten - sitzt Nachte hindurch vor seinem Mikroskop, um den Erreger dieser furchterlichen Geifiel der Menschheit auf die Spur zu kommen. Kleinburgerlicher Unverstand macht ihm das Leben schwer.
Ein in seiner Wurde gekrankter Lehrer - eine Gesund- betersekte gehen mit scharfen Anklagen gegen den stillen Forscher vor. Gemeine anonyme Artikel erscheinen im Kreisblatt, um den Landarzt und Kreisphysikus. Dr. Koch aus seiner Stellung zu bringen. Zum Gluck hat er in dem Landrat des Kreises einen verstandnisvollen Freund, der die grofie Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeiten seines Kreisphysikus langst erkannt hat. Eingaben uber Eingaben gehen an das Ministerium nach Berlin. Koch selbst schickt immer wieder neue Berichte uber seine Forschungen ein . mit dem einzigen Resultat, dass die Akten der Berliner Registratur dicker und dicker werden! Denn der grofie Berliner Gelehrte Geheimrat Virchow, auf dessen Urteil die ganze medizinische Welt hort, ist ein Erklarter Gegner der Kochschen Theorie. Bazillen als Erreger der Krankheiten erklart er fur Unsinn. Seiner Meinung nach sind die Krankheiten auf einen Zerfall oder Veranderung der Zellen zuruckzufuhren. Einer der eifrigsten Anhanger Kochs ist der Sohn des Landrats, Fritz, ein junger, angehender Arzt, der in Berlin gerade sein Staatsexamen macht. Nach vielen Monaten aufopferungsvoller Arbeit gelingt es Koch, nach hunderten von vergeblichen Versuchen und Farbungen seiner Praparate den Erreger der Tuberkulose festzustellen. Aber noch gibt er diese Entdeckung nicht bekannt, denn erst gilt es, bis ins letzte den Beweis zu erbringen, dafi dieser von ihm gefundene Erreger einwandfrei der Ursprung dieser todbringenden Krankheit ist.
Trotz aller Intrigen und niedrigen Anschuldigungen, die gegen den Landarzt erhoben werden, kommt endlich die Berufung Kochs nach Berlin als Regierungsrat an das Kaiserliche Gesundheitsamt. Der Leibarzt des Fursten Bismarck, der gleichzeitig Direktor dieser Gesundheitsamtes ist, hat sich auf das warmste fur den stillen Forscher eingesetzt. Voller Freude eilt Koch nach Berlin - aber auch hier erwarten ihn nur neue Kampfe und
Schwierigkeiten. Man spottelt uber den «Bazillenjager» - der sich mit seinen Assistenten Loffler, Gaffky und Fritz tagelang im Laboratorium einschliefit. Untergeordnete Beamte versuchen, dem Regierungsrat Koch immer neue Hindernisse in den Weg zu legen - so dafi dieser sich schliefilich hilfesuchend an Virchow - den Papst der Wissenschaft - wendet.
Leider hat der vielbeschaftigte Geheimrat, der gerade zu einer grofien Reichstagssitzung fahren will, keine Zeit, um sich von Herrn Doktor Koch seinen «Bazillen-Zirkus» vorfuhren zu lassen. Der Herr Geheimrat hat heute Wichtigeres vor ... Im Reichstag greift er die Aufienpolitik des grofien Kanzlers an - wird aber von Bismarck in einer grofien Rede glanzend widerlegt. Als Virchow nach der Sitzung mit Koch zusammentrifft, kommt es zu einer Auseinandersetzung der beiden grofien Forscher. Als unversohnliche Gegner trennen Sie sich. - Wieder folgen Monate schwerster, unermudlicher Arbeit im Laboratorium.
Frau Koch sieht ihren Mann wochenlang nicht zu Hause. Die Ehe des Forschers geht beinahe in die Bruche. Immer verschlossener - immer menschenscheuer wird der den Geheimnissen der Natur nachspurende Mann. Mit einer beispiellosen Grundlichkeit und Methodik ringt er um den Beweis seiner Theorie. - Es ist ein gigan- tischer, dramatischer Kampf, den Koch fur seine Entdeckung fuhrt. Ein Kampf vor allem auch gegen Rudolf Virchow - der sich am Ende doch vor den Gegner beugen mufi!
Und es ist ein Kampf, den Koch mit schwerstem Opfer bezahlen muss, sein junger Assistent Fritz, den er wie einen Sohn liebt, wird nach einer Ansteckung, die er sich wahrend der gemeinsamen Laboratoriumsarbeit zu Abb. 2: Centerpiece, Illustrierter Film-Kurier.
zieht, von dieser schrecklichen Krank- heit befallen und stirbt. In der Aula der Universitat wird der jetzt zu Weltruhm gelangte Robert Koch sturmisch gefeiert. In einer mitreifienden Rede fordert er die ihm glaubig lauschende Jugend auf, den Kampf gegen den heimtuckischen Feind, die Tuberkulose, fortzufuhren bis zum siegreichen Ende. 11
Diese Zeilen entspringen dem Illustrierten Film-Kurier (Abb. 1-2), welcher als Pro- grammheft, neben einer Collage diverser Filmausschnitte, eben jene Synopsis des Films prasentiert. Diese offeriert insofern ein interessantes Zeugnis, als sie jenen intendierten Blick sprachlich abbildet, den die Kinobesucher*innen der spaten 30er Jahre einnehmen sollen: eine wohlgesonnene Sympathie gegenuber Robert Koch und eine Antipathie gegenuber seinen Feinden. Grundsatzlich werden dabei zwei narrative Linien hervorgehoben, die den Verlauf des Films strukturieren und Koch zum Helden der Erzahlung erhohen.
Zunachst ist da die Erzahlung des einsamen und genialen Forschers, der ohne externes Zutun dem Tuberkelbazillus auf die Sprunge kommt. Es ist die Rede von einem «menschen- scheuen» und «stillen Forscher», der durch nachtelanges <Ins-Mikroskop-Schauen> und «aufopferungsvoller Arbeit» am Ende den Erreger sichtbar werden lasst. Hilfe braucht er dafur nicht, denn er besitzt geniale Intuition. Koch wird neben seiner Inszenierung als gewissenhafter und unermudlicher Forscher auch als human Handelnder, der sogar die Kosten der Therapien seiner Patient*innen ubernimmt, dargestellt. Es ist diese opferbereite und charismatische Personlichkeit, welche ihn in seiner Fuhrerrolle hervortreten und erstarken lasst.
Auf der anderen Seite sind da die Antagonisten, die Gegner Kochs, die sich ihm in den Weg stellen und gegen welche er ankampfen muss. Sowohl die Gesundbetersekte als auch der Lehrer Wollsteins, der sich von Koch in seiner autoritaren Rolle angegriffen fuhlt, werden als «kleinburgerlicher Unverstand» diffamiert. Sie verstehen die groBe, geniale Idee Kochs nicht. Und letztlich beweisen die sarkastischen Bemerkungen gegenuber Kochs wissenschaftlichen Gegner - Rudolf Virchow - welcher «Wichtigeres zu tun hat» als sich von Kochs «Bazillen- Zirkus» unterrichten zu lassen, dass selbst die wissenschaftliche Fachgesellschaft Kochs revolutionare Theorie nicht unterstutzt.
Die Tatsache, dass Koch keine fiktive Figur, sondern ein real existierender und anerkannter Bakteriologe war, der den medizinischen Fortschritt des spaten 19. Jahrhunderts enorm forcierte, verleitet durchaus zur Annahme, der Film wurde ausgewahlte Lebensetappen des Forschers filmisch rekonstruieren. Obwohl zum Zeitpunkt des Erscheinungsdatums des Films schon diverse biografische Darstellungen existieren12, stutzt sich der ab den 1938er produzierte Streifen auf die in 1929 publizierte Schrift Helfer der Menschheit. Der Lebens- roman Robert Kochs 13 von Hellmuth Unger. Aus historischer Perspektive scheint es kaum verwunderlich, warum dieses von Unger «eher romanhafte Lebensbild»14 als Vorlage fungierte - war Unger selbst, neben seiner Tatigkeit als Mediziner und Schriftsteller, Leiter des Rassepolitischen Amts der NSDAP. Nicht umsonst bildete auch sein 1936 erschienener Roman Sendung und Gewissen Grundlage fur Ich klage an (1941), einen Euthanasie- verherrlichenden Film von Wolfgang Liebeneiner.15
Obwohl der Film auBerlich den Anschein einer neutralen Filmbiographie macht, lassen sich unter diesem Blickwinkel nun die biografischen und wissenschaftlichen Verzerrungen des Films als politisches Kalkul dechiffrieren. Um jedoch den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, werden hierfur lediglich zwei Aspekte exemplarisch herangezogen, anhand derer die verkappte NS-Propaganda sichtbar gemacht wird: Sprache und Religiositat.
II. Bakteriologischer Jargon: die Pathologisierung der Feinde
Schon der Titel des Films macht von irrefuhrender Wortwahl Gebrauch - so hat Koch weder im Film noch faktisch den Tod (d. h. hier speziell den <Tuberkulosetod>) bekampfen konnen.16 Vielmehr zeigt sich an dieser Stelle eine militaristische Metaphorik, die Medizin und Krieg miteinander verquickt. Die programmatische Verwendung einer solchen Militarsprache ist jedoch keine Erfindung der Nationalsozialisten. Wie Christoph Gradmann zeigt, erkannte man schon im Deutschen Kaiserreich die strategische Performativitat des kriegerischen <Bakteriologensprech>, denn «die dabei verwendeten Metaphern und Vergleiche [lieBen sich] auch einsetzen, um politische Aussagen als wissenschaftlich fundiert erscheinen zu lassen.»17 Die Kriegsmetaphorik als solche ist zunachst keine Erfindung der Politik, sondern der Bakteriologie. So beschreibt Robert Koch selbst die Entdeckung des Tuberkel- bazillus in Die Atiologie der Tuberkulose (1882) als Kampfansage:
«Aber in Zukunft wird man es im Kampf gegen diese schreckliche Plage des Menschengeschlechtes nicht mehr mit einem unbestimmten Etwas, sondern mit einem faBbaren Parasiten zu tun haben, dessen Lebensbedingungen zum groBten Teil bekannt sind und noch weiter erforscht werden konnen.»18
Auch der <Film Koch> wird am Schluss die Entdeckung des Tuberkelbazillus als Kampf inszenieren:
Koch: «Ich kenne jetzt den Feind. Jetzt kann ich die Waffe schmieden, die ihn schlagt. Und wenn ich einmal Falle, so werde ich diese Waffe weitergeben, in die Hande derer, die nach uns kommen. Der Kampf beginnt und wird nicht eher enden bevor nicht der Feind besiegt ist.»19
Solch medizinisch-kriegerischen Vokabeln wurden auch von den Nationalsozialisten fur deren rassepolitische Agenda verwertet. So spricht Hitler in Mein Kampf vom «Parasit im Korper anderer Volker»20, wenn er «Juden, Marxisten und andere Feinde des Regimes»21 diffamiert. Was nicht zuletzt darin liegt, dass der nationalsozialistische Volkskorper als ein Organ angesehen wurde, welches durch Infiltration auBerer Feinde <erkrankte>. Koch wird man vielleicht deswegen auch im Film folgende Worte in den Mund legen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
«Denn das weiB ich jetzt... die Erreger der Krankheit sind Bazillen. Sie dringen von auBen in den gesunden Korper ein. Sie verursachen das Zerstorungswerk.»22
Die Grunde fur solch eine Gleichsetzung zwischen Krankheitserregern und politischen Feinden haben sich in der Zeit zwischen dem Kaiserreich und dem <Dritten Reich> nicht verandert. Es ist die aus der Wissenschaft kommende Idee von der Unsichtbar- keit und der Heimtucke von Krankheitserregern23, die sich am Ende in einer Politisierung des Patholo- gischen niederschlagt (Abb. 3).
Auch an anderen Stellen des Koch Films lasst diese sprachliche Pathologisierung nationalsozia- listisches Gedankengut hervortreten. Relativ zu Beginn, nachdem Koch und Fritz die verstorbene
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4-7: Koch (links) und Fritz (rechts) obduzieren «Martelchen» (mitte) im Haus des Waldhuterpaares.
Tochter des Waldhuterpaares («Martelchen») obduziert und Lungengewebe entnommen haben (Abb. 4-7), versucht die Wollsteiner Gesundbetersekte die beiden zur Rechenschaft zu ziehen (obwohl sie nicht Wissen, was Koch und Fritz de facto getan haben, auber, dass diese alleine mit dem toten Madchen im Hause des Waldhuterpaares zu Gange sind). «Gohrke», Vater des Madchens und Anhanger der Sekte, zertrummert das Schloss der Tur (Abb. 8), die zum Zimmer fuhrt, in welchem Koch und Fritz sein totes Madchen obduzieren. Nachdem Gohrke die Tur gewaltsam offnete, steht Koch dem Kopf der Gesundbetersekte gegenuber (Abb. 810):
Sektenfuhrer: «Wir sind gekommen... den Teufel auszutreiben!»
Koch: «Der einz'sche Teufel, der hier auszutreiben ware, ist eure hirnverbrannte Dummheit!»
Sektenfuhrer: «Sie versundigen sich.an den Auserwahlten des Herrn!»
Koch: «Auserwahlte des Herrn? Ein Krebsschaden seid ihr! Den man ausbrennen sollte!»24
[...]
1 Robert Koch - Bekampfer des Todes. Hans Steinhoff, DT 1939, TC: 01.47.56 - 01.48.26.
2 Auch deshalb wird er direkt nach Kriegsende von den Alliierten als nicht politisch suspekt eingestuft und lauft daher sogar in speziellen Veranstaltungen fur Jugendliche. Siehe dazu: Claus, Horst (2013): Filmen fur Hitler. Die Karriere des NS-Starregisseurs Hans Steinhoff. Georg Scholl (Hrsg.), Wien: verlag filmarchiv austria, S. 418.
3 Allein der Fakt, dass Hans Steinhoff - als der NS-Filmemacher - Regie fuhrte, sollte hier zu bedenken geben.
4 Vgl. Strojnik, Roland (2010): Die Instrumentalisierung des Mediums Film im Nationalsozialismus - Mit einer Analyse der ideologischen Elemente des nationalsozialistischen Spielfilms „Wunschkonzert“, Diplomarbeit, Universitat Wien, S. 27.
5 Ebd. S. 22 f. Siehe auch Kracauer, Siegfried (1964): Theorie des Films, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 218 ff.
6 So Emil Jannings uber die Intentionen des Films. Vgl. Claus, Horst (2013): S. 411.
7 Vgl. Moll; Gorgen; Krischel; Fangerau (2011): Das Bild der Tuberkulose im Film „Robert Koch - Bekampfer des Todes“. Wie formen Filme das Wissen um Erkrankungen in Urologie und Medizin? In: Der Urologe, 50, 1441 - 1448, hier: S. 144f f.
8 Robert Koch - Bekampfer des Todes. Hans Steinhoff, DT 1939, TC: 01.25.58 - 01.26.15.
9 Drei Gegner werden Koch im Film gegenubergestellt: die Gesundbetersekte, der Lehrer und Rudolf Virchow. Alle drei Personen(gruppen) referieren auf jene Antagonisten, mit denen die Nationalsozialisten abrechnen wollten. Die Kirche, das Lehrertum und die Demokraten (dargestellt durch Virchow, der - historisch korrekt - seit 1859 dem liberal- demokratischen Flugel angehorte).
10 Zitiert aus: Vondung, Klaus (2013): Deutsche Wege zur Erlosung. Formen des Religiosen im Nationalsozialismus. Munchen: Wilhelm Fink, S. 9. Dort zitiert aus: Bohme, Herbert (1936): Das deutsche Gebet. Munchen, S. 14.
11 Emil Jannings als Robert Koch - Der Bekampfer des Todes. Illustrierter Film-Kurier, Nr. 2983, Berlin: Vereinigte Verlagsgesellschaften Franke & Co. KG., S. 5-6.
12 Becher, Wilhelm (1891); Biewend, Robert (1891); Pfuhl, Eduard (1911); Wezel, Karl (1912); Heymann, Bruno (1932).
13 Unger, Hellmuth (1929): Helfer der Menschheit. Der Lebensroman Robert Kochs. 1. Aufl. Leipzig; ab 4. Aufl. gedruckt unter dem Titel: Robert Koch. Roman eines groBen Lebens, Berlin 1936.
14 Munch, Ragnhild (2003): S. 4.
15 Vgl. Claus, Horst (2013): S. 421.
16 Kochs Versuch dies zu tun, beginnt nach seiner Ruckkehr aus Indien im Jahr 1890 und figuriert unter dem Begriff des Tuberculins. Ein Praparat, das Koch massenweise gegen Tuberkulose einsetzte, jedoch faktisch keine effektive Wirkung hatte, sondern, wenn uberhaupt, nur als Diagnosemittel eingesetzt werden konnte. Siehe dazu Blevins, Bronze (2009): Robert Koch and the ‘golden age' of bacteriology. In: International Journal of Infectious Diseases 14, S. e749; Gradmann (2009): Laboratory Disease. Robert Koch's Medical Bacteriology. Baltimore: Johns Hopkins University Press, hier besonders S. 95-103.
17 Gradmann, Christoph (2007): Unsichtbare Feinde. Bakteriologie und politische Sprache im deutschen Kaiserreich. In: Sarasin, Berger, Hanseler, Sporri (Hrsg.), Bakteriologie und Moderne. Studien zur Biopolitik des Unsichtbaren 1870-1920, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 327-352, hier S. 344.
18 Koch, Robert (1912 1882): Die Atiologie der Tuberkulose. In: Schwalbe, J. (Hrsg), Gesammelte Werke von Robert Koch, Leipzig: Verlag von Georg Thieme, S. 444. Kursivierung durch Verfasser.
19 Robert Koch - Bekampfer des Todes. Hans Steinhoff, DT 1939, TC: 01.40.41 - 01.40.55.
20 Muller, Senya (1994): Sprachworterbucher im Nationalsozialismus. Die ideologische Beeinflussung von Duden, Sprach- Brockhaus und anderen Nachschlagwerken wahrend des «Dritten Reichs». Stuttgart: M. und P., Verlag fur Wissenschaft und Forschung, S. 43 f.
21 Senya (1994): S. 43.
22 Robert Koch - Bekampfer des Todes. Hans Steinhoff, DT 1939, TC: 00.46.47 - 00.47.00.
23 Vgl. Gradmann (2007): S. 335; Senya (1994): S. 44.
24 Robert Koch - Bekampfer des Todes. Hans Steinhoff, DT 1939, TC: 00.39.19 - 00.39.40. Hervorhebung durch Verfasser.