Diese Hausarbeit befasst sich mit der Frage, wie Lehrerinnen und Lehrern ein entsprechender Umgang mit auf der Flucht traumatisierten Kindern im Schulkontext gelingen kann.
Nach den Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) waren 2019 50% der Asylantragstellenden in Deutschland minderjährig. 2.689 Asylanträge gingen von unbegleiteten Minderjährigen aus. Die Gründe dafür, warum sich Kinder alleine auf die Flucht begeben sind vielfältig, aber nahezu immer existenziell, wie in Kapitel 2.1 bereits angedeutet.
Manche Kinder fassen selbst den Entschluss zu fliehen, andere werden von Angehörigen auf die Flucht geschickt. Sie sind oft Monate oder Jahre unterwegs. Nicht selten sind die Kinder bereits Waisen oder Halbwaisen, oder verlieren ihre Eltern auf der Flucht. Gerade Kinder ohne die Begleitung von Erwachsenen sind anderen Menschen, wie z.B. Schleusern, Menschenhändlern, schutzlos ausgeliefert und werden zudem häufig Opfer von Gewalt.
INHALT
1. Einleitung
2. Menschen auf der Flucht
2.1 Wer flüchtet und warum?
2.2 Kinder auf der Flucht
2.3 Angekommen in Deutschland
3. Psychische Traumatisierung von minderjährigen Flüchtlingen
3.1 Definition Trauma
3.2 Belastungen von minderjährigen Geflüchteten
4. Geflüchtete Kinder in der Schule
4.1 Schulpflicht
4.2 Herausforderungen für Lehrerinnen und Lehrer
4.3 Umgang mit traumatisierten geflüchteten Kindern
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. EINLEITUNG
In dem Seminar „Schule in Migrationsgesellschaft“ bei Dr. Thomas B. wurden im Rahmen einer Sitzung verschiedene exemplarische Schicksale von Kindern besprochen, die nach Deutschland migrierten und in der Schule ankamen, und die daraus resultierenden Herausforderungen für Schule, Lehrerinnen und Lehrer. Auch wenn die Sitzung thematisch nicht direkt die Traumatisierungen von geflüchteten Minderjährigen aufgegriffen hatte, regten diese Beispiele jedoch (persönliche) Fragen in mir an: Welche Belastungen tragen geflüchtete Kinder mit sich? Sind Kinder mit Fluchterfahrungen zwangsläufig traumatisiert? Wie zeigt sich das? Wie kann ich als angehende Grundschullehrerin dem angemessen begegnen? Hat die Institution Schule Möglichkeiten solche Kinder entsprechend zu begleiten? Wo sind Chancen und Grenzen für Lehrkräfte im Umgang mit diesen Kindern? Diese Überlegungen und Fragen führten mich dazu, mich mit dem Thema „Traumatisierungen von minderjährige Flüchtlinge in der Schule“ und der Fragestellung der folgenden Arbeit zu befassen: Wie kann Lehrerinnen und Lehrer ein entsprechender Umgang mit auf der Flucht traumatisierten Kindern im Schulkontext gelingen?
Ein Gespräch mit meiner Mutter, die Grundschullehrerin ist, hat mich zudem in meinen Recherchen zum Thema herausgefordert und gleichzeitig motiviert. Ich erzählte ihr, womit ich mich thematisch in dieser Hausarbeit befassen möchte. Sie konnte unmittelbar im Gespräch von eigenen „Erfahrungen“ berichten und erzählte von einem geflüchteten Mädchen aus ihrer Klasse, bei dem sie - ohne psychologisch professionell ausgebildet zu sein - von einer Traumatisierung, durch vergangene, dramatische Fluchterfahrungen, ausgeht. Auch äußerte meine Mutter ihre persönliche (Handlungs-)Unsicherheit in diesem Fall. In dem Gespräch wurde mir klar, wie real, persönlich, individuell und herausfordernd diese Thematik und ein Umgang mit traumatisierten geflüchteten Kindern tatsächlich ist. Die Unsicherheiten, die meine Mutter in diesem Kontext äußerte, sind wahrscheinlich auch anderen Lehrkräften nicht unbekannt. Gleich zu Beginn dieser Arbeit möchte ich entsprechende Befürchtungen äußern, dieser Thematik mit ihren komplexen Herausforderungen nicht ganz gerecht werden zu können. Trotzdem wage ich es, mich mit den Herausforderungen zu befassen und so Möglichkeiten und Ansätze für einen gelingenden Umgang mit der Problematik von traumatisierten geflüchteten Kindern in Schule und Unterricht zu erörtern.
In der folgenden Arbeit soll zunächst allgemein auf die momentane Flüchtlingssituation und die Fluchtursachen eingegangen werden. Danach wird spezifischer die Situation von Kindern auf der Flucht und das Ankommen von geflüchteten Minder ährigen in Deutschland dargestellt. In einem zweiten Teil wird näher auf den Terminus Trauma und die möglichen Belastungen von geflüchteten Kindern eingegangen, die Kinder durch die Fluchterfahrung mitbringen. Der dritte Teil beschäftigt sich mit den Herausforderungen denen sich Lehrerinnen und Lehrer konfrontiert sehen, wenn sie mit den bei ihnen im Unterricht sitzenden und durch die Flucht traumatisierten Kindern umgehen müssen. Schließlich sollen handlungsorientierte Ansätze zum Umgang mit traumatisierten geflüchteten Kindern aufgezeigt werden, um dann zu einem abschließenden Fazit zu kommen. Insgesamt wird der Fokus in dieser Arbeit auf jüngere Kinder und die Arbeit in Grundschulen gelegt sein.
2. MENSCHEN AUF DER FLUCHT
2.1 WER FLÜCHTET UND WARUM?
Laut Statistiken des UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR waren Ende des Jahres 2018 70,8 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht (vgl. UNHCR, 2019, o. S.). Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zählen all jene Menschen als Flüchtlinge, die aufgrund von ethnischer oder religiöser Verfolgung, aufgrund von schlechten sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Bedingungen, oder durch einen (Bürger-)Krieg, aus ihrem Heimatland/- staat fliehen müssen (vgl. Schubert / Klein, 2018, o. S.). Dieser Definition folgt auch die vorliegende Arbeit.
Die meisten der bei UNHCR registrierten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Südsudan (vgl. UNHCR, 2019, o. S.). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verzeichnet eine Gesamtzahl von 142.509 Asylanträgen, die im Jahr 2019 in Deutschland gestellt wurden. Auch wenn diese Zahl in der Statistik zu dem ausgewählten Vergleichsjahr 2015 (441.899 Asylanträge) zunächst deutlich geringer ausfällt, so sind 2019 im Vergleich zu den Jahren 2010 mit 41.332 und 2005 mit 28.914 Asylanträgen, eine insgesamt immer noch deutlich erhöhte Anzahl an Asylsuchenden zu verzeichnen, also ein Anstieg auf das drei bis fünffache (vgl. BAMF, 2019, S. 19).
Die Zahl der Flüchtenden weltweit ist derzeit so hoch wie nie zuvor. Fast jährlich ist eine neue Höchstzahl zu verzeichnen. Solange die Fluchtursachen wie Krieg und Gewalt, Perspektivlosigkeit und Armut, Diskriminierung und Verfolgung, Rohstoffhandel und Landraub, Umweltzerstörung und Klimawandel in den Ländern selbst nicht bekämpft werden können, wird vermutlich auch die Zahl der zur Flucht gezwungenen Menschen nicht sinken. (Vgl. Medico international, 2019, o. S.)
2.2 KINDER AUF DER FLUCHT
„Die Zahl der Kinder auf der Flucht ist auf historischem Höchststand.“ (Zito, 2017, S. 235) Nach den Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) waren 2019 50% der Asylantragstellenden in Deutschland minderjährig. Ungefähr 10% sind Teenager und Jugendliche über elf Jahren. Fast 30% waren Kinder unter vier Jahren. 22% von diesen Kindern sind in Deutschland Geborene von unter einem Jahr. Knapp 10% der Minderjährigen waren im Alter von vier bis elf Jahren und entsprechen in etwa dem Grundschulalter. (Vgl. BAMF, 2019, S. 20)
2.689 Asylanträge gingen von unbegleiteten Minderjährigen aus (vgl. ebd., S. 22). Die Gründe dafür, warum sich Kinder alleine auf die Flucht begeben sind vielfältig, aber nahezu immer existenziell, wie in Kapitel 2.1 bereits angedeutet. Manche Kinder fassen selbst den Entschluss zu fliehen, andere werden von Angehörigen auf die Flucht geschickt. Sie sind oft Monate oder Jahre unterwegs. Nicht selten sind die Kinder bereits Waisen oder Halbwaisen, oder verlieren ihre Eltern auf der Flucht. Gerade Kinder ohne die Begleitung von Erwachsenen sind anderen Menschen, wie z.B. Schleusern, Menschenhändlern, schutzlos ausgeliefert und werden zudem häufig Opfer von Gewalt. (Vgl. Rieger, 2010, S. 21)
Zito (2017, S. 235f.) beschreibt unterschiedliche Erfahrungen, die ein Kind auf der Flucht, und oft schon vor der Flucht, möglicherweise hat durchmachen müssen. Dabei sind diese Erfahrungen, wie auch jedes einzelne Kind äußerst individuell: „Auch bei Flüchtlingskindern handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe, sondern um Individuen in unterschiedlichen sozialen Konstellationen und Kontexten, mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen“ (ebd., S. 235). Oft ist der Grund Krieg oder Armut. Vielleicht hat es vor der Flucht Verfolgung oder Diskriminierung erlebt. Seine Heimat, Freunde, Teile der Familie, Spielsachen musste es hinter sich lassen. Auf der Flucht erlebte es mit hoher Wahrscheinlichkeit große Verluste, Heimweh, Hunger, Kälte, Ängste, große Unsicherheiten, Erschöpfung, Gewalt, vielleicht lebensbedrohliche Umstände. Häufig begleiten die betroffenen Kindern Sorgen, Sehnsüchte, Trauer oder auch Schuldgefühle. (Vgl. ebd., S. 235f.) Fest steht, dass das Kind auf der Flucht äußerst erschütternde und prägende Erfahrungen machte, die es ein Leben lang begleiten und stark verändern können. Vor ihm liegt ein Neubeginn in einem fremden Land mit anderer Kultur, Sprache und Verhaltensweisen, in welchem es sich einfinden muss.
2.3 ANGEKOMMEN IN DEUTSCHLAND
Obwohl die Flüchtlingszahlen weltweit gestiegen sind, kommen immer weniger Flüchtlinge in Deutschland an. Die meisten Flüchtlinge leben in Afrika. (Vgl. Löhlein, 2010, S. 27) Das dies kein Zufall ist, liegt vor allem an in Kraft getretene Regelungen, die es Asylbewerbern erschweren, in Deutschland anzukommen (vgl. ebd., S. 31).
Wenn allerdings Minderjährige in Deutschland ankommen, so ist die Kinder- und Jugendhilfe verpflichtet, das Wohl der Kindern und Minderjährigen zu schützen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dabei ist es egal, welchem Staat die Kinder angehören und wie es um ihren Aufenthaltsstatus bestimmt ist. (Vgl. Schwarz / Tamm, 2016, S. 38)
So wird z.B. bei unbegleiteten Minderjährigen ein Clearingverfahren durchgeführt. Was genau jedoch dabei abgeklärt wird, ist nicht eindeutig definiert. (Vgl. Riedelsheimer, 2010, S. 63) Im Wesentlichen geht es nach Riedelsheimer (ebd., S. 64) im Clearingverfahren jedoch darum, die „Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu ermitteln“ (a.a.O.) und mit diesen Erkenntnissen weiteres Vorgehen zur Sicherung des Kindeswohls zu planen und zum Wohle des einzelnen Kindes zu handeln. Dabei sind vor allem pädagogische Hilfe (pädagogische Unterstützung für Minderjährigen entsprechend des individuellen Bedarfs in der Unterbringung), die gesetzliche Vertretung (meist ein vom Amtsgericht bestellter Vormund), die schulische Situation (Gewährleistung entsprechender Beschulung) und auch psychologische / therapeutische Hilfe (Maßnahmen zur psychischen Stabilisierung und psychologischer Begleitung bei Bedarf gewährleisten) in besonderer Weise abzuklären. (Vgl. ebd. S. 64ff.)
3. PSYCHISCHE TRAUMATISIERUNG VON MINDERJÄHRIGEN FLÜCHTLINGEN
Wie oben beschrieben durchleben Flüchtlinge dramatische Umstände und machen Erfahrungen, welche nicht selten traumatisierend sind. Gerade Kinder, die Sicherheit und ein stabiles Umfeld benötigen, um eine gesunde Entwicklung zu erfahren, stehen in Gefahr unter solchen Fluchterfahrungen ein Trauma zu erleiden. Nicht umsonst gehört es zu den wesentlichen Punkten zum Kindeswohl, psychologische und therapeutische Hilfe zu gewährleisten. Vorab jedoch möchte ich den Begriff „Trauma“ zum allgemeinen Verständnis definieren, um dann näher auf die Belastungen von geflüchteten Kindern einzugehen.
3.1 DEFINITION TRAUMA
Das Wort „Trauma“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Wunde“ / „Verletzung“. Bei einem Trauma spricht man von einem belastenden Ereignis oder einer Situation, welche von der betroffenen Person mit den vorhandenen Bewältigungsstrategien nicht verarbeitet werden kann. Daraus folgt ein „Zusammenbruch des körperlichen und / oder seelischen Gleichgewichts“, so Maywald (2018, S. 27). Es entsteht eine schwerwiegende seelische Verletzung. Zusammenfassend können die vielfältigen Folgen eines Traumas in dem Störungsbild der Posttraumatischen Belastungsstörung beschrieben werden (vgl. a.a.O.). Häufig leiden die betroffenen Personen unter unkontrollierten Flashbacks, die die traumatisierende Situation immer wieder hervorrufen und die Situation jeweils immer wieder innerlich durchlebt wird.
Dabei können viele Ereignisse ein Trauma hervorrufen. Klassische Beispiele sind Ohnmachtserfahrungen wie ein schrecklicher Autounfall, Flucht, sexueller Missbrauch, Bombenangriffe, Naturkatastrophen oder Gewalterfahrungen. (Vgl. Krol, 2019, o. S.)
3.2 BELASTUNGEN VON MINDERJÄHRIGEN GEFLÜCHTETEN
Mlodoch (2017, S. 101) kritisiert in ihrem Buch „Gewalt, Flucht - Trauma?“ zunächst die „zurzeit gängige massenhafte Diagnose von Geflüchteten als 'traumatisiert'“. Auch Krol (2019, o. S.) schreibt in einem Artikel des SWR, dass der Begriff „Trauma“ zu schnell bedenkenlos im Alltagssprachgebrauch genutzt wird. Gerade Flüchtlinge werden häufig allgemein als traumatisierte Menschen beurteilt. Auch wenn traumatisierende Erfahrungen gemacht worden sind, „entwickeln nicht alle Geflüchteten schwere psychische Probleme“ (Maywald, 2018, S. 26). Traumatische Erlebnisse führen zunächst nicht automatisch zu einer Traumatisierung. Ob tatsächlich ein Trauma bei einem geflüchteten Kind entsteht, kommt auf verschiedene Faktoren an. Vor allem sind die individuell vorhandenen Resilienzfaktoren entscheidend. Je nach Fähigkeit, sich den geschehenen Belastungen durch vorhandene Bewältigungsressourcen zu widersetzen, kann sich ein Kind mehr oder weniger von dem Ereignis erholen und sogar für die eigene Entwicklung nutzen. (Vgl. Maywald, 2018, S. 27)
Trotzdem bringen geflüchtete Kinder in den meisten Fällen physische und psychische Belastungen mit sich, wie die von Maywald (ebd., S. 25) beschriebene Untersuchung einer großen bayrischen Erstaufnahmeeinrichtung (2015) zeigt: Bei 63 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen wurde z.B. Karies festgestellt, 25 Prozent hatten Erkrankungen der Atemwege, bei 42 Prozent der Untersuchten fehlten Impfungen, jedes zehnte Kind benötigte eine akute Behandlung, 16 Prozent litten unter Anpassungsstörungen und mehr als ein Fünftel der Kinder (22 Prozent) unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Maywald (a.a.O.) zitiert die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Die das Risiko für die Entwicklung einer Belastungsstörung bei Kindern, die länger als zehn Monate auf der Flucht waren, als besonders hoch einschätzt. Diesem erhöhten Risiko sind 60 Prozent der Kinder ausgesetzt. Auch die belastenden Umstände im Ankunftsland erhöhen die Gefahr der Entwicklung von psychosozialen Belastungen. Zudem sei das Risiko für eine langfristige Beeinträchtigung der Kinder und Jugendlichen durch psychische Gesundheitsprobleme insgesamt hoch. (Vgl. ebd., S. 25f.)
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