Für eine Lehramtsstudentin ist es sehr hilfreich, nicht nur die kastilische Aussprache laut der Real Academia Española zu beherrschen, sondern auch spanische Dialekte erkennen, beschreiben und anklingen lassen zu können. Im Spanischunterricht kann es nämlich vorgekommen, dass sich spanische Muttersprachler im Kurs befinden, die einen Dialekt sprechen. Hier ist die Gelegenheit oder eigentlich die Pflicht gegeben, im Unterricht die Varietät zu besprechen. Denn die spanische Sprache zeichnet sich durch ihre Vielfalt, besonders auf lautlicher Ebene, aus.
Die Entscheidung, das peruanische Spanisch genauer unter die Lupe zu nehmen, beruht auf der Tatsache, dass es einen limeño im Bekanntenkreis gab, bei dem zunächst kaum sprachliche Besonderheiten erkennbar waren. Es wäre auch möglich gewesen, einen Bekannten aus Extremadura zu interviewen, bei dem starke Abweichungen von der Norm bereits auffällig waren. Es war jedoch reizvoller, das Besondere an der Ausspra-che eines limeño herauszuhören und gleichzeitig, durch den vermeintlich kastilisch sprechenden limeño, das eigene Gehör besonders zu schulen. Dazu war es notwendig eine Sprachprobe durchzuführen und eine kastilische Transkription zu erstellen.
Die Sprachwissenschaftler John M. Lipski und María Vaquero de Ramírez haben in ihren Werken über das español de América auch das español del Perú beschrieben. Perú lässt sich wiederum in verschiedene Sprachgebiete einteilen, in denen unterschiedliche Merkmale auftreten. Im ersten Hauptteil der Arbeit werden die Forschungsergebnisse der beiden Autoren speziell im Bereich Phonologie und Phonetik, aber auch Mor-phosyntax und Lexik des español del Perú vorgestellt. Zur Analyse der eigens durchge-führten Sprachprobe wurden besonders die Forschungsergebnisse zu Lima und der costa central herangezogen und eine phonologische Transkription erstellt.
Die vorliegende Arbeit soll zeigen, welche Besonderheiten der interviewte limeño in seiner Aussprache aufweist und inwieweit diese mit den Forschungsergebnissen von Lipski und Ramírez übereinstimmen und ob eventuell weitere Auffälligkeiten herauszu-hören sind, die im Werk Das amerikanische Spanisch (2009) von Volker Noll erwähnt werden oder in keinem der hinzugezogenen Werke vorkommen.
Zu Beginn wird ein kurzer Einblick in die Geschichte Perus von seinen Ursprüngen bis zur heutigen Situation gegeben. Der erste Hauptteil befasst sich mit dem español del Perú [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Perú im historischen Überblick
3. Das español del Perú
4. Das español del Perú nach John M. Lipski
4.1. Nichtspanische Spracheinflüsse
4.2. Phonologie und Phonetik: Vokalismus
4.2.1. Reduktion unbetonter Vokale
4.2.2. Verschiebung des Akzentes
4.2.3. Reduktion von fünf auf drei Vokale
4.2.4. Tabellarische Übersicht: Lipski - Vokalismus
4.3. Phonologie und Phonetik: Konsonantismus
4.3.1. Der yeísmo
4.3.2. Realisierung von /x/
4.3.3. Schwund von intervokalischem /b/-/d/-/g/
4.3.4. Realisierung von /č/ (=/tʃ/)
4.3.5. Realisierung von /r/
4.3.6. Realisierung von /s/
4.3.7. Realisierung von /n/
4.3.8. Realisierung von /f/
4.3.9. Tabellarische Übersicht: Lipski - Konsonantismus
4.4. Morphosyntax
4.4.1. Der voseo
4.4.2. Le ,lo, la
4.4.3. Muy als adverbieller Verstärker
4.4.4. Der subjuntivo de presente
4.4.5. Phänomene aus der Andenregion
4.4.6. Doppelung und Schwund des direkten Objekts
4.4.7. Doppelte Possessivpronomen
4.4.8. Ausfall unverzichtbarer Artikel
4.4.9. Pretérito perfecto anstatt pretérito indefinido
4.5. Lexik
5. Das español del Perú nach María Vaquero de Ramírez
5.1. Phonologie und Phonetik: Vokalismus
5.1.1. Die vocales caedizas
5.1.2. Die Labialisierungvon Vokalen
5.1.3. Tabellarische Übersicht: Ramírez – Vokalismus
5.2. Konsonantismus
5.2.1. Der yeísmo und das Phonem /ǰ / oder /y/, geschrieben: y
5.2.2. Das Phonem /x/, geschrieben: j, g
5.2.3. Schwächung und Verstärkung von /b d g/
5.2.4. Sonorisierung von /p-t-k/
5.2.5. Die assibilierten Alophone /ř/ und /r̄̌ / (=[ʒ])
5.2.6. Der seseo und Phonem /s/, geschrieben: s, c, z
5.2.7. Fonemas oclusivas als Endposition der Silbe
5.2.8. Tabellarische Übersicht: Ramírez - Konsonantismus
5.3. Morphosyntax
5.3.1. Diskordanz des Genus
5.3.2. Substantivendungen auf vocales tónicas –Pluralendung auf -ses
5.3.3. Artikel in Kontaktzonen mit indigener Bevölkerung: Elision
5.3.4. Leísmo, laísmo, loísmo
5.3.5. Diminutivendung -acho und -acha
5.3.6. Der Spezialfall: hasta
5.4. Lexik
6. Die Analyse der Sprachprobe eines Limeño
6.1. Kastilische Transkription des Interviews
6.2. Phonologische Transkription des Interviews
6.3. Phonologie und Phonetik: Vokalismus
6.3.1. Längung betonter Vokale
6.3.2. Nasalierung von Vokalen
6.4. Phonologie und Phonetik: Konsonantismus
6.4.1. Der yeísmo
6.4.2. Der seseo und die Aussprache von /s/
6.4.3. [θ] anstatt [s]
6.4.5. Aussprache des finalen /s/ [s] als /j/ [x]
6.4.6. Frikativierung von /b/ und /v/ im Wortanlaut
6.4.7. Aussprache von auslautendem /d/ [ð] als [t]
6.4.8. Aussprache von [ɣ] als [x]
6.4.9. Velarisierung von /n/ im Wortauslaut
6.4.10. Schwund von /d/ in intervokalischer Position
6.4.11. Aspiration von /l/ im Silbenauslaut
6.5. Morphosyntax
6.6. Lexik
7. Zusammenfassung
8. Literaturverzeichnis
9. Anhang
1. Einleitung
Für eine Lehramtsstudentin ist es sehr hilfreich, nicht nur die kastilische Aussprache laut der Real Academia Española zu beherrschen, sondern auch spanische Dialekte erkennen, beschreiben und anklingen lassen zu können. Im Spanischunterricht kann es nämlich vorgekommen, dass sich spanische Muttersprachler im Kurs befinden, die einen Dialekt sprechen. Hier ist die Gelegenheit oder eigentlich die Pflicht gegeben, im Unterricht die Varietät zu besprechen. Denn die spanische Sprache zeichnet sich durch ihre Vielfalt, besonders auf lautlicher Ebene, aus.
Die Entscheidung, das peruanische Spanisch genauer unter die Lupe zu nehmen, beruht auf der Tatsache, dass es einen limeño im Bekanntenkreis gab, bei dem zunächst kaum sprachliche Besonderheiten erkennbar waren. Es wäre auch möglich gewesen, einen Bekannten aus Extremadura zu interviewen, bei dem starke Abweichungen von der Norm bereits auffällig waren. Es war jedoch reizvoller, das Besondere an der Aussprache eines limeño herauszuhören und gleichzeitig, durch den vermeintlich kastilisch sprechenden limeño, das eigene Gehör besonders zu schulen. Dazu war es notwendig eine Sprachprobe durchzuführen und eine kastilische Transkription zu erstellen.
Die Sprachwissenschaftler John M. Lipski und María Vaquero de Ramírez haben in ihren Werken über das español de América auch das español del Perú beschrieben. Perú lässt sich wiederum in verschiedene Sprachgebiete einteilen, in denen unterschiedliche Merkmale auftreten. Im ersten Hauptteil der Arbeit werden die Forschungsergebnisse der beiden Autoren speziell im Bereich Phonologie und Phonetik, aber auch Morphosyntax und Lexik des español del Perú vorgestellt. Zur Analyse der eigens durchgeführten Sprachprobe wurden besonders die Forschungsergebnisse zu Lima und der costa central herangezogen und eine phonologische Transkription erstellt.
Die vorliegende Arbeit soll zeigen, welche Besonderheiten der interviewte limeño in seiner Aussprache aufweist und inwieweit diese mit den Forschungsergebnissen von Lipski und Ramírez übereinstimmen und ob eventuell weitere Auffälligkeiten herauszuhören sind, die im Werk Das amerikanische Spanisch (2009) von Volker Noll erwähnt werden oder in keinem der hinzugezogenen Werke vorkommen.
Zu Beginn wird ein kurzer Einblick in die Geschichte Perus von seinen Ursprüngen bis zur heutigen Situation gegeben. Der erste Hauptteil befasst sich mit dem español del Perú, wobei ein Schwerpunkt auf Phonologie und Phonetik nach Lipski und Ramírez liegen soll. Im zweiten Hauptteil wird die eigens durchgeführte Sprachprobe eines limeño präsentiert und anschließend die Analyse der Sprachprobe vorgestellt. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst.
2. Perú im historischen Überblick
Bevor die Spanier nach Perú kamen, war es das Zentrum des Imperiums der Hochkultur der Inka, welches sich damals bis nach Kolumbien, Chile und Argentinien erstreckte (Noll: 2009, 8). Im Jahre 1524 wurde Perú erstmalig von dem in spanischen Diensten stehenden Portugiesen Aleixo Garcia von Südbrasilien aus erreicht. Zwischen 1531 und 1533 wurde Perú durch Francisco Pizarro erobert. Perú war zu dieser Zeit besonders attraktiv aufgrund seiner Bodenschätze. Die Spanier bauten zunehmend Handelswege aus und es herrschte ein reger Sprachaustausch wie nirgends sonst in Lateinamerika. 1821 erlangte Perú seine hart umkämpfte Unabhängigkeit. Der Name des Landes Perú wird auf eine Region oder einen Fluss Pirú, Birú oder Pelú zurückgeführt. Ein Häuptlingsname wird auch in Erwägung gezogen.
Heute erstreckt sich Perú auf rund 1.285.216 km2 und im Jahre 2008 betrug die Einwohnerzahl etwa 28,5 Mio. Seine vielfältige Bevölkerung setzt sich zusammen aus 45% Indianern, 37% Mestizen, 15% Weißen und 3% Schwarzen, Mulatten und Asiaten (Noll: 2009, 7). Etwa 80-87% der Bevölkerung spricht Spanisch, die übrige spricht Quechua mit einem Anteil von 16,6% und Aimara mit 2-3%, wobei die Indianersprachen verfassungsmäßig kooffizielle Sprachen sind. Die Hauptstadt von Perú ist Lima, Ciudad de los Reyes, die 1535 gegründet wurde und zuvor Rímac hieß.
3. Das español del Perú
Über das español del Perú gibt es nur wenige Studien. Es zeichnet sich durch nichtspanische Spracheinflüsse, Besonderheiten in Phonologie und Phonetik, Morphologie, Syntax und Lexik in den verschiedenen Sprachregionen aus, die im Folgenden nach Lipski und Vaquero de Ramírez dargestellt werden.
4. Das español del Perú nach John M. Lipski
Lipski verdeutlicht in seinem Werk El español de América (2002) zunächst die nichtspanischen Spracheinflüsse, die sich auf das español del Perú auswirkten. Dann stellt er die Besonderheiten in Phonologie und Phonetik, Morphologie, Syntax und Lexik dar, die in den einzelnen Sprachregionen des Landes vorkommen. Lipski teilt Perú in die Sprachregionen tierras altas andinas, Lima/costa central, costa norte, costa sur/sudoeste de la región andina und tierras bajas amazónicas ein.
4.1. Nichtspanische Spracheinflüsse
In Perú herrschte allgemein, damals und auch heute noch, ein intensiver Sprachaustausch, besonders mit der Indianersprache Quechua. Am Ufer des Sees Titicaca lassen sich aber auch Sprecher des Aimara finden. Weitere kleine indigene Sprachgruppen gibt es im Amazonasgebiet. Auch wenn die Hispanisierung der Inka schon zu Beginn rapide vonstatten ging, pflegten die Peruaner ihre indigenen Muttersprachen weiterhin zu sprechen. Besonders das Quechua hat die spanische Sprache in Perú und in angrenzenden Ländern Lateinamerikas auf morphosyntaktischer Ebene beeinflusst. Die afrikanischen Sklaven, die damals in landwirtschaftlichen Bereichen arbeiten mussten, hatten nur minimal sprachlichen Einfluss auf das Spanisch in Perú. Man spricht auch von der lengua afro-hispánica antigua oder der lengua afro-peruana. Hierzu gibt es allerdings nur wenige Studien, die sich auf Varietäten in der Intonation und im Wortfeld der Landwirtschaft beziehen.
4.2. Phonologie und Phonetik: Vokalismus
Die folgenden drei Phänomene des Vokalismus treffen auf die Region tierras altas andinas in Perú zu.
4.2.1. Reduktion unbetonter Vokale
Die Reduktion unbetonter Vokale ist in den peruanischen Anden extrem, speziell in den südlichen Provinzen. Die Vokale werden reduziert bis zur völligen Elision im Kontakt mit /s/.
4.2.2. Verschiebung des Akzentes
Bilinguale Sprecher, die hauptsächlich Quechua sprechen, verschieben gelegentlich den Akzent auf die vorletzte Silbe. Beispiele des Spanischen habe ich mit einer deutschen Bedeutung versehen.
Beispiele:
(1) corazón > corázon ̒ Herz ̓ (Lipski, 2002: 342)
(2) plátano > platáno ̒ Banane ̓
4.2.3. Reduktion von fünf auf drei Vokale
Bilinguale Sprecher tendieren zur Reduktion des spanischen Systems von fünf auf drei Vokale. Es findet durch den Einfluss des Quechua sowie im Altiplano durch den Einfluss des Aimara eine Verschmelzung von /e/ zu /i/ sowie von /o/ zu /u/ statt.
4.2.4. Tabellarische Übersicht: Lipski - Vokalismus
Lipskis Erkenntnisse hinsichtlich Vokalismus habe ich im Anhang tabellarisch festgehalten. Siehe dazu Anhang 1.
4.3. Phonologie und Phonetik: Konsonantismus
Im Folgenden werden acht Phänomene des Konsonantismus aufgeführt, die den einzelnen Sprachregionen zugeteilt sind.
4.3.1. Der yeísmo
In den tierras altas andinas behält die Mehrheit der Dialektsprecher das laterale palatale /ʎ/ im Gegensatz zu /y/. Das Phonem /ʎ/ pflegt man lateral auszusprechen und /y/ wie einen schwachen Frikativ. Unter den bilingualen Sprechern des Quechua lässt sich im Spanischen gelegentlich eine flatternde frikative Aussprache von /ʎ/ feststellen. Die Beibehaltung von /ʎ/ ist fast überall in den tierras altas del sur vorzufinden, während hingegen in den tierras altas del norte ein Zusammenfall von /ʎ/ und /y/ in /y/ gebräuchlich ist, besonders unter den Sprechern in den Städten.
Lima und die restliche Küste Perus sind yeísta und behalten nicht das laterale palatale Phonem /ʎ/, sondern pflegen ein schwaches /y/ ohne hörbare Frikation auszusprechen. Zudem kann /y/ abgeschwächt ausgesprochen werden bis hin zur Elision im Kontakt mit /i/ und /e/, besonders unter den Einheimischen. An der costa norte findet man generell ähnliche phonetische Besonderheiten wie in der Region Lima/Callao. Das /y/ wird noch schwächer ausgesprochen im Vergleich zu Lima. An der costa sur/sudoeste de la región andina stellte man fest, dass in den Provinzen des südlichsten Küstenbereiches die Beibehaltung des lateralen palatalen /ʎ/ gebräuchlich ist. Ebenfalls in dieser Zone verbreitet ist die Neutralisierung von /ʎ/ und /y/.
In den tierras bajas amazónicas ist das /y/ intervokalisch generell ein Affrikat. Gelegentlich wird es auch desonorisiert, besonders unter den indigenen Sprechern.
4.3.2. Realisierung von /x/
In den tierras altas andinas wird der Frikativ /x/ hörbar frikativ ausgesprochen und sticht besonders palatal hervor, wenn es nach einem Vokal steht. In Lima und an der costa central wird der Frikativ /x/ schwach aspiriert und selten velar oder postpalatal frikativ ausgesprochen. In den tierras bajas amazónicas wird der Frikativ /x/ wie ein schwaches im Rachenraum artikuliertes [h] ausgesprochen und viele Sprecher im Amazonasgebiet realisieren das /f/ gleichermaßen.
4.3.3. Schwund von intervokalischem /b/-/d/-/g/
In den tierras altas andinas sowie in den tierras bajas amazónicas findet kein Schwund von intervokalischem /b/, /d/ und /g/ statt. In Lima und an der costa central hingegen schwindet das intervokalische /d/, sogar in der gehobenen Sprache und das intervokalische /b/ wird ebenfalls häufig nicht ausgesprochen. An der costa del norte kommt ebenfalls häufig der Schwund von intervokalischem /b/, /d/ und /g/ vor.
4.3.4. Realisierung von /č/ (=/tʃ/)
In den tierras altas andinas wird der Affrikat /č/ gelegentlich wie ein Frikativ und in den tierras bajas amazónicas generell frikativ ausgesprochen. In Lima und an der costa central hingegen verliert normalerweise der Affrikat /č/ nicht seine okklusive Aussprache.
4.3.5. Realisierung von /r/
In den tierras altas andinas realisiert man /r/ am Silbenende, vor allem vor einer Pause. Das multiple /ř/ ist häufiger ein Frikativ als ein Vibrant, dessen Artikulation sich an /ž/ (=[ʒ]) annähert. Die Tendenz hin zur frikativen Aussprache ist im Süden höher, von Cuzco bis Puno, in den Nachbarregionen Boliviens. Im nördlichen Andengebiet Perus ist die Aussprache als multipler Vibrant gebräuchlicher, die wahrscheinlich durch die Aussprache aus dem tiefsten Süden Ecuadors beeinflusst wird. Die Aussprache der Gruppen /tr/, /pr/ und /kr/ werden teilweise durch die ethnische Herkunft der Sprecher bestimmt. Unter den bilingualen Sprechern wird das /r/ in diesen Gruppen als Frikativ und im Fall von /tr/ kann es mit dem vorhergehenden Konsonanten verschmelzen und eine Quasi-Affrikate erzeugen. Monolinguale Spanischsprecher hingegen sprechen das /r/ gewöhnlich wie einen einfachen Vibranten aus.
In Lima realisiert man ebenfalls das /r/ am Silbenende. Es ist eine einfache Vibration und /r/ kann als alveolarer Frikativ ausgesprochen werden. In den untersten soziokulturellen Schichten kann /r/ in Endposition von Syntagmen wegfallen, besonders bei Infinitiven. In den tierras bajas amazónicas findet weder eine Assibilation von /r/ noch von /rr/ statt.
4.3.6. Realisierung von /s/
In den tierras altas andinas realisiert man /s/ am Silben- und Wortende wie [s]. Dieses Phänomen wird häufig kombiniert mit der Sonorisierung von prävokalischem /s/ am Wortende. In einigen Hochgebieten, speziell in Cuzco und Puno kann /s/ apikalisiert werden. Im ländlichen Bereich wird in einigen Fällen das finale /s/ gänzlich eliminiert, obwohl /s/ fast nie aspiriert wird. Es ist teilweise lexikalisiert wie in der gebräuchlichen Aussprache von entonces als entonce ̒ dann/damals ̓, aber im Prinzip kann dieses Phänomen in jedem erdenklichen Wort vorkommen. In Cuzco führen viele Sprecher ein interdentales [θ] für /s/ in mehreren Wörtern ein, konkret in Zahlen wie once ̒ elf ̓, doce ̒zwölf ̓ und trece ̒ dreizehn ̓. Obwohl diese Aussprache sich nicht auf weitere Wörter ausbreitet, sind sich die Sprecher dessen Aussprache bewusst und sehen dies als typisch für einen Cuzqueño an. Obwohl diese Fälle von [θ] dem Gebrauch von [θ] im Norden Spaniens entsprechen, gibt es keine Studien zum systematischen Gebrauch des Phonems /θ/ im español de Cuzco.
In Lima und an der costa central ist die Aussprache des /s/ am Silben- und Wortende eine der bedeutendsten soziolinguistischen Variablen. Lima ist eine Stadt, die die historischen und sprachlichen Vorfahren der “tierras bajas” und “tierras altas” teilt. In der Mittelschicht Limas wird das /s/ präkonsonantisch aspiriert und wie [h] ausgesprochen, während hingegen das /s/ als Sibilant vor eine Pause und vor Vokalen am Wortanfang beibehalten wird. Unter den jungen Sprechern ist die Reduktion von postvokalischem /s/ am Wortende weit verbreitet. In der sozioökonomischen Unterschicht steigt die Rate der Aspiration und Elision von /s/ radikal an.
In den tierras bajas amazónicas ist die Realisierung von /s/ am Silben- und Wortende schwach und wird gewöhnlich weggelassen, gelegentlich sogar ohne den Zwischenschritt der Aspiration.
4.3.7. Realisierung von /n/
Die Velarisierung von /n/ ist in den tierras altas andinas gebräuchlich, wie allgemein in der zona alta und die gänzliche Elision von /n/ ist ebenfalls verbreitet. Die limeños und die Mehrheit der Sprecher an der peruanischen Küste, mit Ausnahme des tiefsten Südens, velarisieren das /n/ am Wortende. An der costa sur nimmt die Velarisierung von /n/ zunehmend ab.
4.3.8. Realisierung von /f/
Bilinguale Sprecher in den tierras altas andinas sowie Sprecher allgemein in den tierras bajas amazónicas realisieren /f/ gewöhnlich wie ein [h] oder gelegentlich wie ein [hw], sogar vor nicht-runden Vokalen.
4.3.9. Tabellarische Übersicht: Lipski - Konsonantismus
Lipskis Erkenntnisse hinsichtlich Konsonantismus habe ich im Anhang tabellarisch festgehalten. Siehe dazu Anhang 2.
4.4. Morphosyntax
Im Folgenden werden neun Phänomene der Morphosyntax erklärt.
4.4.1. Der voseo
Der voseo ist unter den gebildeten Peruanern nicht geläufig. Dennoch ist er vereinzelt zu hören, besonders unter den indigenen Sprechern. In den tierras altas del sur und im Gebiet Altiplano sowie bei monolingualen Sprechern ist er jedoch geläufig. Die Endung für den voseo ist für die zweite Konjugationsgruppe bei den indigenen Sprechern -ís und an der Küste -és. (Lipski, 2002: 345).
4.4.2. Le ,lo, la
Bilinguale Sprecher, die hauptsächlich Spanisch sprechen, können die pronombres clíticos nicht so gut unterscheiden wie monolinguale Sprecher, die sich eher an die spanische Norm halten. Es ist gebräuchlich, dass die direkten Objekte lo und la in Kontexten gebraucht werden, die eigentlich ein indirektes Objekt verlangen.
Beispiel:
Él los [les] dio algunas instrucciones. (Lipski, 2002: 345)
̒ Er gab ihnen einige Instruktionen.̓
Im andinischen Spanisch ist unter bilingualen Sprechern die Diskordanz von klitischen Pronomen und direkten und indirekten Objekten geläufig. Generell gebraucht man lo für indirekte und direkte Objekte, wobei sich auch einige Fälle von Variation finden lassen.
Beispiel:
No lo [los] vi a sus hermanitos. (Lipski, 2002: 345)
̒ Ich habe seine Geschwister nicht gesehen.̓
Bei bilingualen Sprechern, die nur wenig Gebrauch von der spanischen Sprache machen, kann man die fehlende Übereinstimmung von Subjekt und Verb feststellen, speziell im generellen Gebrauch der 3. Person Singular, sodass das Plural -s und Plural -n nicht beachtet werden.
Beispiele:
(1) Los informes fueron excelente [excelentes]. (Lipski, 2002: 345)
̒ Die Berichte waren excellent.̓
(2) Las otras chacras no tiene [tienen] riego.
̒ Die anderen Landgüter haben keine Bewässerung.̓
[...]