Kriegsfolgen und Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina
I. Ausgangssituation Bosnien-Herzegowinas:
1. unterentwickelte Teilrepublik, dennoch
- wirtschaftliches Potential vorhanden (41% bewaldete Fläche, Bodenschätze (z. B.: Bauxit und Eisenerz))
-Energiereserven (Braunkohlevorräte, Wasserkraftpotential)
2. Industrielle Schwerpunkte
-zentralbosnisches Becken (Becken von Sarajevo-Zenica)
-Gravitationsbereich von Tuzla
Bergbau und Industrie erwirtschafteten vor Kriegsausbruch 51,6% des Bruttomaterialprodukts(1990) (BÜSCHENFELD 2000, S.55) ·Sarajevo drittwichtigster Industriestandort Ex-Jugoslawiens
3.Export(1990)
-53% der Produkte in EU-Länder, 21% in ehemalige Sowjetunion, 24% in jugoslawische Nachbarstaaten
-Handelsbilanzüberschuss
4. Infrastruktur
-Ausbau ab Mitte der 60er Jahre: 11500km befestigtes Straßennetz
-lediglich weitmaschiger Erschließungsgrad(20,3km/1000km²)der Eisenbahn
II. Kriegsschäden
Gem. BÜSCHENFELD hat der Krieg im Gefolge der Desintegration des sozialistischen
Jugoslawiens die Aufwärtsentwicklung nicht nur gestoppt, sondern Bosnien-Herzegowina um Jahrzehnte zurückgeworfen
1.Bevölkerung
-zahlreiche Todesopfer (215000 Muslime, 30000 Kroaten, 25000 Serben), sowie Fluchtbewegungen und Vertreibungen
- Bevölkerung verringert sich von 4,3 Mio. (1991) auf 3,3 Mio. (1999)
2. Materielle Gesamtschäden
-kontroverse Einschätzungen:
laut bosnischer Regierung 40 Mrd. US$ Schaden, Weltbank geht von 10-20Mrd. US$ Schaden aus
-Schäden auch durch Demontagen und Plünderungen, jahrelanges Ausbleiben von Wartung und Unterhaltung entstanden
3.Infrastruktur
-über ein Drittel des Magistral- bzw. Regionalstraßennetzes nur streckenweise benutzbar Ausweichmöglichkeiten: provisorisch ausgebaute Nebenstrecken oder sogar Forstwege · wichtige Verkehrsteile unterbrochen
4.Wohnraum
-besonders hohe Schäden im Bereich ehemaliger Frontlinien (z. B.: im Bannkreis von Sarajevo, in Teilen Zentral- und Ostbosniens)
-über 30% der 1991 vorhandenen Wohneinheiten total ruiniert oder stärker beschädigt
-in Städten hauptsächlich gesellschaftseigene Wohnblöcke, auf dem Land eher private Einfamilienhäuser
5.Soziale Infrastruktur
Sachschäden und personelle Ausfälle wiegen sich besonders s auf Bildungs- und Gesundheitswesen negativ aus.
Gründe: Zweckentfremdung, Zerstörung und Verwüstung von knapp 60% der Schulgebäude, Demolierung von 30% der Krankenhäuser
6.Produktionskraft
-beinahe Stillstand; im Vergleich zu 1990 ist die industrielle Erzeugung zum Zeitpunkt der Waffenruhe auf
9% (Osteuropa-Institut 1998, S.102) bzw. 4% gesunken (bfai 1996, S.9)
7.Strom- und Wasserversorgung
-Leitungsnetz zu 50-80% zusammengebrochen, knapp 40% des erzeugten Stroms kommen beim Verbraucher an
-Versorgung vielerorts bestenfalls stundenweise
8.Landwirtschaft
-ohnehin wenig leistungsfähig, da sich nur knapp ein Fünftel überhaupt zum landwirtschaftlichen Anbau eignen, daher Tierhaltung dominant
-Kriegsbedingter Verlust von Viehbeständen(ca.60-70%) raubte Großteil der Kleinbauern Existenzgrundlage
- Einbuße der Agrarproduktion insgesamt 50-70%
-Per Saldo ist das bosnische Sozialprodukt um 80% geschrumpft
III.Wiederaufbau
1.Hilfemaßnahmen
1.1-Schwerpunkte: Sicherstellung physischen Überlebens
(70% der Bevölkerung war zu Beginn auf humanitäre Unterstützung angewiesen, heute sind es mehr als 30%)
-Wiederaufbauprogramm der Weltbank, der EBRD (European Bank for Reconstruction and Development) und der EU für 1996-1999 als Basis für sukzessiv ökonomische Erneuerung Gesamtbedarf von 5,1Mrd.US$ finanziert durch obengenannte Einrichtungen, sowie durch biund multilaterale Zusagen von 60 Staaten
Absicht: Steigerung des Sozialprodukts auf zwei Drittel seines Vorkriegsstandes bis zur Jahrtausendwende
-für Umsetzung verantwortlich: rund 400 NGOs (Non-govermental organisations)
1.2.Realisierungsstand der Maßnahmen Mitte 1999
-Fortschritte bei Instandsetzung der Infrastruktur(z.B. diverse Tunnel geöffnet, zwei Drittel aller Magistralstraßen wieder befahrbar)
-Wiederherstellung des Schienennetzes weniger vorangekommen(Verkehr nur mit Dieselloks sowie reduzierten Geschwindigkeiten möglich)
1.3.Wiederherstellung von Wohnquartieren
-hohe Priorität, da Voraussetzung für Repatriierung von Flüchtlingen: Schwerpunkt auf Gebiete mit hohen Rückkehrerzahlen
-bislang konnte ein Viertel der nutzlosen Unterkünfte wieder bewohnbar gemacht werden, ca. 400.000 Menschen untergebracht werden
-Enteignungen wurden durch ein Gesetz rückgängig gemacht(3/1998)
-Wohnraum weiterhin knapp, Unterkünfte überbelegt, für ausreichende Bedarfsdeckung werden etwa noch 4-6Mrd. DM von Nöten sein
1.4.Fernwärmezuleitung
-ausschließlich Sarajevo kann 1999 wieder flächendeckend beliefert werden
-in anderen Mittel- und Kleinstädten, wie Banja Luka, stehen Reparaturen noch größtenteils aus
-auf dem Land ist erst die Hälfte der Leitungen wieder funktionstüchtig
1.5.Schule
-nach 4 Jahren Unterbrechung Schulbesuch in weiten Landesteilen wieder möglich, Mangel an Lehr- und Lernmaterialien
-große Umstellung aufgrund neuer, nicht mehr extrem spezialisierter, Lehrpläne
1.6.Produktionszahlen
-Ergebnisse enttäuschend
-knapp ein Viertel der Betriebe haben wieder mit Fabrikation begonnen, es mangelt an Kapital
-1998 wird im Vergleich zu 1991 ein Output von 18% erreicht
1.7.Arbeitslosigkeit
-hohe Arbeitslosigkeit dem Produktionssektor zuzuschreiben, vor dem Krieg arbeiteten fast die Hälfte aller Erwerbstätigen im sekundären Sektor, nach amtlichen Angaben hat sich die Arbeitslosenquote von 90%(1995) auf 35%(1999) reduziert, seit 1997 kein Rückgang mehr
-aufgrund von Diskriminierungen ist es für heimkehrende Flüchtlinge schwer, Arbeit zu finden
- Schattenwirtschaft (laut Schätzungen 250.000 Beteiligte)
2.Verseuchung durch Landminen
-Erschwernis des Wiederaufbaus(ca.1, 5-6 Mio. Sprengkörper in über 17.000 Minenfeldern deponiert)
-nur ein Drittel der Gebiete etwaig bekannt, da Kartierungen nur selten angefertigt wurden
-bislang nur etwa 5% des Gesamtbestandes entschärft
- ein vollständiges Mine Clearing könnte vermutlich Jahrzehnte dauern
3.Hilfsprogramm
-neue Prioritäten (1998/99): Wirtschaftsreformen
-Erfolge bei makroökonomischer Stabilisierung
-Mitte 1998 Einführung der Einheitswährung ,,Konvertible Mark" (KM); Wertbeständig, Inflationsrate rückläufig
-wichtigste Aufgabe: Privatisierung ,,gesellschaftlicher Unternehmen", um Tür für Auslandsinvestitionen zu öffnen
-Privatisierungsgesetz tritt 1998 in Kraft, doch Umsetzung lässt auf sich warten, vermutlicher Anlauf 1999
-Wiederaufbau schleppender als erwartet
Grund: Erschwernisse, an denen alle Beteiligten schuld sind (Koordinationsfehler führen zu ineffektiven Überschneidungen) bürokratische Hürden wirken erschwerend Bevölkerung eher lethargisch und desinteressiert, ,,Versorgungsmentalität"
Die zur Verfügung gestellten Finanzhilfen nur zum Teil umgesetzt worden Bis 1998 lediglich 62% der bewilligten Tranchen implementiert
Gem. BÜSCHENFELD ist es eher unwahrscheinlich, dass die für das Jahr 2000 anvisierte Zielvorstellung bis 2000 in die Tat umgesetzt wird.
Häufig gestellte Fragen
Was war die Ausgangssituation Bosnien-Herzegowinas vor dem Krieg?
Bosnien-Herzegowina war eine unterentwickelte Teilrepublik Jugoslawiens, besaß aber wirtschaftliches Potential durch bewaldete Flächen, Bodenschätze (wie Bauxit und Eisenerz) und Energiereserven (Braunkohle und Wasserkraft). Industrielle Schwerpunkte lagen im zentralbosnischen Becken (Sarajevo-Zenica) und im Gravitationsbereich von Tuzla. Bergbau und Industrie erwirtschafteten 51,6% des Bruttosozialprodukts im Jahr 1990. Sarajevo war der drittwichtigste Industriestandort Ex-Jugoslawiens. Der Export ging zu 53% in EU-Länder, zu 21% in die ehemalige Sowjetunion und zu 24% in jugoslawische Nachbarstaaten. Es gab einen Handelsbilanzüberschuss. Das Straßennetz war ab Mitte der 60er Jahre ausgebaut worden, der Erschließungsgrad der Eisenbahn war jedoch weitmaschig.
Welche Kriegsschäden erlitt Bosnien-Herzegowina?
Der Krieg stoppte nicht nur die Aufwärtsentwicklung, sondern warf Bosnien-Herzegowina um Jahrzehnte zurück. Es gab zahlreiche Todesopfer (etwa 270.000), Fluchtbewegungen und Vertreibungen. Die Bevölkerung verringerte sich von 4,3 Mio. (1991) auf 3,3 Mio. (1999). Die materiellen Schäden werden auf 10-40 Mrd. US$ geschätzt. Die Infrastruktur wurde stark beschädigt, über ein Drittel des Straßennetzes war nur streckenweise benutzbar. Über 30% der Wohneinheiten waren total ruiniert oder stärker beschädigt. Die soziale Infrastruktur (Bildungs- und Gesundheitswesen) litt unter Sachschäden und personellen Ausfällen. Die industrielle Erzeugung sank auf 4-9% des Wertes von 1990. Das Leitungsnetz für Strom und Wasser war zu 50-80% zusammengebrochen. Die Landwirtschaft erlitt Verluste von 50-70%. Das bosnische Sozialprodukt schrumpfte um 80%.
Welche Hilfemaßnahmen wurden zum Wiederaufbau ergriffen?
Schwerpunkte der Hilfemaßnahmen waren die Sicherstellung des physischen Überlebens und ein Wiederaufbauprogramm der Weltbank, der EBRD und der EU für 1996-1999. Der Gesamtbedarf wurde auf 5,1 Mrd. US$ geschätzt, finanziert durch internationale Organisationen und bilaterale Zusagen. Ziel war eine Steigerung des Sozialprodukts auf zwei Drittel des Vorkriegsstandes bis zum Jahr 2000. Verantwortlich für die Umsetzung waren rund 400 NGOs.
Wie war der Realisierungsstand der Wiederaufbaumaßnahmen Mitte 1999?
Es gab Fortschritte bei der Instandsetzung der Infrastruktur, z.B. wurden diverse Tunnel geöffnet und zwei Drittel aller Magistralstraßen waren wieder befahrbar. Die Wiederherstellung des Schienennetzes kam weniger voran. Ein Viertel der zerstörten Unterkünfte konnte wieder bewohnbar gemacht werden, ca. 400.000 Menschen wurden untergebracht. Sarajevo konnte wieder flächendeckend mit Fernwärme beliefert werden. Der Schulbesuch war in weiten Landesteilen wieder möglich. Knapp ein Viertel der Betriebe hatte wieder mit der Fabrikation begonnen. Die Arbeitslosenquote sank laut amtlichen Angaben von 90% (1995) auf 35% (1999), jedoch stagnierte sie seit 1997.
Welche Erschwernisse gab es beim Wiederaufbau?
Ein wesentliches Problem war die Verseuchung durch Landminen (ca. 1,5-6 Mio. Sprengkörper in über 17.000 Minenfeldern). Nur ein Drittel der Gebiete war bekannt. Ein vollständiges Mine Clearing könnte Jahrzehnte dauern. Des Weiteren gab es Koordinationsfehler, bürokratische Hürden und eine lethargische Bevölkerung mit einer ,,Versorgungsmentalität". Die zur Verfügung gestellten Finanzhilfen wurden nur zum Teil umgesetzt (bis 1998 lediglich 62% der bewilligten Tranchen).
Welche neuen Prioritäten gab es im Hilfsprogramm ab 1998/99?
Neue Prioritäten waren Wirtschaftsreformen. Es gab Erfolge bei der makroökonomischen Stabilisierung. Mitte 1998 wurde die Einheitswährung ,,Konvertible Mark" (KM) eingeführt. Die wichtigste Aufgabe war die Privatisierung ,,gesellschaftlicher Unternehmen", um Auslandsinvestitionen anzuziehen. Das Privatisierungsgesetz trat 1998 in Kraft, doch die Umsetzung ließ auf sich warten.
- Arbeit zitieren
- Kerstin Benedikt (Autor:in), 2000, Kriegsfolgen und Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/100104