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Diplomarbeit, 2011
89 Seiten, Note: 1
1 Einleitung
2 Eine Einführung in Michel Foucaults Werk „Sexualität und Wahrheit I - Der Wille zum Wissen“
2.1 Der Machtbegriff
2.2 Die Repressionshypothese
2.3 Die These von der Diskursivierung der Sexualität
2.4 Das Dispositiv der Sexualität
3 Eine Einführung in Baudrillards Werk „Das System der Dinge - Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen“ rtwende
4.1 Der Beginn der Hysterisierung des weiblichen Körpers
4.1.1 Weibliche Hysterie im 19. Jahrhundert
4.1.2 Behandlungsmethoden weiblicher Hysterie
4.2 Die Monopolisierung des Ärztestandes im 19. Jahrhundert
4.2.1 Jean-Martin Charcot
4.2.2 Sigmund Freud
4.3 Der Vibrator zur Jahrhundertwende
4.3.1 Objektbeschreibung: Manipulator - George Taylor
4.3.2 Objektbeschreibung: Weiss Modell - Weiss/ Mortimer Granville
4.3.3 Objektbeschreibung: White Cross Electric Vibrator - Lindstrom Smith Company of Chicago
4.4 Resümee
5 Sexualität in den späten 1960er und 1970er Jahren
5.1 Die Pluralisierung und Politisierung der Sexualität
5.1.1 Wilhelm Reich und die Befreiungssemantik
5.1.2 Herbert Marcuse und die Verblendungssemantik
5.2 Masturbation als Lust
5.2.1 Die Zerstörung vom Mythos des vaginalen Orgasmus
5.3 Der Vibrator in den 1960er und 1970er Jahren
5.3.1 Objektbeschreibung: Massagett - Oster
5.3.2 Objektbeschreibung: Panabrator Massager - Panasonic
5.3.3 Objektbeschreibung: Prelude Vibrator - Wahl
5.4 Resümee
6 Sexualität am Ende des 20. und im 21. Jahrhundert
6.1 Neosexuelle Revolution
6.1.1 Von der Perversion zur Neosexualität
6.2 Masturbation als eigenständige Sexualform
6.3 Sexualität im feministischen Diskurs
6.4 Der Mythos vom G-Punkt
6.5 Sexualität als Ware
6.6 Die Bedeutung von Lifestyles
6.7 Der Vibrator im 21. Jahrhundert
6.7.1 Objektbeschreibung: DeLight - Fun Factory
6.7.2 Objektbeschreibung: OhMiBod Freestyle - Suki LLC
6.7.3 Objektbeschreibung: Insignia Soraya - Lelo
6.8 Resümee
7 Objektbeschreibungen nach Baudrillard
7.1 Funktionalität und Form
7.2 Farbe
7.3 Werbung
7.4 Das Phänomen der Miniaturisierung
8 Zusammenfassung
9 Verzeichnisse
9.1 Literaturverzeichnis
9.2 Internetverzeichnis
9.3 Abbildungsverzeichnis
9.3.1 Bilder aus Literatur
9.3.2 (Private) Bilder aus dem Internet
9.3.3 Screenshots aus Webclips
Im Entwerfen oder Hervorbringen der Gegenstände macht sich der Mensch, mit Hilfe einer Form, die Kultur ist, zum Vollzieher einer Transsubstantiation der Natur. Die Abstammung der Substanzen von Epoche zu Epoche, von Gestalt zu Gestalt, ist im Urschema des Schöpferischen vorbestimmt: die Schöpfung ab utero, mit all der ihr eigenen dichterischen und metaphorischen Symbolik. […] Da nun Sinn und Wert, gemäß den Bedingungen der Form, aus der erblichen Übertragung der Substanzen hervorgehen, wird die Welt so aufgefasst, wie sie zu sein scheint (so wird sie immer im Unbewussten und in der Kindheit erfasst), und der Plan besteht darin sie zu enthüllen und zu perpetuieren. Da also die Form den Gegenstand umhüllt, schließt sie immer auch ein Stück Natur mit ein, so wie im menschlichen Körper: Der Gegenstand wird somit grundsätzlich anthropomorph. (Baudrillard 2007: 39)
Der Mensch und all die von ihm hervorgebrachten Diskurse standen und stehen immer in enger Verbindung zu den Gegenständen, die sie umgaben und umgeben. Es hat den Anschein als stände auch der Vibrator seit seiner Erfindung im 19. Jahrhundert und Vorstellungen von Sexualität seit jeher in einem dynamischen Verhältnis.
Ich werde in dieser Arbeit versuchen Diskurse von Sexualität ab dem späten 19. Jahrhundert darzustellen und diese in Zusammenhang mit der Entwicklung des Vibrators zu bringen. Der Schwerpunkt wird dabei auf der weiblichen Sexualität liegen.
Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Wahrnehmung, dem Wissen und der Auslebung von Sexualität und den damit verbundenen Mechanismen von Macht. Im zweiten Teil, der sich abschnittsweise einfügt, kommt der Vibrator ins Spiel, von dem ich annehme, dass er in Anlehnung seiner Zeitgeschichte nicht nur seine Gestalt und Funktion, sondern auch seine gesellschaftlich moralische Legitimation im politischen Kontext verändert hat. Ich möchte den Vibrator, der zweifellos einen Phallus und somit auch ein Symbol von Macht darstellt, in seiner Entstehung verfolgen und ihn als Repräsentationsobjekt von vergangenen und bestehenden Verhältnissen sehen.
Die Arbeit fokussiert drei Epochen, in denen sich viele Veränderungen ergeben haben: Jahrhundertwende, sexuelle Revolution der 1960er und 1970er Jahre und die letzten zwei Jahrzehnte unserer Zeitrechnung.
Als Methode verwende ich zwei theoretische Ansätze: zum einen Michel Foucault, der Sexualität in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zu Wissen und Macht sieht und sich im ersten Band „Sexualität und Wahrheit - Der Wille zum Wissen“ damit beschäftigt wie sich Macht in Wissen einschreibt, um Subjekte bestimmen zu können. Er fragt sich, wie das Wissen über den Sex entstanden ist und wie dieses durch die Produktion von Diskursen an unterschiedliche Machtmechanismen gekoppelt ist.
In Anlehnung zu Foucault, der Sexualität in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zu Wissen und Macht sieht, frage ich mich auch wie Sexualität an Machtstrukturen gekoppelt ist und diese dadurch prägt.
Zum anderen benutze ich zur Analyse einiger ausgewählter Vibratoren Jean Baudrillards Vorgehensweise zur Untersuchung von Objekten. In seinem Werk „Das System der Dinge - Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen“ analysiert der französische Soziologe, Philosoph und Medientheoretiker das Verhältnis zwischen dem Menschen und den Gegenständen des Alltags und die symbolische Funktion von Dingen. Er untersucht akribisch genau eine Vielzahl von Objekten und fragt sich, wie Dinge im Wechselspiel mit dem Menschen funktionieren. Die Menge an Einzelanalysen bildet ein System einer Gesellschaftstheorie, das besagt, dass ein soziales Gefüge durch die von ihm erzeugten und genutzten Gegenstände geprägt ist.
So ähnlich wie Baudrillard verschiedene Dinge analysiert, die bei ihm im Wesentlichen auf den Bereich der häuslichen Umwelt beschränkt sind, wird in dieser Arbeit das „Ding Vibrator“ im engen Verhältnis zum Menschen untersucht und es wird der Frage nachgegangen, wie unsere Idee von Sexualität das Objekt designet, beziehungsweise wie das Objekt unsere Sexualität beeinflusst.
Die beispielhaft ausgewählten Vibratoren werden in Form von Objektbeschreibungen nach folgender Struktur analysiert und gegliedert:
- Bildmaterial
- Formbeschreibung: grob bis ins Detail
- Material/ Farbe
- Funktion/ Bedienung
- Verpackung/ Zubehör
- Abmessungen/ Preis
- Historischer Kontext
- Vermarktung/ Werbung
Im 19. Jahrhundert war der Vibrator ein medizinisches Instrument, das bei Frauen zur Behandlung von Hysterie zum Einsatz kam. Ich möchte prüfen, ob der Vibrator im 19. Jahrhundert, in einer patriarchalen Gesellschaft, als Repressionsmittel gegenüber Frauen eingesetzt wurde.
Der Frau der späten 60er und 70er Jahre gelang es die Strukturen umzukehren und sich den Vibrator als eine Form der eigennützigen Lustschaffung anzueignen: Eigenermächtigung in Gestalt eines Vibrators, der zu dieser Zeit noch nicht als Sexualartikel beworben oder verkauft wurde.
Ich behaupte, dass im letzten Jahrzehnt wieder eine Umkehrung der Verhältnisse stattgefunden hat. Das Objekt der Begierde löst sich von bekannten Formen der Lust und verfolgt nun andere Interessen als beispielsweise die Nachahmung des männlichen Geschlechtsorgans. Wird die Sexualität der Frau nun komplett von der Abhängigkeit des Mannes entkoppelt und entfaltet sich der Vibrator so in einem neuen Design?
Als Beispiel für diese Annahme möchte ich den Delight Vibrator von Fun Factory nennen, der im Jahr 2008 den reddot design award in der Kategorie Sport, Spiel und Freizeit gewann.
Bringt der Vibrator als Sextoy und Repräsentant von Lifestyle die Frau zu einem weiteren Schritt in die sexuelle Unabhängigkeit? Oder trägt der Vibrator nun selbst als Produkt der Werbung und Massenindustrie „das Zepter“ in den Händen? Stehen weibliche Sexualität und die Macht um Wissen und Lust im 21. Jahrhundert nun endgültig auf Seiten der Frau?
Zusammenfassend frage ich mich nun, wie eine spezifische Form der Gestaltung mit einer Form von Sexualität zusammenhängt: wie bedingen sich Sexualität und Vibrator?
Michel Foucaults (1926 - 1984) Schriften sind nicht als gänzlich durchdachte Theorien zu verstehen. Sie sind uneinheitlich, gedacht wie Labyrinthe und auch voll von Lücken. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, kritisiert und hinterfragt sich immer wieder selbst. Er versteht seine Bücher als kleine Werkzeugkisten, die er zur Verfügung stellt.
Michel Foucault definiert Sexualität folgendermaßen: Sexualität ist der Name, den man einem geschichtlichen Dispositiv geben kann. Sexualität ist keine zugrunde liegende Realität, die nur schwer zu erfassen ist, sondern ein großes Oberflächennetz, auf dem sich die Stimulierung der Körper, die Intensivierung der Lüste, die Anreizung zum Diskurs, die Formierung der Erkenntnisse, die Verstärkung der Kontrollen und der Widerstände in einigen großen Wissens- und Machtstrategien miteinander verketten. (Foucault 1977: 105)
In seinem erstem Band zu „Sexualität und Wahrheit - Der Wille zum Wissen“, der einer von dreien ist, fragt sich Foucault, wie das Wissen über den Sex in der europäischen Geschichte entstanden ist und wie dieser durch die Produktion von Diskursen an die unterschiedlichen Machtmechanismen gekoppelt ist. Er sagt, dass rund um den Sex in den letzten drei Jahrhunderten explosionsartig eine ganze Reihe von Diskursen entstanden sei. Er prüft, wie Sexualität und auch ihre Normierung in dieser Zeit geformt wurde, wie sich Diskurse in Form von Gesetzmäßigkeiten in Institutionen ausbreiten konnten, wie mit Menschen in der Gesellschaft umgegangen wurde, die aus der Norm fielen, und wie das konstruierte Wissen um Sexualität Grundvoraussetzung für Machtausübung ist. Er verfolgt damit jene Mechanismen, die einen Wahrheitsdiskurs über den Sex eingerichtet haben.
Daher wird es darauf ankommen, zu wissen, in welchen Formen, durch welche Kanäle und entlang welcher Kanäle die Macht es schafft, bis in die winzigsten und individuellsten Verhaltensweisen vorzudringen, welche Wege es ihr erlauben, die seltenen und unscheinbaren Formen der Lust zu erreichen, und auf welche Weise sie die alltägliche Lust durchdringt und kontrolliert [...] kurz, man muß die polymorphen Techniken der Macht erforschen. (Foucault 1983: 19)
Macht ist bei Foucault ein ganz zentraler Begriff, der sich nahezu durch all seine Werke zieht. Er liefert aber keine umfassende Machttheorie, sondern interessiert sich mehr für dessen Analyse. Er fragt sich wie in diesem Macht - Wissen - Komplex Wahrheiten hervorgebracht werden und weshalb Wahrheiten nicht als konstruierte wahrgenommen werden und unter welcher Bedingung Machausübung in einem politischen Feld funktioniert. Dabei definiert er Macht als Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt (Foucault 1983: 94).
In „Sexualität und Wahrheit I“ zieht Foucault einen Unterschied zwischen einer Macht, die von vornherein nichts Negatives darstellt und einer repressiven Macht. Die Gefahr, die er in der unterdrückenden Macht sieht, ist, dass diese verdeckt agiert.
Unter Macht versteht Foucault nicht die Regierungsmacht, als Gesamtheit der Institutionen und Apparate, sondern die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; […] und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern. […] weil sie von überall kommt ist Macht überall (Foucault 1983: 93 f.).
Im Zentrum dieses Bandes stehen Foucaults Überlegungen, die sich von den sexualtheoretischen Positionen Herbert Marcuses und Wilhelm Reichs abgrenzen, die die Verbindung zwischen Macht, Wissen und Sexualität seit dem 17. Jahrhundert in deren Unterdrückung sehen. Er interpretiert oder kritisiert diese dabei aber nicht im Einzelnen, vielmehr nimmt er sie als ein gesellschaftliches Phänomen in den Blick. Foucault entwickelt im ersten Band zu „Sexualität und Wahrheit“ Kritik an dieser sogenannten Repressionshypothese. Er will nicht die Repression von Sexualität leugnen, vielmehr geht es ihm darum hinter diese zu schauen und die vielfältigen Techniken der Macht zu durchleuchten. Es geht ihm darum „das Regime von Macht - Wissen - Lust“, das unseren Diskurs über die menschliche Sexualität bestimmt, in seinem Funktionieren und in seinen Gründen zu bestimmen.
[…] ich unterstelle nicht, daß der Sex seit dem klassischen Zeitalter nicht verboten, verschlossen, maskiert oder verkannt worden ist; ich behaupte auch nicht, daß sein Schicksal von da an leichter gewesen ist als zu früheren Zeiten. Ich sage nicht, daß das Verbot des Sexes eine Täuschung ist, behaupte aber, daß es eine Täuschung ist, wenn man es zu den grundlegenden und konstitutiven Element macht, von dem ausgehend sich die Geschichte dessen schreiben läßt, was seit Beginn der Moderne über den Sex gesagt worden ist. Alle diesen negativen Elemente - Verbote, Verweigerungen, Zensuren, Verneinungen -, die die Repressionshypothese in einem großen zentralen Mechanismus zusammenfaßt, der auf Verneinung zielt, sind zweifellos nur Stücke, die eine lokale und taktische Rolle in einer Diskursstrategie zu spielen haben: in einer Machttechnik und in einem Willen zum Wissen, die sich keineswegs auf Repression reduzieren lassen. (Foucault 1983: 19)
Er formuliert drei Einwände gegen die Repressionshypothese:
- Ist die Repression des Sexes historisch evident?
- Gehört die Mechanik der Macht (Zensur, Verbot, Verneinung) tatsächlich im Wesentlichen zur Ordnung der Unterdrückung?
- Gehört der gegen die Unterdrückung gerichtete Diskurs nicht genau zu demselben historischen Netz wie das, was er anklagt? (Vgl. Foucault 1983: 17 f.)
Der Hypothese nach müsse die unterdrückte Sexualität seit dem 17. Jahrhundert permanent bis heute befreit werden, in dem man unaufhörlich von ihr redet. Foucault meint, dass genau dieses Reden und damit das Hervorbringen von Diskursen, Wissen, Analysen und Geboten die Ordnung dieser Repressionshypothese darstellt.
Während des Redens über Sexualität, die eng mit der Konstituierung als Subjekt verknüpft ist, befindet sich der Sprecher stets im Glauben, er würde sich von eben jener befreien. Sexualität wird auf diese Weise als Macht gedacht, die jedem innewohnt. Bei ihrer diskursiven Befreiung schwingt nach Foucault stets ein Hauch von Revolte als Lustgewinn des Sprechers mit. (Hempel 2004)
Michel Foucault will in seinem Werk nicht die Geschichte der sexuellen Verhaltensweisen einer abendländischen Gesellschaft schreiben sondern er fragt sich: Wie sind die Verhaltensweisen zu Wissensobjekten geworden? Auf welchen Wegen und aus welchen Gründen hat sich der Erkenntnisbereich organisiert, den man mit dem relativ neuen Wort „Sexualität“ beschreibt (Foucault 1983: 7).
Foucault schreibt, dass man rund um die Sexualität einen ganzen Apparat von Diskursen über den Sex installiert hat, der gleichzeitig mit dem Frühkapitalismus ins Rollen gebracht wurde. „Der Wille zum Wissen“ beschreibt Sexualität als gesellschaftliches Dispositiv, das heißt als sozial bestimmtes Feld. Es gibt keine „natürliche“ Sexualität hinter der kulturellen Fassade, die man befreien könnte - Sexualität ist, wie auch jeder andere Aspekt des menschlichen Verhaltens, immer schon auch von gesellschaftlichen Normen geprägt. Generell sind Individuen vor ihrer Subjektivation innerhalb und durch die Gesellschaft nicht denkbar. In „Der Wille zum Wissen“ wird an keiner Stelle abgestritten, dass es eine vordiskursive Realität, einen Körper jenseits der begrifflichen Konstruktion, gibt. Es ist jedoch unmöglich diese vordiskursive Realität ‚zur Sprache zu bringen’, denn jede begriffliche Fassung bewegt sich bereits wieder innerhalb des Diskurses. (Schiller 2006)
Der Begriff „Dispositiv“ wurde von Foucault zum Zwecke der Analyse entwickelt. Er dient dazu, ein bestimmtes Verhalten, einen Diskurs oder ein bestimmtes Selbstverhältnis zu fokussieren und nach seiner jeweiligen Akzeptanz zu fragen. Das Dispositiv koordiniert Machtbeziehungen. Es besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Elemente wie Aussagen, Regeln, Praktiken, Institutionen etc. Der zentrale Effekt dieser Koordination von Machtbeziehungen ist, dass zu Diskursen angereizt wird, die ein bestimmtes Wissen erzeugen. Dieses Wissen bringt Individuen dazu, sich auf bestimmte Weise zu denken und sich auf bestimmte Weise zur Welt und zu sich selbst zu verhalten. (Literaturtheorien im Netz 2007)
Im 19. Jahrhundert der christlichen Tradition haben sich vier großen Strategien durchgesetzt: die Sexualisierung des Kindes, die Hysterisierung der Frau, die Spezifizierung der Perversen und die Regulierung der Bevölkerung, die er zusammen als das Sexualdispositiv beschreibt. (Vgl. Foucault 1983: 112)
Das Sexualdispositiv, das sich seit dem 18. Jahrhundert entwickelt hat, hat das sogenannte Allianzdispositiv teilweise überlagert, das ein Netz von Regeln (Heiraten, Festlegung und Entwicklung der Verwandtschaften und die Übermittlung der Namen und Güter) meint. Das Sexualdispositiv stellt den Körper in den Mittelpunkt seines Interesses. (Vgl. Foucault 1976: 105 f.) Mit vereinfachten Worten kann das Allianzdispositiv als Sexualität der Fortpflanzung und das Sexualdispositv als das der Lust beschrieben werden.
Das Sexualdispositiv macht uns glauben, dass der Sex die Wahrheit der Befreiung inne hätte und verschleiert somit unsere Durchschleusung durch die Machtmechanismen der Sexualität. (Vgl. Foucault 1983: 152 f.)
Ironie dieses Dispositives: es macht uns glauben, dass es darin um unsere Befreiung geht. (Foucault 1983: 153)
Jean Baudrillard (1929 - 2007) versteht seine Schriften nicht als Theorie, die Sachverhalte aus der Distanz beschreiben, erklären oder konstruieren und auf Wahrheit Anspruch erheben, sondern als Interventionen oder sogar als Anschläge. Er beschreibt gerne seltsame, beunruhigende oder faszinierende Phänomene, die sich einer vollständigen Erklärung entziehen. (Vgl. Baudrillard 2007: 251 ff.)
Baudrillards Erstlingswerk „Das System der Dinge - Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen“ von 1968 beginnt mit folgenden Worten: In der städtischen Zivilisation sieht man, wie Generationen von Gegenständen, Apparaten und Gadgets einander in immer schnellerem Tempo ablösen […] Die Gegenstände des täglichen Gebrauchs zeigen eine sprunghafte Zunahme, die Bedürfnisse werden immer vielfältiger, die Produktion beschleunigt ihr Kommen und Gehen, und schließlich ermangeln wir der Wörter, um alle mit Namen zu benennen ( Baudrillard 2007: 9 ).
Das Werk besteht aus einer Menge von Einzelanalysen, die das Verhältnis von Mensch und Objekt untersuchen. Die Thematik kreist um das Erzeugen, Gebrauchen, Verbrauchen und das Verpersönlichen von Dingen. (Vgl. Baudrillard 2007: 11) Er beschreibt in detailhaften Untersuchungen, wie Dinge in der Wecheslwirkung mit dem Menschen funktionieren. Sehr häufig wird dabei die Veränderung der Bedeutung von Gegenständen im Verlauf seiner Geschichte analysiert. Ein Schwerpunkt ist bei ihm der Vergleich zwischen vorindustriell und industriell angefertigten Dingen. Der entscheidende Unterschied ist dabei, dass industriell gefertigte Dinge nicht mehr dem Zufall der Nachfrage und der individuellen Ausführung überlassen sind, sondern bewusst und systematisch von der Industrie übernommen werden und sie dadurch, durch welchselnde Modeerscheinungen, die Existenz und den Fortbestand der Dinge sichert. (Vgl. ebd.: 16)
Baudrillard beschreibt zwei Ebenen, die bei der Betrachtung von Dingen, wenn man die rein technischen Objekte ausklammert, weil man mit diesen subjektiv nie zu tun hat, zu beachten sind. Einerseits die objektive Denotation, die sachliche Bezeichnung und andererseits die Konnotation, die mitschwingende Nebenbedeutung eines Dinges. Der Gegenstand geht dadurch kommerzialisiert und personalisiert in den Gebrauch über und wird in ein kulturelles System verpflanzt. Die beiden Ebenen können folglich unter den gegebenen Verhältnissen der Produktion und Konsumption nie derartig voneinander unterschieden werden. (Vgl. Baudrillard 2007: 16)
Die Funktion eines Gegenstandes manifestiert sich in seiner Benutzung durch den Menschen. (Vgl. Baudrillard 2007: 27)
Im Allgemeinen entwirft Baudrillard ein geschlossenes System aus Mensch und Gegenstand, in welchem Entwicklung und Bestehen beider einander bedingen. Baudrillard schreibt, dass das System der Gegenstände wissenschaftlich nur dann beschrieben werden kann, wenn es als Ereignis einer ununterbrochenen Interferenz eines praktischen und eines technischen Systems betrachtet wird (Baudrillard 2007: 17).
Noch vor dem viktorianischen Zeitalter soll es viel freizügiger in Wort und Umgang zugegangen sein. Mit der Zeit verhüllte man die Offenheit der Fragen, die im Mittelalter und teilweise bis ins 17. Jahrhundert in Form von Geständniszwang in den Beichtstühlen herrschte. Es wurde vermieden ins Detail zu gehen, absolute Diskretion war nun das neue Gebot (Vgl. Foucault 1976: 24) und die Thematik rund um den Sex hat sich in Schweigen gehüllt. Er stand nur mehr unter der Idee der Fortpflanzung, durfte ausschließlich im elterlichen Schlafzimmer stattfinden und noch nicht einmal darüber war es erlaubt zu sprechen. (Vgl. Foucault 1983: 11)
Im 18. Jahrhundert verschärfte sich die Situation rund um den Sex. Es wurde analysiert und genau Buch geführt. Der Anreiz über Sex zu sprechen war ein politischer, ökonomischer und technischer geworden. Sogar die Kirche wollte entsprechende Wirkung auf den Sex erzielen, indem sie ihn ausnahmslos in Diskurs versetzte. Wissenschaft und Politik interessierten sich immer häufiger für den Gesundheitszustand, das Reproduktionsverhalten und die Sexualmoral der Bevölkerung. Es wurden massenhaft Daten über den Zustand der Bevölkerung produziert, wodurch mittels legislativer und administrativer Maßnahmen das Verhalten und die Einstellung verschiedener sozialer Gruppen beeinflusst werden sollte. (Vgl. Eder 2009: 188)
Foucault bezeichnet den Sex seit dem 18. Jahrhundert als eine Angelegenheit der Polizei. Der Staat muss dabei wissen, wie es um den Sex der BürgerInnen steht und auch welchen Gebrauch sie davon machen. Die Polizei des Sexes ist demnach nicht das strikte Verbot, sondern die Notwendigkeit, den Sex durch nützliche und öffentliche Diskurse zu regeln (Foucault 1983: 31).
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war alles die Sexualität Betreffende um die eheliche Beziehung zentriert. Dabei wurde zwischen Erlaubtem und Verbotenem unterschieden. Der eheliche Sex befand sich unter höchster Bewachung und musste sich gegebenenfalls sogar vor Zeugen beweisen. Alles was außerhalb dieses Bereiches lag, war sehr schwammig definiert. Es war nur wichtig nach den Gesetzen der Ehe zu leben, alles andere galt als verdammungswürdig. (Vgl. Foucault 1983: 42)
Für die Gerichte bedeutete es kaum einen Unterschied, ob sie Homosexualität oder Untreue verurteilten, Heirat ohne Zustimmung der Eltern oder Sodomie. (Foucault 1983: 42)
Ab der Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlangte die Diskussion rund um das Sexualleben eine immer breitere Öffentlichkeit und die dringend zu lösende Sexualfrage stand im Mittelpunkt, wie die Regulierung der Prostitution, die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, die Behandlung der Homosexuellen oder die individuelle Geburtenkontrolle. (Vgl. Eder 2009: 188) Foucault nennt vier Figuren, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts einerseits als privilegierte Wissensgegenstände sowie auch als Zielscheibe und Verankerungspunkte für Machtunternehmungen abzeichnen: die hysterische Frau, das masturbierende Kind, das familienplanende Paar und der perverse Erwachsene. (Vgl. Foucault 1983: 104 f.)
Mit der diskursiven Explosion, wie Foucault sie nennt, des 19. und 20. Jahrhunderts wurden nun auch andere, außereheliche Begriffe sexueller Verhaltensweisen diskutiert. Die heterosexuelle Einehe blieb zwar nach wie vor die Regel, jedoch hatte ihre Sexualität mehr Anspruch auf Diskretion und es wurde immer weniger und nüchterner von ihr gesprochen. Im Gegensatz dazu wurden Formen von „Widernatur“ mittels detaillierter Untersuchungen, die eine Form des Perversen darstellten, festgehalten. Es wurde die Sexualität der Kinder, Homosexuellen, Irren und Kriminellen verhört. Ärzte, Pädagogen, Lehrer und Eltern belagerten diesen widernatürlichen Sex mit Regeln, Vorschriften und medizinischen Anweisungen. Mit diesen sozialen Kontrollen wollte man schützen, trennen, vorbeugen, Gefahren signalisieren, um somit den Sex regieren zu können: einerseits den Sex der Ehe und andererseits den Sex des Begehrens. (Vgl. Foucault 1983: 42 ff.)
Der Wiener Psychiater und Gerichtsmediziner Krafft-Ebing veröffentlichte 1886 das Standardwerk der frühen Sexualwissenschaft, „Psychopathia sexualis“. Er richtete sich an ein medizinisches Fachpublikum, wie auch der Titel vermuten lässt, und schrieb besonders anstößige Stellen in lateinischer Schrift, um voyeuristische Absichten von Laien zu verhindern. Das Werk erreichte trotzdem eine so große LeserInnenschaft, dass es 1924 seine 17. deutsche Auflage erreichte und in sieben Sprachen übersetzt wurde. Krafft-Ebing beschreibt darin sexuelle Abweichungen und Perversionen anhand von Fallbeispielen. Krafft-Ebing stellt den gewissermaßen verunglückten Menschen dar, der irgendwo vom (heterosexuellen) Pfad abgekommen war. Je nach Schwergrad der Normabweichung, die auf jeden Fall als krankhaft zu bezeichnen war, gab es die Wahl zwischen medizinischen Torturen oder polizeilichen Aufbewahrungsstätten. (Vgl. Rabelhofer 2000: 137 f.)
Um 1900 verglich man in der Medizin oftmals den Körper und das Verhalten seiner hysterischen Patientinnen mit einer Maschine, die nicht rechtmäßig funktionierte oder aus dem Ruder gelaufen war. Die enge Kopplung von industrieller Revolution, dem Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit und den Ideen und Methoden der Medizin sind deutlich erkennbar. (Vgl. Weikmann 1997: 41)
Mit der Erfindung und Verbreitung der Fotografie in den 1850er und 1860er Jahren wurde Sexualität als produzierte und reproduzierte Sexualität zur Wahrheit. Es schien erstmals möglich Sexualität „unverfälscht“ abzubilden und vorzuführen. Die neue Technologie lieferte visuelle Beweise und brachte scheinbar unbekannt, tiefe Wünsche und starke Gefühle eines Menschen ans Tageslicht. (Vgl. Eitler 2009: 376)
Überdies koppelte sich die akademische Rede über Sexualität mit Konzeptionen künstlerischer Produktion. Die Verbindung von Kunst und Wissenschaft ließ einen kulturwissenschaftlichen Diskurs zu, in den sich Lust auf reichhaltige Weise einschrieb. Literatur, die bildenden Künste, Malerei, Fotografie und Film wurden zu Medien des Erotischen. (Vgl. Rabelhofer 2000: 146)
Der Begriff „Hysterie“ bezeichnete über Jahrtausende eine Frauenkrankheit, oder besser: einen recht vage definierten Symptomenkomplex. Die Geschichte der Hysterie beginnt schon, soweit sie überliefert ist, im alten Ägypten. Beschreibung von Erkrankungen, die zwar zu dieser Zeit noch nicht als „hysterische“ Symptome benannt wurden, die aber eindeutig das Bild der Hysterie beschreiben, lassen sich schon auf altägyptischen Fragmenten des Kahun-Papyrus um 1900 v. Chr. finden. Ärzte machten die Gebärmutter für jegliche Frauenbeschwerden verantwortlich. Die Heilkundigen meinten, dass die Gebärmutter durch den Körper wandere, weil sie durch sexuelle Abstinenz hungrig geworden und auf der Suche nach Befriedigung sei und dabei eine Menge Unheil anrichte, die gekennzeichnet war von Atemnot über Delirien bis hin zu mysteriösen Wutausbrüchen.
Auch im antiken Griechenland beschäftigten sich die griechischen Denker mit der „hystera“, was vom Griechischen übersetzt „Gebärmutter“ bedeutet. „Hysteria“ heißt soviel wie „Wanderung der Gebärmutter“. Das patogenetische Konzept wurde fast unverändert von der griechischen Medizin übernommen. Hippokrates (460 - 377 v. Chr.) erklärte grundlegend als Erster ein ganzes Spektrum hysterischer Symptome. Demnach soll die Gebärmutter eine Art Erstickung hervorgerufen haben. Diese wurde damit begründet, dass die Gebärmutter als „hungriges Tier“ bei seiner Wanderung am Engpass zwischen Hals und Kopf angelangt sei und dort Atembeschwerden verursache. Folglich versuchten Ärzte die Gebärmutter durch gute Düfte von unten, mit denen die Scheide beräuchert wurde, zu locken und durch schlechte Gerüche, die durch den Mund eingeführt wurden, nach unten zu treiben. Eheschließung und Schwangerschaft sollte zwar helfen, aber Jungfern, Witwen und unfruchtbare Frauen schwebten in großer Gefahr. Sofern es Frauen nicht möglich war zu heiraten, riet Hippokrates, den Uterus mit den Händen immer wieder aufs Neue zu befestigen und damit stillzulegen, damit er seine lästigen Streifzüge unterlasse. (Vgl. Weikmann 1997: 22 ff. u. Braun 1994: 34 f.)
Auch bei Plato (427 - 347 v. Chr.) oder Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) lassen sich ähnliche Beschreibungen finden: Aus genau denselben Gründen erträgt auf der anderen Seite die sogenannte Gebärmutter oder der Uterus der Frauen als ein ihnen innewohnendes lebendiges Wesen mit dem Verlangen nach Kinderzeugung nur voller Grimm, wenn sie während ihrer Blütezeit lange unbefruchtet bleibt, irrt dann überall im Körper herum, verstopft die Ausgänge der Luft, lässt ihr Austreten nicht zu, stürzt so (den Körper) in äußerste Not und verursacht (dann) so lange vielfältige andere Krankheiten bis die beiderseitige Begierde und das Verlangen (Mann und Frau) zusammenführen und dann, indem sie gleichsam Früchte von den Bäumen pflücken, wie in eine Furche in die Gebärmutter lebendige Teilchen säen, die wegen ihrer Kleinheit unsichtbar sind und formlos, sie dann wieder von ihr trennen, Großes im Inneren heranwachsen lassen und danach, indem sie es ans Licht bringen, die Entstehung der Lebewesen vollenden. (Plato 2003: 211)
Die griechischen Denker verwiesen die Frauen an jenen Ort, den sie fortan einnehmen sollten: dem Manne untertan, der sich schöpfungsmächtig die Welt erobert. Denn er zeugt doppelt - im Kopf die Welt, im Schoß die Kinder (Weikmann 1997: 22).
Dieses Frauenbild und das Phänomen Hysterie, wobei sich das Konzept, die Definition der Symptome sowie die Art, wie damit umgegangen wurde immer wieder verändert haben, ziehen sich weitgehend durch die Geschichte teils bis ins späte 19. Jahrhundert.
Alle Gerüchte und Annahmen über das weibliche Geschlecht, die aufkamen, kehrten, manchmal sogar noch leicht überspitzt, in der Beschreibung hysterischer Frauen wieder. Das heißt, mit dem wissenschaftlichen Zeitgeist veränderte sich immer auch das Muster der Hysterie. Hauptsächlich waren es drei Aussagen, die nacheinander oder überkreuzt das Bild des hysterischen Charakters bestimmten: erotische Besessenheit, Suggestibilität und Degeneration. Bis zur Jahrhundertwende erschien die Hysterikerin vor allem als hypersexuelles und labil beeinflussbares Weibchen. Der organische Ursprung der Krankheit war in der Störung des Genitalapparates zu suchen. (Vgl. Weikmann 1997: 35 f.)
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Hysterie in medizinischen Kreisen hauptsächlich von Gynäkologen, Psychiatern und Neurologen diskutiert, die sich allesamt nicht einig wurden. Eine eindeutige Definition von Hysterie gibt es nicht. Christina von Braun beschreibt die Hysterie als ein Beziehungsgeflecht. Nach ihr gab es die Hysterie des (männlichen) Betrachters als eine Art Denkmuster, das dem Körper der Frau übergestülpt wurde und als Krankheitsbild von Epoche zu Epoche anders beschrieben und verstanden wurde. Daneben existierte die Hysterie als eine hysterische „Realität“, die dem Betrachter gegenübertrat. Die Symptombildung richtete sich je nach Standpunkt nach dem Muster, das er von der Krankheit entwickelt hatte. (Vgl. Braun 1994: 22)
Smith-Rosenberg beschreibt die Hysterikerin als eine Frau, die krankheitshalber weder mütterlichen noch häuslichen Pflichten nachkam. Ihre Symptome, entweder übertriebenes prüdes oder übertrieben sexuell anmutendes Verhalten, entsprachen genau den Klischees, zwischen denen alle gängigen Weiblichkeitsbeschreibungen hin und her pendelten, zwischen Heilige und Hure: Im Grunde hörte die hysterische Frau auf, im Rahmen der Familie zu funktionieren. Sie widmete sich nicht länger den Bedürfnissen der anderen und spielte nicht mehr aufopfernde Ehefrau, Mutter oder Tochter. Mit ihrer Hysterie konnte sie die anderen zwingen, diese Funktionen zu übernehmen. Das Hauswesen wurde den Bedürfnissen der hysterischen Frau angepasst. […] Die hysterische Frau wird daher in den im Wesentlichen von Männern verfassten medizinischen Werken des 19. Jahrhunderts als ,Kindfrau‘ geschildert, als leicht beeindruckbar, labil, oberflächlich sexualisiert, exhibitionistisch, mit einer Neigung zu dramatischer Körpersprache und großen Gesten, mit starkem Abhängigkeitsbedürfnis und eindeutiger Ich-Schwäche. […] Faktisch aber waren diese Charakterzüge der Hysterikerin nur Wildwucherungen von Merkmalen und Verhaltensweisen, die gewöhnlich bei Mädchen gefördert wurden. (Smith-Rosenberg 1981: 289 ff.)
Der wesentliche Unterschied im 19. Jahrhundert zu vergangenen Zeiten war, dass die Hysterie in die geistigen und seelischen Krankheiten eingeordnet wurde, was die Voraussetzung dafür schuf, dass sie später zur „Krankheit der Willenlosigkeit“ wurde. Die Hysterie, die einst als Vorwand diente den Willen des Sexualwesens zu brechen, entwickelte sich zum Beweis, dass die Hysterikerin gar keinen eigenen Willen habe und sich auch nicht gegen die Gefühle, die ihren Körper beherrschten, wehre. (Vgl. Braun 1994: 48)
Seit der Renaissance wurde die Frau zunehmend aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens verdrängt und um ihre berufliche Selbstständigkeit gebracht, die sie teilweise im Mittelalter noch besessen hatte. […] dann wird deutlich, daß die Hysterie die Funktion erhält, zugleich diese Entmachtung zu rechtfertigen, wie auch die Frau für ihr inaktives Leben zu verurteilen. (Braun 1994: 49) Dies ist natürlich kein bewusster Vorgang, vielmehr spiegelt dieser eine breite kulturelle Entwicklung wieder.
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war die Hysterie hauptsächlich ein unklarer Sammelbegriff für weibliche Beschwerden. Im Jahr 1952 wurde er von der „American Psychiatric Society“ aus der Liste der Krankheiten gestrichen.
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