Diese Arbeit behandelt die Fragestellung: Wie systematisch verschleierte die Weimarer Republik zum Ausklang des Völkermords an den Armeniern im Jahre 1919 ihre eigene Beteiligung sowie die des deutschen Kaiserreichs?
Im Folgenden werde ich kurz den historischen Verlauf der Ereignisse in Deutschland und Armenien um 1919 skizzieren, um dann die Aussagen der Quellen in Bezug auf meine Fragestellung zu analysieren.
In der Nacht zum 25 April 1915 wurden sechshundert führende Persönlichkeiten des armenischen Volkes wie zum Beispiel Politiker, Geistliche und Intellektuelle in Konstantinopel verhaftet, deportiert und umgebracht. Dies war der Auftakt zum Völkermord an den Armeniern. In der Folge wurden Armenier des osmanischen Reichs einbestellt, verfolgt, verhaftet, enteignet und deportiert – oft aber schon an Ort und Stelle getötet. Die Deportationen führten in die mesopotamische Wüste, wo die Armenier dem sicheren Tod entgegenblickten. Augenzeugen berichten von entfesseltem Rauben, Morden und Vergewaltigen. Die Jungtürken nannten ihr Handeln Sicherungsmaßnahmen, die aber eher die Vernichtung des armenischen Volkes zum Ziel haben mussten. Insgesamt fielen Hunderttausende Armenier den Massakern zum Opfer. Über die genauen Zahlen wird gestritten. Armenier, Franzosen und viele andere westliche Nationen gehen von 1,1 Mio. Toten aus.
Inhaltsverzeichnis
Nennung und Beurteilung der Quellen
Untersuchung
Reflexion.
Bibliografie
Nennung und Beurteilung der Quellen
Diese historische Untersuchung befasst sich mit der systematischen Massentotung von Hunderttausenden Armeniern im Osmanischen Reich in den Jahren 1915 bis 1919, welche in der Bundestagsresolution (Drucksache 18/8613 des Deutschen Bundestags) vom 02. Juni 2016 endgultig als Volkermord eingestuft wurde. Aufgrund der Komplexitat der Thematik habe ich die Untersuchung auf das Jahr 1919 konzentriert und hier zuvorderst darauf, wie systematisch Deutschland seine Mitwirkung an diesem Volkermord zu verschleiern ersucht hat. Wenn hier die Rede von Deutschland ist, dann ist sowohl das Deutsche Kaiserreich als auch die darauffolgende Weimarer Republik gemeint. Daraus leitet sich die Fragestellung: „Wie systematisch verschleierte die Weimarer Republik zum Ausklang des Volkermords an den Armeniern im Jahre 1919 ihre eigene Beteiligung sowie die des deutschen Kaiserreichs?" ab.
Es existieren zahlreiche offizielle Berichte von staatlichen Oder staatsnahen Institutionen, die sowohl pro-armenische als auch anti-armenische Positionen darstellen. Bei den meisten dieser Berichte wurden jedoch Informationen weggelassen, die der jeweils eigenen Nation Oder Institution schaden konnten. Oft wurde aber auch einfach etwas hinzugefugt Oder verandert. Diese Untersuchung stellt daher Berichte von Augen- und Zeitzeugen ins Zentrum der Betrachtung, die aus humanistischen Grunden von den Grausamkeiten berichten wollten, die sie umgaben. Ein Nachteil dieser Quellen ist jedoch, dass sie kein ganzheitliches Bild liefern konnen, sondern eben nurwas sie selbst erlebt haben.
Es werden zwei Primarquellen untersucht, die auf unterschiedliche Weise im Januar/ Februar 1919 zum Handeln gegen den Volkermord aufrufen.
Bei der ersten Primarquelle handelt es sich um einen offenen Brief vom deutschen Kriegsfotographen Armin T. Wegner aus Berlin an den US-Amerikanischen Prasidenten Woodrow Wilson, welcher im Januar 1919 geschrieben und am 23. Februar 1919 im Berliner Tageblatt1 veroffentlicht wurde. Wegner stellt darin das Leiden der Armenier dar. Er war im Ersten Weltkrieg als Krankenpfleger an der russischen Front und kam mit deutschen Sanitatern 1915 nach Ost-Anatolien ins Osmanische Reich, wodurch er Augenzeuge des Volkermords an den Armeniern wurde. Er beschloss, die Geschehnisse schriftlich und fotographisch festzuhalten. Seine Fotos gelten heute noch zu den wichtigsten Bildbeweisen des Genozids.2 In seinem offenen Brief erklart Wegner die genaueren Umstande des Volkermords und geht dabei detailliert auf die fur ihn sichtbaren Konsequenzen des Handelns bzw. Nichthandelns der westlichen Staaten ein. Der Brief stellt das armenische Volk als Opfer einer systematisch geplanten Vernichtung dar und enthalt ausfuhrliche Beschreibungen der Taten so wie Wegner sie miterlebte. Auch erklart er, dass Frankreich, Deutschland und England tatenlos zusahen und den damaligen Bundnispartner in keinster Weise an dem Verbrechen hinderten. Wegner bittet Wilson um die Einhaltung der im Berliner Vertrag vom Juli 1878 vereinbarten Garantien Europas, dem armenischen Volke Sicherheit zu bieten.3 Gepragt von den gesehenen Grausamkeiten, ist Wegners Brief emotional verfasst. Dennoch gibt der Brief die Geschehnisse und Graueltaten detailliert und unbestritten tatsachengetreu wieder. Wegner beteuert darin auch, dass er deutscher Staatsburger sei und deshalb die Situation skizziere, gleichzeitig den Bundnispartner und Freund Turkei nicht verurteile.
Bei der zweiten Primarquelle handelt es sich urn einen Zeitungsartikel, welcher von Ewald Stier geschrieben wurde und am 21. Januar 1919 in der Frankfurter Zeitung erschienen ist.4 In seinem Zeitungsartikel informiert Stier das deutsche Volk uber die Geschehnisse im Osmanischen Reich und fordert die Regierung dazu auf, dass das deutsche Volk uber die Graueltaten des Bundnispartners aufgeklart werden solle. Als evangelischer Pfarrer war auch sein Motiv stets humanistischer Natur. Unter anderem setzte er sich fur die Rechte des christlichen armenischen Volkes ein, weil er fruh realisierte, dass durch die Ermordung der Armenier auch eine Jahrtausende alte christliche Kultur zugrunde gehen wurde. In der Zeit nach dem Krieg setzte er sich fur die deutsch-armenischen Beziehungen ein und wurde 1944 stellvertretender Vorsitzender im Vorstand der Deutsch-Armenischen Gesellschaft.5
Stier ist ein Zeitzeuge, der vor allem auf die Mitverantwortung Deutschlands abzielt. Beispielsweise fuhrt er an, dass Deutschland dem Wilsonschen 14 Punkte Programm und somit auch dem darin enthaltenen Punkt 12 zugestimmt habe. Aus diesem Punkt leitet sich ein Recht auf Selbstverwaltung aller im osmanischen Reich lebender nicht-Turken -also auch den Armeniern- und Schutz vor turkischer Herrschaft ab.6 Aus Rucksicht auf den Bundnispartner Turkei habe man die deutsche Offentlichkeit nicht uber den Volkermord informiert. Aufgrund Deutschlands Passivitat und gehemmter Berichterstattung konne man, so Stier, nicht anders urteilen, als zu glauben, dass Deutschland die Vorkommnisse billigte. Er bittet die deutsche Regierung, die deutsche Offentlichkeit in der armenischen Frage ab sofort transparent zu informieren. Stier argumentiert eindeutig pro-armenisch; nicht nur weil er sich als christlicher Pfarrer fur eine christliche Minderheit bzw. Kultur einsetzt, sondern insbesondere auch, weil er ethisch/ moralisch betroffen ist. Die Ereignisse widersprechen seinem religios humanistisch orientierten Wertespektrum. Dementsprechend ist diese Quelle stets auch im Hinblick auf ihre Objektivitat kritisch zu hinterfragen.
Untersuchung
Im Folgenden werde ich kurz den historischen Verlauf der Ereignisse in Deutschland und Armenien um 1919 skizzieren, um dann die Aussagen der Quellen in Bezug auf meine Fragestellung zu analysieren.
In der Nacht zum 25. April 1915 wurden „sechshundert fuhrende Personlichkeiten des armenischen Volkes"7, wie zum Beispiel Politiker, Geistliche und Intellektuelle in Konstantinopel verhaftet, deportiert und umgebracht. Dies war der Auftakt zum Volkermord an den Armeniern. In der Folge wurden Armenier des osmanischen Reichs einbestellt, verfolgt, verhaftet, enteignet und deportiert - oft aber schon an Ort und Stelle getotet. Die Deportationen fuhrten in die mesopotamische Wuste, wo die Armenier dem sicheren Tod entgegenblickten. Augenzeugen berichten von entfesseltem Rauben, Morden und Vergewaltigen.8 Die Jungturken9 nannten ihr Handeln Sicherungsma&nahmen, die aber eher die Vernichtung des armenischen Volkes zum Ziel haben mussten.10 Insgesamt Helen Hunderttausende Armenier den Massakern zum Opfer. Uber die genauen Zahlen wird gestritten. Armenier, Franzosen und viele andere westliche Nationen gehen von 1,1 Mio. Toten aus.11
Aufgrund der guten Beziehung zwischen Deutschland und dem Osmanischen Reich waren deutsche Militars schon lange vor dem ersten Weltkrieg, also bereits weit vor 1915, in den osmanischen Armeen vertreten. Dies betraf sowohl einfache Beratungstatigkeiten, als auch die Ubernahme von Positionen innerhalb osmanischer Militarverbande. Wahrend des Volkermords war beispielsweise der deutsche Offizier Felix Guse Stabschef der III. Armee und Stellvertreter des Oberkommandierenden der Kaukasusarmee Hassan Izzet Paschas. Fritz Bronsart von Schellendorf war Generalstabschef des osmanischen Feldheeres und an fuhrender Stelle operativ am Volkermord an den Armeniern beteiligt. Talaat Pascha, Innenminister und Gro&wesir des Osmanischen Reichs sowie Fuhrer der Jungturken, schrieb in seinen Memoiren, dass es Gesprache zwischen Enver Pascha, Generalleutnant und Kriegsminister des Osmanischen Reichs, und seinem Generalstabschef Bronsart von Schellendorf uber die Deportationen der Armenier gegeben hat. Bronsarts Worten zu Folge sollten die Armenier an einen vom Krieg unberuhrten, dunn besiedelten, aber fruchtbaren Ort uberfuhrt werden. Au&erdem beschlossen Enver und Bronsart gemeinsam die Deportation der Armenier damit zu rechtfertigen, dass sich das armenische Volk mit den verfeindeten Russen verbundete.12
Ein Hohepunkt ist sicherlich, dass Felix Guse am 19. Juli 1915 eine „vollige Vertreibung aller Armenier aus den sechs ostlichen Provinzen"13 anordnete. Er betrachtete die Ausrottung der Armenier als ,,hart, aber nutzlich"14. Botschafter Wangenheim, General Bronsart und Marineattache Hans Humann, Enver Paschas engster Berater, waren fest davon uberzeugt, dass die Armenier rebellierten und daher umgesiedelt werden sollten. Au&erdem seien die Armenier gnadenlose Morder der muslimischen Population.15 Guse behauptete, dass die Armenier als Volk die Strafe verdient hatten.16 Unter anderem bezeichnete er sie auch als den internationalen Feind.17 Deutsche Militars waren dabei direkt in den militarischen Befehlsketten des Osmanischen Reichs aktiv. Sie haben also gemeinsam mit den osmanischen Ministern den Volkermord an den Armeniern entschieden und durchgefuhrt. All dies wurde der deutschen Offentlichkeit bis Sommer 1919 vorenthalten.
Nach Ende des Krieges 1918 fuhrte die militarische Kapitulation des Osmanischen Reiches zu einer vierjahrigen Besatzungszeit Konstantinopels durch die Alliierten. Die neuen Machthaber am Bosporus -osmanische Liberale- strebten „eine klare Zasur und eine deutliche Abrechnung mit der Vergangenheit"18 an, urn einen moglichst erfolgreichen Neuanfang nach dem Krieg zu gewahrleisten. Auch die Alliierten forderten die Bestrafung der Kriegsverbrecher als elementaren Bestandteil bei den Friedensverhandlungen.19 Bereits im Januar 1919 folgten strafrechtliche Verfolgungen und Verhaftungen.20
Im Marz 1919 folgten dann Verhandlungen vor dem Kriegsgericht. Am 8. April 1919 wurde beispielsweise der Landrat von Yozgad wegen Massaker, Plunderungen und Beraubungen zum Tode verurteilt und gehangt.21
[...]
1 Wegner, Armin T. (1919)
2 Obst, Michael A. und Haacker, Christoph (2018)
3 Der Brockhaus, S.464 f.: „Vierzehn Punkte, Friedensprogramm des amerikanischen Prasidenten W. Wilson vom 08.01.1918 zur Beendigung des I.Weltkriegs, enthielt 14 Grundsatze: [...] 12. Losung der nichtturkischen Volker aus dem Osmanischen Reich“
4 Stier, Ewald (1919)
5 Evangelische Landeskirche Anhalts (2006)
6 Der Brockhaus, S.464 f.: „Vierzehn Punkte, Friedensprogramm des amerikanischen Prasidenten W. Wilson vom 08.01.1918 zur Beendigung des I.Weltkriegs, enthielt 14 Grundsatze: [...] 12. Losung der nichtturkischen Volker aus dem Osmanischen Reich"
7 Wolff, Thoedor (1999)
8 Hosfeld, Rolf (2015), S.12
9 Erklarung Jungturken: Komiteefur Einheit und Fortschritt, politische Geheimorganisation im Osmanischen Reich, spater CUP
10 Wolff, Theodor (1999), siehe Aussage: „Die Manner wurden von Frauen und Kindern getrennt, abseits gefuhrt und getotet, diejungeren Frauen und Madchen, auch Kinder, in turkische Harems und kurdische Dorfer verkauft und verschleppt. [...] Deutschen, Amerikanern und Schweizern wurde jeder Versuch, Hilfe zu bringen, untersagt“.
11 Hosfeld, Rolf (2015), S. 11
12 Gottschlich, Jurgen (2015), S. 126
13 Ebd., S. 184
14 Ebd., S. 199
15 Dadrian, Vahakn N. (1997), S. 35
16 Ebd., S. 35, Org. Text: „the Armenians as a people deserving the „punishment“”
17 Ebd., S. 35, Org. Text: „the international foe“
18 Hosfeld, Rolf (1996), S. 223
19 Ebd., S. 224, Alliierte: die Briten
20 Ebd., S. 226
21 Ebd.