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Hausarbeit, 2012
17 Seiten, Note: 1,0
0. Einleitung
1. Begriffsdefinition und Eingrenzung der Phraseologismen
2. Textbeispiele und deren Interpretationen unter dem Gesichtspunkt der künstlerischen Anwendung von Phraseologismen
2.1 „Links 2,3,4“
2.2 „Rosenrot“
2.3 „Mein Teil“
2.4 „Mann gegen Mann“
3. Vergleich zu „Dankbar“ von Andreas Frege
4. Fazit
Quellenangabe
„Geboren in Bedrängnis und an eine Sau gelegt
den Zitzen zum Verhängnis
Milch in beiden Ohren
So offen Ärgernis erregt
Gealtert in Vergängnis
Tod sei Dank nicht neugeboren."[1]
So beginnt der Lyriker und Sänger Till Lindemann sein Gedicht „Tod nach Noten“. Schon in dieser kurzen Strophe zeigt sich sein besonderes Verhältnis zu Sprache. Die Wortwahl spinnt einen dunklen Faden im Geiste des Lesers. Intensiv und direkt ist die Aussage. Dem Rezipienten wird besonders die letzte Zeile auffallen. Ein Sprichwort, das genutzt wird, um Erleichterung und eine gute Wendung der Dinge auszudrücken, wird hier in die Bedeutungsopposition gesetzt. Der Phraseologismus lautet eigentlich „Gott sei dank“, jedoch substituiert der Autor Gott mit Tod. Aus literaturwissenschaftlicher Betrachtungsweise stehen beide Begriffe in einem antithetischen Verhältnis. Diese lexikalische Substitution wirkt zynisch, jedoch nicht unpassend. Das Irrationale, also das nicht Erklär- oder Beweisbare, nämlich Gott, wird hier durch etwas biologisch wissenschaftlich Nachweisbares ersetzt, den Tod. Durch diesen Fakt wird der Satz logischer, als er es in seiner phraseologistischen Grundform wäre, da der Tod endgültig ist und es somit keinen Neuanfang im Sinne einer Neugeburt geben kann. Durch eine Verfremdung im Sinne von Sklovskij ergibt sich ein neuer Sinn. Linguistische und literaturwissenschaftliche Verfahrensweisen finden ihre Anwendung.
Anhand dieses kurzen Beispiels zeigt sich, wie relevant und betrachtenswert die Texte Till Lindemanns sind. Im Folgenden werden einige Liedtexte, die er mit seiner Band „Rammstein“ veröffentlicht hat, näher analysiert. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wird ein Vergleich zu einem Texter der gleichen Stilrichtung erfolgen, um die besondere Stellung von phraseologistischen Konstruktionen in den Texten Lindemanns herauszuarbeiten. Kurt Tucholsky schrieb unter einem Synonym in einer seiner Sprachglossen, die den Titel „Mir fehlt ein Wort“ trägt, einst: „Sprache ist eine Waffe“[2]. Der 1963 in Leipzig geborene Lindemann scheint sich diese Aussage zu Herzen genommen zu haben. Mit seiner Band „Rammstein“ provoziert er und sorgte aufgrund seiner Texte für einige Skepsis in der Gesellschaft. Die Interpretationen seiner Texte endeten auch im Vorwurf des Rechtsradikalismus. Wie die Band mit Hilfe von Phraseologismen in ihren Texten reagierte, wird im Folgenden ebenfalls betrachtet werden. Dass sich diese aus verschiedensten Bereichen, wie beispielsweise der Literatur, der Politik oder des Alltagsgebrauchs ableiten, soll in eine Beziehung zum Entstehungskontext, der literarischen Wirkung und deren Betrachtungsweise gesetzt werden.
Als Phraseologismen werden im Folgenden alle festen Wortverbindungen betrachtet. Formativ und Bedeutung werden gemeinsam im mentalen Lexikon abgerufen, somit ist ein Phraseologismus ein bilaterales Zeichen, das nach dem Inhalt gespeichert wird. Diese können satzwertig (wie beispielsweise bei Sprichwörtern) oder nicht satzwertig (wie beispielsweise bei Paarformeln) sein. Unterschieden wird demnach nicht nur nach der Bedeutung, sondern auch nach der syntaktischen Struktur. Die Phraseologie mit ihren Beispielen ist geprägt von der Idiomatizität, das heißt, dass die Bedeutung nicht aus der Summe der einzelnen Wörter zu erschließen ist. Die einzelnen Wörter werden semantisch mehr oder weniger umgedeutet (semantische Transformation). Der Grad dieser Idiomatizität kann sich unterscheiden, jedoch ist er in der Regel hoch.
Die unterschiedlichen Typen von Phraseologismen können variiert werden. „Die Axt im Hause erspart den Zimmermann“[3] aus Schillers Drama „Wilhelm Tell“ bedeutet soviel wie ‚durch eigenes Geschick oder geeignetes Werkzeug, nicht auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein‘. Dieses Sprichwort (Parömie) kann durch den Vorgang der Substitution variiert werden, beispielsweise zu: „Die Axt im Hause erspart den Scheidungsrichter“. Somit wandelt sich die lehrhafte Tendenz, die kennzeichnend für Sprichwörter ist, in eine ironisch-humoreske Adaption des Originals. Es entsteht ein sogenanntes Antisprichwort. Mit diesem Prinzip arbeiten Werbung, Literatur oder Kabarett. Das eigentliche Sprichwort, als auch seine Abwandlung ist polylexikal, das heißt, es sind mindestens zwei autosemantische Wörter vorhanden. Die Polylexikalität ist eines der fünf Hauptmerkmale der Phraseologismen.
Eine weitere Eigenschaft, ist die Reproduzierbarkeit, das heißt, dass die einzelnen Teile nicht bei jedem sprachlichen Handeln neu gebildet werden. Somit sind Phraseologismen relativ feste Bestandteile des Sprachsystems. Wie das vorangegangene Beispiel beweist, können diese festen Wortverbindungen nur begrenzt abgewandelt werden (morphologisch und syntaktisch). Es lässt sich also ein hoher Grad von Stabilität feststellen. Gegenüber freien Syntagmen (zum Beispiel Wortgruppen) bilden Phraseologismen eine semantische Einheit, wobei die Konstituenten ihre Selbstständigkeit teilweise oder ganz verlieren. Ausdrücke, die all diese Merkmale haben, stehen im Zentrum des phraseologistischen Bestandes.
Bedeutung und Umdeutung eines Phraseologismuses ändern sich mit dem Wortgebrauch (Konnotation). Um semantisch-lexikalischen und syntaktisch strukturellen Bedingungen einerseits und kommunikative Faktoren andererseits zu realisieren, sollte man immer die Situationsbezogenheit von Phraseologismen im Auge behalten.
Grundsätzlich lassen sich Lindemanns Texte vier groben Themenbereichen zuordnen. An erster Stelle stehen die von Literatur inspirierten Texten zu denen Gedichte wie „Haifisch“, „Rosenrot“ oder „Dalai Lama“ zählen. Hierbei werden berühmte Werke und Zitate von Goethe, Brecht und anderen Lyrikern als Aufhänger für das Werk genutzt. Der zweite Bereich umfasst die Gefühlslyrik zu denen beispielsweise „Wo bist du“, „Morgenstern“, oder „Seemann“ zählen. Hinzu kommen jene Werke, die sich mit den Abgründen menschlicher Psyche beschäftigen. Zu diesen gehört „Mein Teil“, das sich mit dem sogenannten „Kannibalen von Rothenburg“ beschäftigt. Als weitere Beispiele sind „Du riechst so gut“ und „Wiener Blut“ zu nennen. Letztendlich existieren ebenfalls politische Texte wie „Amerika“, „Moskau“, „Mein Land“ oder „Links 2,3,4“. Zwischen diesen vier Hauptgruppen gibt es Mischformen. Die meisten der Texte sind autobiographisch geprägt. Alle nun analysierten Texte vertonte der Lyriker und veröffentlichte diese in Liedform mit seiner Band „Rammstein“. Im Folgenden werden einzelne Stücke, welche Phraseologismen im Sinne von Kapitel eins enthalten sind, analysiert.
Dieses Lied wurde 2001 auf dem Album „Mutter“ als zweites von elf Liedern veröffentlicht. Mit diesem Lied nimmt Lindemann Stellung, zu der in der Öffentlichkeit geführten Debatte darüber, ob die Band rechtsradikal sein[4]. Textlich werden hierfür auffällig viele Phraseologismen verwendet.
„Kann man Herzen brechen?
Können Herzen sprechen?
Kann man Herzen quälen?
Kann man Herzen stehlen?“ [5]
Es werden rhetorische Fragen formuliert, die der Rezipient unmöglich beantworten kann. Es wurden Phraseologismen wie „etwas bricht jemanden das Herz“[6] modifiziert und in eine andere syntaktische Reihenfolge gebracht. Das eigentliche Subjekt, also „jemand“, wird weggelassen und das Akkusativobjekt kehrt sich zum neuen Subjekt. Es entsteht eine Fragefloskel, die die Struktur des Originals aufhebt, jedoch verständlich bleibt. Das Merkmal der Stabilität wird auf die Probe gestellt, ohne Semantik und Erkennbarkeit zu gefährden. Die mit Paarreimen verbundenen Zeilen lassen sich als Phraseolexeme identifizieren. Jedes dieser modifizierten Satzkonstruktionen erfüllt die Merkmale eines solchen Phraseolexems. In ihrer Grundform sind alle nicht satzwertig, haben mindestens zwei autosemantische Wörter („Herz“ und das entsprechende Vollverb), sind in diesem Falle regulär verknüpft und einzelnen Wörter in der Wortgruppe sind mehr oder weniger umgedeutet. „Viele Phraseologismen sind Metaphern und daher idiomatisiert.“[7] Jeder einzelne Vers ist in diesem Beispiel vollidiomatisch. Ferner lässt sich zur Art der Idiomatizität feststellen, dass es sich um eine durchsichtige Metaphorisierung handelt, das heißt, semantische Transformationen sind auf Grund von metaphorischen Prozessen nachvollziehbar. Das Herz steht hierbei für den Menschen und seine Einstellung. Das Vollverb wird semantisch umgedeutet, aus ‚auseinanderbrechen‘ wird ‚leiden‘. Die Metaphorisierung bleibt durchsichtig. Selbigem Prinzip folgt die gesamte zweite Strophe.
Der für die Bedeutung und Inhaltsanalyse wichtigste Phraseologismus findet sich im Refrain: „Sie wollen mein Herz am rechten Fleck“[8]. Dieser Phraseologismus bedeutet ‚eine vernünftige Einstellung haben, bei der Gefühl und Verstand im Gleichgewicht sind‘[9]. Das Wort „recht“ ist polysem ‚an der richtigen Stelle‘, ‚moralisch richtig‘ oder auch ‚politisch rechts‘ meinen. Der Autor wählte eben jene phraseologische Konstruktion, auf Grund ihrer Mehrdeutigkeit. Die Öffentlichkeit und die Medien behaupteten, dass die Band auf Grund ihrer Texte und Videos rechtsradikale Ansichten verbreiten würde. Demnach wurde hier bewusst dieser Phraseologismus eingesetzt, um die Bedeutung von politisch rechts anzunehmen. Es fällt auf, dass die Formulierung sich nicht an diejenigen richtet, die diese Behauptung aufgestellt haben, sondern an Dritte. Durch das Personalpronomen „Sie“ entsteht eine Distanz zwischen Adressaten und Rezipienten. Somit ist diese Reaktion als Provokation zu werten, die einen sarkastischen Unterton inne hat. Es folgt eine ständige Wiederholung des Ausdrucks „Links 2,3,4“. Seinen Ursprung findet diese Kombination aus Wort und Zahlen im Militärbereich. Im deutschen Militärwesen war und ist es typisch so vor dem Marschieren anzuzählen. Daher könnte man diese Konstruktion der Unterart des geflügelten Wortes zuordnen, da die Quelle nachweisbar ist, der Ausdruck einen historischen Bezug hat und in vergleichbaren Kontexten verwendbar ist. Zweifelsohne soll hier eine Verbindung zwischen Militarismus und dem 3. Reich hergestellt werden. Die inflationäre Wiederholung dieses Wortes begründet sich somit nicht nur auf die Liedform, sondern auch auf den Inhalt. Durch die Verwendung dieser bewussten Provokation erscheinen die Vorwürfe wie eine Verhöhnung für die Verursacher. Nach der dritten Strophe, welche ähnliche Merkmale wie die erste und zweite Strophe aufweisen, wird eine klare Aussage getroffen:
„Sie wollen mein Herz am rechten Fleck
doch seh ich dann nach unten weg,
da schlägt es in der linken Brust.
Der Neider hat es schlecht gewusst!“[10]
Was mit dem Phraseologismus gemeint ist, wird in der dritten Zeile dieses Textteils endgültig klar. Die in den Strophen wiederholten Modifikationen von Phraseologismen in Frageform können nur unbeantwortet bleiben. Jedoch wird nun auf einen Phraseologismus eine Antwort in Form einer Stellungnahme gegeben. Klar ist, dass die Formulierung metaphorisch und nicht wörtlich zu verstehen ist. Lindemann positioniert sich, und somit auch die Band, politisch links. Durch den Einsatz des Antonyms entsteht eine klare Abgrenzung. Es folgt eine ständige Wiederholung von „Links 2,3,4“. Hierdurch wird die Aufgabe des Einsatzes von diesem geflügelten Wort deutlicher. Dieser militärische Ausdruck wird politisiert und umgedeutet. Die Provokation hinter dieser Formulierung entwickelt sich beinahe zu einer Verhöhnung der Kritiker.
[...]
[1] Till Lindemann „Messer“, Gedichte und Fotos, Seite 18, Verse 1-7 Eichenborn AG, Frankfurt am Main 2005
[2] Kurt Tucholsky „Sprache ist eine Waffe- Sprachglossen“, Seite 130, Zeile 16, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1989, Originalausgabe
[3] Friedrich von Schiller, Wilhelm Tell, Hamburger Lesehefte Verlag (7. Heft), Zeile 1513
[4] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rammstein Absatz Vorwurf des Rechtsradikalismus, 17.01.2012, 20: 45 Uhr
[5] Motor Music 2001, Hamburg, Rammstein- Mutter Textbooklet, Seite , Vers 1-4
[6] http://books.google.de/books?id=9-bqR5lgvRAC&pg=PA278&lpg=PA278&dq=valenzen+verb+brechen&source=bl&ots=1Uf-fB9Wy3&sig=k5lLmBoeqYPJDnJUC1A99S4Ly9s&hl=de&sa=X&ei=0pVQT7ezB_PO4QS6zoCxBg&ved=0CD0Q6AEwBA#v=onepage&q&f=false, 12.02.2012, 18:33 Uhr
[7] Phraseme und typisierte Rede. Eurogermanistik 14, Marcel Vuillaume, Eugene Facher (Hrsg.)Christine Palm Meister: „Phraseologie im Literarischen Text am Bespiel von Morgenstern, Kafka, Brecht Thomas Mann, Christa Wolf , S. 111, 1. Zeile
[8] Motor Music 2001, Hamburg, Rammstein- Mutter Textbooklet, Seite 1 , Vers 5
[9] Duden Band 11: Redewendungen, 3. Auflage Seite 356
[10] Motor Music 2001, Hamburg,, Rammstein-Mutter Textbooklet, Seite1 , Vers 19-22
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