Wenn durch den Eintritt in den Ruhestand eine Entkoppelung des Menschen von seiner Arbeitskraft und ein niedrigerer Nutzen für die kapitalistischen Verhältnisse entsteht, was heißt es dann für die Älteren, produktiv zu sein?
Dass das Alter als eine eigenständige Lebensphase anerkannt wird und nicht ein (unerwünschtes) Resultat des Erwachsenenalters ist, kann als ein junges Phänomen betrachtet werden. Dem Bedeutungswandel, dem das Alter unterliegt, hat sich vom negativ konnotierten gesellschaftlichen Faktor, zu einer ‚heimliche(n) Ressource‘ im Kontext der Bewältigung der mit dem demografischen Wandel einhergehenden Probleme gewandelt. Doch ist es wirklich geheim, wenn so offensiv in Veröffentlichungen, wie zum Beispiel in den Altenberichten des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [BMFSFJ] von einer gesellschaftliche(n) Produktivität Älterer, ‚ungenutzte(n)‘ Potentialen oder uneingeschränkt davon gesprochen wird, dass Ältere ihren Beitrag zu leisten haben, um mit den vorliegenden Hürden, die im demografischen Wandel (und dessen Folgen) begründet liegen, adäquat umgehen zu können?
Inhalt
1 Der Wohlfahrtsstaat zwischen Altruismus und Egoismus - Die Alten als ungenutztes Potenzial
2 Die Identitätskategorie des Alters - Eine Bestandsaufnahme der Position (junger) Alter in der Gesellschaft
2.1 Eine erste Annäherung an das Konstrukt des Alters
2.2 Die Etikettierung des produktiven Alter(n)s - Die jungen Alten zwischen jung bleiben und alt werden
3 (Bio-)Macht als eine konstitutive Grundkategorie des menschlichen Lebens - Ein Abriss des Foucaultschen Machtverständnisses auf der Grundlage disziplinierender und regulierender Mechanismen
3.1 Die Disziplinarmacht - Der gelehrige und fügsame Körper als eine Basis für die Potenzialentfaltung
3.2 Die Ambivalenz zwischen aktiver Überwachung und passivem Überwachtwerden - Das panoptische Prinzip als zentraler Mechanismus effizienter Optimierung
3.3 Vom Individuum zur Bevölkerung - Die Bio-Macht zwischen disziplinierenden und regulierenden Mechanismen als Grundlage der Normalisierungsgesellschaft
4 Aktives Altern als machtimmanenter Diskurs? Eine Betrachtung alterspolitischer Inhalte aus einer machttheoretischen Perspektive
4.1 Vom Fremdzwang zum Selbstzwang - Das panoptische Prinzip im Kontext gesundheitspolitischer Maßnahmen
4.2 Zwischen Freiheit und Zwang - Regulierende Mechanismen zur Steigerung der gesellschaftlichen Teilhabe
4.3 (Aus-)Bildung zum Humankapital - Optimierungszwang durch lebenslange Anpassung als das neue Bildungsverständnis?
5 Macht als ein unüberwindbarer Teil der Gesellschaft? - Abschließende Bemerkungen
6 Literaturverzeichnis
1 Der Wohlfahrtsstaat zwischen Altruismus und Egoismus - Die Alten als ungenutztes Potenzial
Im Kontext der kapitalistischen Lohnarbeitsgesellschaft ist die Institution des Ruhestands stets eine ambivalente Konstruktion geblieben: einerseits verbunden mit dem Privileg der dauerhaften und legitimierten Befreiung vom Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft, andererseits einhergehend mit dem vom eigenen Leistungsvermögen abgekoppelten Ausschluss aus den zentralen Vergesellschaftungsstrukturen der Arbeitsgesellschaft. (van Dyk 2015, S. 20).
Dass das Alter als eine eigenständige Lebensphase anerkannt wird und nicht ein (unerwünschtes) Resultat des Erwachsenenalters ist, kann als ein junges Phänomen betrachtet werden. Dem Bedeutungswandel, dem das Alter unterliegt, hat sich vom negativ konnotierten gesellschaftlichen Faktor, zu einer ,heimliche(n) Ressource ‘ (Beck-Gernsheim 1991, zitiert nach van Dyk 2016, S. 71) im Kontext der Bewältigung der mit dem demografischen Wandel einhergehenden Probleme gewandelt. Doch ist es wirklich geheim, wenn so offensiv in Veröffentlichungen, wie zum Beispiel in den Altenberichten des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [BMFSFJ] von einer gesellschaftliche(n) Produktivität Älterer (BMFSFJ 2016, S. 81), ,unge- nutzte(n)‘ Potentialen (BMFSFJ 2015, S. 4) oder uneingeschränkt davon gesprochen wird, dass Ältere ihren Beitrag zu leisten haben, um mit den vorliegenden Hürden, die im demografischen Wandel (und dessen Folgen) begründet liegen, adäquat umgehen zu können (vgl. BMFSFJ 2015, S. 9; BMFSFJ 2010, S. 82)? „In unserer Gesellschaft des langen Lebens ist es wichtig, so lange wie möglich aktiv zu bleiben (BMFSFJ (Stellungnahme der Bundesregierung) 2010, S. 7) Wenn jedoch durch den Eintritt in den Ruhestand eine Entkoppelung des Menschen von seiner Arbeitskraft und ein niedrigerer Nutzen für die kapitalistischen Verhältnisse entsteht (vgl. van Dyk 2015, S. 89f.), was heißt es dann für die Älteren, produktiv zu sein?
In Deutschland vollzog sich diese Betonung der Nützlichkeit des Alters in den frühen 2000er Jahren; insbesondere soll hier das durch die Kommission im Jahr 2012 eingeführte Europäische Jahr des aktiven Alterns (Europäische Kommission (n.d.))1 hervorgehoben werden, dessen Ziel ein produktiver und autonomer Mensch (vgl. Stückler 2016, S. 35) innerhalb des Wohlfahrtstaates ist (vgl. Stückler 2016, S. 33), der auch außerhalb des Arbeitsverhältnisses diese Merkmale erfüllen soll (vgl. van Dyk 2015, S. 99), um die Folgen des demografischen Wandels bewältigen zu können (vgl. BMFSFJ (Stellungnahme der Bundesregierung) 2010, S. 5). Das heißt, dass sich die Produktivität nun nicht mehr allein auf die Phase der Erwerbstätigkeit zu beschränken scheint. Die Älteren werden somit zu einer dem Kapitalismus dienlichen Humanressource (Stückler 2016, S. 35). Doch welchen Ursprung hat diese diachrone (van Dyk 2015, S. 13) Entwicklung des Alters? Wieso werden Menschen immer älter, gleichzeitig aber gesundheitlich nicht (leistungs)schwächer und können dadurch produktiv sein? Es resultiert eine Vielzahl an einzelnen Themenkomplexen, die in Verbindung zueinanderstehen und die es, unter folgender Fragestellung, genauer zu betrachten gilt: Welche Faktoren bedingen die Entstehung der Zielgruppe (des Konstrukts) der Älteren durch bundespolitische Konzepte wie die des aktiven Alterns?
Zunächst ist (Kapitel 2) genauer zu beleuchten, was unter dem Konstrukt des Alters zu verstehen ist, da dies die Möglichkeit eröffnet, eine spezifische Gruppe, die bei dem Konzept des aktiven Alterns angesprochen wird - die jungen Alten (van Dyk & Lessenich 2009a, S. 25) - und deren Charakteristika zu skizzieren. Dass die Einbindung junger Alter nach dem Berufsausstieg einem kapitalistischen Zweck folgt, bedingt die Auseinandersetzung (Kapitel 3) mit Michel Foucaults Machtverständnis auf der Grundlage von zwei seiner Werke, um die Bio-Macht als ein zentrales regulierendes Moment darzustellen, innerhalb dessen disziplinierende Techniken einen zentralen Stellenwert einnehmen. Dies ermöglicht (Kapitel 4) die Betrachtung der Kategorie der jungen Alten aus einer machtheoretischen Perspektive, da disziplinierende und regulierende Techniken einem ökonomischen Nützlichkeitsprinzip folgend, die einzelne Person und die gesamte Bevölkerung auf Produktivität ausrichten. Hierbei gilt es - am Konzept des aktiven Alterns orientierend - spezifische thematische Schwerpunkte zu setzen, die es ermöglichen (Kapitel 5), die Zusammenhänge resümierend darzustellen, in denen die jungen Alten auf Produktivität ausgerichtet werden.
Abschließend gilt es noch hinsichtlich der formalen Grundlagen einen Überblick zu geben. Der Literaturnachweis erfolgt im Fließtext. Wortwörtlich übernommene Begriffe werden kursiv dargestellt. Verweise auf weiterführende Literatur oder auch inhaltliche Ergänzungen werden in den Fußnoten angegeben. Wenn über die Kategorie der (jungen) Alten geschrieben wird, sind hier sowohl die sich als weiblich, männlich und als divers identifizierende Menschen gemeint. Es findet jedoch innerhalb der Arbeit (vgl. dazu kritisch Kapitel 5) keine Differenzierung statt.
2 Die Identitätskategorie des Alters - Eine Bestandsaufnahme der Position (junger) Alter in der Gesellschaft
Der demographische Wandel2 geht mit einer Veralterung der Gesellschaft3 durch die bessere gesundheitliche Verfassung der Bevölkerung, einer geringeren Mortalität, sowie einer sinkenden Geburtenrate einher, sodass eben dieser Wandel zu einer eminenten „[...] Herausforderung für Politik, Verwaltung, Wirtschaft und jeden Einzelnen unserer Gesellschaft [...]“ avanciert (BMFSFJ 2015, S. 7). Der Einschnitt ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass eine Kohorte, die Babyboomer, innerhalb der kommenden zehn Jahre aus ihren Beschäftigungsverhältnissen austreten wird und es bereits tut (vgl. BMFSFJ 2015, S. 8). „Allein die erheblich zunehmende Anzahl der aus dem Erwerbsleben Ausscheidenden wird ihre [der Kommune(n)] vorhandenen Strukturen besonders belasten.“ (ebd.) Dies hat wirtschaftliche Einbußen zur Folge (vgl. Franke 2012, S. 37-46; vgl. BMFSFJ (Stellungnahme der Bundesregierung) 2010, S. 5). Doch welche Rolle spielt nun hierbei die Politik? Diese reagiert auf gesellschaftliche Zustände; die Kommission betitelt es als eine Antwort der Politik (vgl. Europäische Kommission (n.d.)) auf die Auswirkungen des demografischen Wandels.
Nachfolgend wird diese benannte Antwort genauer betrachtet, indem (Kapitel 2.1) ein Abriss des Gehalts der Kategorie Alter dargestellt wird, um darzustellen (Kapitel 2.2), welches Verständnis des Alters, also die Zielgruppe, beim Konzept des aktiven Alterns vorliegt. Es geht um die explizite Darstellung des Zwecks hinter der Einbindung älterer Menschen in die Gesellschaft. Dies bildet mit dem nachfolgenden dritten Kapitel die Grundlage zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Einbezug Älterer in die gesellschaftliche Teilhabe (vgl. Kapitel 4).
2.1 Eine erste Annäherung an das Konstrukt des Alters
Das Alter hat sich im 19. Jahrhundert durch vielfältige Faktoren4 als eigenständige Lebensphase etabliert (vgl. van Dyk 2015, S. 17f). Erst in den 1950er und 1960er Jahren wurde die nachberufliche Phase dahingehend instituiert, als dass der Eintritt in den Ruhestand direkt mit dem Begriff des Alters assoziiert wurde (vgl. van Dyk 2015, S. 19). Es ging nicht mehr um den einzelnen alternden Menschen, sondern um die RentnerInnen als eine eigene Subgruppe der Bevölkerung, was durch sozialpolitische Reglementierungen bedingt war (vgl. van Dyk 2015, S. 88). Erst circa ein bis zwei Jahrzehnte später, in den 1970er Jahren, begannen - die bis heute andauernden - Diskussionen über die Inhalte dieser Nacherwerbsphase (vgl. van Dyk 2015, S. 19f.). Das heißt, dass es nicht mehr die vorherrschende Normalbiografie (Kolland 2000, S. 14) war, die die Lebensplanung bedingte; es vollzog sich eine dynamische Parallelisierung (Hof, 2009, S.29) der Lebensbereiche, sodass der Bereich der Nacherwerbsphase nicht mehr mit freier Zeit gleichgesetzt wurde, sondern mit Tätigkeiten zu füllen war und ist.
Die über die Politik regulierte Aktivierung führte zunächst über das erwerbsfähige Erwachsenenalter (vgl. Stückler 2016, S. 31) und ab den 1970er Jahren verknüpft mit der Wende vom defizitären zum positiven Bild somit (vgl. BMFSFJ 2010, S. 230f.) „[...] auch auf die Alten, auf die PensionistInnen und RentnerbezieherInnen [...].“ (Stückler 2016, S. 31)5 Ziel dabei war und ist die Veränderung negativer stereotyper Altersbilder, dem Bild der Alten als eine ökonomische Bedrohung durch hohe Kosten, aber einen geringen Nutzen (vgl. van Dyk 2015, S. 89f.), hin zu einem auf Nützlichkeit ausgerichtetem, produktivem Bild der Alten (vgl. BMFSFJ (Stellungnahme der Bundesregierung) 2010, S. 5f.), da die Mehrheit die defizitären Merkmale des Alters nicht bestätigt und diese somit in der Verantwortung sind, die demografisch bedingten Herausforderungen zu bewältigen (vgl. a.a.O., S. 5).
Wie bereits dargestellt, bezeichnet(e) das Alter den Austritt aus der Erwerbstätigkeit. Das ist mit dem Begriff des chronologischen Alters (van Dyk 2015, S. 12) zu verknüpfen, das als gesellschaftlicher Altersmarker (ebd.) fungiert. Das chronologische Alter hat jedoch keine Aussagekraft, da es nicht mehr direkt an biologische Alterungsprozesse geknüpft ist (vgl. a.a.O., S. 15). Im historischen Blick werden die Menschen kalendarisch betrachtet älter, obwohl die biologischen Prozesse damit nicht mehr parallel ablaufend verknüpft sind. „Infolge verbesserter hygienischer Bedingungen, gesünderer Ernährung, besserer Arbeitsbedingungen und medizinischen Fortschritts wurden Mensehen gleichen kalendarischen Alters [.] biologisch gesehen zunehmend jünger.“ (a.a.O., S. 12f.) Es findet also eine Verjüngung statt (a.a.O., S. 13).
Alter(n) ist ein multidimensionales Konstrukt und kann nicht auf eine einzige Komponente heruntergebrochen werden; es ist kontextuell zu betrachten, da „[...] Alter(n) auch ein sozialer Sachverhalt ist [...].“ (a.a.O., S. 16).6 Die Frage, die sich hier stellt, betrifft die zusätzliche Umschreibung des Wortes Alter (vgl. Kapitel 1). Wenn ein Wandel des defizitären Bildes stattgefunden hat, wieso sind es dann die jungen Alten, auf die die Politik hier rekurriert?7
2.2 Die Etikettierung des produktiven Alter(n)s - Die jungen Alten zwischen jung bleiben und alt werden
Das Alter ist diskursiv erzeugt und geht „[...] mit zahlreichen anderen neoliberalen Diskursen [...]“ einher (Stückler 2016, S. 34; vgl. van Dyk 2015, S. 80f.; vgl. van Dyk & Lessenich 2009, S. 25) Hierzu zählen unter anderem die eben dargestellten politischen Diskurse.8 Die Kategorie des Alters kann als eine Identitätskategorie verstanden werden, in welche durch solche Diskurse stetig Eigenschaften unter die Kategorie subsumiert werden (vgl. van Dyk 2016, S. 77). Das heißt, dass die negativen Konnotationen nicht verschwinden (vgl. a.a.O., S. 78), da diese Identitätskategorie in der Binarität alt/jung (ebd.) verhaftet bleibt. Politische Konzepte, wie das des Active Ageing (dt.: Aktives Altern) auf welches nachfolgend noch eingegangen wird, streben die Umwendung vom defizitären zum produktiven Bild an (vgl. Stückler 2016, S. 39). Die Problematik liegt darin, dass es hierbei nur um die jungen Alten geht; es findet also eine Verlagerung defizitärer Altersbilder in das hohe Alter statt (vgl. Stückler 2016, S. 39f.). „Alt im wörtlichen Sinne ist nach dieser Logik eigentlich erst im vierten Lebensalter, wenn altersbedingte körperliche und kognitive Einschränkungen dazu führen, dass Menschen zunehmend hilfs- und pflegebedürftig werden. Aber das ist eben [...] erst mit 80 aufwärts.“ (a.a.O., S. 39) Bei den jungen Alten9 10, deren Altersspanne circa beim 60. oder 65. Lebensjahr beginnt (vgl. ebd.; vgl. Europäische Kommission (n.d.)), findet eine Orientierung „[...] an den Normen des mittleren Lebensalters von Leistung, Produktivität, Aktivität und Jugendlichkeit [...]“ statt. Dies kann als hegemoniale Norm10 verstanden werden, die eine „[...] bis heute unangefochtene Norm eines vermeintlich alterslosen Erwachsenenlebens“ (vgl. van Dyk 2016, S. 67) repräsentiert.
Das Konzept des aktiven Alterns11 basiert unter anderem auf dem ausgerufenen Europäischen Jahr des aktiven Alterns im Jahr 2012, deren Inhalte die bereits beschriebene Teilhabe, auf der Grundlage von autonomen Handlungen und Mitverantwortung für die Gesellschaft durch die verbesserten gesundheitlichen Kapazitäten, sind. Es kristallisierten sich hierbei drei zu verändernde Bereiche heraus: Hierzu zählt (1) die Verlängerung der Phase der Erwerbstätigkeit durch gesetzliche Änderungen. Zum anderen (2) steht die Ausgestaltung der Nacherwerbsphase durch verschiedene Formen des bürgerschaftlichen Engagements im Fokus (vgl. van Dyk 2015, S. 99). Des Weiteren (3) ist die - für die ersten beiden Bereiche grundlegende - Verbesserung des gesundheitlichen Status durch „[...] sportliche Aktivitäten und Fitness, gesunde Lebensführung und Ernährung, mentales Training und lebenslanges Lernen“ (ebd.) ein Punkt der Agenda.
Wird der Inhalt der Altersaktivierung isoliert betrachtet, scheint es zunächst positiv konnotiert zu sein, wenn (jungen) Alten Fähigkeiten und offene Potenziale zugesprochen werden (vgl. Stück- ler 2016, S. 32, 36; vgl. van Dyk & Lessenich 2009b, S. 540); also eine augenscheinliche Win- Win-Konstellation (van Dyk 2015, S. 104). Jedoch wird durch eine einseitige Betrachtung der ideologische Charakter (Stückler 2016, S. 32) verschleiert. „Denn weder auf die Partizipationsbedürfnisse noch auf die Lebensqualität älterer Menschen kommt es hier primär an. [. .] Primär geht es um die Instandhaltung und nachhaltige Reproduktion der kapitalistischen Verhältnisse unter politisch und ökonomisch verschärften Prämissen.“ (a.a.O., S. 32f.) Diejenigen, also die aktiven und jungen Alten, die diesen Charakteristika entsprechen, haben bereits eine bestimmte Position in der Gesellschaft, die als ein Mittelschicht-Lebensstil (a.a.O., S. 37) zu bezeichnen ist (vgl. ebd.).12 Ist aktives Altern somit eine neoliberale Regierungstechnik (Stückler 2016, S. 32), die die Alten dazu zwingt, der als jung deklarierten Norm zu entsprechen? „,Aktives Altern‘ wird zu einem neuen gesellschaftlichen, altersbezogenen Ideal, auf das jeder Mensch selbstverantwortlich und auch im eigenen Interesse hinzuarbeiten hat, das er entsprechend zu planen und dabei auch seinen Körper entsprechend zu formen und zu bearbeiten hat.“ (a.a.O., S. 35) Um die Funktionsmechanismen dahinter betrachten zu können, gilt es zunächst im nachfolgenden Kapitel Michel Foucaults Machtverständnis zu entfalten.
3 (Bio-)Macht als eine konstitutive Grundkategorie des menschlichen Lebens - Ein Abriss des Foucaultschen Machtverständnisses auf der Grundlage disziplinierender und regulierender Mechanismen
Foucaults Verständnis von Macht unterliegt einem - mit der Erscheinung seiner Werke verknüpftem - Wandel; genauer gesagt einer Weiterentwicklung. Deshalb wird einführend darauf verwiesen, dass die Thematisierung der Macht sich auf die Werke Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (1976/2016) und dem ersten Band von Sexualität und Wahrheit, Der Wille zum Wissen, (1977/1991) bezieht.13
Die Machtform, die er zunächst in seinem Werk Überwachen und Strafen [ÜS] einführt, wird als Disziplinarmacht bezeichnet (Kapitel 3.1). Zentrales Element ist der Körper als Maschine (Kör- per/Maschine; Foucault 2016 S. 197), der innerhalb institutioneller Rahmung diszipliniert wird (vgl. Foucault 1991, S. 166f.). „Seine [des menschlichen Körpers] Dressur, die Steigerung seiner Fähigkeiten, die Ausnutzung seiner Kräfte, das parallele Anwachsen seiner Nützlichkeit und seiner Gelehrigkeit, seine Integration in wirksame und ökonomische Kontrollsysteme.“ (a.a.O., S. 166) Um die Effizienz der Disziplinierung zu steigern, wird nachfolgend das panoptische Prinzip dargestellt, bei dem es nicht mehr der physischen Anwesenheit von BeobachterInnen bedarf (Kapitel 3.2). „[...] Die Disziplinarmacht selbst ist unsichtbare Macht.“ (Gehring 2017, S. 28) Daran anknüpfend wird auf der Grundlage der Disziplinarmacht die Ausweitung der Macht auf die gesamte Bevölkerung dargelegt, die Foucault als Bio-Politik (Kapitel 3.3) bezeichnet und gemeinsam mit ersterer Machtform die Bio-Macht bildet (vgl. Foucault 1991, S. 166f.) Dies stellt er in seinem Werk der Wille zum Wissen dar. Bezugnehmend auf die eingangs dargestellte Entwicklung von Foucaults Verständnis seines Machtbegriffs ist hervorzuheben, dass diese Machtformen nicht strikt voneinander zu trennen sind (vgl. ebd.). Hierbei wird in dem Unterkapitel abschließend nochmal der Machtbegriff zusammenfassend dargestellt.
3.1 Die Disziplinarmacht - Der gelehrige und fügsame Körper als eine Basis für die Potenzialentfaltung
Die Disziplinarmacht14 ist „[...] eine diskrete und aufgeteilte Macht [...]“ (a.a.O., 36) und basiert auf Techniken, die es ermöglichen, einen disziplinierten Körper hervorzubringen. Dies meint „[...] fügsame und gelehrige Körper“ (Foucault 2016, S. 177) zu erzeugen15, indem gleichzeitig repressive und produktive Kräfte hervorgebracht werden. „Die Disziplin steigert die Kräfte des Körpers (um die ökonomische Nützlichkeit zu erhöhen) und schwächt diese selben Kräfte (um sie politisch fügsam zu machen).“ (ebd.) Um dies zu ermöglichen, bedarf es der Überwachung (a.a.O., S. 227); hierfür erfordert es zunächst der Erzeugung von Individualitäten, das Sichtbarmachen einer jeden Person durch die detaillierte Strukturierung von Raum und Zeit.16 Dies bezeichnet Foucault als Mikrophysik der Macht (a.a.O., S. 191). „Denn sie [die Techniken] definieren eine bestimmte politische und detaillierte Besetzung des Körpers [...].“ (a.a.O., S. 178). Anhand der Mittel der guten Abrichtung (a.a.O., S. 220) findet einerseits eine Überwachung statt, deren machtimmanente Funktion sich wie ein interindividuelles Netz (a.a.O., S. 228) entfaltet. Andererseits wird die Produktivität durch normierende Sanktionen (a.a.O., S. 229) in Form eines Belohnungsund Bestrafungssystems, einer Mikro-Ökonomie (a.a.O., S. 233), gesteigert (vgl. a.a.O., S. 220238). „Es entstand eine Disziplinargesellschaft, die Macht gezielt auf die Individuen und ihre Köper richtet.“ (Mümken 2012, S. 46) Der Mensch, sein Körper, ist somit die Zielscheibe der Macht (Foucault 2016, S. 174).
„Da die Bio-Macht17 sich der Disziplinarmacht bedient, stehen beide nicht auf derselben Stufe. Vielmehr verleibt sich die Bio-Macht die Disziplinarmacht und deren Techniken ein.“ (Sich 2018, S. 91). Nun zählt die Disziplinarmacht zwar unter die Bio-Macht; es ist jedoch zu betonen, dass Foucault bereits im Kapitel Die Mittel der guten Abrichtung (Überwachen und Strafen) von normierenden Wirkungen qua Normsetzung spricht (vgl. Foucault 2016, S. 234-237). Wird die sprachliche Komponente einbezogen, eröffnet sich eine Verlagerung des Fokus durch die Übersetzung: Der Begriff der Normalisierung18, der der Übersetzung des französischen Begriffs normalisation entspringt, ist vielmehr mit Normung bzw. Standardisierung (Kammler, Parr & Schneider 2008, S. 242) zu übersetzen. Da diese begriffliche Unklarheit und dessen Klärung eine explizitere Betrachtungsweise erfordert19, soll nachfolgend - im Hinblick auf die alterspolitische Thematik - mit dem übersetzten Begriff der Normalisierung gearbeitet werden. Hierauf wird in Kapitel 3.3 nochmals Bezug genommen. Hieran anschließend soll zunächst der effiziente Charakter der Disziplinarmacht dargestellt werden.
[...]
1 Die Etablierung des produktiven Alterns ist jedoch auch anhand verschiedener internationaler Institutionen kontex- tuell zu betrachten (vgl. van Dyk 2015, S. 98).1 Hierzu zählen unter anderem die WHO, die OECD und die UN (vgl. ebd.).
2 siehe auch: Franke 2012, S. 25-28
3 siehe auch: a.a.O., S. 28-32
4 „[] Rückgang von Hungersnöten und Epidemien, die Verbesserung der medizinischen Versorgung [...].“ (van Dyk 2015, S. 18)
5 Eine detaillierte Darstellung der Entwicklung vom negativen zum positiv konnotierten Altersbild wird im sechsten Altenbericht aufgezeigt (vgl. BMFSFJ 2010, S. 225-244).
6 zu den einzelnen Dimensionen des Alters: vgl. a.a.O., S. 11-15.
7 In den Altenberichten wird nicht der Begriff der jungen Alten verwendet. Beispielsweise wird im sechsten Altenbe richt vom dritten Lebensalter (BMFSFJ 2010, S. 27) gesprochen, wobei hiermit primär der Eintritt in die Nacherwerbsphase gemeint ist. Es sind jedoch die darin inbegriffenen Charakteristika, die mit dem Begriff der jungen Alten deckungsgleich sind.
8 zum Diskursbegriff siehe Kapitel 3.3.
9 Die Einteilung nach den Lebensaltern bezieht sich auf die Begriffe des dritten Lebensalters (vgl. van Dyk 2015, S. 22), wobei das dritte Lebensjahr deckungsgleich mit den Charakteristika der jungen Alten ist.
10 Hegemonie kann als die generalisierte Vorherrschaft spezifischer Charakteristika verstanden werden (vgl. Demirovic 2008, S. 17). In diesem Kontext sind es die Merkmale des Erwachsenenalters. Dieses Verständnis wird im vierten Kapitel (insb. Kapitel 4.1) erweitert.
11 Es wird sich innerhalb dieser Arbeit auf den deutschsprachigen Raum bezogen, sodass Altersbilder und politische Regulierungen aus z.B. angloamerikanischen Bereichen nicht eingeschlossen sind. Dies ist maßgeblich darin begründet, dass hier Bezüge zu den deutschen Altenberichten hergestellt werden, in denen sich das aktive Altern widerspiegelt.
12 Ein anderer Begriff ist auch Mittelschichts-Bias (van Dyk 2015, S. 105). Es soll bereits an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass in der Literatur in diesem Kontext ausschließlich vom sozioökonomischen Status gesprochen wird (vgl. Kapitel 4, vgl. kritisch Kapitel 5).
13 Die erste Jahreszahl bezieht sich auf die Ersterscheinung des Werks. Nachführend wird an benötigten Stellen je doch ausschließlich mit der hier verwendeten Auflage gearbeitet, sodass letztere Jahreszahlen angegeben werden.
14 zur Übersicht der Grundlagen zur Umsetzung und den Mechanismen der Disziplinarmacht: vgl. Mümken 2012, S. 47-53.
15 Hierbei ist keine diskursiv erzeugte Materie im Sinne Judith Butlers gemeint.
16 Foucault beschreibt dies explizit im Kapitel Die gelehrigen Körper (siehe Foucault 2016, S. 173-219).
17 siehe Kapitel 3.3
18 Die Disziplinarmacht wirkt „[...] normend, normierend, normalisierend‘ (a.a.O., S. 236)
19 Es sei auf das eben zitiertes Werk und das betreffende Kapitel Disziplinartechnologien/Normalität/Normalisierung (siehe S.242-246) verwiesen.