In der vorliegenden Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, ob der Rechtspopulismus in Deutschland eine Bedrohung für die europäischen Werte, also "die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören." (vergleiche Artikel 2 EU-Vertrag von Lissabon) darstellt. Ferner wird untersucht, ob sich die AfD als eine rechtspopulistische Partei einordnen lässt und inwiefern die Partei Einfluss auf Bundes- und Europaebene hat.
Seit Gründung der "Alternative für Deutschland" (AfD) im Februar 2013 erlangte ihr politischer Aufstieg hohe mediale, politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Innerhalb von nur wenigen Jahren ist es der AfD gelungen, sich im deutschen Parteienspektrum zu etablieren. Schon kurz nach der Gründung konnte sie beachtliche Wahlergebnisse erzielen. Seit 2014 ist die AfD nicht nur in allen Landesparlamenten und im Bundestag, sondern auch im Europäischen Parlament vertreten.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau und Zielsetzung der Arbeit
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Begriff des Populismus im Allgemeinen und Rechtspopulismus im Speziellen
2.2 Rechtspopulismus in Deutschland
2.3 Die Partei 'Alternative für Deutschland'
2.3.1 Historischer Hintergrund: Gründungsgeschichte und Gründungsmitglieder
2.3.2 Einordnung im Parteiensystem
2.3.3 Wählerschaft und Bundestagswahlprogramm
3 Ist-Zustand: Die AfD heute . 17
3.1 Die Flüchtlingspolitik der AfD
3.2 Besondere Ereignisse
3.2.1 Die Spendenskandale
3.2.2 Provokante Äußerungen des rechten Flügels
3.2.3 Die "Vogelschiss-Rede"
3.2.4 Das Scheitern der Bundestagsvizepräsidenten-Wahl
3.3 Europawahl
3.3.1 Mitgliedschaft in der EFDD-Fraktion
3.3.2 Die Spitzenkandidaten der AfD zur Europawahl
3.3.3 Die Wählerschaft und das Wahlprogramm der AfD zur Europawahl
3.3.4 Europawahlkampagne der AfD
3.3.5 Wahlprognosen der Europawahl
4 Schlussbetrachtung und Fazit
4.1 Schlussbetrachtung
4.2 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Das Extremismus-Modell
Abb. 2: Unterschiede und Gemeinsamkeiten Rechtsextremismus und Rechts- populismus
Abb. 3: Visualisierung des Wahlprogrammpunktes: Wahlplakat der AfD zum Thema Flüchtlingspolitik
Abb. 4: Deutsche Parteien und Fraktionen im Europaparlament (Stand: April 2019)
Abb. 5: Neue Sitzverteilung im EU-Parlament nach der Wahl und Brexit
Abb. 6: Verteilung der deutschen Abgeordneten auf die Fraktionen
Abb. 7: Stimmenanteil für EU-Skeptische Parteien in Europa (2013-2018)
Abb. 8: Wahlplakate der AfD zu verschiedenen Wahlprogrammpunkten
Abb. 9: Wahlergebnisse der letzten Europawahl (2014) in Deutschland
Abb. 10: Prognose der Wahlergebnisse von Anfang Mai
Abb. 11: Endergebnisse Europawahl 2019 in Deutschland
Abb. 12: Politische Landkarte nach Europawahl 2019 in Deutschland und AfD-Wahlkarte
Abb. 13: Ergebnisse Europawahl 2019: Sitze nach Fraktionen und Gewinn/Verluste
Abb. 14: Ergebnisse Europawahl 2019 in Deutschland: Sitze nach Fraktionen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Seit Gründung der „Alternative für Deutschland“ (AfD1 ) im Februar 2013 erlangte ihr po- litischer Aufstieg hohe mediale, politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Inner- halb von nur wenigen Jahren ist es der AfD gelungen, sich im deutschen Parteienspek- trum zu etablieren. Schon kurz nach der Gründung konnte sie beachtliche Wahlergeb- nisse erzielen. Seit 2014 ist die AfD nicht nur in allen Landesparlamenten und im Bun- destag, sondern auch im Europäischen Parlament vertreten.2
Alle fünf Jahre wird ein neues Europaparlament gewählt. Zwischen dem 23. und 26. Mai 2019 finden in allen 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum neunten Mal Wah- len zum Europäischen Parlament statt (in Deutschland am Sonntag, dem 26. Mai 2019).3 Das Europaparlament erlässt zusammen mit der EU-Kommission und dem Minister- rat Gesetze, die für die gesamte EU gelten.4 Zur Europawahl treten in Deutschland 13 Parteien an. Die gewählten Parlamentarier organisieren sich innerhalb des europäischen Parlaments in neun Fraktionen.
Schon weit vor den Europawahlen 2019 wird ihre große Bedeutung für Europa immer deutlicher. Themen wie der Brexit, die Flüchtlingspolitik und eine mögliche EU-Auf- nahme der Türkei stehen im Zentrum politischer Diskussionen. Ein fundamentaler Wan- del im europäischen Parteiensystem lässt sie darüber hinaus zur Richtungswahl über die Zukunft der EU werden. Bisher haben etablierte Parteien in den letzten Jahren in nahezu allen Mitgliedstaaten an Zustimmung verloren. Hingegen haben EU-skeptische Parteien, wie die AfD, europaweit an Einfluss gewonnen.5 Die nach der Europawahlwahl 2014 in drei Fraktionen noch stark zersplitterten EU-skeptischen Kräfte verfolgen mitt- lerweile das Ziel, sich ab 2019 in einer Sammelfraktion zusammenzuschließen.6
1.2 Aufbau und Zielsetzung der Arbeit
In der vorliegenden Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, ob der Rechtspopulis- mus in Deutschland eine Bedrohung für die europäischen Werte, also „die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehö- ren.“7 darstellt. Ferner wird untersucht, ob sich die AfD als eine rechtspopulistische Partei einordnen lässt und inwiefern die Partei Einfluss auf Bundes- und Europaebene hat. Um diesem Ziel analytisch näher zu kommen, ist die Arbeit in vier Teile gegliedert.
Das erste Kapitel setzt sich mit der Problemstellung und dem Aufbau der Arbeit ausei- nander. Im zweiten Kapitel wird ein theoretischer Rahmen vorgestellt zum Thema Popu- lismus im Allgemeinen und Rechtspopulismus im Speziellen. Darüber hinaus wird ge- nauer auf die Gründungsgeschichte und Gründungsmitglieder der AfD sowie den histo- rischen Hintergrund eingegangen. Anschließend wird eine Verortung der AfD im Partei- ensystem vorgenommen. Im dritten Kapitel wird der Ist-Zustand der AfD beleuchtet. Hier wird zunächst die Flüchtlingspolitik der Partei erläutert. Im Anschluss werden aktuelle und besondere Ereignisse vorgestellt. Der letzte Abschnitt befasst sich mit der Europa- wahl, den Spitzenkandidaten, dem Wahlprogramm und die aktuelle Europawahlkam- pagne der AfD.
Im letzten Kapitel wird in der Schlussbetrachtung ein komprimierter Einblick über den Ausgang der Europawahl 2019 gegeben sowie die Forschungsfrage beantwortet. Da- nach rundet ein Fazit die Arbeit ab.
2 Theoretische Grundlagen
Die theoretischen Grundlagen befassen sich mit dem Thema Populismus und Rechtspo- pulismus in Deutschland und Europa. Dabei wird auf die politische Einordnung, die cha- rakteristischen Merkmale sowie eine Abgrenzung zum Rechtsextremismus eingegan- gen. Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse wird anschließend zum Verständnis der Entstehung der AfD ihre Gründungsgeschichte beleuchtet. Das Kapitel endet mit einer näheren Vorstellung und Betrachtung der AfD.
2.1 Begriff des Populismus im Allgemeinen und Rechtspopulismus im Spe- ziellen
Der Begriff Populismus wurde erst seit dem Jahre 2000 zu einem wichtigen gesell- schaftspolitischen Thema. Der Forschungsstand ist weit fortgeschritten und es gibt zahl- reiche Positionen innerhalb der Politikwissenschaft. 8
Im Zentrum des Populismus‘ steht das Volk. Die Grundannahme ist, dass das Volk als homogene Einheit handelt. Es geht beim Populismus stets darum, den Willen des Volkes durch eine starke Führungspersönlichkeit umzusetzen. So soll eine "Volksherrschaft" entstehen.9 Im Alltag wird der Populismus häufig mit einer popularitätsheischenden, den Stimmungen des Volkes nachlaufenden und nachgebenden Politik gleichgesetzt.10 Der Populismus setzt sich dabei nicht mit unterschiedlichen Interessen und innergesell- schaftlichen Konflikten sowie Kompromissfindungsprozessen auseinander, sondern lehnt diese strikt ab. Die Führungsposition und die „Wir-Gruppe“ sind nach Ansicht der Populisten die „Gute Seite“. Die „Anderen“ sind ihrer Meinung nach eine potentielle Ge- fahr für die Bevölkerung und müssen ausgegrenzt werden wie z.B.: Ausländer, Juden, Muslime, Roma und Sinti, Homosexuelle, Obdachlose oder Flüchtlinge.11
Die Politikwissenschaftler DECKER und LEWANDOWSKY identifizierten (in Reihen- folge ihrer Radikalität) einige besondere Stilmittel des Populismus, die zum einen die rhetorische Ansprache, zum anderen die Ästhetik des Auftritts eines Populisten meint12:
- Rückgriff auf common sense-Argumente
- Vorliebe für radikale Lösungen
- Verschwörungstheorien und Denken in Feindbildern
- Provokation und Tabubruch
- Emotionalisierung und Angstmache
- Verwendung von Gewaltmetaphern
Unter Rechtspopulismus versteht der Duden einen „Populismus, der rechtsextreme Po- sitionen vertritt“13. Er stellt eine politische Strategie von extremen Rechten und Rechts- konservativen dar.14 Der „Rechtspopulismus“ schätzt gegenüber dem „Konservatismus“ institutionelle Regeln weniger.15 Rechtspopulisten haben eine unberechenbare Eigenart wohin hingegen der Konservatismus eine sehr stabile und feste Wertebasis pflegt.16 In der Forschung setzt sich der Begriff „Rechtspopulismus“ als umgangssprachliche Defi- nition für die Bezeichnung einer fremdenfeindlichen Protestpartei durch.
Bei der Untersuchung der europäischen Parteien des rechten Randes werden Zusam- menhänge zwischen dem Populismus und dem Extremismus deutlich.17 Die Bezeich- nung "politischer Extremismus" umfasst alle Aktivitäten, die sich gegen einen modernen demokratischen Verfassungsstaat18 wenden. D.h. alle außerordentlichen Abweichungen der politischen Mitte (siehe Abb. 1)19. Nach dem deutschen Politikwissenschaftler STÖSS20 existiert keine einheitliche Definition des Rechtsextremismus. Auch das deut- sche Grundgesetz kennt den Begriff „Extremismus“ nicht. Daher ist es ist zwar möglich, extremistische Parteien (rechts oder links) durch die zuständigen Organe des Verfas- sungsschutzes zu beobachten, sie aber nicht ohne weiteres zu verbieten.21
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Das Extremismus-Modell
(Quelle: Stöss [2010], S. 14)
Darüber hinaus gibt es zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus erhebliche Unterschiede, jedoch auch einige Gemeinsamkeiten. In der nachfolgenden Abbildung werden die Aspekte der jeweiligen Tendenzen zusammengefasst.22 Die wichtigste Tren- nungslinie zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus bleibt das Verhältnis zur Gewalt.23
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Unterschiede und Gemeinsamkeiten Rechtsextremismus und Rechtspopulismus
(Quelle: Redaktion Belltower.News [2017], o. S.)
2.2 Rechtspopulismus in Deutschland
Bewegungen, Organisationen und Parteien mit rechtspopulistischen Neigungen sind in den letzten Jahren in der gesamten Europäischen Union enorm gewachsen. In Deutsch- land zeigt sich der Rechtspopulismus im Jahr 2014 insbesondere durch das Aufkommen der außerparlamentarischen Bewegung PEGIDA („Patriotische Europäer gegen die Is- lamisierung des Abendlandes“) und der Gründung der Partei „Alternative für Deutsch- land“, die als Partei bereits im Europäischen Parlament vertreten ist.24 „Spätestens seit der AfD ist man sich einig, dass nun auch Deutschland von diesem ‚rechtspopulistischen Trend‘ erfasst wurde“25.
Die PEGIDA Bewegung begann im Oktober 2014, als, mobilisiert durch eine Facebook- Gruppe, etwa 350 demonstrierende Spaziergänger in Dresden gegen die Islamisierung Deutschlands und die öffentliche Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Islamis- ten auf deutschem Boden protestierten.26 Seitdem war die PEGIDA Bewegung mit wei- teren zahlreichen öffentlichen Auftritten erfolgreich. Inzwischen hat sich die PEGIDA Be- wegung aber gespalten. Neben der weiterhin als PEGIDA auftretenden Bewegung ver- sucht ein etwas gemäßigterer Flügel weitere Teile der Bevölkerung zu erreichen.27
Auch die AfD weist klassische rechtspopulistische Tendenzen und Argumentationsmus- ter auf, wie beispielsweise die Kritik an der Flüchtlingspolitik seit 2014 oder weitere ras- sistische Äußerungen.28 Durch provokante Äußerungen eines AfD-Politikers in Thürin- gen zieht die AfD die Aufmerksamkeit für rechte Tendenzen auf sich (siehe Kapitel „3.2.2 P rovokante Äußerungen des rechten Flügels“).29 Somit führt die Konzentration auf einige wenige Themen, gepaart mit Sprache und Abneigung gegenüber politischen Eliten und Fremden zu zentralen Charakteristika von Rechtspopulismus. Dementsprechend wird die AfD zwar nicht als Idealtyp einer rechtspopulistischen Partei angesehen, aber in den Medien und der Politik wird sie häufig als „populistisch“ bzw. „rechtspopulistisch“ be- zeichnet.30
Die AfD trat anfangs nicht derart rechtspopulistisch auf wie heute. Seit der Vorstellung ihres Grundsatzprogramms 2016 meinen der Rechtspopulismusforscher DECKER und Parteienforscher LEWANDOWSKY, klare rechtspopulistische Strömungen erkennen zu können.31 Festzustellen ist, dass die AfD und PEGIDA zum Thema Migration und In- tegration aus „ähnlichem Holz geschnitzt“32 sind. Sollte es in den nächsten Jahren zwi- schen PEGIDA und AfD zu einem strategischen Bündnis kommen, muss davon ausge- gangen werden, dass die Bedeutung des Rechtspopulismus in Deutschland weiter wachsen wird.33
2.3 Die Partei 'Alternative für Deutschland'
Die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) wurde 201334 als Reaktion auf die Maß- nahmen zur Bekämpfung der europäischen Schuldenkrise gegründet.35 Mit ihrem Einzug in den Bundestag geht eine Zäsur in der bundesdeutschen Demokratie und Parlaments- geschichte einher: Seit dem Einzug der "Deutschen Partei" in den Bundestag 1949 ist erstmals wieder eine Partei des rechten Spektrums im Bundestag vertreten.36 Im Jahr 1969 erreichte die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), ebenfalls eine Partei des rechten Spektrums, ein Wahlergebnis von 4,3 Prozent. Dieses Ergebnis wurde bei der Bundestagswahl 2017 mit Antritt von Alexander Gauland und Alice Weidel als Spitzenkandidaten der AfD37, um das Dreifache übertroffen.38 Trotz mehrerer perso- neller Umbrüche gelang es der AfD seit 2014 bei sämtlichen Landtagswahlen der Einzug in die Parlamente.39
2.3.1 Historischer Hintergrund: Gründungsgeschichte und Gründungsmitglieder
Treibende Kraft im Gründungsprozess der AfD war der Hamburger Volkswirtschaftspro- fessor Bernd Lucke, der ebenso wie der spätere Vorsitzende Alexander Gauland ein ehemaliges, langjähriges CDU-Mitglied gewesen war.40 Die Gründungsgeschichte der AfD begann am 25. März 2010. An diesem Tag bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Mer- kel im Deutschen Bundestag, dass es mit ihr keine direkten Finanzhilfen für den Euro- krisenstaat Griechenland geben würde. Gleichwohl stimmte sie abends auf dem EU- Gipfel dem ersten Rettungspaket für das Land zu.41 Dieses Ereignis gilt bis heute noch „als Schlüsselmoment für die Gründung der Wahlalternative 2013 “42. Bernd Lucke sah die Euro und Eurorettungspolitik als Fehlkonstruktion an und rief im September 2012 mit CDU-Mittelständler Gerd Robanus, dem CDU-Politiker Alexander Gauland und dem Journalisten Konrad Adam, die „ Wahlalternative 2013“ ins Leben. Merkels Rechtferti- gung ihrer Entscheidung als "alternativlos" wurde zum Aufhänger für die Namensgebung der Wahlalternative und „ Alternative für Deutschland“.43 Eine angestrebte Kooperation mit den „Freien Wählern“, funktionierte nach der Niederlage bei den niedersächsischen Landtagswahlen im Januar mit 1,1 Prozent Stimmen nicht. Im Ergebnis löste sich die AfD von den Freien Wählern.44
Kurz darauf, im Februar 2013, fand die offizielle Gründungsversammlung der AfD statt. Die führenden Personen waren bei der Gründung die Gründungsmitglieder der Wahlal- ternative 2013. Weitere offizielle Unterstützer der AfD gingen aus der Wahlalternative 2013 hervor. Hierzu zählen Euro-Gegner, marktradikale Wirtschaftswissenschaftler aus dem „Plenum der Ökonomen“, einige Mittelständler, Aktivisten des Aktionsbündnisses Direkte Demokratie und Beatrix von Storch von der „Zivilen Koalition“45. „Wir waren die Alternative und deshalb herrschte eine enorme Aufbruchsstimmung“46. Nach Gründung der AfD 2013 stieg die Mitgliederzahl stetig an. Kurz nach ihrer Gründung waren es be- reits 10.000 und am Ende des Gründungsjahres bereits 17.000 Mitglieder. Zwei Jahre später sollen es nach eigenen Angaben bereits 22.000 und 2017, 29.000 Mitglieder ge- wesen sein.47
Am 14. April 2013 wurde die Gründungsphase der AfD in Berlin abgeschlossen. Partei- sprecher wurden Bernd Lucke, Frauke Petry und Konrad Adam.48 Stellvertretende Bun- dessprecher wurden Patricia Casale, Alexander Gauland und Roland Klaus. Beisitzerin- nen und Beisitzer der AfD wurde Beatrix Diefenbach, Wolf Joachim Schünemann und Irina Smirnova.49 Der dominierende Kernpunkt des AfD-Wahlprogrammes war die Ab- lehnung der Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung. In der Präambel zur Gründung heißt es „In ernster Sorge vor politischen und wirtschaftlichen Fehlentwicklungen in Deutschland und in der Europäischen Union haben wir die Partei AfD gegründet“50.
Bei der Bundestagswahl 2013 und der am selben Tag in Hessen stattfindenden Land- tagswahl verfehlte die AfD den Einzug in die Parlamente knapp. Umso größer war ihr Triumph bei der Europawahl im Mai 2014, als sie 7,1 Prozent der Stimmen erreichte und Spitzenkandidat Lucke und weitere sieben Abgeordnete in das Europaparlament ent- sandte.51
Die folgende Entwicklung der AfD ist gekennzeichnet durch einen enormen Machtzuge- winn des zusammenwachsenden, nationalkonservativ-neurechten Flügels der Partei. Es folgten 2014 die ersten ostdeutschen AfD Wahlerfolge in Sachsen, Thüringen und Bran- denburg. Die Ost-AfD formierte sich zunehmend als rechtsnationaler Widerpart zum westdeutsch-neoliberal geprägten “Lucke-Flügel “.52
Bis Juli 2015 war Parteigründer Bernd Lucke Vorsitzender der AfD. Am 4. Juli 2015 fand ein Machtwechsel statt und Lucke verlor seinen Parteivorsitz an Frauke Petry, die dem nationalkonservativen Flügel der Partei angehört.53 Während seiner Rede auf dem Par- teitag an dem etwa 3.300 AfD Mitglieder teilnahmen, versicherte er, die „Initiative Weck- ruf“ habe nur Gefahren von der Partei abwenden wollen. Lucke wurde mehrfach von negativen Zurufen unterbrochen und hatte keine Chance mehr gegen Petry. In Petrys Beitrag war kein Rechtsruck der AfD erkennbar. Petry konnte sich beim Abstimmungs- ergebnis mit etwa 60 Prozent der Stimmen deutlicher als erwartet durchsetzen; auf Lu- cke entfielen 38 Prozent.54 Lucke und einige prominente Mitglieder traten daraufhin aus der Partei aus.55 Die Niederlage Luckes hatte weitreichende Konsequenzen. Innerhalb weniger Tage verließen weitere 600 Mitglieder die Partei. Kurz darauf gründete Lucke mit seinen Anhängern die Partei „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (kurz ALFA56 ), die seit November 2016 „Liberal-Konservative Reformer“ (kurz: LKR) heißt.57
Mit folgendem Wortlaut trat Bernd Lucke aus der AfD aus: „Ich möchte Sie darüber in- formieren, dass ich am Freitag, dem 10.07.2015 aus der AfD austreten werde. […] Wir werden diesen Schritt tun in der festen Absicht, auch weiterhin für die politischen Ziele einzustehen, wegen derer wir gewählt wurden. In der AfD sehe ich dafür leider keine Möglichkeit mehr, ohne gleichzeitig als bürgerliches Aushängeschild für politische Vor- stellungen missbraucht zu werden, die ich aus tiefer Überzeugung ablehne. […].“ In sei- ner Erklärung zum Austritt wird deutlich, dass er wohl zu spät erkannt hat, dass immer mehr Mitglieder in die Partei drängten, „die die AfD zu einer Protest- und Wutbürgerpar- tei umgestalten wollen“58.
Um Parteien wie die AfD erfolgreich zu gründen, bedarf es laut Forscher ein „populisti- sches Moment“59. Dieses Moment lässt sich bis zum „Maastrichter Vertrag“ von 1992 zurückverfolgen. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Einführung einer gemeinsa- men europäischen Währung und damit der Grundstein für die Währungsunion gelegt.60 Entstehungshintergrund der Partei AfD lieferte die ab 2010 einsetzende Rettungsschirm- politik innerhalb der Europäischen Union, die die AfD als verfehlt ansah. Gegen die Maß- nahmen zur Bekämpfung der Krise durch die EU-Institutionen und -Mitgliedsstaaten for- mierten sich bereits Vorläuferorganisationen der AfD.61
2.3.2 Einordnung im Parteiensystem
Aus Sicht der Politik- und Parteienforschung liegt die Schwierigkeit einer klaren politi- schen Charakterisierung der AfD darin, dass sie einerseits unterschiedliche politische Milieus und Strömungen repräsentiert und andererseits, sie sich im Laufe ihres bislang fünfjährigen Bestehens immer wieder stark verändert und radikalisiert hat.62
Seit der Parteigründung 2013 hat es in der Öffentlichkeit zu erheblichen Debatten hin- sichtlich der politischen Verortung gegeben. Unklar war in der Gründungsphase, ob die AfD mehrheitlich dem Nationalliberalismus, dem Konservatismus, dem Rechtspopulis- mus oder gar dem Rechtsextremismus zuzuordnen sei.63 Allein aus der Euro-skepti- schen und kritischen Haltung können keinesfalls rechtspopulistische oder rechtsextre- mistische Ableitungen getroffen werden.64 Auch mit der Positionierung auf dem Grün- dungsparteitag am 14. April 2013 bezeichnete AfD-Parteichef Bernd Lucke, die AfD „we- der rechts noch links“, sondern eine „Partei neuen Typs“ 65. Damit wies er sämtliche Vor- würfe über eine rechtspopulistische Ausrichtung der Partei zurück. Die ersten Wahler- folge und öffentlichen Wirkungen der Partei zeigen, dass diese Erfolge definitiv nicht im Rechtsextremismus zu verorten gewesen sind.66
Erst im Laufe ihres politischen Werdegangs wurde die AfD als eine stetig wachsende rechtsradikale Partei beschrieben.67 Insbesondere mit dem Einzug in den Deutschen Bundestag 2017 als drittstärkste Fraktion hat sich eine deutliche Verschiebung der poli- tisch-parlamentarischen Repräsentationsbreite der AfD nach Rechtsaußen vollzo- gen.68 Die Verschiebung zu rechtspopulistischen Tendenzen bestätigt auch eine Studie von HÄUSLER: So warb die AfD im Bundestagswahlkampf 2013 mit einschlägigen Pla- katen, mit Aussagen wie „Wir sind nicht das Weltsozialamt “ oder „Klassische Bildung statt Multikulti-Umerziehung“ 69 .
Die AfD-Fraktion im Bundestag besteht aus mehreren Flügeln mit jeweils unterschiedli- chen Gewichtungen. Einerseits repräsentiert die Mehrheit der Parteibasis als auch der Parlamentarier die konservative CDU der 1980er Jahre, während der so genannte „Flü- gel“ und die „Patriotische Plattform“ eher rechtsextrem ausgerichtet sind.70 Auch im 14- köpfigen Parteivorstand zählt die Mehrheit zum demokratischen Lager.71 Die dritte und mittlerweile schwächste Strömung innerhalb der AfD sind wirtschaftsliberale Anhänger des Parteigründers und ehemaligem Mitglied Bernd Lucke.72
[...]
1 Die Alternative für Deutschland wird im Folgenden mit AfD abgekürzt.
2 Vgl. Giebler/Regel [2017], S. 5.
3 Vgl. Münchener Zeitungs-Verlag GmbH & Co. KG [2019b], o. S.
4 Vgl. Münchener Zeitungs-Verlag GmbH & Co. KG [2019], o. S.
5 Vgl. Von Ondarza/Schenuit [2019], o. S.
6 Vgl. ebd.
7 Vgl. Artikel 2 EU-Vertrag von Lissabon.
8 Vgl. Von Beyme [2018], S. 14.
9 Vgl. Schellenberg [2017], o. S.
10 Vgl. Decker/Lewandowsky [2017], S. 22.
11 Vgl. Schellenberg [2017], o. S.
12 Vgl. Decker/Lewandowsky [2017], S. 29.
13 Vgl. Duden [2019], o. S.
14 Vgl. Caballero [2015], S. 1.
15 Vgl. Von Beyme [2018], S. 93.
16 Vgl. Von Beyme [2018], S. 94.
17 Vgl. Decker/Lewandowsky [2017], S. 1.
18 Vgl. Thieme [2019], o. S.
19 Vgl. Pfahl-Traughber [2016], o. S.
20 Vgl. Stöss [2010], S. 10.
21 Vgl. ebd.
22 Vgl. Redaktion Belltower.News [2017], o. S.
23 Vgl. Von Beyme [2018], S. 24.
24 Vgl. Caballero [2015], S. 1.
25 Wolf [2017], S. 1.
26 Vgl. Jesse [2019], S. 105.
27 Vgl. Caballero [2015], S. 5 f.
28 Vgl. Caballero [2015], S. 2.
29 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung [2019], o. S.
30 Vgl. Pfahl-Traughber [2019], S. 33; Vgl. Wolf [2017], S. 31.
31 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung [2019], o. S.
32 Vgl. Thieme [2019], o. S.
33 Vgl. Caballero [2015], S. 6 ff.
34 Vgl. Pfahl-Traughber [2019], S. 4.
35 Vgl. Decker [2018], o. S.
36 Vgl. Häusler [2018], o. S.
37 Vgl. Axel Springer SE/Welt Online [2019], o. S.
38 Vgl. Decker [2018b], o. S.
39 Vgl. Decker [2018c], o. S.
40 Vgl. Bebnowski [2015], S. 19.
41 Vgl. Niedermayer [2015], S. 177.
42 Vgl. Häusler [2013], S. 27.
43 Vgl. Decker [2018c], o. S.
44 Vgl. Häusler [2013], S. 35 ff.
45 Die Zivilie Koalition e. V. wurde 2004 gegründet (Mitgründerin Beatrix von Storch) und ist ein Verein, der sich als Zusammenschluss von Bürgern, die sich für mehr zivilgesellschaftliches Engagement einsetzen gegenüber Regierungen und Parlamenten versteht.
46 Vgl. Tagesspiegel [2018], o. S.
47 Vgl. Pfahl-Traughber [2019], S. 5.
48 Vgl. Häusler [2013], S. 39.
49 Vgl. Häusler [2013], S. 41 f.
50 Satzung der Alternative für Deutschland. Parteibeschluss vom 14.03.2019.
51 Vgl. Decker [2018c], o. S.
52 Vgl. Häusler [2018], o. S.
53 Vgl. Axel Springer SE/Welt Online [2019], o. S.
54 Vgl. Kleinert [2018], S. 25 f.
55 Vgl. Axel Springer SE/Welt Online [2019], o. S.
56 Vgl. ALFA [2019], o. S.
57 Vgl. Kleinert [2018], S. 27.
58 Vgl. SPIEGEL ONLINE GmbH & Co. KG [2015], o. S.
59 Vgl. Decker/Lewandowsky [2017], S. 32.
60 Vgl. Maastricht Vertrag [1992], o. S.; Vgl. Hakenberg [2018], S. 9.
61 Vgl. Decker [2018c], o. S.
62 Vgl. Häusler [2018], o. S.
63 Vgl. ebd.
64 Vgl. Häusler [2013], S. 91.
65 Vgl. Lucke [2013], S. 13.
66 Vgl. ebd.
67 Vgl. ebd.
68 Vgl. ebd.
69 Vgl. Zeit Online GmbH [2015], o. S.
70 Vgl. Ruhose [2019], S. 6.
71 Vgl. Thieme [2019], o. S.
72 Vgl. Ruhose [2019], S. 6.