Inwieweit ist die Wahlniederlage der Parti Socialiste im Jahr 2017 auf veränderte Konfliktlinien zurückzuführen? Eine Auseinandersetzung mit diesem Forschungsgegenstand ist von Relevanz, da es den neuen politischen Raum der Wähler*innen in Hinsicht auf deren Konflikte und Einstellungen in Frankreich untersucht.
Den Einstieg in diese Arbeit bildet ein theoretischer Rahmen, wobei die Analyse der Forschungsfrage über einen Cleavage Ansatz erfolgt. Dabei wird dargelegt, dass die Cleavage Theorie nach Lipset und Rokkan (1967) prägend ist. Dies erfolgt unter der Berücksichtigung von kritischen Theorieaspekten und in der Folge werden die zentralen Analysepunkte herausgearbeitet, die den späteren Forschungsfokus definieren. Daraufhin folgt der empirische Teil dieser Arbeit, in-dem die soziostrukturellen Spannungen der neuen Konfliktlinien innerhalb der sozialistischen Wählerschaft und Partei analysiert werden. Das Ende dieser Arbeit resümiert die zentralen Argumente für die Wahlniederlage der Parti Socialiste im Jahr 2017, reflektiert kritische Aspekte dieser Arbeit und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsperspektiven.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Cleavage-Theorie
2. 1 Sozioökonomische Konfliktlinie
2.2 Transnationale Konfliktlinie
2.3 Zusammenspiel der Faktoren
3. Fallbeispiel: Das französische Parteiensystem und der Niedergang der Parti Socialiste
3.1 Sozioökonomische Konfliktlinie
3.2_Transnationale Konfliktlinie
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Hat der historische Absturz der französischen Sozialisten das Ende der Sozialdemokratie Europas eingeläutet?", (Meister 2018: Was der Parti Socialiste widerfährt, ist der Albtraum der SPD) fragt ein Artikel der Zeitung „Welt". (Vgl. ebd.) Dabei galt die französische Parti Socialiste lange Zeit als Leuchtturm der europäischen Sozialdemokratie. Doch 2017 erlebte die Partei bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl eine historische Niederlage, woraufhin sie ihre prestigereiche Parteizentrale im 7. Arrondissement von Paris verkaufen musste. (Vgl. Welter 2018: Triumph und Trauer in der Rue Solférino) Das Ergebnis stand dabei im Kontrast zur politikwissenschaftlichen Neigung, Wählerschaften als relativ statische Gruppen zu begreifen, die sich durch eine beständige Parteiloyalität auszeichnen. (Vgl. Bréchon 2019: 21) In modernen Demokratien stehen Wählerschaften in einem nationalen Kontext und die relevantesten politischen Parteien konstituieren das nationale Parteiensystem. In dieser Arbeit werden die fortlaufenden Prozesse von Globalisierung und Europäischer Integration als gesellschaftliche Einschnitte verstanden, wodurch die nationalstaatlichen Grenzen transformiert werden und neue soziostrukturelle Konfliktlinien an Bedeutung gewinnen. (Vgl. Grande und Kriesi 2012: 3) Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet dementsprechend: Inwieweit ist die Wahlniederlage der Parti Socialiste im Jahr 2017 auf veränderte Konfliktlinien zurück zu führen? Eine Auseinandersetzung mit diesem Forschungsgegenstand ist von Relevanz, da es den neuen politischen Raum der Wählerinnen in Hinsicht auf deren Konflikte und Einstellungen in Frankreich untersucht. (Vgl. Gougou & Persico 2017: 304)
Der deutschsprachige Forschungsstand greift mit Wolfgang Merkel, Martin Elff oder Harald Schoen die Cleavage Theorie auf und nimmt teilweise Präzisierungen vor. Merkel übernimmt diesbezüglich eine Definition von Stefano Bartolini für die analytische Cleavage-Konzeption, wodurch diese an Klarheit gewinnt. Ein Blick auf die internationale Politikwissenschaft zeigt eine größere Dynamik rund um die Cleavage Theorie, wobei hier vor allem die Entstehung von neuen Konfliktlinien diskutiert wird. Edgar Grande, Gary Marks und Liesbet Hooghe seien in diesem Rahmen erwähnt, die sich intensiv mit den Auswirkungen von Globalisierung und Europäischer Integration in Hinsicht auf neue Konfliktlinien beschäftigen. Für die tiefergehende theoretische Einordnung der sozioökonomischen Konfliktlinie sei Terry Clark erwähnt. Clark weist dabei bereits auf ein verändertes Verhältnis zwischen subalternen Sozialgruppen und sozialistischen Parteien hin.
Den Einstieg in diese Arbeit bildet ein theoretischer Rahmen, wobei die Analyse der Forschungsfrage über einen Cleavage Ansatz erfolgt. Dabei wird dargelegt, dass die Cleavage Theorie nach Lipset und Rokkan (1967) prägend ist. Dies erfolgt unter der Berücksichtigung von kritischen Theorieaspekten und in der Folge werden die zentralen Analysepunkte herausgearbeitet, die den späteren Forschungsfokus definieren. Daraufhin folgt der empirische Teil dieser Arbeit, indem die soziostrukturellen Spannungen der neuen Konfliktlinien innerhalb der sozialistischen Wählerschaft und Partei analysiert werden. Das Ende dieser Arbeit resümiert die zentralen Argumente für die Wahlniederlage der Parti Socialiste im Jahr 2017, reflektiert kritische Aspekte dieser Arbeit und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsperspektiven.
Cleavage-Theorie
1959 legte die Gründung des „Komitees für politische Soziologie" das Fundament für systematische Forschungsansätze innerhalb der politischen Soziologie. In diesem Jahr entwickelte Lipset - mit „Political Man" - ein Grundwerk für die neue politische Disziplin und untersuchte die soziale Basis für politische Strukturen. Lipset und Rokkan knüpften 1967 an dieses Werk mit „Party Systems and Voter Alignments" an, welches Cleavages theoretisch rechtfertigt und Konfliktliniendimensionen mit den funktionellen Voraussetzungen eines sozialen Systems verbindet. (Vgl. Eri- kallardt 2005: 12 f.) Die Übersetzung des Begriffs „Cleavage" bedeutet „Spaltung" oder „Kluft", woraus zwei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten resultieren. Cleavages können demnach als Gegenpositionen in politischen Auseinandersetzungen verstanden werden, was aus dem Englischen mit den Worten „Konfliktlinien" oder „Spannungslinien" übersetzt wird. Ein weiterer Blickwinkel erkennt darunter die Einteilung einer Bevölkerung in verschiedene Gruppen, die sich untereinander unterscheiden und im Deutschen unter „soziale Spaltung" laufen. (Vgl. Elff, Martin 2000: 32) Lipset und Rokkans Cleavage-Theorie zählt zu den klassischen Erklärungsansätzen der Wahlanalysen. Ihre Theorie gehört mit denen von Lazarsfeld et al. (1944) und Berel- son et al. (1954) zu den Bedeutendsten der Wahlforschung. Während die Forschungsgruppe rund um Lazarsfeld einen mikrosoziologischen Ansatz wählte, ist die Cleavage-Theorie als ein historisch-makrosoziologischer Ansatz einzuordnen. Lipset und Rokkan betrachten demnach das Wahlverhalten auf der Makroebene. (Vgl. Schoen 2014: 170 f.) Konfliktlinien treten demnach in den verschiedenen Parteiensystemen der europäischen Staaten auf und diese finden ihren Ursprung in der nationalen und industriellen Revolution. Diese Revolutionen transformierten die gesellschaftlichen Strukturen in den europäischen Staaten, verursachten soziostrukturelle Reibungskämpfe und konstituierten Parteiensysteme sowie das gesellschaftliche Wahlverhalten. Aus der nationalen Revolution resultierte ein Zentrum-Peripherie-Konflikt, der zwischen dem nationalen System und den untergeordneten Systemen wie ethnische, linguistische und religiösen Gruppen verläuft. Diese Gruppen sind häufig in der Peripherie aggregiert. Zugleich entstand eine Staat-Kirche-Konfliktlinie, eine Spannung die zwischen den europäischen Nationalstaaten und der historisch mächtigen Kirche existiert. Die industrielle Revolution erbrachte zwei Klassenkonflikte wie den Stadt-Land-Konflikt - ein Konflikt zwischen der ländlichen Elite und dem städtischen Bürgertum - und den Kapitalist-Arbeiter-Konflikt. (Lipset 2005: 5) Eine präzisere Definition des Begriffes „Cleavage" bzw. Konfliktlinie nahmen Lipset und Rokkan nicht vor, weshalb die Begrifflichkeit in der Soziologie und Politikwissenschaft variierend verwendet wird. Diese mehrdeutige Verwendungsmöglichkeit wird in der Literatur kritisch bewertet, weshalb in dieser Arbeit - die Cleavage-Theorie von Lipset und Rokkan - um das analytische Cleavage-Konzept von Stefano Bartolini erweitert wird. Dieser folgt dem marxistischen Gesellschafts- und Politikverständnis, dass ein Kausalzusammenhang zwischen sozialen Konfliktlinien und der politischen Ordnung existiert. Ein Cleavage besteht nach Bartolini aus einem empirischen, normativen und organisatorischen Element. Das empirische Element wird durch Interessen bestimmt, die in einer konfliktreichen Sozialstruktur auftreten. Das normative Element basiert auf übereinstimmenden Überzeugungen, die identitätsstiftend für eine gesellschaftliche Gruppe sind. Parteien, Organisationen und Bewegungen bilden das organisatorische Element und diese üben ihre Mobilisierungsstrategien entlang der gegebenen Konfliktlinien aus. (Vgl. Merkel 2017: 11 f.) Die Cleavage-Theorie hebt hervor, dass Wählerinnen durch bestimmte Streitfragen in einem multidimensionalen Raum getrennt, diese Dimensionen aber von politischen Parteien in Form von programmatischen Absichtserklärungen aufgegriffen werden. Veränderungen im Parteiensystem erfolgen als ein diskontinuierlicher Prozess, bei dem externe Schocks auf das Parteiensystem wirken, welches ansonsten durch thematische und programmatische Übereinstimmung gekennzeichnet ist. (Vgl. Hooghe, Liesbet & Marks, Gary 2018: 109) Die politikwissenschaftliche Debatte rund um konfliktlinienbasierte Parteien veränderte sich gegen Ende der 1960er Jahre hin zu Catch-all Parteien. Diese Parteien waren nach Kirchheimer (1966) programmatisch in der Lage, große gesellschaftliche Gruppen zu integrieren und zu mobilisieren. In den 1990er Jahren prägten Katz und Mair (1995) die Debatte mit ihrem Begriff der „Kartellparteien", die für ihren Machterhalt kooperierten. Rational-Choice-Theorien erklärten ein solches Verhalten der Parteien, damit dass diese um die Wählerinnen des mittleren Parteienspektrums konkurrierten. (Vgl. Merz & Volkens 2018: 71 f.) Der klassischen Ceavage-Theorie schlug aber auch Kritik entgegen, denn Lipset und Rokkan klammerten weitestgehend ethnisch-rassistische Konfliktlinien aus, obwohl diese beispielsweise beim Entstehen des amerikanischen Parteiensystem von Relevanz waren. (Vgl. Piketty 2018: 4) Politikwissenschaftler wie Evans, Elff oder de Graaf kritisieren, dass die Relevanz von Konfliktlinien seit den 1970er Jahren schwindet. Gesellschaftsstrukturelle Transformationen wie eine Säkularisierung oder die Tertiärisierung von Arbeiterschaft führten zu einem zahlenmäßigen Einbruch des Wähler-Klientels bei christlichen und sozialdemokratischen Parteien. (Vgl. Elff & Roßteutscher 2016: 46) Demnach schwinde die einstige stabilisierende Wirkkraft von Konfliktlinien und gleichzeitig stiege die Volatilität bei Wahlergebnissen in den west- europäischen Staaten. Der Niedergang vom mobilisierenden Konfliktlinienpotential sei auf fundamentale Veränderungen zurückzuführen, die die soziostrukturelle Ebene umpflügen und sich in einem individualisierten Verhalten manifestierten. Diese Veränderungen haben die trennscharfen Konfliktlinien zwischen sozialen Gruppen und Klassen zur Unschärfe verzerrt, die Relevanz von sozialer Spaltung untergraben und das individuelle Wahlverhalten verändert. (Vgl. Elff 2007: 277 f.) Die strategische Flexibilität von politischen Parteien in großen Konfliktdimensionen ist durch dauerhafte Wählerkreise, dezentrale Entscheidungsstrukturen, selbstselektierte Parteiaktivitäten, eine sich selbst replizierende Führung und einen ausgeprägten programmatischen Ruf eingeschränkt. Politische Parteien können flexibel auf spezielle Themen reagieren, wohingegen Positionswechsel bei großen Konfliktdimensionen selten erfolgen. (Vgl. Hooghe & Marks 2018: 112) Zugleich wird der politische Einfluss von Klassen zunehmend durch andere soziostrukturelle Triebfedern wie politische Interessen des privaten Sektors in Bezug auf den Staat überschattet. Politische Interessen sind weiterhin ein strukturierender Faktor, jedoch nicht mehr die Klassenstrukturen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der ideologische Zusammenhalt von Klassen durch die Formulierung von sachthematischen Politikpräferenzen aufgelöst wurde. (Vgl. Evans 1993: 449 f.) Der Niedergang von traditionellen Parteien und das Auftreten von neuen Parteibewegungen stehen in einem Kausalzusammenhang mit allgemeiner Unruhe. Die PostMaterialismus-Theorie von Ingelhart, der Relevanzverlust von sozialen Konfliktlinien und das Aufkommen von neuen Konfliktlinien werden auf diese Ursächlichkeit zurückgeführt. (Vgl. Gieb- ler et al. 2018: 149) Obwohl die Cleavage-Theorie von institutionalisierten Konfliktlinien und einem „eingefrorenen Konfliktzustand" ausgeht, behält sie einen dynamischen und offenen Charakter. Soziale Ausrichtungen entwickeln sich folglich aus historischen Prozessen wie gesellschaftlichen oder ökonomischen Entwickelungen. Während die Konfliktlinienstruktur relativ statistisch ist, variiert die politische Salienz von Konfliktlinien als Reaktion auf gegenwärtigen Ereignissen. (Vgl. Lipset 2005: 5) Ein weiterer bündelnder Faktor ist dabei der Zeitpunkt, der jeder Konfliktlinie im Rahmen einer gewissen Zeitspanne Salienz zukommen lässt. Die Überlagerung von Spannungslinien bedeutet, dass politische Teilungen selten insbesondere mit einer sozialen Konfliktlinie verbunden sind, sondern mit einer Reihe an selbstverstärkenden Faktoren wie Klasse, Religion, Region und Einstellungen zu politischen Autoritäten zusammenhängen. Aus diesem Umstand resultieren Loyalitäten zu politischen Parteien, die trotz einer relativen Ähnlichkeit ihre Differenzen betonen und Ideologien entwickeln. (Vgl. Cerny 1972: 145) In dieser Arbeit werden die Prozesse der Europäischen Integration und die Globalisierung als solch historische Transformationen betrachtet. Dabei markieren die kontinuierlichen Veränderungen von nationalen Grenzen eine entscheidende Weggabelung und führen zu einem neuen strukturellen Konflikt zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen. (Vgl. Grande & Kriesi 2012: 3)
Sozioökonomische Konfliktlinie
Unter dem Begriff „Hierarchie" wird eine strukturgebende Rangordnung verstanden. (Vgl. Clark et al. 1993: 294) Der „Klassen-Begriff" umfasst ein Konglomerat aus unterschiedlichen Gruppen bzw. sozialen Klassen und Lebenslagen. Bürgerinnen, die den subalternen Bevölkerungsschichten zugeordnet werden, können „Bauern, Arbeiter, Angestellte, mittlere Angestellte, kleine Handwerker und Gewerbetreibende, Beschäftigte eines Unternehmens, marginalisierte Jugendliche etc. sein." (Amable & Palombarini 2018: 38) Einfache Bevölkerungsschichten haben daher heterogene Erwartungen, die von Lebensumständen, Beschäftigtenverhältnissen, charakteristischen Lebenserfahrungen ihrer sozialen Gruppe und deren Zwängen geprägt sind. Jene Vielfalt an Faktoren determiniert kulturelle Merkmale und Lebensformen für gesellschaftliche Gruppen, was soziale Spaltungslinien nach sich zieht. (Vgl. ebd.) Im Vergleich zur gesellschaftlichen Klassenstruktur - die nur aus sozialen Klassen besteht - setzt sich eine Hierarchie entweder aus Klassen, Statusgruppen, ethnischen Gruppen oder allgemein vertikal geordneter Sozialgruppen zusammen. Die Nutzung dieser objektiven Konzeption macht die Existenz und die politische Bedeutung von sozialen Gruppen oder anderen hierarchischen Gruppierungen ersichtlich. Die Existenz von sozialen Klassen wird durch die Analyse von Arbeitsmarktsektoren feststellbar. Sektorrelevanz ergibt sich aus dem Grad politischer Beziehungen und dessen politischem Outcome. (Vgl. Clark et al. 1993: 294) Die klassische sozioökonomische Konfliktlinie verläuft zwischen der industriellen Arbeiterklasse und dem Mittelstand. (Vgl. Schoen 2014: 196) Gleichwohl setzte bereits in den 1980er Jahren ein Diskurs rund um den Niedergang der klassischen Konfliktlinien ein. (Vgl. Elff 2004: 19) Ein Hauptfaktor für das schwindende klassenbasierte Wählen ist der Transformationsprozess im industriellen Sektor. (Vgl. Clark 2003: 25) Die zwei Hauptgruppen - Arbeiterklasse und alte Mittelklasse - der sozioökonomischen Konfliktlinie haben beide an zahlenmäßiger Stärke verloren. An deren Stelle entwickelten sich der Wohlfahrtsstaat und der Bedeutungsgewinn des Dienstleistungssektors, welcher entscheidend für die neue Mittelklasse ist. Die neue Mittelklasse weist eine heterogene Struktur auf, indem Managerinnen Autorität delegieren, Angestellte administrative Aufgaben übernehmen, zuweisen und überwachen. Professionelle Dienstleister*innen verfügen derweil über spezialisiertes Wissen und Expertise. Die Wertorientierung von professionellen Dienstleistern*innen ist an der Verteidigung von individueller Autonomie sowie der egalitären Verteilung von Ressourcen ausgerichtet. Sie sind daher als postmaterialistische und sozialliberale Wählerinnen einzuordnen, die klassische sozialdemokratische Positionen in Bezug auf die Wirtschaftspolitik und den Wohlfahrtsstaat unterstützen. Managerinnen vertreten eher die Positionen der alten Mittelklasse, weshalb sie Marktlösungen und den freien Handel bevorzugen. Sie gehören demnach zum Elektorat von rechten Parteien und sind nicht empfänglich für neue soziale Bewegungen. (Vgl. Kriesi 1998: 168 f.) Der zahlenmäßige Rückgang der Arbeiterklasse veränderte die Parteiensysteme in einigen Staaten, wohingegen die Zahl der Arbeitnehmer*innen im Dienstleistungssektor drastisch anstieg. Sozialdemokratische Parteien richteten daraufhin ihre Wahlprogramme für neue Wählergruppen aus und verfolgten eine marktorientierte, fiskalkonservative sowie sozialliberale Politik. (Vgl. Clark 2003: 25) Dabei haben sich die politischen Prioritäten von Bürgern*innen und Parteien in den postindustriellen Demokratien verändert. Bis in die 1970er Jahre war der französische Parteienwettbewerb durch eine links-rechts Spaltung gekennzeichnet, die zwischen Konfliktpunkten wie der wirtschaftlichen Ausrichtung und der Rolle des Staates verlief. Heutzutage herrscht in den westeuropäischen Demokratien ein breiter Konsens, was den Wohlfahrtsstaat betrifft. In den westeuropäischen Gesellschaften öffneten sich neue politische Räume für Themen und Parteien - was darauf zurückzuführen ist - dass es zu einem wachsenden Wohlstand kam, das Bildungsniveau zulegte, neue Arbeitsplätze geschaffen wurden und der Wohlfahrtsstaat seine sozialen Sicherungsnetze aufspannte. Dies hatte zur Folge, dass die Staatsbürgerinnen nicht mehr ausschließlich auf wirtschaftliche und physische Sicherheit fokussiert sind und nach höheren Zielen streben. Diese sozialen und individuellen Bedürfnisse nach Selbstdarstellung, Selbstbestimmung, Zugehörigkeit und intellektueller sowie ästhetischer Befriedigung schlagen sich in neuen politischen Themen wie Umwelt, Multikulturalität und Gender nieder. Gleichwohl besteht ein Pendant in Form von populistischen Parteien, wobei vor allem die einstige Arbeiterklasse in eine links-liberale und rechts-autoritäre Wählerschaft gespalten wird. (Vgl. Marthaler 2020: 111 f.)
Transnationale Konfliktlinie
In den europäischen Parteiensystemen ist ein Transformationsprozess feststellbar, der eine neue Konfliktlinie zur Folge hat. Dieser Konflikt dreht sich um die Öffnung oder Schließung von nationalstaatlichen Grenzen, wobei er ein Konglomerat aus Streitpunkten wie „Güter, Dienstleistungen, Kapital, Arbeitskräfte, Flüchtlinge, Asylsuchende, Menschenrechte und die Abgabe von nationalstaatlicher Kompetenzen zugunsten supranationaler Regime und transnationaler Politik" (Merkel 2017: 9) einbezieht. Kosmopoliten*innen sind in diesem Konflikt die Unterstützerinnen von offenen Grenzen und Menschenrechten und Kommunitaristen*innen die Befürworterinnen von nationalstaatlichen Grenzen. (Vgl. ebd.: 9) Das theoretische Fundament des Transnationalismus basiert auf der Annahme, dass niedrige Transaktionskosten im internationalen Wirtschaftsaustausch größere Spezialisierungsmöglichkeiten und ökonomische Skaleneffekte generieren. Diese Annahme ist zugleich mit der neoklassischen Bedingung verbunden, dass die Einführung von gemeinsamen Standards, die Aufhebung von Handelshemmnissen und Investitionen zu Wirtschaftswachstum führt. (Vgl. Hooghe & Marks 2018: 114) In dieser Arbeit wird die Annahme von Grande und Kriesi geteilt, dass die Konsequenzen der Globalisierung und der Europäischen Integration nicht für alle Mitglieder der nationalen Gesellschaften gleich ausfallen. Die Globalisierung und die Europäische Integration bieten daher einen Ausgangspunkt für eine neue ökonomisch-kulturelle Konfliktlinie. Die neue Transnationalismus-Konfliktlinie zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen durchkreuzt die strukturell älteren Konfliktlinien von Lipset und Rokkan. (Vgl. Grande und Kriesi 2012: 12) Klassische Konfliktlinien wie Kirche-Staat und Kapital-Arbeit werden lediglich mobilisiert, damit ein Effekt auf mögliche Wählergruppen und die Wahlbeteiligung ausgeht. (Vgl. Korte 2019: 66) Mindestens drei Konfliktdimensionen - ökonomischer Wettbewerb, kulturelle Diversität und politische Integration - führen im Rahmen der Globalisierung zur Bildung dieser neuen Spannungslinie. Mit der Globalisierung kam es zu einem Transnationalisierungsprozess, wodurch der ökonomische Wettbewerb verstärkt wurde und zugleich die sozialen sowie wirtschaftlichen Risiken zunahmen. Diese Risiken sind allerdings nicht für alle Gesellschaftsgruppen gleichverteilt. Denn die internationale politische Ökonomie zeigt beispielsweise mit einem makroökonomischen Faktormodell auf, dass die Trennlinie zwischen Individuen mit einem niedrigen und hohen Bildungsniveau verläuft. In weitentwickelten Industriestaaten leiden Arbeitskräfte mit einem niedrigen Bildungsniveau besonders unter der Marktöffnung. (Vgl. Grande und Kriesi 2012: 12 f.) Die Konfliktdimension rund um kulturelle Diversität dreht sich um Themen wie Multikulturalität und Immigration. Die Spaltung resultiert aus einer ungleichen Verteilung von kulturellem Kapital. Bürgerinnen mit einer transnationalen Mobilität und internationalen Netzwerken befürworten die Globalisierung, wohingegen Bürgerinnen mit einem national sozialen und beruflichen Mobilitätsradius für den Kommunitarismus plädieren. (Vgl. Merkel 2017: 13 f.) Dabei wirkt das Bildungsniveau als ein entscheidender Faktor für Toleranz gegenüber ethnischen Gruppen und kultureller Diversität, wobei dies eher ein Merkmal von Kosmopoliten ist. Die politische Integration markiert ebenfalls eine Ursache für die transnationale Konfliktlinie, welche mit dem Transfer von politischer Autorität an eine supranationale Institution einhergeht. Für Bürgerinnen die sich mit der Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft identifizieren, bedeutet ein Integrationsprozess die Schwächung von nationalen Institutionen. Kosmopoliten erachten darin einen Gewinn, wenn dadurch eine kosmopolitische Institution gestärkt wird. Die kulturelle und politische Dimension der neuen Konfliktlinie wiegen schwerer als die ökonomische Dimension. Denn mit der Modernisierung von Gesellschaften erweist sich kognitives sowie kulturelles Kapital als entscheidend für die Positionierung von Bürgern*innen in der Sozialstruktur. Bildung gewinnt daher nicht nur an Bedeutung für politisch relevante Haltungen. Die Mobilisierung von kommuni- taristischen Wählergruppen durch politische Akteure bezieht hauptsächliche die kulturelle und politische Konfliktdimension der transnationalen Konfliktlinie mit ein, wohingegen die ökonomische Dimension vernachlässigt wird. (Vgl. Grande und Kriesi 2012: 14 f.) In einer eng verflochtenen und ephemeren Welt greifen nahezu alle Gesellschaftsgruppen auf einfache Entscheidungsmuster zurück, weshalb das politische Personal am meisten Orientierung stiftet. Weitere Faktoren im individuellen Wahlentscheidungsprozess sind Stimmungen und Emotionen. (Vgl. Korte, Karl-Rudolf 2019: 67)
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