Die vorliegende Ausarbeitung stellt die Ergebnisse einer Untersuchung dar, die sich mit der empirischen Annäherung an das Phänomen der Begegnung nach Martin Buber im Kontext des Klavierunterrichts befasst. Die Forscherin und Klavierpädagogin Christine Maria Moritz sucht in ihrer Dissertation die geeigneten Forschungswege für die Beobachtung und Beschreibung des Phänomens und grenzt dabei heuristische, didaktische und forschungsmethodische Interessenbereiche ein. In allen drei Bereichen gelingt der Wissenschaftlerin eine produktive Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial und führt sie in der ersten Forschungsphase zu der Entwicklung eines heuristischen Kategoriensystems des „Dialogischen Kubus“, welches gleichzeitig den Begriffsrahmen eines in der zweiten Phase der Forschung entstandenen didaktischen Modells des „Kongruenzfeldes“ dient.
Als ein innovatives Fo-schungsprodukt der letzten Forschungsphase gilt das, von Christine Moritz entwickelte Analyse- und Transkriptionssystem „Feldpartitur“, das für das Erfassen des pädagogischen Interaktionsgeschehens in den Videodaten geeignet ist. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist eine reflexive Auseinandersetzung mit dem Versuch von Christine Maria Moritz, sich dem Phänomen der dialogischen Begegnung im pädagogischen Kontext empirisch anzunähern und dieses in Form eines didaktischen Konzeptes bzw. innerhalb der didaktischen Kategorie „Kongruenzfeld“ auszuformulieren.
Inhalt
1. Einleitung
2. Grundlagen der Dialogphilosophie und des pädagogischen Bezugs nach Buber
2.1. Bubers dialogisches Welt- und Menschverständnis
2.2. Du-Bezug und Es-Bezug in der Dialogphilosophie
2.2.1. Transzendenzaspekt des Beziehungsbegriffs
2.2.2. Begegnung im Ich-Du-Verhältnis
2.2.3. Begegnung im Kontext des Ich-Es -Verhältnisses
3. Pädagogische Begegnung im dialogischen Kontext
3.1. Das erzieherische Verhältnis im Lichte der Dialogik nach Buber
3.2. Ich-Du -Aspekte des erzieherischen Verhältnisses nach Buber
3.3. Die pädagogische Begegnung
4. Empirische Erforschung der dialogischen Prozesse (Moritz 2010)
4.1. Theoretische Aspekte der Dialogphilosophie in dem Forschungsvorhaben
4.1.1. Dialogphilosophische Ideen als (a-) theoretisches Hintergrundwissen
4.1.2. Begegnung nach Buber als kommunikative Gesamthandlung
4.1.3. Offenheit als ein Aspekt der qualitativen Forschung
4.1.4. Forschungsinteresse
4.1.5. Forschungsfrage, -methode und -design
4.2. Ergebnisse der Studie im Überblick
5. Dialogischer Kubus und Kongruenzfeldmodell
5.1. Dialogischer Kubus als ein heuristisches Rahmenmodell der Studie
5.2. Theorieelemente und Entstehungsbedingungen des Kongruenzfeldes
5.2.1. Verfügbarkeit und Vereinseitigung
5.2.2. Gemeinsames Lebensraum (GLR) und seine Konstruktion
5.2.3. Das Eigene und das Andere im Kongruenzfeld
5.2.4. Führungsstile/Steuerungsmodelle der Lehrkräfte
5.3. Kongruenzfeld und Kongruenzfeldereignis
5.3.1. Empirische Merkmale eines Kongruenzfeldes
5.3.2. Kongruenzfeldereignis und seine Phasen
6. Die pädagogische Begegnung und das Kongruenzfeld
6.2.1. Reflexion der Studienergebnisse in dem dialogischen Paradigma
6.2.2. Didaktische und forschungsmethodische Implikationen des Kongruenzfeldmodells
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Tradition, eine Kindertageseinrichtung in Deutschland als eine Bildungsstätte zu betrachten, ist erst nach dem sogenannten PISA-Schocks (2000-2003) und der daraus erfolgten Bildungsdebatte entstanden (vgl. Gerspach 2006, S. 7). Eine „Umdefinition“ der Kita zu einer Bildungsinstitution führte nicht nur zu einer Einführung der Bildungspläne für den Elementarbereich und Akademisierung der Kita-Fachkräfte, sondern zur gleichzeitigen Expansion der frühpädagogischen Bildungsforschung (vgl. Cloos/Schulz 2011, zit. in Staege 2016, S. 9).
Der Zusammenhang zwischen der Bildungsqualität der elementarpädagogischen Praxis und der Qualität der Fachkraft/Kind-Beziehung im Rahmen der sogenannten „erweiterten Bindung “ ist inzwischen nachgewiesen (Drieschner 2011, S. 111). Die Erwartungen an die didaktischen Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte, die sich im Aufbau einer erweiterten Bindungsbeziehung widerspiegeln, sind gestiegen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen avanciert das Thema der empirisch basierten Reflexion und Konzeptualisierung der Interaktions- und Kommunikationsprozesse im pädagogischen Geschehen in den letzten Jahrzenten zu einem der zentralen Forschungsthemen der Pädagogik und Erziehungswissenschaft (vgl. Gysin 2017, S.25ff.).
Die vorliegende Ausarbeitung stellt die Ergebnisse einer Untersuchung dar, die sich mit der empirischen Annäherung an das Phänomen der Begegnung nach Martin Buber im Kontext des Klavierunterrichts befasst. Die Forscherin und Klavierpädagogin Christine Maria Moritz sucht in ihrer Dissertation die geeigneten Forschungswege für die Beobachtung und Beschreibung des Phänomens und grenzt dabei heuristische, didaktische und forschungsmethodische Interessenbereiche ein (vgl. Moritz 2010, S. 23). In allen drei Bereichen gelingt der Wissenschaftlerin eine produktive Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial und führt sie in der ersten Forschungsphase zu der Entwicklung eines heuristischen Kategoriensystems des „Dialogischen Kubus “, welches gleichzeitig den Begriffsrahmen eines in der zweiten Phase der Forschung entstandenen didaktischen Modells des „Kongruenzfeldes “ dient. Als ein innovatives Forschungsprodukt der letzten Forschungsphase gilt das, von Christine Moritz entwickelte Analyse- und Transkriptionssystem „Feldpartitur“, das für das Erfassen des pädagogischen Interaktionsgeschehens in den Videodaten geeignet ist (ebd., S. 25).
Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist eine reflexive Auseinandersetzung mit dem Versuch von Christine Maria Moritz, sich dem Phänomen der dialogischen Begegnung im pädagogischen Kontext empirisch anzunähern und dieses in Form eines didaktischen Konzeptes bzw. innerhalb der didaktischen Kategorie „Kongruenzfeld“ auszuformulieren.
Diese Auseinandersetzung wird über die Analyse der Forschungsergebnisse bzw. des Konzeptes des Kongruenzfeldes in Bezug auf das Phänomen der pädagogischen Begegnung nach Martin Buber und die Reflektion dieser Ergebnisse in didaktischen und forschungsmethodischen (früh-) pädagogischen Kontexten gestaltet. Es wird den Fragen nachgegangen, (1) ob und inwieweit das Konzept des Kongruenzfeldes, das Moritz aus den Daten zur Fachkraft-Kind-Interaktion im instrumentalpädagogischen Kontext herausgearbeitet hat, sich in der Buberschen Beschreibung des Phänomens der pädagogischen Begegnung einordnen lässt und (2) welche Relevanz dieses Konzept für die pädagogische Praxis und Forschung haben kann.
Die Ausarbeitung beginnt mit der Untersuchung der Grundlagen der Dialogphilosophie und des Phänomens der pädagogischen Begegnung nach Martin Buber (Kapitel 2 und 3). Die Auseinandersetzung mit dem Forschungsprojekt von Moritz findet in den Kapiteln 2 bis 5 statt. Kapitel 5 fokussiert die zentralen Ergebnisse der Studie,- Dialogisches Kubus und das Kongruenzfeldmodell. In Kapitel 6 werden zunächst das Konzept des Kongruenzfeldes mit dem Konzept der pädagogischen Begegnung in Zusammenhang gebracht und die Bezüge zwischen den beiden Konzepten erläutert. In einem weiteren Schritt wird über die didaktische und forschungsmethodische Relevanz der Kongruenzfeld-Forschung nachgedacht und über ihre Transfermöglichkeiten in das Feld der Frühpädagogik spekuliert. Im Fazit werden Forschungsergebnisse der Studie und ihrer theoretische Einordnung bzw. Relevanz in einer komprimierten Form dargestellt.
Die gewonnenen Erkenntnisse sollten dem interessierten Fachpublikum das Einordnen der Forschungsergebnisse von Moriz aus der didaktisch-pädagogischen und forschungsmethodischen Perspektiven ermöglichen und zu der Herstellung eines reflexiven Zusammenhangs zwischen „theoretischem und didaktischem Wissen und Können einerseits, Handlungs- und Erfahrungswissen andererseits“ in Bezug auf die untersuchte Konzepte führen (Nentwig-Gesemann 2007, S. 20).
2. Grundlagen der Dialogphilosophie und des pädagogischen Bezugs nach Buber
Der dialogische Blick auf die Welt entstand aus der Erschütterung, die das sozialphilosophische Denken nach dem Ersten Weltkrieg erfahren hat. Die Krise, in der die Gesellschaft sich befand, wurde zum Antrieb der gemeinsamen Suche nach einer „neuen Wirklichkeit“: Cohen, Rosenzweig, Ebner und Buber entwickelten in der Zeit in einem fast synchronen und jedoch autonomen Prozess die Idee des Dialogischen und machten diese zum Kernpunkt ihrer Arbeit (vgl. Faber 1962, S. 43). Dieses neue Denken zeichnete eine Abkehr sowohl von der „Selbstgenügsamkeit“ des Individualismus als auch von den Fantasien der kollektivistischen Utopien (Faber 1974, S. 11).
2.1. Bubers dialogisches Welt- und Menschverständnis
Der Weg zu dem dialogischen Weltverständnis führt Buber über mehrere ideologischen Stationen, die er nacheinander durchschreitet. Seine frühere mystische (Einheits-) Vorstellung von Gott als eine „Projektion der menschlichen Seele“ und vom Menschen als Gottes Projektionsfläche und Verwirklichungsmaterial ist zum Zeitpunkt der Entstehung seiner Dialogphilosophie zerstört. Nun begegnet Buber Gott in einem neuen Antlitz der „elementar gegenwärtige[n] Substanz“. Die Transformation betrifft seine Vorstellung über die „beiden Pole der Beziehung, die im mystischen Einheitsdenken zusammengefallen waren“. Diese „werden als Wirklichkeit eines seinsmäßigen Gegenüber, als dialogisches Verhältnis von ‚Ich und Du‛ erkannt“ (Buber 1920, zit. in Faber 1962,S. 43f.).
Als Ich und Du beschreibt Buber nicht nur die Grundlage der Gottesbeziehung, sondern auch die Grundlage seiner Anthropologie. Der Mensch laut Buber ist „wesensmäßig auf den Mitmenschen, sein Du, hingeordnet“. Erst über das Grundwort Ich-Du als existenzielle Grundlage kann sich das Dasein der Menschen verwirklichen, da es kein „Ich an sich“ gibt, „und das Ich ist nur, weil es das Du gibt“ (ebd., S. 11). Der Mensch nach Buber kann nur als ein Wesen, „in dessen Dialogik, in dessen gegenseitig präsentem Zu-zweien-sein sich die Begegnung des Einen mit dem Andern jeweils verwirklicht und erkennt“ verstanden werden (Buber 1954,zit. in Faber 1974, S. 11).
2.2. Du-Bezug und Es-Bezug in der Dialogphilosophie
Sowohl „Begegnung“ als auch „Beziehung“ sind die Grundbegriffe der Dialogphilosophie. Die Begegnung nach Buber ist das „momentane Ereignis“ eines dialogischen Geschehens; eine Kette der Ereignisse mit dazwischen liegenden Latenzphasen bezeichnet er als „Beziehung“ (Bohnsack 2008, S.13).
2.2.1. Transzendenzaspekt des Beziehungsbegriffs
Die Mitte eines menschlichen Wesens wird über das „Beziehungsstreben“ konstituiert. Die Beziehung ist dem Menschen eigen, wie ein „angeborenes Du“. Die „Du“-Beziehung eines Menschen „steht bei Buber vor dem Hintergrund des ,ewigen Du'“,- meint Faber. “Jedes Beziehungsereignis ist darum eine Station auf dem Wege zu Gott, ein Gleichnis der Beziehung zum ewigen Du“ (Faber 1974, S. 12).
2.2.2. Begegnung im Ich-Du-Verhältnis
Die Begegnungen einer Du-Beziehung sind immer überraschend, „nicht beschreibbar und in ihrer Einmaligkeit nicht vergleichbar“ (Faber 1974, S. 12). Buber fokussiert „personale Vergegenwärtigung“ in den Begegnungs-Prozessen und vergleicht sie mit einem „Einschwingen ins Andere“, um das Charakterliche der Du-Beziehung zu erklären (Bohnsack 2008, S. 11). Grünfeld bezeichnet die dialogische Begegnung nach Buber als eine „existenzielle Begegnung“ und arbeitet diese in Ihrer Aktualität als „augenblicklich, unvorhergesehen, diskontinuierlich und anspruchsvoll“ heraus (Grünfeld 1965, S. 154f.). In den weiteren Überlegungen wendet sich Grünfeld deren Funktion, dem holistischen Charakter und der transformierenden Macht, die laut Buber mit der Erfahrung einer „konkret-gegenseitigen Umfassung “ einer Begegnung zusammenhängt :
„Dem personalen, dusagenden Ich wird in der dialogischen Begegnung die unaussprechliche Bestätigung des Sinns des icheigenen Lebens, des ich eigenen Daseins, der icheigenen Welt geschenkt. Die Fülle der wirklichen Wirklichkeit eröffnet sich ihm als Ganzheit und Umfassung in wirklicher Verbundenheit und Gegenseitigkeit von Ich und Du. Die Fülle der gegenseitigen Verbundenheit gründet in der konkreten und gegenseitigen Umfassungserfahrung, der nur als Gnade gewährten ontischen Partizipation“ (ebd.)
Das Phänomen einer Ich-Du-Begegnung ist zwar unplanbar und willkürlich, entsteht dennoch nur unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Maier 1992, S, 128f.) Eine vertiefende Betrachtung der Ich-Du -Aspekten bzw. Voraussetzungen einer Begegnung wird in Kapitel 3.2. dieser Ausarbeitung dargelegt.
2.2.3. Begegnung im Kontext des Ich-Es -Verhältnisses
Eine andere Art, in die Beziehung zur Welt einzutreten ist nach Buber die Es-Beziehung. „Gebrauchen und Benutzen“ sind die Merkmale einer Es-Beziehung. Die Es-Beziehung wird über das „gespannte, zielgerichtete ,Beobachten'“ und das „entspannte, unwillkürliche ,Betrachten'“ charakterisiert. Diese Beziehung ist auf die Kontrolle, Beherrschung und den sicheren Umgang mit der Welt ausgerichtet, ist zweckrational, „einigermaßen zuverlässig“ und kann zum „Gegenstand“ einer Verständigung werden. Das Ziel der Es-Begegnung ist „das Gleichbleibende“: Die Welt des Planbaren und Machbaren, der Strukturen, Ordnungen und „Vorstellungen, Ideen, Begriffe“, die mit Hilfe der „zergliedernden Analyse“ in Schemata und Begriffe überführt werden können (Bohnsack 2008, S. 19).
Im Gegensatz dazu entziehen sich die Begegnungen der Du-Beziehung der Beschreibung, dem Vergleich oder einer Systematisierung aufgrund ihrer Unzuverlässigkeit und „Einmaligkeit“. In Bezug auf das Zwischenmenschliche verliert die Es-Beziehung ihre positive Bedeutung und wird von Buber „mit einem abwertenden Vorzeichen“ beschrieben. Die Es-Beziehung berücksichtigt den Mitmenschen nicht in „seiner Personalität“ und auch nicht „in seinem existenziellem Anderssein“, stattdessen wird der Mensch in der „Es-Beziehung“ „als Objekt behandelt“. Das Verharren in der zwischenmenschlichen „Es“-Welt ist für Buber gleichzeitig das Verharren in der Vergangenheit und löscht die „Präsenz“ des Augenblickes, die nur in der „Du“-Beziehung erfahrbar ist (ebd., S. 19ff.). Die „Es“-Welt und das Streben des Menschen nach Beherrschung und Nutzung dieser Welt hat für Buber ihre Berechtigung. Diese gilt jedoch nur so lange, bis sie von der Beziehung aus definiert und an die Beziehung angebunden wird. Laut Buber können militärische Machtkonflikte sowie weitere gesellschaftliche Katastrophen als Folgen der fehlenden Eingliederung in die „Sinnbezüge“ des Dialogischen und einer vorankommenden „Zunahme der Eswelt“ betrachtet werden (vgl. ebd.,S.21f.)
Im Folgenden wird der Einfluss von Bubers Dialogphilosophie auf sein pädagogisches Denken untersucht. Der Begriff der pädagogischen Begegnung, der für die vorliegende Ausarbeitung eine hohe Relevanz besitzt, wird betrachtet und in seiner pädagogischen Eigenart von dem dialogischen Begegnungsbegriff („Begegnung“ der Ich-Du -Beziehung, siehe oben, Kapitel 2.2.2.) eingegrenzt.
3. Pädagogische Begegnung im dialogischen Kontext
Dialogphilosophie leitet einen paradigmatischen Wechsel sowohl in der Sozialphilosophie als auch im pädagogischen Denken des 20.Jahrhunderts ein (vgl. Lippitz/Woo 2011, S. 419). Seine zentralen pädagogischen Gedanken fasst Buber in einem im Jahr 1953 publizierten Werk „Reden über Erziehung“ zusammen, dessen anthropologischen Grundlagen in den „Schriften über das Dialogische Prinzip“ (1954) zu finden sind (Bohnsack 1974, S.27). Bemerkenswert dabei ist, dass Buber keine erziehungswissenschaftlichen Theorien ausarbeitet und auch keine praxisbezogene Lehre der Erziehung hinterlässt. Für Werner Faber gilt die Dialogphilosophie Bubers gleichzeitig als die Erziehungsphilosophie, die im Wesentlichen auf dem „Dialogischen als einem Grundprinzip “ ruht (Faber 1974, S. 10f.).
3.1. Das erzieherische Verhältnis im Lichte der Dialogik nach Buber
Die dialogische Anthropologie von Buber hat einen Einfluss auf seine Vorstellung von der Erziehung bzw. von dem erzieherischen Verhältnis:
„Was wir Erziehung nennen, die gewußte und gewollte, bedeutet Auslese der wirkenden Welt durch den Menschen; bedeutet, einer Auslese der Welt, gesammelt und dargelegt im Erzieher, die entscheidende Wirkungsmacht verleihen. Herausgehegt ist das erzieherische Verhältnis aus der absichtslos strömenden All-Erziehung: Als Absicht. So wird die Welt erst im Erzieher zum wahren Subjekt ihres Wirkens (Buber Bd.1, S. 794, zit. in Maier 1992, S. 136).
Laut Maier setzt Buber somit die Begriffe „Erziehung“ und das „erzieherische Verhältnis“ gleich, dabei wird der Aspekt der intentionalen Vermittlung der Welt über „Erzieher“ fokussiert (ebd.). Die Auslese der Inhalte, die Erzieher*innen1 „im Dienste des Educandus“ betreibt, sollte durch die bestmögliche Entfaltung der persönlichen Potenziale des Kindes motiviert sein. Gleichzeitig wirkt die Erzieher*innen „im Dienste der Welt“ in dem sie bzw. er die Aspekte der Welt auf einer individuellen Weise verarbeitet, über seine Person repräsentiert und somit zu einem „wahren Subjekt ihres Wirkens“ wird (vgl. Maier 1992, S. 136). Die Erziehung geschieht aber nur dort, wo eine „Hinführung zur Fähigkeit zum Dialog“ stattfindet, wo das Kind „zum Dialog durch den Dialog“ erzogen wird. Dementsprechend wird das Erziehungsziel nach Buber als ein Weg und niemals als ein fester Punkt, der zu erreichen ist, beschrieben (ebd.,S.139).
3.2. Ich-Du -Aspekte des erzieherischen Verhältnisses nach Buber
Die erzieherische bzw. pädagogische Beziehung (Lehrkraft/Kind; Erzieher* innen/ zur/m Erziehenden), die „durch den Dialog“ gestaltet wird und „zum Dialog“ hinführt, ist laut Buber gleichzeitig eine „Du“-Beziehung (Bohnsack 2008, S. 11). Im Folgenden werden in Bezug auf Faber (1992) die „Wesensmerkmale“ einer Ich-Du -Beziehung nach Buber dargelegt und in ihrer erzieherischen Spezifika betrachtet (vgl. Faber 1962, S. 126ff.).
a) Anerkennung und Bestätigung der „Anderheit“
In einem Du-Beziehung findet eine grundlegende und kompromisslose Akzeptanz des Andersseins (nach Buber als „Anderheit“ bezeichnet) der Beziehungsperson statt, die in einem „einleitende[n] Ja zur anderen Person“ geäußert wird. Wenn „der Erzieher“ „nicht von seiner Eigenwelt, nicht von seinem ,Begriff' eines anderen“, „sondern von dessen ganzer ,ontischer Uranderheit'“ ausgeht, macht sich das erste Wesensmerkmal der „Du“-Beziehung in einem erzieherischen Bezug sichtbar (Faber 1962, S. 126).
„Auch nicht das Bild dessen, was einmal aus diesem jungen Menschen werden kann, steht allein am Anfang, obwohl diese Perspektive mit zum Erzieherischen gehört, vielmehr die konkrete Wirklichkeit des Zöglings, die total von der des Erziehers geschieden ist“,
betont Faber im Weiteren und spricht damit das Problem der Zukunftsorientierung des pädagogischen Handelns an (ebd.). Anstatt dieser Orientierung auf die Zukunft tritt die Anerkennung der „Andersheit“ als konstitutiv für das Entstehen des erzieherischen Verhältnisses ein und löst damit das Problem der Unterordnung des „Hier und So“ gegenüber einer Zukunftsperspektive auf (ebd.).
Im Wunsch nach Bestätigung sah Buber die Grundlage des sozialen Miteinanders und ein anthropologisches Basisbedürfnis an, da dieses einem Menschen nur von einem anderen Menschen erfüllt werden kann. Dies wiederum benötigt eine individuelle Ansprache von Person zur Person und kann nicht in einem kollektiven Rahmen stattfinden. Bestätigung erfährt im pädagogischen Kontext auch die lehrende bzw. erziehende Person, indem die/der Schüler*in ihre/seine Schüler*innenrolle annimmt und somit die Lehrer*innenrolle bzw. Erzieher*innenrolle „bejaht“ (ebd.).
b) Unmittelbarkeit und Konkretheit zwischen Ich und Du
Die Echtheit dialogischer Unmittelbarkeit entsteht aus dem „Wirklich-sein“ der Beziehungspartner*innen, aus dessen wirklicher Präsenz im zwischenmenschlichen Geschehen. Dann haben Ich und Du „,wirklich' miteinander zu tun“, kommentiert Faber (ebd., S.130). In Bezug auf das pädagogische Geschehen beschreibt er im Weiteren:
„Nicht die Aufhebung des Gefälles zwischen dem erwachsenen Erzieher und dem heranwachsenden Zögling gehört zur Unmittelbarkeit; das Gefälle bildet dafür gar kein Hindernis und ist ein kennzeichnendes Strukturelement dieses Verhältnisses; vielmehr hängt alles an der Unbefangenheit und Offenheit des Erzieher-Blicks, der aus der Wesensmitte kommt und das Du umfängt. Der verhohlene Blick, der vom Mittel und vom Zweck zersetzt ist, zerstört die Ansätze zur Unmittelbarkeit und wirft den Zögling auf sich zurück in die Verschlossenheit“ (ebd., S. 131).
Die pädagogisch geprägte Unmittelbarkeit vom Buber wird jedoch durch die intentionale Vermittlung im pädagogischen Geschehen infrage gestellt. Eine Lösung des Problems liegt laut Maier in der Erweiterung der pädagogischen Begegnung durch die „Es“-Relation (vgl. Maier 1992, S. 181):
“Gegenwart als Gegenwärtigkeit des Du bedeutet für das pädagogische Verhältnis ein Zurücktreten der zu vermittelnden Lerngegenstände, so daß sich Erzieher und Educandus um ihrer selbst willen begegnen können“
c) Beziehung und Ausschließlichkeit
Laut Buber ist „jede Beziehung zu einem Wesen in der Welt ausschließlich“. Dies gilt auch für die erzieherische Beziehung: Im Moment „der Aktualität der Beziehung“ wird eine Ich-Du - Dualität aus der Begegnung des Erwachsenen und des Kindes gebildet, die sich aus allen anderen Formationen herauslöst. Es ist, wie die Bestätigung (siehe oben) kein kollektives Phänomen und findet nur zwischen zwei Personen statt. Die Anstrengung der Lehrkraft bzw. Fachkraft kann zu einem Durchdringen der „Mitte des Zöglings“ führen und somit zu einem „Akt der Vergegenwärtigung“, in dem „der Werdende in seiner personalen Einzigkeit in die Präsenz gehoben wird“. Ein gelichzeitiges derartiges „Durchdringen“ mehrerer Kinder in ihren ganzen Wesen scheint dabei aufgrund der Verdichtung dieser Erfahrung nicht realisierbar (vgl. ebd.,S. 133).
d) Gegenseitigkeit und Umfassung
„Das Element der Umfassung […] ist dasselbe, welches das erzieherische Verhältnis konstituiert“ ,- schreibt Buber in seinem Werk „Reden über Erziehung“ (Buber 1953,zit in ebd., S. 136). Der Begriff „Umfassung“ spielt somit eine zentrale Rolle für die pädagogische Beziehung und das erzieherische Verhältnis in Bubers Dialogphilosophie und wird im Weiteren in Anlehnung an Faber (1962) erläutert (Faber 1962, S. 85ff.).
Bereits in seiner früheren Schrift „Daniel“ (1913) reflektiert Buber über die Pole der Begegnung:
„Ein Wesen steht seinem Gegenwesen gegenüber; es äußert, den Anprall des Schicksals begleitend, seine Polarität; zugleich aber wirft es sich in seinen Gegenpol hinüber und leidet dessen Leben mit ihm“ (Buber 1913 , zit. in ebd., S. 136).
Hier angedeutetem Streben zum Anderen bei der gleichzeitigen Verwurzelung in der eigenen Persönlichkeit greift die „pädagogisch relevante Gegenseitigkeitserfahrung“ vor (ebd.).Die Gegenseitigkeit, die dabei entsteht, wird von Buber folgendermaßen definiert: „Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke“ (Buber 1923, zit. in Faber 1962 , S. 85). Buber fasst diese dialogische Verbundenheit, die aus einer „ineinander verwobene[n] Spannungsstruktur von Ich und Du“ besteht als eine geheimnisvolle Improvisation zweier Wesen, auf (ebd., S.86). Das Überraschende dieser Improvisation entsteht in einem reellen Erfahrungsmoment: Das Innere des Gegenübers öffnet sich und ermöglicht einen direkten Zugang zum „Innenraum“, der eine „Übersetzung“ überflüssig macht (vgl. ebd., S.85).
Die Umfassung stellt für Faber einen Höhepunkt der Gegenseitigkeit in dem dialogischen Geschehen dar (ebd., S. 87). Die vollkommene Art der Umfassung, die als „zweiseitig“ bezeichnet wird, impliziert eine gleichzeitige Verwirklichung des Umfassungsaktes seitens Ich und Du (ebd., S.88). Diese, nach Buber als bipolar bezeichnete Erfahrung, ermöglicht den Beziehungspartner*innen eine gegenseitige Berührung in einer „äußersten Intensität“ und eine Verlagerung des Ursprungs der eigenen Handlung: diese liegt in der Umfassung bei der Gegenseite, „im Du“ (ebd.). Buber bezeichnet die Umfassung als einen „Durchbruch vom Bild zum Sein“ des Anderen, also als einen möglichen Wechsel von der Vorstellung über die Partnerin/den Partner zu ihrem/seinem Wesen. Paradoxerweise kann die Umfassung laut Buber auch dann stattfinden, wenn nur eine der Beziehungspersonen die Umfassung ausübt. Derartige Bezugsname benennt er als „einseitige Umfassung “, deren Wahrhaftigkeit in der „Wahrheit der eigenen Hinwendung“ besteht (ebd., S. 88). Die Gründe für die Entstehung der Einseitigkeit sieht Buber in einem „zeitweilige(n) Unvermögen“ und „in der mangelnden inneren Einheit“ (ebd.). Allein die Möglichkeit eines „Du-Sagens“ oder eines „Anrufs“, die mit der Präsenz eines Anderen einhergeht, bietet dem Phänomen der Gegenseitigkeit einen Raum (ebd.).
Im pädagogischen Kontext nutzt Buber den Begriff der „ Umfassung “ für die Bezeichnung des Verhältnisses zwischen der Fachkraft und dem Kind: „Nach Buber ist das pädagogische Verhältnis eine Sonderform der Umfassung“ (Maier 1992, S. 80)2. Drei Formen der Umfassung werden von Buber unterschieden: es sind (1) „abstrakte“, (2) „konkret-einseitige“ und (3) „konkret-gegenseitige“ Umfassungsformen (ebd., S. 148). Die „abstrakte Umfassung “ fokussiert eine rein intellektuelle Begegnung auf der kognitiven Ebene, jedoch mit gegenseitigem Interesse und Respekt. Diese Umfassungsart wird von Buber als „nicht-ganzheitlich“ definiert (ebd.). Unter „konkret-gegenseitigen Umfassung “ versteht Buber das „wahrhafte Einander-Umfassen der Menschenseelen“, die ausschließlich in der (als ganzheitlich verstandenen) Freundschaftsbeziehng stattfinden kann (Buber 1962, zit. in Maier 1992, S. 149). Diese Beziehungsart ist „konkret“ aufgrund ihrer Ganzheitlichkeit und als „gegenseitig“ gestaltet, da „die „prinzipielle Gleichheit der Kommunizierenden“ vorhanden ist und sie „die Gefahr einer einseitigen Verfügung“ verhindert (ebd., S.148).
Die Begegnung zwischen der Fachkraft und dem Kind ordnet Buber der „konkret-einseitigen Umfassung“ zu. Somit grenzt er diese Art der Begegnung von der abstrakten Umfassung, die nur über den Kognitionsaspekt verläuft, ab. Die pädagogische Umfassung ist konkret, da in deren Rahmen sich die Menschen mit ihrer ganzen Person begegnen. Jedoch bleibt diese Umfassungsart in ihrer einseitigen Erzieherausrichtung grundlegend asymmetrisch, da „erzieherzentriert“: „Einseitig ist dieses Verhältnis, weil nur das Kind vom Erzieher, nicht aber der Erzieher vom Kind umfasst wird“ (ebd., S. 80, S.149).
Auch die Gegenseitigkeit in einem erzieherischen Sinne wird als „Zuwendung“ ausgelegt: Das Verhältnis der Beziehungspartner wird durch das Vertrauen (Kind in Bezug zur Fachkraft) und die Verantwortung (Fachkraft in Bezug zum Kind) geprägt (ebd., S. 181). „Volle Gegenseitigkeit entspricht nicht der Regelform des pädagogischen Verhältnisses, sie wäre nach Buber Auflösung der Erziehung, im positiven Fall Umwandlung in Freundschaft“ (Maier 1992, S. 180). Diese volle Gegenseitigkeit ist in der „konkret-gegenseitigen“ Umfassungsform zu finden (siehe oben).
e) Vergegenwärtigung und Erschließung
Vergegenwärtigung und Erschließung sind Phänomene der Ich-Du-Begegnung, die weit über das wahrnehmungspsychologische Erfassen der „Einzelzügen des Menschen“ gehen. Vergegenwärtigung ist vielmehr eine intensive Anschauung „der Personmitte“, „des Personkerns eines Du“ (Faber 1962, S. 89). Die Erschließung ist potenziell möglich, wenn eine solche Anschauung der Personmitte stattfindet. Vergegenwärtigung ist im pädagogischen Kontext notwendigerweise mit dem Rückzug des zu vermittelnden Lerngegentandes (Ich-Es-Relation) und einem Übergang zum direkten Kontakt mit dem personellen Kern des Gegenübers (Ich-Du-Relation) verbunden (vgl. Maier 1992, S. 181).
f) Dialogische Verantwortung
Aus dieser Perspektive ist auch die Dialogische Verantwortung, die nach Buber aus der Ich-Du-Beziehung folgt, zu betrachten:
„Die Hinwendung des Ich, je einheitlicher und vorbehaltloser sieerfolgt, ruft das Du zu einer Antwort, die wiederum Ich in seiner Wirklichkeit meint. Handlung wirkt Gegenhandlung als Entsprechung“ (Faber 1962, S. 92).
Dieses Verantworten ist ein zentraler Handlungsprozess, der die Ich-Du -Begegnung konstituiert (vgl. ebd., S.95).
g) Aktualität und Latenz der Dialogik
Bubers Beziehungsbild ist zweigeteilt. Es besteht aus der ersten, von dem „Grundwort Du“ geprägten Ich-Du-Sphäre und der zweiten, von dem „Grundwort Es“ beeinflussten „Ich-Es-Sphäre“. Aufgrund der Ausschließlichkeit und Intensität des Erlebens, kann das Verweilen im Ich-Du -Modus nicht lange dauern. Die Momente der dialogischen Hinwendung sind nur
„Episoden, von einem verführenden Zauber wohl, aber gefährlich ins Äußerste reißend, den erprobten Zusammenhang lockernd, mehr Frage als Zufriedenheit hinterlassend, die Sicherheit erschütternd, eben unheimlich, und eben unentbehrlich“, die mit den Ich-Es-Erlebnissen in der Beziehung notwendigerweise ausbalanciert werden müssen (Faber 1992, S.98). Laut Buber verliert die dialogische Beziehung durch die Modi-Wechsel (vom Ich-Du zum Ich-Es) nicht an Intensität, sondern an Aktualität. Das Dialogische bleibt latent vorhanden und kann jederzeit aktualisiert werden (vgl. ebd.). In der pädagogischen Beziehung kann demzufolge die Aktualität der dialogischen Hinwendung in einem Zeitabschnitt sowohl nicht sichtbar als auch nur latent vorhanden sein. Dies geschieht zum Beispiel bei der Ausübung einer absichtsvollen vermittelnden Tätigkeit seitens der Fach-/Lehrkraft (Maier 1992, S. 181).
[...]
1 Für die bessere Lesbarkeit wurde in dem Text das sogenannte Gendersternchen verwendet. Es handelt sich dabei um ein topografisches Zeichen (*), das bei personengruppenbezogenen Bezeichnungen zwischen der männlichen Grundform und der zusätzlich angefügten weiblichen Endung gesetzt wird (zum Beispiel „Erzieher*innen“). Diese Schreibform soll den binaren Geschlechtergedanken (männlich/weiblich) entgegenwirken und die Sichtbarkeit der Menschen mit intergeschlechtlicher Identität erhöhen.
2 Auch als eine „Sonderform der Ich-Du-Beziehung“ wird das pädagogisches Verhältnis bezeichnet (Maier 1992, S. 180).