In dieser Hausarbeit soll die religiös fundierte Ethik des Islam sowohl in ihrem traditionellen Verhaltens-Codex als auch in ihrer Fortschrittsorientierung dargestellt und diskutiert werden. Dabei wird zwischen geschlossenen Religionsgemeinschaften wie den asketischen Sufi-Orden und offenen gemischt religiösen Gesellschaften aus Moslems, Christen, Juden, Buddhisten, Hindus etc. unterschieden. Im geschlossenen Rahmen einer weltabgewandten Religionsgemeinschaft ist es bei einem streng geregelten Tagesablauf verhältnismäßig leicht, die islamischen Verhaltensvorschriften ausnahmslos einzuhalten.
Der Glaube an das Gute ist das Salz des Lebens, er trägt und motiviert uns Menschen, auch in Notsituationen wie der gegenwärtigen Corona-Krise weiterzumachen und nicht aufzugeben. Das gilt auch für den religiösen Glauben. Aber macht der Glaube an Gott, an Allah, uns Menschen in jedem Fall moralischer? Verhindert er in jedem Fall das Verbrechen? Dazu bemerkt Daniel Dennett (2006) in seinem Buch über die »Religion als natürliches Phänomen«:
„Die Religion spielt ihre wichtigste Rolle bei der Unterstützung der Moral, denken viele, indem sie den Menschen einen unschlagbaren Grund gibt, Gutes zu tun: Es ist das Versprechen einer unendlichen Belohnung im Himmel und, je nach Geschmack, wenn sie es nicht tun, die Drohung unendlicher Strafen in der Hölle. Ohne göttliches Zuckerbrot und Peitsche räkelten sich die Menschen ohne Ziel oder folgten ihren niedrigsten Begierden, würden ihre Versprechen brechen, ihre Ehepartner betrügen, ihre Pflichten vernachlässigen usw.“
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Die Moral geschlossener Religionsgemeinschaften
1.1 Esoterische Verhaltensregeln asketischer Sufi-Orden
1.2 Exoterische Verhaltensregeln islamischer Lebensfuhrung
2 Der offene Weg islamischer Ethik
2.1 W. Wundts Volkerpsychologie und der Fortschritt islamischer Ethik
2.2 Der Islam als Vermittler zwischen den Weltreligionen
2.3 Die Situationsbedingtheit der Verhaltensnormen des Koran im modernen Kontext
3 Fazit und Ausblick: Die Zukunft des Islam
4 Literaturverzeichnis
DER OFFENE WEG
ISLAMISCHE ETHIK IN DER MODERNEN WELT
„ Welche Wahrheit ist so offenbar, so gewifi wie das Dasein Gottes, das die unwissendsten Zeitalter anerkannt, fur das die gebildetsten Geister gewetteifert haben neue Beweise und Grunde beizubringen? Welche Wahrheit ist so wichtig wie diese, die der Grund aller unserer Hoffnungen, das sicherste Fundament der Moralitat, die starkste Stutze der Gesellschaft und das einzige Prinzip ist, das niemals einen Augenblick aufier unseren Gedanken und Betrachtungen sein sollte? Handelt man aber von dieser offenbaren und wichtigen Wahrheit, was fur dunkle Fragen erheben sich in bezug auf die Natur dieses gottlichen Wesens, seine Eigenschaften, seine Ratschlusse, den Plan seiner Vorsehung! Diese sind stets Gegenstand des Streits der Menschen gewesen“. David Hume (1980): Dialoge uber naturliche Religion. S. 2.
Einleitung
Der Glaube an das Gute ist das Salz des Lebens, er tragt und motiviert uns Menschen, auch in Notsituationen wie der gegenwartigen Corona-Krise weiterzumachen und nicht aufzugeben. Das gilt auch fur den religiosen Glauben. Aber macht der Glaube an Gott, an Allah, uns Menschen in jedem Fall moralischer? Verhindert er in jedem Fall das Verbrechen? Dazu bemerkt Daniel Dennett (2006) in seinem Buch uber die »Religion als naturliches Phanomen«:
„Die Religion spielt ihre wichtigste Rolle bei der Unterstutzung der Moral, denken viele, indem sie den Menschen einen unschlagbaren Grund gibt, Gutes zu tun: Es ist das Versprechen einer unendlichen Belohnung im Himmel und, je nach Geschmack, wenn sie es nicht tun, die Drohung unendlicher Strafen in der Holle. Ohne gottliches Zuckerbrot und Peitsche rakelten sich die Menschen ohne Ziel oder folgten ihren niedrigsten Begierden, wurden ihre Versprechen brechen, ihre Ehepartner betrugen, ihre Pflichten vernachlassigen usw.“ (Dennett, 2006, S. 279; Ubersetzung des Verf.).
Doch religios fundiertes Moralverhalten ist - gerade in heterogenen Gesellschaften mit einer Mischung verschiedener Religionen - ein vielschichtiges Problem. Tatsache ist, so Dennett (2006, S. 279): In den Gefangnissen sitzen nicht nur Atheisten, sondern Vertreter aller Religionen. Man kann am Glauben vieler solcher „Religionsvertreter“ zweifeln, nicht aber am Glauben der religios motivierten Straftater, die darauf hoffen, fur ihre Tat im Jenseits mit paradiesischen Freuden belohnt zu werden.
Der starke Jenseitsbezug schafft also nicht nur das Vertrauen darauf, dass ein Verbrecher im Jenseits seiner Strafe nicht entgeht, sondern Jenseitsbezug kann bei religios motivierten Straftaten selbst zum Verstob gegen die Gesetze fuhren.
In dieser Hausarbeit soll die religios fundierte Ethik des Islam sowohl in ihrem traditionellen Verhaltens-Codex als auch in ihrer Fortschrittsorientierung dargestellt und diskutiert werden. Dabei wird zwischen geschlossenen Religionsgemeinschaften wie den asketischen Sufi-Orden und offenen gemischt religiosen Gesellschaften aus Moslems, Christen, Juden, Buddhisten, Hindus etc. unterschieden. Im geschlossenen Rahmen einer weltabgewandten Religions- gemeinschaft ist es bei einem streng geregelten Tagesablauf verhaltnismabig leicht, die islamischen Verhaltensvorschriften ausnahmslos einzuhalten. Schwieriger wird es, wenn Glaubensgemeinschaften, wie jetzt in unserer modernen Welt, standig neue Heraus- forderungen zu bewaltigen haben. Auch fur solche Situationen bietet der Koran einen Ausweg, den sogenannten „offenen Weg“. Der offene Weg ist der Weg eines fortschrittsorientierten Islams, der sich auf die Offenbarung im Koran 5:49 berufen kann. Dort steht geschrieben, dass es mehr als nur einen Weg des Glaubens gibt:
„Einem jeden Volke gaben wir Norm (Religion) und einen offenen Weg. Wenn es Allah nur gewollt hatte, so hatte er euch allen nur einen Glauben gegeben; so aber will er euch in dem prufen, was euch zuteil geworden ist. Wetteifert daher in guten Werken, denn ihr werdet alle zu Allah heimkehren, und dann wird er euch uber das aufklaren, woruber ihr uneinig wart.“ (Koran, 5:49)
Die von Mohammed ermoglichte Offenheit des islamischen Weges erlaubt dem Islam also verschiedene kulturelle Varianten, wie sie weltweit in den verschiedenen moslemischen Landern wie zum Beispiel in der Turkei, Agypten, Marokko, Saudi Arabien, Iran, Irak und Indonesien realisiert sind.
In dieser Hausarbeit wird zugunsten eines friedlichen Wettbewerbs der Konfessionen die mogliche Rolle des Islam als Vermittler zwischen den Weltreligionen angedacht. Dass ein fortschrittsorientierter Islam auf dem offenen Weg an den Errungenschaften der modernen technischen Welt nicht nur teilhaben, sondern sie aktiv mitgestalten kann, zeigt sich an der Mars-Mission der Vereinigten Arabischen Emirate und soll exemplarisch an der Situationsbedingtheit der Verhaltensnormen des Koran aufgezeigt werden. Hilfshypothese zum offenen Weg im Koran 5:49 ist dabei das fortschrittsorientierte Postulat in der Ethik von Wilhelm Wundt, dass „die sittliche Weltordnung selbst eine ewig werdende, nie vollendete“ ist (Wundt, 1903, S. 5). Deshalb zahlt fur Wundt die Volkerpsychologie - und damit auch die Entwicklung der menschlichen Gemeinschaft - zu den Grundlagen jeder Ethik.
1 Die Moral geschlossener Religionsgemeinschaften
Die Weltanschauung geschlossener Religionsgemeinschaften war von alters her gepragt von einem Rhythmus der Wiederkehr des Gleichen. Der tagliche Sonnenaufgang, die vorhersagbare Bahn des Mondes, die regelmaBige Abfolge der Jahreszeiten mit ihren gewohnten Verrichtungen - das sind Zeitgeber eines Lebensstils, der in seinen Sitten und Gebrauchen an die Lebenszyklen der Natur und des Althergebrachten angepasst ist. So bestimmt in islamischen Landern der Koran, nach welchen Sitten und Gebrauchen man zu leben und welche Gesetze man zu befolgen hat. Unter Muslimen gibt es allerdings auch enthaltsame Asketen wie die Sufi-Orden, die nur fur den islamischen Glauben leben und eine weltabgewandte Lebensweise praktizieren.
1.1 Esoterische Verhaltensregeln asketischer Sufi-Orden
Sufi-Orden sind Reprasentanten einer islamischen Mystik und suchen durch eine asketische Lebensweise die Nahe zu Gott. Als Sufi hat man also Asket zu sein.
„Fur die Sufis bedeutet Askese eine streng enthaltsame Lebensweise bzw. Weltentsagung zwecks der seelischen Beruhigung und Zufriedenstellung im Jenseits oder zwecks Ausloschens der sinnlichen Wahrnehmung. [...] Die Askese als Idee der ,Weltentsagungder Belohnung im Jenseits und Vermeidung der Qualen der Holle resultiert aus der Befolgung der Vorschriften des Korans und der Sunna. Da die Askese einen praxisimmanenten Charakter hat, haben sich die Asketen fur ihre Praktiken keine theoretischen Regeln festgelegt.“ (Tabaalite, 2015, S. 54)
Sufistische Askese fordert absolute Hingabe an Gott und ein Leben in Gebet, Meditation (Dhikr), Armut und Stille. Einzuhalten sind dabei die folgenden praxisorientierten Grundsatze der sufistischen Askese (vgl. Tabaalite, 2015, S. 54-56):
- wenig essen
- wenig trinken
- wenig schlafen
- wenig reden
- wenig Kontakte zu anderen
Wer nach diesen asketischen Regeln lebt, hat mit einem Corona-Lockdown keine Probleme, denn als Asket enthalt man sich stets der materiellen Dinge und fuhrt ein Leben fernab einer Welt sozialer Kontakte. So hat man wenig Gelegenheiten, sich an seinen Mitmenschen zu versundigen (vgl. Tabaalite, 2015, S. 57), wird sich also ganz dem Ziel der islamischen Mystik widmen: der Liebe zu Gott.
Sufistische Askese widmet sich also auch den Neigungen, sie ist Reinigung und Lauterung der Seele und damit zugleich moralische Erziehung, denn sie zielt auf die mystische Vereinigung mit Gott. Daraus erwachst ein neues Erkenntnisideal der Mystik gegenuber der rationalen Philosophie. Nicht die Vernunft (die Ratio), sondern die gottliche Inspiration ist fur einen Sufi das „wirksamste Mittel der Erkenntnis“ (vgl. Tabaalite, 2015, S. 59). Ansatz zur Kritik am philosophischen Erkenntnisideal ist hierbei das Ungenugen des Intellektualismus: Die Vernunft allein bewirkt nichts. Denn „neben dem Wissen muss ein Wille vorhanden sein“ (vgl. Tabaalite, 2015, S. 60). Aber das Wollen ist zunachst noch von der Triebseele bestimmt, diese Triebseele ist die Ursache des Bosen, sie soll nicht abgetotet, wohl aber erzogen, gereinigt, gelautert und dadurch umgewandelt, d.h. transformiert werden (Tabaalite, 2015, S. 61). In dieser Reinigung und Umformung der von Trieben beherrschten Seele erreicht der Sufi in seiner meditativen Askese durch Hingabe an Gott die Freiheit. Diese Befreiung beschreibt der Sufi Nader Angha Pir im Jahr 2000 in seiner Rede im Gebaude der Hamburger „Patriotischen Gesellschaft“ mit folgenden Worten:
„So wie wir alle wurde ich frei geboren und gesegnet mit dem gottlichen Sehvermogen in meinem Herzen. Das Rustzeug, um diese Freiheit und Stabilitat zu bewahren, liegt in mir. Was erforderlich ist, ist alles, was ich zur Verfugung habe, auf den Punkt, der die Quelle des Lebens ist, zu konzentrieren, um die Freiheit, mit der ich geboren wurde, zu erzeugen, hervorzubringen, zu entwickeln und zu bewachen, vor was auch immer, das sie beeinflussen, ablenken und mit ihr in Konflikt geraten konnte. Daher wird im heiligen Koran darauf hingewiesen, dass man sich von allen Bindungen im Leben befreien muss, sogar von seinen Gedanken und Gefuhlen.
Freiheit besitzt eine Definition, die davon verschieden ist, wie wir Freiheit in der Gesellschaft wahrnehmen. Ich wurde frei geboren. Ich existiere nicht, um gesellschaftliche Erwartungen zu erfullen, die sich permanent verandern, nur vorubergehende Erfullung bieten und immer Gegenstand von Veranderungen sind, wenn die sozialen Anforderungen und Verhaltensweisen sich andern [...]. Es gibt mehr im wirklichen Leben als das, was wir zu wissen glauben. Das wahre Leben bedeutet nicht, verschiedene Stadien des alltaglichen Lebens und verschiedene Aspekte des Lebens kennenzulernen und sich dann zu etwas zu entwickeln, das in der Gesellschaft prasentiert werden kann, und anschliebend zu sterben.“ (Angha Pir, 2003, S. 52-53).
Um im Prozess der Reinigung der Seele ein wahrer Muslim und Sufi zu werden, muss man mehrere Stufen durchlaufen (vgl. Tabaalite, 2015, S. 72 f) . Denn in einem muslimischen Land geboren zu sein und dort zu leben und in einer muslimischen Familie aufgewachsen zu sein, macht noch keinen wahren Muslim. Ein Arzt entsteht ja auch nicht schon dadurch, dass die Eltern Arzte waren. Um ein wahrer Sufi und Muslim zu werden, reicht das blobe Befolgen der im Koran vorgeschriebenen muslimischen Rituale nicht aus. So sagt Angha Pir:
„Ein wahrer Muslim ist jemand, der sich vollstandig Gott hingegeben hat. Konnen wir also verschiedene Arten von Muslimen vergleichen? Bestimmen Unterschiede in den Ritualen oder in Glaubenssatzen die eigene Hingabe zu und die Einheit mit dem Gottlichen? Legen die auBeren Manifestationen des Praktizierens und das auBere Verhalten den inneren Zustand der Existenz von jemandem fest, oder spiegeln sie sogar notwendigerweise diesen Zustand? Nein! Wir wissen, dass sie es nicht tun. Wie konnen wir dann verschiedene Arten von Muslimen vergleichen, als ob wir uber den Besitz von Doktorgraden auf einem Gebiet sprechen wurden? Bedeutet die Psalmen von David zu singen, dass wir die Inspiration besitzen, die David empfing? Zeigt das Studium der Worte und Schriften anderer und das Rezitieren von so vielen Gebeten unsere Nahe zu Gott? [...].
Nehmen Sie an, ich ginge jetzt umher wie ein Muslim, fuhrte einige Rituale aus und bezeichnete mich selbst als Muslim. Morgen konnte ich etwas anderes tun und mein Etikett in ein anderes andern. Was ich tue, sage oder wie ich mich selbst nenne, zeigt nicht meine Nahe zu Gott. Seien wir realistisch. Wenn das hochste Ziel von Religion >zu sein< ist, Gott ist, wie kann ich mir, wie konnen Sie oder irgend jemand anderer sich erlauben, zu beurteilen, ob ich oder ob ich nicht dieses Ziel erreicht habe?
Es ist Gott, der mich akzeptieren muss. Wer kummert sich darum, was der Rest der Welt tut oder denkt? Wenn die gesamte Welt mir sagt, wer ich bin und wer all diese und all jene Menschen sind, wen kummert das? [.] Mein Ziel, der Muslim, von dem ich spreche, ist Er, ist der gottliche Geliebte, Gott. Und Gott ist der einzige, der sagen kann, dass er oder sie ein Muslim oder kein Muslim ist.“ (Angha Pir, 2003, S. 74-75)
Der Asket lebt in seiner Befreiung von der Welt, so meint er, gottgefallig. Und es scheint so, dass er nicht sundigen kann, weil er nichts tut. Aber aus ethischer Sicht ist auch das Nichtstun eine Tatigkeit, namlich eine Unterlassung. Wenn jemand zum Beispiel seine Familie in einer Notsituation im Stich lasst, um ein asketisches Leben zu fuhren, so ist das im Hinblick auf die eigene Familie eine unterlassene Hilfeleistung. Deshalb ware aus ethischer Perspektive die Form muslimischer Religiositat, die sich um die Note der Welt kummert, hoher zu bewerten als die esoterische Askese. Denn der esoterische Asket, der in Freiheit und im Frieden lebt, nimmt selber die Leistung der Exoteriker fur sich in Anspruch, die sich darum kummern, auch seinen Frieden aufrechtzuerhalten und das Leid und Laster der Welt zu verringern.
Wer sich daher als esoterischer Muslim in seiner asketisch-meditativen Praxis von samtlichen Verpflichtungen befreit und aus der Alltagswelt aussteigt, der ist in den Situationen, in denen er gebraucht wird, anderen dafur Rechenschaft schuldig, wenn er sich der Verantwortung entzieht. Damit sind wir bei den exoterischen Verhaltensregeln des Islam, die in ihrer ethischen Dimension uber das hinausgehen, was der Esoteriker als bloBe Rituale kritisiert.
1.2 Exoterische Verhaltensregeln islamischer Lebensfuhrung
Fur den exoterischen, weltzugewandten Lebensstil liefert der Moralkodex des Islam Verhaltensregeln, die sich von den Regeln der Askese unterscheiden. Quellen dieser Gebote und Verbote sind der Koran und die Sunna (vgl. Hagemann, 1982, S. 5). Die Sunna uberliefert den Lebensweg Mohammeds und der Koran die gottliche Offenbarung der islamischen Glaubenslehre. Kern des Korans sind die rituellen Pflichten (vgl. dazu Cordt, 1976, Sp. 616):
- das rituelle Gebet
- Almosengeben an die Armen
- das Fasten im Monat Ramadan
- die Pilgerfahrt nach Mekka und Mina
- das Glaubensbekenntnis
Der Koran enthalt allerdings kein ausgearbeitetes System der islamischen Ethik. Man findet dort keine Ableitung ethischer Prinzipien, sondern Geschichten, Gleichnisse und paradigmatische Falle menschlichen Verhaltens. Die Anleitungen, Gebote und Verbote sind darin mit bestimmten Situationen und allgemein weltanschaulichen Erklarungen wie in einen musikalischen Kanon verwoben. Die dort formulierten Verhaltensvorschriften gehen weit uber die rituellen Pflichten hinaus. Diese Vorschriften greifen tief in die Privatsphare jedes einzelnen ein und regeln alltagliche Lebensgewohnheiten, das Ess- und Trinkverhalten, Sexualverhalten und die Rollenverteilung in der Ehe und in der Familie. Dieser Bereich des Koran ist zeitgebunden und betrifft die Sitten und Gebrauche, wie sie von Anbeginn der Koranuberlieferung in den beschriebenen Kulturen vorherrschend waren. Vieles davon im Koran erscheint uns heute in unserem modernen Zeitalter als Anachronismus, und wir sind geneigt, diese fruhen Eigenheiten islamischer Sitten und Gebrauche mit denen des fruhen Christentums zu vergleichen, als Christentum und Judentum im Essverhalten und in der Beschneidung noch sehr groBe Ubereinstimmungen zeigten. Wie die Geschichte des Islam zeigt, hat es immer wieder Versuche gegeben, diese situativen Kontexte des islamischen Moralkodex zeitgemaBer zu gestalten. Solche Versuche wurden einerseits gewaltsam unterdruckt, haben andererseits aber auch zu den kulturellen Unterschieden der islamischen Staaten gefuhrt, von denen im Koran (5:49) als dem offenen Weg des Islam ja tatsachlich die Rede ist.
[...]