Im Fremdsprachenunterricht wird besonders deutlich, dass Sprache aus zweierlei besteht, erstens, aus lexikalischen Einheiten, „Wörtern“, und zweitens, dass diese nach bestimmten Regeln behandelt, d.h. aneinandergereiht, konjugiert usw. werden. Die Kombination aus einer begrenzten Anzahl von Regeln und einer zwar nicht unbegrenzten, doch umfangreichen Menge an Lexemen ermöglichen es, eine theoretisch unbegrenzte Anzahl von Sätzen zu bilden. Diese beiden Elemente stehen sich im fremdsprachlichen Unterricht in letzter Konsequenz als kommunikative Kompetenz und grammatische Korrektheit gegenüber.
Die Systematik, d.h. die begrenzten, vorhandenen Regeln der Grammatik lässt sie gegenüber der relativ unbegrenzten, unsystematischen Menge an Lexik als prädestiniert für die Vermittlung erscheinen. Die Regellosigkeit der Lexik hingegen verlangt für eine erfolgreiche Vermittlung nach einem besseren Verständnis der Arbeitsweise des Gehirns. Während die Linguistik und besonders die Fremdsprachendidaktik sich lange Zeit intensiv mit der vermeintlichen „Königsdisziplin“, der Grammatik, beschäftigt haben, war die Erforschung des (mentalen) Lexikon und besonders seines Erwerbs dagegen eher marginal angesiedelt und vor allem jüngeren Zeiten vorbehalten.
Mittlerweile sind zahlreiche Publikationen erschienen, die Begriffe wie autonomes Lernen, Prozessorientierung oder Wortnetze in den Vordergrund stellen. Auch in modernen Lehrwerken lassen sich Aspekte dieser Modelle mal mehr, mal weniger deutlich wiedererkennen. Die Erforschung des mentalen Lexikons ist also aus den Kinderschuhen herausgewachsen und die eher rudimentäre Betrachtung der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns ist inzwischen durch verschiedene Theorien erweitert worden.
In dieser Arbeit soll jedoch nicht das mentale Lexikon selbst im Vordergrund stehen. Neuere Konzepte für den Fremdsprachenunterricht beruhen zwar auch auf seiner weiteren Erforschung, allerdings sollen an dieser Stelle neben psycholinguistischen Erkenntnissen auch fremdsprachendidaktische Konsequenzen Erwähnung finden. Auf den ersten, psycholinguistischen Teil folgt daher ein zweiter, stärker praxisorientierter Teil, in dem didaktische Anmerkungen zum Lexikerwerb gemacht werden.
Inhaltsverzeichnis:
I. Einleitung
II. Speicherung und Ordnung
III. Aspekte modernen Wortschatzlernens
III.1 Prozessorientierung
III.2 Wortnetze
III.3 Autonomes Lernen
IV. Didaktische Konsequenzen
IV.1 Präsentation
IV.2 Semantisierung
IV.3 Übung und Wiederholung
V. Schlussgedanken
Bibliographie
I. Einleitung
Im Fremdsprachenunterricht wird besonders deutlich, dass Sprache aus zweierlei besteht, erstens, aus lexikalischen Einheiten, „Wörtern“, und zweitens, dass diese nach bestimmten Regeln behandelt, d.h. aneinandergereiht, konjugiert usw. werden. Die Kombination aus einer begrenzten Anzahl von Regeln und einer zwar nicht unbegrenzten, doch umfangreichen Menge an Lexemen ermöglichen es, eine theoretisch unbegrenzte Anzahl von Sätzen zu bilden. Diese beiden Elemente stehen sich im fremdsprachlichen Unterricht in letzter Konsequenz als kommunikative Kompetenz und grammatische Korrektheit gegenüber.
Die Systematik, d.h. die begrenzten, vorhandenen Regeln der Grammatik lässt sie gegenüber der relativ unbegrenzten, unsystematischen Menge an Lexik als prädestiniert für die Vermittlung erscheinen. Die Regellosigkeit der Lexik hingegen verlangt für eine erfolgreiche Vermittlung nach einem besseren Verständnis der Arbeitsweise des Gehirns. Während die Linguistik und besonders die Fremdsprachendidaktik sich lange Zeit intensiv mit der vermeintlichen „Königsdisziplin“, der Grammatik, beschäftigt haben, war die Erforschung des (mentalen) Lexikons[1] und besonders seines Erwerbs dagegen eher marginal angesiedelt und vor allem jüngeren Zeiten vorbehalten. Seit einigen Jahren jedoch ist die Forschung auch hier angekommen und es findet ein wissenschaftlicher Diskurs über das mentale Lexikon statt. Naturgemäß erfordert eine Erforschung des mentalen Lexikons eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Thema. Neben der Linguistik sind auch andere Wissenschaften an seiner Erforschung beteiligt, wenn auch mit anderen Zielvorgaben: etwa die Biologie oder die Psychologie. Ein fächerübergreifendes Modell hat sich dabei bisher nicht herausgebildet, wie Folker feststellt:
Betrachtet man die Theorienlandschaft, so werden auf der einen Seite linguistische Modelle zur Sprachverarbeitung und zum mentalen Lexikon auf einem hohen Abstraktionsniveau entwickelt; auf der anderen Seite setzt sich die Psychologie mit der Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses und die Biologie mit der Informationsverarbeitung auf neuronaler Ebene auseinander. Die Auffassungen, die in den einzelnen Teildisziplinen vertreten werden, lassen ein interdisziplinäres Vorgehen zuweilen schwierig oder gar unmöglich erscheinen. (Folker, 2002: 4)
Dieser interdisziplinären Problematik ungeachtet lassen sich in regelmäßigen Abständen Artikel in den gängigen fremdsprachendidaktischen Fachzeitschriften finden, die mehr Augenmerk auf die Wortschatzarbeit im Fremdsprachenunterricht zu richten versuchen[2]. Mittlerweile sind zahlreiche Publikationen erschienen, die Begriffe wie autonomes Lernen, Prozessorientierung oder Wortnetze in den Vordergrund stellen. Auch in modernen Lehrwerken lassen sich Aspekte dieser Modelle mal mehr, mal weniger deutlich wiedererkennen. Die Erforschung des mentalen Lexikons ist also aus den Kinderschuhen herausgewachsen und die eher rudimentäre Betrachtung der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns ist inzwischen durch verschiedene Theorien[3] erweitert worden. Anhand solcher wird zwar deutlich, dass die Erforschung des mentalen Lexikon noch viel vor sich hat, so ist z.B. die Frage nach voneinander getrennten, sprachabhängigen Konzeptspeichern umstritten, dennoch zeigen sich abseits solcher Grundsatzdiskussionen in der Forschung bereits bei Methoden, die etwa die verschiedenen Teilnetze berücksichtigen und gezielt benutzen, höhere Behaltensleistungen bei Fremdsprachenlernenden.
In dieser Arbeit soll jedoch nicht das mentale Lexikon selbst im Vordergrund stehen[4]. Neuere Konzepte für den Fremdsprachenunterricht beruhen zwar auch auf seiner weiteren Erforschung, allerdings sollen an dieser Stelle neben psycholinguistischen Erkenntnissen auch fremdsprachendidaktische Konsequenzen Erwähnung finden. Auf den ersten, psycholinguistischen Teil folgt daher ein zweiter, stärker praxisorientierter Teil, in dem didaktische Anmerkungen zum Lexikerwerb gemacht werden.
II. Speicherung und Ordnung
Wenn man sich als Linguist oder als Fremdsprachendidaktiker die Frage stellt, wie lexikalische Einheiten im Gehirn gespeichert werden, ist dies vielleicht vielmehr eine Frage nach ihrer Ordnung als nach ihrer eigentlichen Speicherung. Die Speicherung selbst findet letzten Endes auf neuronaler Ebene statt und ob die Forschung, sei es die Linguistik, die Biologie oder eine andere Fachrichtung, in nächster Zukunft dermaßen tiefgreifende Erkenntnisse gewinnen wird, erscheint eher fraglich. Was hingegen jedoch durchaus erkennbar und somit verwertbar ist, sind z.B. die Ergebnisse von Sortierung- oder Assoziationstests, wie etwa Kielhöfer sie erwähnt (1996: 8) oder auch Erkenntnisse aus der Aphasieforschung. Diese lassen Schlussfolgerungen auf die Ordnung des mentalen Lexikons zu, indem sie zu erkennen geben, auf welche Art und Weise lexikalisches Wissen gesucht und wie darauf zugegriffen wird. Die beobachtbare Ordnung des Wortschatzes ist es, die die didaktischen Erkenntnisse liefert, die zu einer effektiveren WS-Arbeit führen sollen.
Dabei ist offensichtlich, dass der Wortschatz im Gehirn nicht alphabetisch sortiert ist. Vielmehr ist eine Ordnung nach semantischen Gesichtspunkten anzunehmen, wobei jedoch auch andere Ordnungskriterien eine Rolle spielen können, darunter etwa emotionale, syntagmatische oder phonetische[5]. Allein daran wird bereits deutlich, wie sehr simple zweisprachige Vokabellisten eher an der neurologischen und psychischen Realität vorbeigehen, als das sie mit ihr zusammenarbeiten. Vokabeln lassen sich natürlich auch so einprägen, sich auf diese Methode allein zu beschränken ist jedoch mühselig und zudem relativ ineffizient[6].
Ziel der weiteren Erforschung des mentalen Lexikons und seiner Ordnung ist aus fremdsprachendidaktischer Sicht also eine bessere Anpassung der Didaktik an die Anlagen, Vorgaben und Fähigkeiten des menschlichen Gehirns. Die WS-Arbeit, um die es hier gehen soll, lässt sich dabei u.a. aufteilen in Präsentation, Semantisierung, Übung, Wiederholung und Kontrolle. Daneben sind natürlich noch weitere, auch lernerspezifische Aspekte wie etwa der, der Motivation von Bedeutung, die hier allerdings nicht weiter behandelt werden.
III. Aspekte modernen Wortschatzlernens
Im Folgenden werden ausgewählte Begriffe aus der Fremdsprachendidaktik und der Gedächtnispsychologie erörtert, die in den letzten Jahren bedeutenden Einfluss auf die DaF-Didaktik hatten. Im Einzelnen sind dies der Aspekt der Prozessorientierung, die Metapher der Wortnetze sowie die zunehmende Eigenverantwortung der Lernenden, sprich: autonomes Lernen und Lernerstrategien.
1. Prozessorientierung
Das „klassische“ Modell des Behaltens und Erinnerns, des Speicherns von Informationen, beschreibt zunächst mehrere separate Speichersysteme, in denen Informationen abgelegt sind: das Langzeit-, das Kurzzeit- und das Ultrakurzzeitgedächtnis. Es sagt allerdings wenig darüber aus, wie oder was genau eigentlich gespeichert wird. Vielmehr versucht es, das Ergebnis erfolgreichen Lernens, also langfristigen Behaltens, mit Hilfe dieser drei Speicher plastisch darzustellen: als Weitergabe oder Übertragung von „Informationen“ vom (Ultra-) Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis. Alle Informationen, die dauerhaft behalten werden sollen, müssten demnach letzten Endes in das Langzeitgedächtnis transportiert und dort gespeichert werden. Das relativ hohe Abstraktionsniveau lässt dieses Modell in dieser Form allerdings noch wenig Empfehlungen für den Unterricht geben.
Zimmer (1989: 4) fasst die Ergebnisse von Cermak und Craik (1979) zusammen, die belegen, dass eine semantische Verarbeitung des sprachlichen Materials eine höhere Behaltensleistung zur Folge hat, als eine nur oberflächenorientierte. Diese Erkenntnis hat dazu beitragen, eine veränderte Perspektive zum Gedächtnis und zum mentalen Lexikon einzunehmen. Nicht die Information selbst, sondern ihre Verarbeitung steht im Vordergrund. Vor allem eine semantische Verarbeitung hinterlasse „Spuren“ oder „Pfade“ im Gehirn, die im Nachhinein benutzt werden, um an gespeicherte Informationen zu gelangen. Je mehr Pfade zu der gewünschten Information führten, desto leichter sei sie zu finden – so entstehe ein komplexes Netz aus Verflechtungen. Eine Fokussierung nur auf die gespeicherte Information selbst oder den benutzten Speicher berücksichtigt dies nicht. Als didaktische Konsequenz lässt sich daher bereits sagen, dass alles, was Beziehungen zwischen Wörtern und/oder Bedeutungen stiftet, wertvoll für die Wortschatzarbeit ist und sich positiv auf die Behaltensleistung auswirkt. „Dies gilt unabhängig von der Qualität der jeweiligen Beziehung“, wie Rohrer (1978: 79) anmerkt.
2. Wortnetze
Das Modell der Wortnetze[7] geht diesen Weg weiter und begründet den Wert einer semantischen oder anderweitig tieferen Verarbeitung. Es beschreibt den Wortschatz, vielmehr den individuellen Lernerwortschatz, als System verschiedener, flexibler, sich überschneidender Netzstrukturen. Zur Speicherung eines Eintrags würden gleichzeitig mehrere Verbindungen zu anderen Einträgen aufgebaut. Diese Verbindungen seien unterschiedlicher Natur, d.h. sie reflektierten verschiedene Ordnungskriterien. Generell bedeutet Wortschatzlernen bei diesem Ansatz in erster Linie das Einordnen neuer Einträge in vorhandene Netze, die fortschreitend durch interne Eingliederung und Abgrenzung erweitert und gefestigt würden. Wortschatzlernen heiße also nicht nur Bedeutungen von Wörtern, sondern vor allem auch Beziehungen zwischen Wörtern zu erfassen. Es handele sich demnach um einen separaten[8] lexikalischen Speicher, der intralinguar neu aufgefüllt werden müsse. Man lerne eine Fremdsprache zunächst also zum großen Teil relativ zur Muttersprache; mit zunehmender Kompetenz gewinne jedoch die intralinguale Ordnung an Bedeutung. Dieses Modell legt besonders nachvollziehbar den Nutzen von sinnstiftenden Elementen in der Wortschatzarbeit dar.
Im Einzelnen handelt es sich dabei um sieben Ordnungsklassen bzw. Netze, nach denen sortiert werde und von denen manche mehr, manche weniger dominant seien[9]: Sachnetze, Begriffsnetze, Wortnetze, syntagmatische Netze, Wortfamilien, Klangnetze und affektive Netze.
- Die Sachnetze seien vor allem bei Erwachsenen das am stärksten dominante Netz und reflektierten die außersprachliche, enzyklopädische Realität[10].
- Begriffs- und Wortnetzen liege eine paradigmatische Ordnung zu Grunde: Sie orientierten sich zunächst an Bedeutungsmerkmalen (Wortnetze) bzw. an der konzeptuellen Ordnung/Hierarchie (Begriffsnetze).
- Syntagmatische Netze stellten die Verbindung zwischen Wörtern dar, die in der Rede häufig nacheinander vorkommen während
- Wortfamilien auf den Wortbildungsregeln beruhten und sich so über andere Felder erstrecken.
- Klangfelder seien auf einer weniger tiefen semantischen Ebene angesiedelt und verbänden Wörter mit ähnlichen phonetischen Eigenschaften. Vor allem bei Versprechern, auch von Muttersprachlern, würden Klangnetze deutlich.
- Affektive Netze enthielten persönliche, emotionale Nebenbedeutungen und könnten unter gegebenen Umständen auch die anderen Netze überwiegen.
[...]
[1] Als „mentales Lexikon“ wird hier sehr allgemein der Teil des Gehirns bezeichnet, der für die sprachliche Verarbeitung von Lexik zuständig ist, d.h. u.a. für Rezeption, Speicherung, Ordnung und Produktion sprachlicher Einheiten. Das „Lexikon“ bezeichnet das lexikalische Inventar einer Sprache zu einem gegebenen Zeitpunkt. Auf die Problematik der inkonsistenten Terminologie in der Forschung sei an dieser Stelle nur verwiesen auf Salffner (2002).
[2] Exemplarisch seien hier Wallace (1982), Blei (1995), Kielhöfer (1996) und Köster (2001) genannt.
[3] Vgl. hierzu Salffner (2002), die einige gegensätzliche Positionen herausarbeitet.
[4] Vgl. z.B. Folker (2002).
[5] Auf weitere Ordnungskriterien und Teillexika wird in Kapitel III.2 eingegangen.
[6] Die Unzulänglichkeiten werden in Kapitel IV.1 und IV.2 angesprochen.
[7] Vgl. z.B. Kielhöfer (1996)
[8] „Separat“ beschreibt hier nicht, dass keine interlingualen Verbindungen bestehen können, sondern lediglich die Eigenschaft des Speichers, unabhängig von anderen Sprachen Realität abbilden zu können.
[9] Die Dominanz der Netze ist dabei nicht als fix anzusehen, vielmehr könne auch ein weniger dominantes Netz wie das affektive seine rezessive Haltung aufgeben und z.B. in einer stark emotionalen Situation andere Netze überwiegen.
[10] Sachnetze sind hier der Hauptgrund für eine konsequente kontextuelle Einbettung neuer Lexik in einen logischen Zusammenhang, z.B. durch den Einbezug landeskundlicher Informationen.