Die Hausarbeit will die öffentliche Rezeption romantischer interkultureller Beziehungen zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern in deutschen Metropolen untersuchen. Dabei analysiert sie sowohl die mediale Landschaft als auch politische, wissenschaftliche, amtliche und private Archivzeugnisse. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede finden sich in der öffentlichen Rezeption verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und inwieweit fungieren die ausgewählten Quellen als Spiegel von (Teil)-Gesellschaften?
Als zu behandelnder Zeitraum wird die Periode von etwa 1900 bis 1933 gewählt. Vornehmlich deshalb, weil darin gleich mehrere Machtwechsel und gesellschaftliche Umbrüche die politischen Debatten über den Umgang mit Kolonialmigranten und interkulturellen Beziehungen beeinflusst haben. Zu nennen sind hier die Kriege gegen die indigene Bevölkerung in den deutschen Kolonien, der Erste Weltkrieg (verbunden mit dem Verlust eigener Kolonien), die anschließende Zeit der Weimarer Republik und Besetzung des Rheinlandes sowie die nationalsozialistische Propaganda und Machtergreifung. Bemerkenswert ist diese Epoche außerdem, weil sie ein schmales Zeitfenster darstellt, in dem sich Frauenbewegungen unterschiedlicher politischer Ausrichtung weiterentwickeln und erstarken konnten. Die weibliche Politisierung ging mit zunehmenden Emanzipationsbestrebungen einher und machte die deutsche Frau zum Zentrum zahlreicher gesellschaftlicher Debatten, die sich auf dem breiten Spektrum zwischen völkisch-nationaler und sozialdemokratisch-liberaler Einstellung bewegten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Fragestellung und Periodisierung
1.2. Methodisches Vorgehen
1.3. Forschungsstand
1.4. Definition und Einschränkung zentraler Begriffe
2. >Romantische< Kulturkontakte innerhalb Deutschlands
3. Öffentliche Rezeption interkultureller >Romanzen<
3.1. Suprematie in Gefahr
3.1.1. »Was hat ein Neger überhaupt in Deutschland zu suchen?«
3.1.2. >Mischbeziehungen< und politische Propaganda
3.2. Rassenschande und weiblicher Ehrverlust
3.2.1. Appelle, Mahnungen und Denunziantentum
3.2.2. Geschlechterkonflikte und Rassendiskurse
3.3. Die Definition des >Deutschtums<
3.3.1. Diskurse um Staatsangehörigkeit
3.3.2. Die Frage der >Mischlingskinder<
4. Fazit
4.1. Zusammenfassung
4.2. Ausblick
5. Literaturverzeichnis
6. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Fragestellung und Periodisierung
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die deutsche Gesellschaft von Gegensätzen geprägt und changierte zwischen Tradition und Moderne. Unvorbereitet waren große Teile des metropolitanen Bürgertums auch auf die wachsende Anzahl interkultureller Beziehungen. Insbesondere Liebesbeziehungen zwischen >weißen< Frauen und >schwarzen< Kolonialmigranten stießen auf Empörung und verlagerten die rassenideologische Frage der >Mischbeziehungen< von den Kolonien ins Heimatland.1
Die Hausarbeit will die öffentliche Rezeption >romantischer< interkultureller Beziehungen zwischen >weißen< Frauen und >schwarzen< Männern in deutschen Metropolen untersuchen. Dabei analysiert sie sowohl die mediale Landschaft, als auch politische, wissenschaftliche, amtliche und private Archivzeugnisse. Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede finden sich in der öffentlichen Rezeption verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und inwieweit fungieren die ausgewählten Quellen als Spiegel von (Teil)-Gesellschaften?
Als zu behandelnder Zeitraum wird die Periode von etwa 1900 bis 1933 gewählt - vornehmlich deshalb, weil darin gleich mehrere Machtwechsel und gesellschaftliche Umbrüche die politischen Debatten über den Umgang mit Kolonialmigranten und interkulturellen Beziehungen beeinflusst haben.2 Zu nennen sind hier die Kriege gegen die indigene Bevölkerung in den deutschen Kolonien, der erste Weltkrieg (verbunden mit dem Verlust eigener Kolonien), die anschließende Zeit der Weimarer Republik und Besetzung des Rheinlandes, sowie die nationalsozialistische Propaganda und Machtergreifung. Bemerkenswert ist diese Epoche außerdem, weil sie ein schmales Zeitfenster darstellt, in dem sich Frauenbewegungen unterschiedlicher politischer Ausrichtung weiterentwickeln und erstarken konnten. Die weibliche Politisierung ging mit zunehmenden Emanzipationsbestrebungen einher und machte die deutsche Frau zum Zentrum zahlreicher gesellschaftlicher Debatten, die sich auf dem breiten Spektrum zwischen völkisch-nationaler und sozialdemokratisch-liberaler Einstellung bewegten.3
1.2. MethodischesVorgehen
Das Quellenmaterial ist vielfältig und bietet einen guten Überblick über die öffentlichen Meinungen. Die Medienanalyse will die unterschiedlichen politischen Ansichten herausarbeiten. Deshalb fokussiert sie sich auf Zeitungen und Zeitschriften, die sich in ihrer Verlagsphilosophie und ihrem Leserkreis unterscheiden. So werden neben der Deutschen Kolonialzeitung, die als Sprach- organ der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) dient, sowie klassischen konservativen Zeitungen, auch Tages- und Wochenzeitungen, sowie Monatshefte mit liberalen und / oder sozialdemokratischen Einflüssen untersucht. Ergänzt werden die Beiträge durch Aussagen einflussreicher zeitgenössischer Persönlichkeiten im nicht medialen Kontext. Zur Messbarkeit der politischen Meinungen dienen Reichstagsdebatten und Denkschriften. Durch die Analyse wissenschaftlicher Arbeiten wird versucht, die rechtliche Situation zum Thema >Mischbeziehungen< zu umreißen. Ziel ist es, ein aussagekräftiges Gesamtbild der - meist männlichen - Öffentlichkeit zu erhalten.
Leider lassen sich kaum persönliche Nachweise über oder Aufzeichnungen von betroffene(n) Kolonialmigranten finden. Nur einige wenige werden durch Drittpersonen überhaupt namentlich genannt - meist in den Kolonialmedien. Auch die persönliche Geschichte der Frauen verschwindet oft in der Anonymität. Diejenigen, die man durch die mediale Veröffentlichung ihres Namens denunzieren wollte, hatten selbst wahrscheinlich nicht die Möglichkeit, ihre Geschichte in eigenen Worten zu erzählen. Es wird versucht, Hintergrundinformationen zu den besprochenen >Fällen< zu finden. Hierzu bietet sich neben einer Orientierung an der Sekundärliteratur auch eine intertextuelle Querschnittssuche durch die mediale Landschaft an, um Kongruenzen und / oder Widersprüche aufzuzeigen.
Zum besseren Verständnis sollen die vorliegenden Quellen in ihre Kernaussagen zerlegt werden, wie zum Beispiel solche, die die Angst um den Verlust der >weißen< Suprematie beschreiben. Diese Kernaussagen werden dann historisch eingeordnet. Entscheidende Fragen sind hier: Wer ist der Schreiber / das Medium? Welche Motive hat der Schreiber und warum hat er sie? Wie bewertet der Schreiber die Situation und welche Forderungen führt er ins Feld?
1.3. Forschungsstand
Vor allem die postcolonial studies - insbesondere die Arbeiten über die black diaspora - beschäftigen sich in verschiedensten methodischen Ansätzen mit interkulturellen Beziehungen. Die meisten dieser Studien widmen sich der Frage nach Identität. Europäische Nationalbewegungen und bürgerliche Ord- nungsentwürfe sind dabei ebenso Thema, wie das Changieren zwischen Eigenem und Fremden bei Kolonialmigranten, das W.E.B. Du Bois Double Consciousness4 nennt.
Einen ersten Überblick über die Rolle Berlins als Zentrum des deutschen Kolonialismus bietet der Sammelband Kolonialmetropole Berlin5 aus dem Jahr 2002, der sich auch mit der afrikanischen Diaspora und den politischen Debatten um >Mischbeziehungen< beschäftigt. So analysiert der Aufsatz »Wir sind Deutsche, wir sind Weiße und wollen Weiße bleiben« von Kathrin Roller die politischen Reichstagsdebatten über interkulturelle Liebesbeziehungen. 1912 hatte das vom Reichskolonialamt erlassene Verbot von >Mischehen< für die Kolonie Samoa Anlass zu heftigen Diskussionen gegeben. Befürworter und Gegner gab es in nahezu allen politischen Lagern. Roller kommt zu dem Schluss, dass die >Mischehendebatte< nicht nur im kolonialen Rahmen, sondern auch innenpolitisch von Bedeutung war, da sie sich immer auch mit der Definition von Nation anhand rassenanthropologischer Kriterien beschäftigte.6
Ähnlich argumentiert Dominik Nagl in seiner Studie Grenzfälle von 2007. Er analysiert anhand rechtlicher Fragestellungen um Staatsangehörigkeit, Unterhalt und kolonialpolitischen Reglementierungen die vielfältigen Folgen der Kolonialexpansion vom Beginn der deutschen Kolonialherrschaft bis zum ersten Weltkrieg. Nagl spricht von einer »dualen Rechtsordnung« und einer »fragmentierenden Wirkung«7 des Staatsangehörigkeitsrechts. Dem Gesetz zufolge hatten die afrikanische >Kolonialuntertanen< einen geringen Rechtsstatus und kaum Chancen auf Einbürgerung. Nagl zeigt Zusammenhänge zwischen dem Diskurs um Staatsangehörigkeit, eugenischer Biopolitik und Rassenlehre (Sonderweg Deutschlands).
Eine ausführliche Archivanalyse liefern Robbie Aitken und Eve Rosenhaft in ihrer Monografie Black Germany - erstmals veröffentlicht 2013.8 Ihnen gelang es, das Beziehungsleben interkultureller Paare in Deutschland - vornehmlich aus der Arbeiterklasse - anhand privater und öffentlicher Quellen zu rekonstruieren. Das Werk bietet einen faszinierenden Einblick in die externen und internen Schwierigkeiten, denen diese Paare zu verschiedenen Zeiten ausgesetzt waren. Außerdem beschreibt das Forscherduo, auf welchen Wegen ro- mantische Kulturkontakte zustande kamen.
Informationen zur Lebenswirklichkeit der Kolonialmigranten finden sich auch in Katharina Oguntoyes Magisterarbeit Eine Afro-Deutsche Geschichte9 aus dem Jahr 1997, in der marginalisierte Migranten >zum Sprechen gebracht werden. Der vorliegenden Hausarbeit kann diese Forschung als Ergänzung dienen, um neben einer männlichen >weißen< Perspektive auch eine Perspektive der Subalternen zu erhalten um beide gegebenenfalls in einem Ausblick zueinander in Bezug zu setzen.
Die Hausarbeit will aber vor allem die unterschiedlichen politischen, amtlichen, privaten und medialen Meinungen aufgreifen und miteinander vergleichen. Sie soll einen knappen Überblick und eine Ergänzung zu den bisherigen Veröffentlichungen bieten und unterschiedliche Archivzeugnisse unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Rezeption analysieren. Dabei sollen vor allem der Blick auf die Rolle der Frau betrachtet und die Überschneidungen im Rassen- und Geschlechterdiskurs deutlich gemacht werden.
1.4. Definition und Einschränkung zentraler Begriffe
Als interkulturelle Beziehungen werden in dieser Arbeit alle Arten von romantischen Kulturkontakten zwischen >weißen< Frauen und >schwarzen< Kolonialmigranten bezeichnet - von >Schwärmerei< bis zur Eheschließung. Der Begriff Kolonialmigrant bezeichnet alle kurz- oder langfristig in Deutschland lebenden Menschen dunkler Hautfarbe aus den deutschen Kolonien. Die politischen Begriffe konservativ, liberal und feministisch sind im Kontext der Zeit zu sehen. In dem analysierten Zeitraum setzten sich die meisten liberalen Politiker für die Ziele der bürgerlichen Frauenbewegung ein. Frauenbewegungen teilten sich in verschiedene Lager, von denen nur wenige ähnlich feministische Thesen vertraten, wie sie in der heutigen Zeit zu finden sind. Der Begriff Feminismus ist in der Studienarbeit vor allem auf liberale Frauenbewegungen beschränkt und schließt die völkische Bewegung aus.
2. >Romantische< Kulturkontakte innerhalb Deutschlands
Hinweise auf die verschiedenen Arten >romantischer< interkultureller Beziehungen finden sich in zahlreichen Archiven. Sie reichen von erotischem Blickaustausch über Brieffreundschaften und >Fankult< bis hin zu geheimen Treffen, Liebesbeziehungen und Heirat. Der Kontakt mit Kolonialmigranten zwischen 1900 und 1933 fand auf verschiedenen Wegen statt, die - wie Aitken und Rosenhaft beschreiben - schwierig nachzuvollziehen sind. Zum ersten Kennen- lernen kam es wohl zumeist im nachbarschaftlichen oder beruflichen Rahmen.10 Auch ein Kontakt über überseeische Netzwerke ist möglich. So standen zum Beispiel Missionare nach ihrer Rückkehr nach Deutschland weiterhin mit ehemaligen >Schützlingen< in Kontakt, die später ihrerseits nach Deutschland kamen.11
Einige afrikanische Migranten aus Kamerun oder Togo waren zu Ausbildungszwecken aus den deutschen Kolonien angereist - meist handelte es sich dabei um die Söhne einflussreicher indigener Afrikaner, die man nach der Ausbildung mit einem westlichen Wertekanon zurückschicken wollte. Ziel war es, eine an deutschen Maßstäben ausgerichtete Verwaltungs- und Technikerschicht heranzuziehen.12 Nicht selten kam es außerdem vor, dass ehemalige >weiße< Siedler oder koloniale Machthaber bei ihrer Rückreise nach Deutschland einen >schwarzen< Diener mitbrachten.13 Spektakel wie Völkerschauen, Kolonialausstellungen oder Varietés wiederum stellten >fremde< Ethnien massenwirksam aus und beeinflussten die öffentliche Wahrnehmung über andere Kulturen.14 Solche Kulturkontakte fanden in einem eng begrenzten, oft kommerziellen Rahmen statt, der einen unvoreingenommenen Austausch kaum möglich machte. So bedienten Ausstellungen »wilder Afrikaner« alte Mythen oder romantische Vorstellungen über fremde Kulturen. Gleichzeitig wollte man die >Wilden< jedoch als als kaisertreue, vom >Weißen< zivilisierte Untertanten zeigen und damit die westliche Suprematie betonen, sowie den Kolonialenthusiasmus schüren.15
Eine Denkschrift an den Reichskanzler vom 6. Juni 1900 kommentiert, wie Gruppen >weißer< Frauen auf die Zurschaustellung von Nubier-Karawanen 1878 und 1879 im Zoologischen Garten in Berlin reagiert hätten:
»Nicht allein Frauen niederer Stände haben dort zu Vorfällen Veranlassung gegeben, die man kaum für möglich halten sollte, sondern auch Frauen, die nicht gerade den niederen Ständen angehörten, begaben sich jeden Schamgefühls. Am letzten Tag jener Schaustellung mußte ein größeres Aufgebot von Polizeimannschaften einschreiten, Frauen mit Gewalt von diesen Nubiern trennen und letztere in geschlossenen Droschken unter polizeilicher Eskorte nach dem Bahnhofe schaffen.«16
Diese Zurschaustellung war zwar nicht die erste in Deutschland, blieb jedoch als eine Art Präzedenzfall im nationalen Gedächtnis haften und wird in Zeitungsartikeln zum Thema interkulturelle Beziehungen wiederholt aufgegrif- fen, beispielsweise als Randbemerkung in Rezensionen und wissenschaftlichen Abhandlungen »schamloser [Filmvorführungen«17. So heißt es in der Besprechung des Kinofilms »Die Lieblingsfrau des Maharadja«, es sei »bekannt, wie sehr sich deutsche Frauen und Mädchen den schwarzen, brauen oder gelben Gästen gegenüber erniedrigt haben«. Man hätte deshalb »polizeiliche Machtmittel« angewandt.18
Erste Eheschließungen werden um das Jahr 1900 erwähnt. So heiratete der >schwarze< Lektor für Suaheli am Berliner Seminar für Orientalistische Sprachen Mtoro bin Bakari im Oktober 1904 auf dem Standesamt Charlottenburg die Berlinerin Bertha Hilske. Er wurde daraufhin vorzeitig entlassen.19 Ein weiteres Beispiel ist das des aus Kamerun stammenden, in Hannover arbeitenden, Kellners Ekwe Bruno Ngando, genannt »Nachtigall«, der 1912 einen Reichsangehörigkeitsausweis beantragte, um die »Büffetdame Ida Kleinfeld«20 zu heiraten. Ngando war zuvor Darsteller einer Truppe gewesen, die 1896 auf der Berliner Gewerbeausstellung teilgenommen hatte und verspürte nun nach eigenen Angaben »keine Lust [...] mit meiner Truppe weiterzu reisen.«21
Besonders viel Aufsehens machten die Kolonialmedien um den >Fall< der Stenotypistin des Kolonialwirtschaftlichen Komitees Hertha Opprower. Sie hatte 1914 um die Hand ihres >schwarzen< Verlobten bei dessen ostafrikanischem Vater angehalten.22 Die Deutsche Kolonialzeitung beschreibt den Fall wie folgt:
»Denn in jener Zuschrift wendet sich eine >bisher gänzlich Unbekannte< an den >sehr geehrten und lieben Mambo< mit der Mitteilung, sie sei in Berlin die Freundin, die Braut seines >Herrn Sohnes Joseph< geworden, und bat, unter der Versicherung, sie würde sich der neuen Familienverbindung >würdig erzeigem, den zukünftigen Herrn Schwiegervater um ein Darlehn für die Reise von Deutschland nach der Kolonie.«23
Der »Skandal« wurde gleich in mehreren Kolonialzeitungen besprochen und ging mit zahlreichen Kritiken und Forderungen seitens der Kolonialverbände einher, die in Kapitel 3 besprochen werden.
Anlass zur Sorge gab auch der »Briefwechsel deutscher Mädchen mit Negerburschen«24:
»Erwachsene deutsche Mädchen aus angeblich besseren Ständen scheuen sich nicht unter dem Vorwände des Briefmarkensammelns mit Negern aus Togo, die in der deutschen Schule unterrichtet worden sind, in brieflichen Verkehr zu treten. [...] Eine siebzehnjährige Berlinerin schreibt ihrem “Freunde”, daß sie eine Freundin habe, die auch gerne einen schwarzen Freund hätte, er möchte ihr daher eine Adresse vermitteln. Sie fügt ihre eigene Photographie bei! Ein Mädchen aus Sachsen, daß offenbar reif für das Sanatorium ist, macht einem schwarzen Jüngling gar einen Heiratsantrag.«25 26
Einem angeblichen »Heiratsschwindler« soll eine Gruppe von Mädchen, laut der konservativen Zeitung Die Hochwacht25, bis ans Gefängnistor gefolgt sein:
»Der als Kinoportier in Homburg (Rheinpfalz) angestellte Neger Johann Clarkson ist nach Meldung des >Tag< unter dem Verdacht umfangreicher Diebstähle und Heiratsschwindeleien verhaftet worden. Die >liebevolle< Aufmerksamkeit, der sich der Schwarze bei der Damenwelt des Städtchens erfreute, begleitete ihn bis ins Gefängnis nach Zweibrücken, wo dem elegant gekleideten, gefesselten Afrikaner die Weiber auf der Straße bis zum Gefängnistor nachliefen.«27
Der Fall aus dem deutschen Homburg zeigt, dass sich interkulturelle Fragen nicht auf Berlin beschränkten, sondern in ganz Deutschland diskutiert wurden. In München etwa wurden 1903 der Polizei »Verstöße gegen die »Sittlichkeit« in einem Aschanti-Lager gemeldet:28
»Auf der Theresienwiese befindet sich noch immer ohne jede Beaufsichtigung die Aschantitruppe, bei welcher zahlreiche weiße Damen Gelegenheit geboten ist, bei Tag, noch mehr aber bei Nacht, exotischen Genüssen zu fröhnen.«
Diese Anzeige eines Dr. Blaschke meldet »skandalöse, Ärgerniß erregende Zustände« gleich einem »ambulanten Bordell«. In einem daraufhin abgefassten Polizeibericht meldet ein Beamter, er habe zwar keine sexuellen Ausschweifungen bemerkt, aber beobachtet, wie sich »[...] ein weißes Mädchen, etwa 19 Jahre alt, ebenfalls im Freien vor einer Hütte [...] ganz dicht an einen jungen Aschantimann gestellt hatte, diesen liebkoste, ihn - lediglich mit den Händen - an den Oberarmen, Brüsten und Schultern drückte u. nun umgekehrt der Aschanti ihr mit den Händen über Schulter und Arme fuhr.«
Die beiden seien später gemeinsam in einer Hütte verschwunden. Der Beamte habe den Führer der Truppe »energisch« aufgefordert, »dafür zu sorgen, daß stets Aufsicht vorhanden sei«.
Wie Anne Dreesbach beschreibt, waren >exotische< Menschen für die amtlichen Behörden »Verwaltungsgegenstände«. Die behördliche Praxis könne am ehesten mit einem »Nicht-Reagieren auf Fremdheit« beschrieben werden, da zum Beispiel die Polizeiberichte stets nüchtern und in »bemüht neutraler Form« verfasst seien und Behörden auf neue Situationen nicht etwa mit neuen Regeln reagierten - wie es im kommerziellen Rahmen geschah. »Klischees [...] waren im bürokratischen Rahmen irrelevant.«29
Auch für die späte Weimarer Republik gibt es Hinweise und Belege für interkulturelle Beziehungen. So fasst der afroamerikanische Journalist Robert Abbot 1929 in einem Reisebericht seine Erfahrungen im Hamburger Tierpark Hagenbeck zusammen. Er beobachtet >weiße< Mädchen beim Austauschen erotischer Blicke mit Männern einer ostafrikanischen Völkerschautruppe30: Die Mädchen seien »very much interested in the black men and were engaging them in conversation.« Abbots Aufzeichnungen sollten kritisch betrachtet werden, da es ihm, wie Tobias Nagl schreibt, darum ging, mit positiven Schilderungen aus Europa den Rassismus in den USA infrage zu stellen.31
Belege für ernsthafte Beziehungen und Eheabsichten erschließen sich u.a. aus einem Artikel der Zeitschrift für Standesamtswesen (STAZ), der über bi- nationale Ehen informieren will. Hier heißt es, dass »Fragen und Gesuche öfter als früher an die Standesbeamten« gelangten, in denen »fremdrassige Männer« mit »deutschen Mädchen die Ehe einzugehen« gedächten. Darunter seien auch »afrikanische Neger«. Die STAZ betont allerdings, es handele sich bei diesen Heiratsgesuchen um eine statistisch geringe Zahl.32 Eine ganze Reihe interkultureller Eheschließungen aus den 1920erJahren führt die Monografie »Black Germany« auf.33
3. Öffentliche Rezeption interkultureller>Romanzen<
Romantische Beziehungen zwischen >weißen< Frauen und >schwarzen< Männern waren bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kaum Thema innenpolitischer oder medialer Diskussionen. Erstmalig für Verwirrung bei der vorwiegend männlichen Öffentlichkeit sorgten die »Vorfälle« auf den Völkerschauen 1878 und 1879 im Zoologischen Garten (Fallbeschreibung S. 5). Auch Jahre später dienten die damaligen Ereignisse als Argument zahlreicher politischer Forderungen.
[...]
1 Vgl. hierzu: NAGL, Dominik, Grenzfälle. Staatsangehörigkeit, Rassismus und nationale Identität unter deutscher Kolonialherrschaft aus der Reihe: BECHHAUS-GERST, Marianne (Hg.), Afrika und Europa. Koloniale und postkoloniale Begegnungen, Band 5, Peter Lang Verlag, Frankfurt 2007 (S. 173ff) oder ROLLER, Kathrin, “Wir sind Deutsche, wir sind Weiße und wollen Weiße bleiben”. Reichstagsdebatten über koloniale “Rassenmischung”, in: VAN DER HEYDEN, Ulrich, ZELLER, Joachim (Hgrs.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, bebra/PRO Verlag, Berlin 2002 (S. 78)
2 Anne Dreesbach spricht von drei Phasen deutscher Kolonialgeschichte, an die sich eine vierte Phase des Kolonialrevisionismus (eigene Anmerkung: vor allem in konservativen Kreisen) anschließt. Vgl.: DREESBACH, Anne, Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung exotischer Menschen in Deutschland 1870 - 1940, Campus Verlag, Frankfurt 2005 (S. 246f)
3 Vgl. hierzu: PLANERT, Ute, Nation, Politik und Geschlecht. Frauenbewegungen und Nationalismus in der Moderne, Campus-Verlag, Frankfurt 2000
4 In »The Souls of Black Folk« (1994) erklärt Du Bois wie sich >schwarze< Menschen in einer postkolonialen Welt sowohl mit eigenen, als auch mit fremden Augen sehen. Ein Afrodeutscher ist demnach deutsch und >schwarz<. Beides - Nation und Hautfarbe - lassen ihn ein doppeltes Bewusstsein erleben, das sowohl Zugehörigkeit als auch Fremdheit einschließt.
5 VAN DER HEYDEN, Ulrich, ZELLER, Joachim (Hrsg.), Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin Edition, Quintessenz Verlag, Berlin 2002
6 ROLLER, Kathrin, »Wir sind Deutsche« (S. 79)
7 NAGL, Dominik, Grenzfälle (S. 181-183)
8 AITKEN, Robbie, ROSENHAFT, Eve, Black Germany. The Making and Unmaking of a Diaspora Community 1884 -1960, Cambridge Univerity Press, 2005, Informationen zum Thema finden sich vor allem im Kapitel »Settling down: marriage and family« (S. 88-118)
9 OGUNTOYE, Katharina, Eine afro-deutsche Geschichte. Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro- Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950, Hoho Verlag, Berlin 1997
10 AITKEN, Robbie, ROSENHAFT, Eve, Black Germany (S. 89)
11 Ebd. (S. 90)
12 NAGL, Dominik, Grenzfälle (S. 146f)
13 Ebd. (S. 144f)
14 Hintergründe bei DREESBACH, Anne, Gezähmte Wilde
15 DREESBACH, Anne, Gezähmte Wilde (S. 264)
16 Denkschrift über die Frage der Ausfuhr von Eingeborenen aus den deutschen Kolonien zum Zwecke der Schaustellung, BA R 1001/5576, BI.27
17 Der Begriff»schamlose Vorführung« fiel in der Rezension des Kinofilms »Sein eigener Diener«. Anon., Schamlos!, in: Deutsche Kolonialzeitung, 20.08.1919 (S. 93)
18 KÖHRER, Erich, Ein Rassenproblem im Film, o.A. (datiert 1916), Deutsches Institut für Filmkunde / Frankfurt, zitiert nach: NAGL, Tobias, Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino, Diss. edition text+ kritik im Richard Boorberg Verlag, München 2009 (S. 539)
19 ROLLER, Kathrin, Reichstagsdebatten (S. 79)
20 NAGL, Dominik, Grenzfälle (S. 155)
21 Ebd.
22 NAGL, Tobias, Unheimliche Maschine (S. 530)
23 Anon., Rassenschmach, in: Deutsche Kolonialzeitung, 31.01.1914 (S. 72)
24 Anon., Briefwechsel deutscher Mädchen mit Negerburschen, in: Deutsche Kolonialzeitung, 09.10.1909 (S. 680)
25 Anon., Rassenfragen, in: Deutsche Kolonialzeitung, 04.09.1909 (S. 593 f)
26 Die Hochwacht (mit Hauptsitz in Berlin) war das Organ der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schundliteratur. Das Monatsheft widmete sich nach eigenen Angaben der »Pflege deutscher Art daheim und draußen«.
27 Anon., Deutsche Schmach, in: Die Hochwacht, Nr. 10, 4. Jg., Juli 1914 (S. 269) zitiert nach NAGL, Tobias, Unheimliche Maschine (S. 532)
28 Alle Zitate und Informationen in: Anzeige Dr. Blaschke und Polizeibericht, Staatsarchiv München, Pol. Dir. 1006, zitiert nach DREESBACH, Anne, Gezähmte Wilde (S. 239-241)
29 DREESBACH, Anne, Gezähmte Wilde (S. 244f)
30 ABBOT, Robert S., My Trip Abroad. VII - Sojourning in Germany, in: The Chicago Defender, 21.12.1929, zitiert nach: NAGL, Tobias, Unheimliche Maschine (S. 576)
31 Ebd. (S. 579)
32 HÜBSCHMANN, Zeitschrift für Standesamtswesen Nr. 4, 1928, S. 53, zitiert nach: KLEIBER, Lore; GÖMÜSAY, Eva-Maria, Fremdgängerinnen. Zur Geschichte bi-nationaler Ehen in Berlin von der Weimarer Republik bis in die Anfänge der Bundesrepublik, Ed. CON, Bremen 1990 (S. 43)
33 AITKEN, Robbie, ROSENHAFT, Eve, Black Germany (S. 89f)