Mit dem Beginn der europäischen Aufklärung rückte eine philosophisch-kritische Auseinandersetzung mit den gängigen Gesellschaftsmodellen in den Mittelpunkt vor allem französischer, englischer und deutscher Schriftsteller und Denker. Im Zuge der Industrialisierung vollzog sich ein gesellschaftlicher Wandel durch das rasante Anwachsen einer in prekären Lebensumständen lebenden Arbeiterschicht. Dieses Spannungsfeld, bestehend aus einer immer reicher werdenden Schicht aus Industriellen auf der einen Seite und einer praktisch unfreien und abhängigen Masse an Arbeitern auf der anderen Seite, war Anlass und Ansatzpunkt für Marx' weltgeschichtlich so bedeutenden Werkes „Das Kapital“. Doch der bloße Blick auf dieses Einzelwerk trügt und rückt Marx fälschlicherweise ausschließlich in ein wirtschaftstheoretisches Feld. Marx war jedoch weit mehr. Will man zum Philosophen Marx durchdringen, und dies soll im weiteren Verlauf geschehen, ist es unerlässlich, sich seinen frühen Schriften zu widmen.
Die ökonomisch-philosophischen Manuskripte sind hierfür ideal, da in ihnen Ausgang und Ziel des Marx'schen Denkens zusammengenommen enthalten sind. Diese schöpferischen Frühphasen der uns bekannten großen Denker sind geradezu durch derartige Schriften gekennzeichnet. Ob Platons Frühdialoge, Kants „De mundi sensibilis atque intelligibilis“ oder Nietzsches „Geburt der Tragödie“, die Rekonstruktion der geistigen Entwicklung ihres Schöpfers ist an ihnen möglich, da sie alle bereits auf das Gesamtwerk hinweisen, Perspektivänderungen jedoch sichtbar werden. In unserem Fall fungieren die Manuskripte, welche Marx 26-jährig 1844 im Pariser Exil verfasste, als Schlüsseltext zur philosophischen Interpretation des Marx'schen Gesamtwerkes.
Gliederung
1. Vorbemerkungen zur philosophischen Kulturkritik
2. Das philosophische Grundgerüst von Karl Marx
2.1 Betrachtungen der Marx’schen Begrifflichkeiten
2.1.1 Arbeit- Marx'Handlungstheorie
2.1.2 Die4DimensionenvonMarx Entfremdungstheorem
2.1.3 Der Mensch als gegenständliches Gattungswesen
2.1.4 Marx Naturbegriff
2.2 Hegel und Feuerbach und ihre Bedeutung für Marx4 Manuskripte
3. Schlussbetrachtungen
4. Literaturverzeichnis
1. Vorbemerkungen zur philosophischen Kulturkritik
Mit dem Beginn der europäischen Aufklärung rückte eine philosophisch-kritische Auseinandersetzung mit den gängigen Gesellschaftsmodellen in den Mittelpunkt vor allem französischer, englischer und deutscher Schriftsteller und Denker. Im Zuge der Industrialisierung vollzog sich ein gesellschaftlicher Wandel durch das rasante Anwachsen einer in prekären Lebensumständen lebenden Arbeiterschicht. Dieses Spannungsfeld, bestehend aus einer immer reicher werdenden Schicht aus Industriellen auf der einen Seite und einer praktisch unfreien und abhängigen Masse an Arbeitern auf der anderen Seite, war Anlass und Ansatzpunkt für Marx' weltgeschichtlich so bedeutenden Werkes Das Kapital.
Doch der bloße Blick auf dieses Einzelwerk trügt und rückt Marx fälschlicherweise ausschließlich in ein wirtschaftstheoretisches Feld. Marx war jedoch weit mehr. Will man zum Philosophen Marx durchdringen, und dies soll im weiteren Verlauf geschehen, ist es unerlässlich, sich seinen frühen Schriften zu widmen.
Die ökonomisch-philosophischen Manuskripte sind hierfür ideal, da in ihnen Ausgang und Ziel des Marx'schen Denkens zusammengenommen enthalten sind. Diese schöpferischen Frühphasen der uns bekannten großen Denker sind geradezu durch derartige Schriften gekennzeichnet. Ob Platons Frühdialoge., Kants De mundi sensibilis atque intelligibilis oder Nietzsches Geburt der Tragödie, die Rekonstruktion der geistigen Entwicklung ihres Schöpfers ist an ihnen möglich, da sie alle bereits auf das Gesamtwerk hinweisen, Perspektivänderungen jedoch sichtbar werden.1
In unserem Fall fungieren die Manuskripte, welche Marx 26-jährig 1844 im Pariser Exil verfasste, als Schlüsseltext zur philosophischen Interpretation des Marx'schen Gesamtwerkes.
Eine philosophische Betrachtung und Auseinandersetzung mit der Marx'schen Gedankenwelt mag stellenweise überraschen, da wie zuvor erwähnt, Marx in den Augen vieler im Feld der Wirtschaftswissenschaftler anzusiedeln wäre. So verwundert es nicht, dass Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts die nicht Moskau-treue Linke in den Manuskripten einen „humanistischen Marx“ entdeckt haben wollte. Auch die geistigen Väter der Studentenbewegung Erich Fromm und Herbert Marcuse fanden in dem „neuen Marx“ einen Verfechter eines menschlichen Sozialismus, welcher im Gegensatz zum bolschewistischen Modell stand. So wurden Marx' Frühschriften in den bolschewistisch-sozialistischen Staaten nicht weiter publiziert, sondern im Gegenteil im Westen als Handwerkszeug zur Bekämpfung kommunistischer Gesellschaftsordnungen verwendet, auch zum Teil durch grobe Umdeutung des von Marx Formulierten.2
Der zentrale Kern bildet bei Marx die Handlung, wobei hier synonym auch ein sehr weitgefasstes Verständnis des Begriffes Arbeit verwendet werden kann. Die Selbstverwirklichung des Menschen kann ihm zufolge nur durch sie erreicht werden. Ausgehend von dieser Handlungstheorie entwirft Marx die Konzeption der Entfremdung und definiert den Menschen als gegenständliches Gattungswesen. Was dies bedeutet und welche Bausteine dieser Theorie zu Grunde liegen soll Aufgabe dieser Arbeit sein. Hierzu ist es erforderlich die einzelnen Aspekte näher zu untersuchen um zu Marx‘ grundlegenden Gedanken vorzudringen, noch dazu dient dies dem grundsätzlichen Verständnis seiner Konzeption.
Doch dies allein würde noch keine Kulturkritik ausmachen, hierzu war es notwendig, dass Marx die gewonnen Erkenntnisse und Zusammenhänge auf damalige Gesellschaftsformen übertrug um auf diese Weise deren Irrungen und Missstände hervorzuheben. Hierbei unterscheidet sich Marx jedoch deutlich in seiner Konsequenz von seinen Mitdenkern. Sein Konzept soll nicht bloß philosophisch-abstrakt sein, sondern vielmehr das artfremde und artfeindliche Gesellschaftssystem anprangern und Handlungsalternativen aufzeigen. Daran anschließend untersuchen wir, inwiefern Hegel und Feuerbach als Stichwortgeber für Marx' Manuskripte zu bewerten sind, da Marx einige Gedanken und Ideen entlehnt, anderen wiederum entschieden widerspricht.
Logisch darauf aufbauend betrachten wir die gesellschaftlichen Konsequenzen die sich daraus ergeben und die Marx auch einfordert, indem er sagt,,die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern3 Schlussendlich bleibt auch Marx' Kulturkritik nicht von einer eigenen Kritik verschont.
2. Das philosophische Grundgerüst von Karl Marx
„Von dem Idealismus [...] geriet ich dazu, im Wirklichen selbst die Idee zu suchen. Hatten die Götter früher über der Erde gewohnt, so waren sie jetzt das Zentrum derselben geworden“4 mit diesen Worten, die der junge Karl Marx 1837 an seinen Vater schrieb, wird bereits deutlich wohin seine Reise gehen wird. Der Gott war zunächst Hegel, welchen es zu entthronen galt. Marx wollte die Philosophie des Idealismus überwinden und durch eine Philosophie der Praxis ersetzen. Fichte hatte ihm hier den Weg bereits geebnet. Ob für Marx die geschichtliche Lage des Vormärz oder doch die Not eines Junghegelianers ausschlaggebend war bleibt offen.5 Denn was sollte nach Hegel noch philosophiert werden?
Um eines vorweg zu sagen, ohne Hegels geschichtliche Verknüpfung hätte Marx' Philosophie die innere Ordnung nicht besessen. So hat Marx trotz aller Kritik an Hegel und dessen Entthronung ihn nie vollständig überwunden.6 Was Marx ablehnte war das bloße philosophieren ohne Gegenwarts- und Realitätsbezug, die reine Gedankenwelt. Hier stimmte Marx Feuerbachs These zu, dass die Philosophie eine verkappte Religion sei und daher selbst eine Form menschlicher Selbstentfremdung. Doch hierzu im späteren Verlauf mehr.
Einen Baustein seiner späteren Philosophie mit dem Marx im Rheinland bei von Stein und Heß in Berührung kommt, wird enorme geschichtliche Bedeutung haben - das Proletariat als Träger zukünftiger Revolutionen und Umweltzungen. Ein Kemgedanke der die Theorie in Wirklichkeit verwandeln soll und Marx bei denen vom Idealismus getragenen Hegelianern vermisste. Mit Friedrich Engels gelangte 1844 das Thema Ökonomie in Marx' Gedankenwelt. Hier lassen sich wesentliche Elemente später bei Marx wiederentdecken.
Marx' Gedanken in seinen Manuskripten orientieren sich an diesem Grundgerüst. Die folgenden Kapitel sollen dies näher untersuchen.
2.1 Betrachtungen der Marx'schen Begrifflichkeiten
2.1.1 Arbeit-Marx' Handlungstheorie
Die fundamentale Ebene von Marx' Manuskripten bildet die Handlungstheorie. Als erster Philosoph rückt er die Arbeit in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen und erkennt in ihr den Keim zur menschlichen Selbstverwirklichung. Dies formuliert Marx philosophisch in seinem Vergegenständlichungsmodell, welches alle Prozesse umschließt bei denen etwas zu einer Sache wird. Die Arbeit, so konstatiert Michael Quante in seinem Kommentar zu den ökonomischphilosophischen Manuskripten, bildet eines der Herzstücke des Marx'schen Denkens sowie seinem späteren Hauptwerk.7 So schreibt er in DasKapital:
„Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist“.8
Doch wie lässt sich Marx' handlungstheoretisches Grundmodell in den Manuskripten skizzieren? An Stelle 84.21-27 definiert er sein Vergegenständlichungsmodell:
[...]
1 Vgl. Barbara Zehnpfennig, Karl Marx. Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Meiner Hamburg 2005,S.VIIIf..
2 WieAnm.l,Xf..
3 MEWBd.3,S.7, 535.
4 Briefan den Vatervom 10. November 1837, MEW, Ergänzungsband 1, Berlin 1968, S. 8.
5 WieAnm.l,S.XVIIff.
6 WieAnm.l,S.XIX
7 Vgl. Michael Quante, Karl Marx. Ökonomisch-philosophische Manuskripte. Kommentar, Suhrkamp Köln 2009, S.232f..
8 MEW, Bd. 23, S.52.