Die in den Medien illustrierte wachsende Bedeutung der Transiträume Bahnhof und Flughafen als Orte des Konsums wird in der Handelsforschung schon seit längerem mit großem Interesse beobachtet. Wie sich diese Räume charakterisieren lassen und welche Rolle sie für den Einzelhandel spielen, ist Gegenstand dieser Arbeit.
Bereits seit den 1950er Jahren ist ein struktureller Wandel im deutschen Einzelhandel ver-nehmbar. ‚Tante Emma‘-Läden werden von Filialisten verdrängt, große Shopping Center mit Erlebnisfaktor entstehen - die Entwicklungen in den Betriebsformen des Einzelhandels sind vielfältig (Weers-Hermann 2007:29; Wortmann 2003:2).
Doch nicht nur betriebliche Strukturen verändern sich z.B. aufgrund von verändertem Kon-sumverhalten oder steigender Mobilität, sondern auch Einzelhandelsstandorte. Der Standort ‚Grüne Wiese‘ erlangte in den 1960er und 70er Jahren eine wichtige Rolle, wohingegen heute versucht wird innerstädtische Lagen aufzuwerten und erneut zu stärken (Weers-Hermanns 2007:28-29; Zeiss 2006:24).
Als Ausdruck einer neuen Angebotsform mit Erlebnis-, Freizeit- sowie einer stark ausgepräg-ten Convenienceorientierung haben sich neben den konventionellen Shopping Center-Typen die Formen des Bahnhof- und Airport-Centers entwickelt (Kaster 2006:12).
Die ersten Bemühungen Einzelhandel und Dienstleistungen an Bahnhöfen anzusiedeln, konnte bereits vor der Bahnreform gegen Ende der 1980er Jahre beobachtet werden. Später wurde mit gezielten Einzelhandelskonzepten versucht viele deutsche Bahnhöfe aufzuwerten und in das Stadtbild zu integrieren. Das schlechte Image der Bahnhöfe soll durch attraktive Angebote aus den Köpfen der Kunden verschwinden (Korn 2006:60-62).
Seit der Privatisierung vieler Flughäfen spielt vermehrt auch der Einzelhandel an Flughäfen eine große Rolle. Die Einnahmen im Einzelhandelsbereich sind meist ein wichtiger wirt-schaftlicher Faktor für den Flughafenbetreiber (Pinella Bolte 2009:13). An den Beispielen ‚Promenade Hauptbahnhof Leipzig‘ und ‚Flughafen Frankfurt am Main‘ soll veranschaulicht werden, wie sich die Entwicklungen bezüglich des Einzelhandels in diesen Transiträumen vollzogen und welche Merkmale sowie Strukturen kennzeichnend sind.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Struktureller Wandel im Einzelhandel
2.1 Entwicklung der Betriebsformen
2.2 Standortstrukturen
3 Bahnhöfe als Versorgungsstandorte
3.1 Die Renaissance der Bahnhöfe
3.2 Einzelhandel an Bahnhöfen
3.3 Praxisbeispiel ‚Promenade Hauptbahnhof Leipzig‘
3.4 Zwischenfazit ‚Einzelhandelsstandort Bahnhof‘
4 Flughäfen als Orte des Konsums
4.1 Funktionswandel an Flughäfen
4.2 Bedeutungszuwachs von Non-Aviation-Aktivitäten
4.3 Praxisbeispiel ‚Flughafen Frankfurt am Main‘
4.4 Zwischenfazit ‚Einzelhandelsstandort Flughafen‘
5 Transiträume als Einzelhandelsstandorte – eine kritische Betrachtung
6 Fazit
Quellenverzeichnis
Anhang
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abb. 1: Einzelhandelsumsatz in D (2002-2012)
Abb. 2: Entwicklung des Schienenpersonenverkehrs (2001-2010)
Abb. 3: Besuchereinzugsgebiet der Promenade Hauptbahnhof Leipzig
Abb. 4: Entwicklung des Luftverkehrs in Deutschland (2000-2011)
Abb. 5: Entwicklung der Retailumsätze an Flughäfen (1996-2012)
Tab. 1: SWOT-Analyse für den Einzelhandelsstandort ‚Bahnhof‘
Tab. 2: SWOT-Analyse des Einzelhandelsstandortes 'Flughafen'
Tab. 3: Einflussfaktoren der Transformation von potentiellen Kunden zum tatsächlichen Käufer an suspicient locations
1 Einleitung
„Einzelhandel am Flughafen: Kaufrausch in der Transitzone“ (FAZ 12.10.2011).
„Schmuddelbahnhof wird zum Hochglanz-Shoppingcenter“ (Wirtschaftsblatt 13.05.2010).
Die in den Medien illustrierte wachsende Bedeutung der Transiträume Bahnhof und Flughafen als Orte des Konsums wird in der Handelsforschung schon seit längerem mit großem Interesse beobachtet. Wie sich diese Räume charakterisieren lassen und welche Rolle sie für den Einzelhandel spielen, ist Gegenstand dieser Arbeit.
Bereits seit den 1950er Jahren ist ein struktureller Wandel im deutschen Einzelhandel vernehmbar. ‚Tante Emma‘-Läden werden von Filialisten verdrängt, große Shopping Center mit Erlebnisfaktor entstehen - die Entwicklungen in den Betriebsformen des Einzelhandels sind vielfältig (Weers-Hermann 2007:29; Wortmann 2003:2).
Doch nicht nur betriebliche Strukturen verändern sich z.B. aufgrund von verändertem Konsumverhalten oder steigender Mobilität, sondern auch Einzelhandelsstandorte. Der Standort ‚Grüne Wiese‘ erlangte in den 1960er und 70er Jahren eine wichtige Rolle, wohingegen heute versucht wird innerstädtische Lagen aufzuwerten und erneut zu stärken (Weers-Hermanns 2007:28-29; Zeiss 2006:24).
Als Ausdruck einer neuen Angebotsform mit Erlebnis-, Freizeit- sowie einer stark ausgeprägten Convenienceorientierung haben sich neben den konventionellen Shopping Center-Typen die Formen des Bahnhof- und Airport-Centers entwickelt (Kaster 2006:12).
Die ersten Bemühungen Einzelhandel und Dienstleistungen an Bahnhöfen anzusiedeln, konnte bereits vor der Bahnreform gegen Ende der 1980er Jahre beobachtet werden. Später wurde mit gezielten Einzelhandelskonzepten versucht viele deutsche Bahnhöfe aufzuwerten und in das Stadtbild zu integrieren. Das schlechte Image der Bahnhöfe soll durch attraktive Angebote aus den Köpfen der Kunden verschwinden (Korn 2006:60-62).
Seit der Privatisierung vieler Flughäfen spielt vermehrt auch der Einzelhandel an Flughäfen eine große Rolle. Die Einnahmen im Einzelhandelsbereich sind meist ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für den Flughafenbetreiber (Pinella Bolte 2009:13). An den Beispielen ‚Promenade Hauptbahnhof Leipzig‘ und ‚Flughafen Frankfurt am Main‘ soll veranschaulicht werden, wie sich die Entwicklungen bezüglich des Einzelhandels in diesen Transiträumen vollzogen und welche Merkmale sowie Strukturen kennzeichnend sind.
Zu Beginn dieser Arbeit soll jedoch zunächst der strukturelle Wandel des Einzelhandels in Deutschland kurz dargestellt werden, um im Anschluss auf die Entwicklung der neuen Standorte ‚Bahnhof‘ und ‚Flughafen‘ einzugehen. In Kapitel 5 wird in einer abschließenden Betrachtung bewertet, inwiefern es sich bei den untersuchten Standorten um neue Einzel-handelsstandorte handelt.
2 Struktureller Wandel im Einzelhandel
Der Begriff des Einzelhandels kann zunächst als „der Verkauf und der Handel mit dem Letztverbraucher und, daraus folgend, [durch den] Ausschluss des Handels mit gewerblichen Kunden und dem produzierenden Gewerbe“ abgegrenzt werden (Weers-Herrmanns 2007:44).
In Deutschland ist dieser seit vielen Jahren durch eine sehr starke Dynamik der Umsätze aber auch bezüglich der strukturellen Eigenschaften, wie Betriebsformen oder Standortstrukturen, geprägt. Bis zur Wiedervereinigung Deutschlands und in den Boom-Jahren 1991-1993 war der deutsche Einzelhandel sehr stark, musste jedoch in den darauffolgenden Jahren in vielen Branchen Umsatzeinbußen verzeichnen. Auch nach der Jahrtausendwende konnte, zu den negativen Entwicklungen in den Jahren 2003 und 2009, nur ein sehr geringer Anstieg der Einzelhandelsumsätze festgestellt werden (vgl. Abb. 1) (HDE 2010:5; Pietersen 2008:35).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Einzelhandelsumsatz in D (2002-2012)
Quelle: Eigene Darstellung nach HDE (2012:14)
Im Bezug auf die Ausgaben des privaten Konsums ist die Entwicklung des Einzelhandels zusätzlich durchaus kritisch zu betrachten. Wurden Anfang der 90er Jahre noch mehr als 40 % des privaten Konsums im Einzelhandel ausgegeben, so flossen 2011 nur 28,1 % des privaten Konsums in den Einzelhandel – so wenig wie nie zuvor (KPMG 2006:19; Eitner 2008:43; HDE 2010:4; HDE 2012:6).
Vor dem Hintergrund einer weiter steigenden Globalisierung des Wettbewerbs im Einzelhandel und kaum ansteigenden Umsätzen wirft dies die Frage auf, wie sich diesen Herausforderungen im Hinblick auf die Betriebsformen angepasst werden kann. Welche Entwicklungen haben sich vollzogen und welche Auswirkungen hat dies auf die Standortstrukturen des Einzelhandels in Deutschland?
2.1 Entwicklung der Betriebsformen
Bereits in den 1950er Jahren begann der Strukturwandel des Einzelhandels auf betrieblicher Ebene. Die Entwicklung ging vom Bedienungsladen mit Theke und Schwerpunkt auf Service zum Selbstbedienungsladen mit erheblicher Servicereduzierung (Weers-Hermann 2007:29; Wortmann 2003:2).
Hinzu kam der enorme Anstieg der Verkaufsflächen im Einzelhandel. Dieser Trend ist heute immer noch zu beobachten. Aufgrund der folglich sinkenden Flächenproduktivität und steigenden Grundkosten werden kleine bis mittlere Einzelhandelsunternehmen von großen, meist stark spezialisierten Betrieben vom Markt verdrängt. Discounter, Fachmärkte und Verbrauchermärkte, um nur ein paar zu nennen, prägen das Bild des deutschen Einzelhandels. In vielen Fällen ist zudem eine sehr starke Filialisierung zu beobachten. Die Großflächigkeit bringt hierbei den Vorteil Personalkosten einzusparen und gleichzeitig hohe Umschlagsfrequenzen mit standardisierten Angeboten zu erreichen (Weers-Hermann 2007:32-33; Wortmann 2003:2).
Im Lebensmittelbereich ist die Entwicklung der Convenience-Shops seit Ende der 1980er Jahre hervorzuheben. Zu Beginn nur in Tankstellen und Kiosken zu finden, ist diese Einzelhandelsform heute weitverbreitet und weist eine dynamische Entwicklung auf. Convenience lässt sich übersetzen mit Bequemlichkeit und meint im Falle des Einkaufs: „Verfügbar, jederzeit, schnell und ohne große Belastung“ (Gyllensvärd 1999:184; Pietersen 2008:39). Convenience-Shops sind gekennzeichnet durch ein breites, flaches und schnelldrehendes Sortiment. Vorwiegend werden Güter des täglichen Bedarfs und auf einer vergleichsweise kleinen Verkaufsfläche angeboten (Barth 1999:88). Als die drei Schlüsselfaktoren des Convenience-Handels sind ein kundennaher Standort, ein verzehrnahes Sortiment und besonders verbraucherfreundliche Öffnungszeiten zu nennen. In Deutschland werden die Ladenöffnungszeiten durch Ladenschlussgesetze geregelt. Bestimmte Standorte, wie z.B. Bahnhöfe und Flughäfen stellen eine Ausnahme dar und verfügen somit über einen Vorteil gegenüber ‚traditionellen‘ Standorten (vgl. Kapitel 3 und 4). Die genauen Öffnungszeiten werden von den Ländern in eigener Zuständigkeit festgelegt (Gyllensvärd 1999:185; LadSchlG §1-§9).
Ebenso hervorzuheben ist die sehr prägende Entwicklung der Shopping Center für den Einzelhandel. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Summe der Shopping Center in Deutschland von 179 im Jahr 1995 auf über 400 mehr als verdoppelt (EHI 2009:o.S.; IR 2011:o.S.). Ein Grund für diese Entwicklung ist die immer wichtiger werdende Erlebniskomponente beim Einkaufen . „Der Kunde wünscht sich […] ein urbanes und anspruchsvoll gestaltetes Ambiente“ (Weers-Hermanns 2007:31-33).
2.2 Standortstrukturen
Als Folge des Wandels der Betriebsformen im Einzelhandel sowie Veränderungen im Konsumverhalten kam es ebenfalls zu einem Wandel der Ansprüche der Einzelhändler an die Standortstrukturen. Gegen Ende der 1960er und 70er wurden innerstädtische Lagen aufgrund ansteigender benötigter Verkaufsflächen sowie zunehmender Mobilität der Konsumenten deutlich unattraktiver. Hieraus entwickelte sich der Trend der ‚Grünen Wiese‘, welcher zu einer Stärkung dezentraler Standortstrukturen führte (Weers-Hermanns 2007:28-29; Zeiss 2006:24).
Einhergehend mit dem Prozess der Entstehung peripherer Einzelhandelsstandorte war eine Veränderung der Zentrenhierarchie in Deutschland zu beobachten. Oberzentren, besonders innerstädtische Lagen, verloren bezüglich ihrer Einzelhandelsfunktion an Bedeutung, wohingegen Mittel- und Unterzentren, aufgrund der Ansiedelung neuer Einzelhandelszentren an Bedeutung gewannen. Diese konnten somit ihr Versorgungsgebiet enorm erweitern (Zeiss 2006:4).
Seit Abklingen der Suburbanisierungsphase rücken Innenstädte langsam als traditioneller Standort des Wohnens, Arbeitens und Handelns wieder stärker zurück in den Fokus vieler Entwicklungen. (DH 2011:15)
Doch ungeachtet dessen ist die Konkurrenz zwischen innerstädtischen und peripheren Einzelhandelsstandorten nicht außer Acht zu lassen und sehr prägend für die Betriebsstruktur der ansässigen Einzelhandelsunternehmen. Vor allem Shopping Center in den Randgebieten der Innenstädte ziehen meist eine starke Kaufkraft an sich. Häufig praktizierte Möglichkeiten zur Stärkung der Innenstadt mit Hilfe des Einzelhandels stellen innerstädtische Shopping Center bzw. Galerien oder neue Marketingstrategien, wie z.B. Business Improvement Disctricts dar. Desweiteren gibt es in vielen Kommunen mittlerweile starke raumordnungs- bzw. bauplanungsrechtliche Restriktionen für die Ansiedlung auf der ‚grünen Wiese‘ (Rühl 2009:24; Weers-Hermanns 2007:33-35).
Als Ausdruck einer neuen Angebotsform mit Erlebnis-, Freizeit sowie einer stark ausgeprägten Convenienceorientierung haben sich neben den konventionellen Shopping Center-Typen auch die Formen des Bahnhof- und Airport-Centers entwickelt. Die Kombination von Mobilität und Erlebniseinkauf spielt hier eine bedeutende Rolle (Kaster 2006:12). In welcher Weise diese Standorte als Konkurrenz zum innerstädtischen Einzelhandel oder dem Angebot auf der ‚Grünen Wiese‘ gesehen werden müssen und wie sich der Wandel der Betriebsformen an den untersuchten Standorten ‚Bahnhof‘ und ‚Flughafen‘ widerspiegelt, wird in den Kapiteln 3 und 4 näher erläutert.
3 Bahnhöfe als Versorgungsstandorte
Von einst prunkvollen architektonischen Gebäuden, die Größe und Macht symbolisierten, entwickelten sich viele deutsche Bahnhöfe über viele Jahre hinweg zu identitätslosen Orten, die aufgrund fehlender Investitionen und somit starkem Attraktivitätsverlust zunehmend an Bedeutung verloren (Kaster 2006:7; Krau/Romero 1998:116).
Doch seit mehr als einem Jahrzehnt erfüllen viele Bahnhöfe neben der Funktion als Verkehrsknotenpunkt zusätzlich die Funktion einer modernen Dienstleistungs- und Handelsimmobilie. Von der Betreibergesellschaft DB Netz Personenbahnhöfe wird zusammengefasst:
„Bahnhöfe sind schon längst mehr als Orte, an denen Reisen starten oder enden. Aufgrund ihrer verkehrsgünstigen Lage, meist im Herzen der Stadt, gehören Bahnhöfe zu den wichtigsten Frequenz-Immobilien“ (DB 2011b:o.S.).
3.1 Die Renaissance der Bahnhöfe
Die Entwicklung vom ‚Schmuddelbahnhof‘ zur angesagten Handelsimmobilie verlief sehr abwechslungsreich, v.a. die Beziehung zwischen Bahnhof und Stadt hat sich vielfach gewandelt. Die einst als ‚Kathedralen des Fortschritts‘ bezeichneten Bahnhofshallen bildeten nicht nur das Tor zur Stadt, sondern auch das Tor zu Welt und stellten in Verknüpfung mit den meist repräsentativen Bahnhofsvorplätzen einen wichtigen Treff- und Kommunikationspunkt dar. Bereits damals waren neben Ticketschaltern auch Restaurants und Läden zu finden und auch die prunkvolle Bahnhofsstraße war häufig eine der wichtigsten Geschäftsstraßen der Stadt (Korn 2006:60).
Während die Bahn so einerseits den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt begünstigte, so brachte sie andererseits oft starke Polarisationstendenzen bezüglich der städtebaulichen Trennwirkung mit sich, ausgelöst durch die unüberwindbaren Schneisen der Gleisanlagen. Dieser Verfall des Bahnhofsumfeldes, v.a. hinter den Gleisen, war häufig zu finden und ist auch heute noch vielerorts zu beobachten (Korn 2006:60-62).
Mit Wachstum des motorisierten Individualverkehrs (MIV) verlor die Bahn nach dem zweiten Weltkrieg als Verkehrsmittel vermehrt an Bedeutung. Als Folge wurden auch viele Bahnhofsvorplätze zugunsten des MIV umfunktioniert. Der Bahnhof verlor seine Funktion als Treff- und Kommunikationspunkt und das zwielichtige Ansehen des Bahnhofsviertels wurde stärker geprägt (Korn 2006:61).
Gegen Ende der 1980er Jahren setze eine neue Entwicklungsphase ein. Bedeutende Bahnhöfe wurden zunehmend kommerziell erschlossen, aufgewertet und umgestaltet. Gründe hierfür waren zum einen neue städtebauliche Leitbilder, die Bahnhöfe wieder mehr in die städtische Entwicklung integrieren und als städtische Kristallisationspunkte wertschätzen sollten. Zum anderen spielte die wirtschaftliche Situation der Bahn, die eine Umsteuerung zu neuen Einnahmequellen sowie mehr Kundenorientierung und Attraktivität erfordert, eine wichtige Rolle (Korn 2006:61-62).
In den 1990er Jahren, als im Zuge der Bahnreform die Deutsche Bahn AG (DB AG) aus einer Fusion der ehemaligen Reichsbahn und der Bundesbahn gegründet wurde, fanden im Rahmen des Sanierungs- und Investitionsprogramms umfangreiche Um- und Neubau-maßnahmen an den großen deutschen Bahnhöfen statt (Kaster 2006:7; DB 2011a:2-5).
Diese Phase der Renaissance der Bahnhöfe (seit 1990) ist geprägt durch die Rückbesinnung eines einheitlichen Leitbilds der Bahn- und Stadtentwicklung. Treibende Kraft ist das Zusammentreffen von wachsendem Wettbewerbsdruck der Bahn und dem Leitbild der nachhaltigen Stadtentwicklung auf Planungsseite. Es entstehen gemeinsame Interessen bezüglich der Bahnhofsentwicklung sowie starke Handlungsbereitschaft auf beiden Seiten (Korn 2006:61-62).
Heute bezeichnet die DB Netze Personenbahnhöfe AG ihre 5.400 Bahnhöfe nicht nur als „Zugangstor zum System Bahn, sondern auch [als] Drehschreibe für die Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsträger, Marktplatz sowie Visitenkarten für die Städte und Regionen“ (DB 2012:o.S.).
Die Wichtigkeit der Verknüpfung zwischen Bahn und Stadt wächst sichtlich erneut in den Fokus der Entwicklungen. Wie der Bahnhof nun als Marktplatz fungiert, welche Einzelhandelsformen sich ansiedeln und welche Kundenstruktur charakteristisch ist wird in Kapitel 3.2 erläutert.
3.2 Einzelhandel an Bahnhöfen
Zunächst erfüllt ein Bahnhof die primäre Funktion als Verkehrsstation, d.h. die Funktionsabläufe, die die problemlose Abfertigung der Züge sowie der Passagiere gewährleisten, stehen im Vordergrund. Als Verkehrsknotenpunkt stellen Bahnhöfe zudem eine Verknüpfung zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln dar, sie sind folglich sehr gut erreichbar und weisen eine hohe natürliche Passantenfrequenz auf (Kaster 2006:5; Krau/Romero 1998:116).
Die zwei letztgenannten Faktoren machen den Bahnhof als Einzelhandelsstandort somit sehr attraktiv. Die DB AG macht sich dies zu Nutze und vermarktet die vorhandenen Bahnhofsflächen als Einzelhandels-, Dienstleistungs- und Gastronomieflächen. Durch Ergänzung der Funktion des Bahnhofs als Versorgungsstandort verändert sich die Gestalt und Struktur des Ortes grundlegend. Bahnhöfe sollen Orte des Wohlbefindens, des Zeitvertreibs, der Sicherheit und der Übersichtlichkeit werden. (Kaster 2006: 5-6; Krau/Romero 1998:116-117).
Abbildung 2 ist die steigende Entwicklung der beförderten Personen im Schienenverkehr von 2001 bis 2010 zu entnehmen. Die Anzahl der potentiellen Kunden für den Einzelhandel nimmt mit steigender Bedeutung des Schienenverkehrs zu. Somit stellt die Kundenstruktur eine Besonderheit des Standortes für den Einzelhandel dar. Sie ist deutlich geprägt von den Passagieren der Bahn. Die meisten Kunden suchen den Bahnhof nicht primär mit einer Kaufabsicht auf. ‚Jeder‘ kann jedoch potentieller Kunde sein – Menschen aller Altersklassen, jeder Nationalität und jeder sozialen Schicht. In traditionellen Shopping Centern wird das Angebot versucht optimal an die Nachfrage der Kunden Marktgebietes anzupassen. Da im Falle eines Bahnhof-Centers jedoch kein festgelegtes Einzugsgebiet zu bestimmen ist, entstehen sehr heterogene Kundenanforderungen, welche eine flexible Angebotsstruktur erfordern (Wucherpfennig 2006:184; Kaster 2006:17-18).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Entwicklung des Schienenpersonenverkehrs (2001-2010)
Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt (2011:6-7)
Auch das Kaufverhalten der unterschiedlichen Kundengruppen ist sehr vielfältig. Hierbei spielt es eine Rolle wie stark sich die Komponenten Nah- und Fernverkehr an der jeweiligen Station auf die Zusammensetzung der Kundengruppen auswirken. Während Fernreisende nur die Wartezeit zwischen den Anschlusszügen nutzen können und somit schnelle Kaufentscheidungen treffen, haben Berufspendler auf dem Heimweg mehr Zeit, um z.B. die täglichen Einkäufe am Bahnhof zu erledigen. Nicht-Reisende suchen den Bahnhof hingegen aufgrund seiner Versorgungsfunktion auf, verfügen über entsprechende Zeitressourcen und möchten meist alle Bedürfnisse in einem Einkaufsprozesses an einem Ort befriedigen (Kaster 2006:18).
Das Angebot an einem Bahnhof variiert zudem in Abhängigkeit von Größe und Bedeutung des Bahnhofs. Während in großen, hochfrequentierten Stationen Shopping Center integriert werden, so stellen Convenience Stores meist das geeignete Handelskonzept für kleinere, frequenzschwächere Standorte dar. Große Bahnhöfe mit ausreichender Flächenverfügbarkeit für eine Agglomeration verschiedener Gewerbetreibender erlangen im besten Fall die Funktion der Versorgung der Anwohner im Bahnhofsumfeld. Somit ermöglicht die Integration des Verkehrsknotens in den Siedlungskörper der Stadt eine Partizipation an anderweitig erzeugten Passantenströmen (Kaster 2006:6; Korn 2006:48).
Bei einheitlicher Führung des Bahnhofs durch ein Centermanagement, erfüllt ein Bahnhof-Center die definitorischen Kriterien eines Shopping Centers und kann als ein solches eingestuft werden (Bsp. Leipzig, vgl. Kapitel 3.3) (Kaster 2006:12-13). Trifft dies nicht zu, können sie nach ausreichenden Modernisierungsmaßnahmen jedoch durchaus als Handelsimmobilie und attraktiver Standort für Einzelhändler, z.B. im Convenience Bereich oder Reisebedarf (Bahnhofsbuchhandlungen) bezeichnet werden (Bsp. Mainz, Aachen).
Wettbewerbsvorteile des Bahnhofs als Einzelhandelsstandort gegenüber anderen Standorten, z.B. in der Innenstadt, sind neben der sehr guten infrastrukturellen Erschließung sowie der natürlichen hohen Passantenfrequenz, vor allem die Ladenschlusszeiten. Diese gesonderten Zeiten werden nach §8 des Ladenschlussgesetzes (LadSchlG) geregelt. Hiernach dürfen Verkaufsstellen in Personenbahnhöfen an allen Tagen des Jahres geöffnet haben, insofern sie den Bedürfnissen des Reiseverkehrs entsprechen. Obgleich die Begriffe des Reisebedarfs in §2 LadSchlG abgegrenzt sind, lassen diese dennoch die Frage nach der Auslegung der einzelnen Begriffe entstehen. Es besteht ein großer Spielraum bezüglich der Produkte, die verkauft werden und der Läden, die geöffnet haben dürfen. Viele Verkaufsstellen nutzen diesen Spielraum aus und haben das ganze Jahr über geöffnet (LadSchlG §2, §8; Kaster 2006:19).
Als Wettbewerbsnachteil des Standortes ‚Bahnhof‘ kann hingegen der Einfluss des Gesamtunternehmens DB AG bewertet werden. Bei etwaiger Schrumpfung der Anzahl der Kunden der DB AG kann sich dies auch auf die Kundenanzahl der Einzelhändler auswirken. Zudem entstehende Verärgerungen bei Kunden, aufgrund von Preiserhöhungen, Zugverspätungen o.ä., kann unbewusst auf den Standort Bahnhof übertragen werden und das Image negativ beeinflussen. Als zusätzliches Risiko können zudem strategische Entscheidungen der DB AG bezüglich der Streckenführung und der Zughalte gesehen werden (Kaster 2006:18-22).
Die rasante Entwicklung des Bahnhofs als Einzelhandelsstandort spricht jedoch für dessen Erfolg. Die milliardenschweren Investitionen, die die DB AG seit 1994 in Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vieler Personenbahnhöfe steckte, zeigen Wirkung. Die Umsatzerlöse aus der Vermietung stiegen von 1999 bis 2010 von 184 Mio. € auf 330 Mio. €. Vielerorts werden die modernen Bahnhofsgebäude ihrer Funktion als Visitenkarte für Bahn und Stadt gleichermaßen bestens gerecht. Viele Investoren bevorzugen folglich zunehmend Transiträume als Einzelhandels- oder Dienstleistungsstandort. Hinzu kommen neue Konsumverhalten mit stark differenzierten Zeitbudgets und Mobilitätsstrukturen, die den lange Zeit sehr starren ‚Raum-Zeit-Käfig‘ des traditionellen Handels verändern. Dies führt dazu, dass Verkehrsknotenpunkte mit ihren besonderen Standortmerkmalen einen wachsenden Stellenwert im Einzelhandel bekommen (DB 2010:o.S.; Klein 2000:14; Korn 2006:66).
3.3 Praxisbeispiel ‚Promenade Hauptbahnhof Leipzig‘
Nachdem 1839 die erste Ferneisenbahnstrecke zwischen Dresden und Leipzig eröffnete, wurde 1842 der Leipziger ‚Bayrische Bahnhof‘ fertiggestellt. Erst 1915, nach 13 Jahren Bauzeit, wurde der jetzige Leipziger Hauptbahnhof eröffnet. Bis heute ist er der größte europäische Kopfbahnhof (Stadt Leipzig 2011:o.S.).
Zu Beginn der 1990er Jahre wurde der Leipziger Hauptbahnhof in einer zwei jährigen Bauphase denkmalgerecht saniert und aufwändig modernisiert. Als Kooperation zwischen der DB AG und dem auf Shopping Center spezialisierten Unternehmen ECE wurde ein Shopping Center mit zwei Tiefgeschossen in den Leipziger Hauptbahnhof integriert. 1997 wurde der Leipziger Hauptbahnhof als neues Shopping-, Service- und Dienstleistungszentrum eröffnet (Stadt Leipzig 2011:o.S.; Korn 2006:62)
Lange stand das Projekt in der Kritik – zum einen bestand Zweifel an der massiven Kommerzialisierung des historischen Gebäudes und zum anderen wurde die Hoffnung, durch das Shopping Center Kunden von der ‚Grünen Wiese‘ zurückzugewinnen, schnell durch Existenzängste des innerstädtischen Einzelhandels getrübt. Allerdings ist die anfängliche Skepsis bald in Akzeptanz umgeschlagen. Stadt und Bahn ergänzen sich optimal und der Hauptbahnhof gilt als ‚das Glanzstück der Renaissance der Bahnhöfe‘. Er verfügt über 26 Gleise, an denen heute täglich 111 Züge im Fernverkehr, 539 Züge im Nahverkehr und 227 S-Bahnen verkehren, was zu sehr starken Passantenströmen führt (DB 2011c:o.S.; Korn 2006:62).
Das Shopping Center mit 30.000m² vermieteter Fläche auf drei Etagen umfasst 142 Geschäfte mit den Schwerpunkten Mode, Gastronomie & Nahrungsmittel, Unterhaltungselektronik und einem umfassenden Dienstleistungsangebot. Die sogenannten Promenaden im Hauptbahnhof Leipzig werden täglich von 80.000 bis 150.000 Menschen aufgesucht (vgl. Main-Taunus-Zentrum – tägliche Besucher: 40.000) (MTZ 2011:o.S.; PHL 2011:o.S.).
Der in Anhang 1 zu sehende Lageplan der Leipziger Promenaden am Hauptbahnhof zeigt, dass vorwiegend große Filialisten sowie convenienceorientierte Geschäfte zu finden sind.
Die im LadSchlG besonders geregelten Ladenschlusszeiten für Personenbahnhöfe ermöglichen es den Kunden dieses Shopping- und Dienstleistungscenter täglich bis 22.00 Uhr zu besuchen und auch sonntags sind 80 Geschäfte geöffnet. Zusätzlich gibt es in den Promenaden vom Centermanagement organisierte Aktionen aus den Bereichen Kultur, Sport und Medien, wie es in traditionellen Shopping Centern meist auch üblich ist (PHL 2011:o.S.).
Angrenzend an die Innenstadt, in direktem Anschluss an die Fußgängerzone gelang es am Hauptbahnhof Leipzig eine Verknüpfung zwischen innerstädtischem Einzelhandel und den Einzelhandelsangeboten im Bahnhofs-Center herzustellen. Das Einzugsgebiet der Promenaden am Hauptbahnhof umfasst ca. 905.000 Einwohner. Abb. 3 zeigt, dass das erweiterte Ferneinzugsgebiet sogar das nahgelegene Oberzentrum Halle umfasst. ECE bezeichnet den Bahnhof als „Besuchermagnet für die Messestadt“ (ECE o.J.:o.S.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Besuchereinzugsgebiet der Promenade Hauptbahnhof Leipzig
Quelle: ECE (o.J.:o.S.)
Nach einer Studie von Korn ist Leipzig der einzige Hauptbahnhof der den Schlagzeilen ‚Erlebnisimmobilie‘ und ‚Shopping Center mit Gleisanschluss‘ gerecht werden kann. Alle anderen als Shopping Center bezeichneten Bahnhöfe, wie z.B. Köln oder Berlin Ostbahnhof erfüllen nur einige wenige Kriterien eines Shopping Centers. Eher können sie als attraktive Reisezentren mit städtischen Angeboten bezeichnet werden. Diese Aussage belegt Korn mit einer Studie von Bastian, die die Anziehungskraft eines Shopping Centers mit Hilfe der drei Schlüsselfaktoren Convenience, Erlebnis und Versorgung bestimmt. Ohne eine ausreichend große Flächenverfügbarkeit ist es meist schwierig die Faktoren Erlebnis und Versorgung umzusetzen. Erst großmaßstäbige Lösungen bieten genug Platz um die ausdifferenzierten Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen. Kein anderer deutscher Bahnhof bietet ein vergleichbares räumliches und architektonisches Potential wie die historischen Gebäude des Leipziger Hauptbahnhofes. In Leipzig ist es gelungen alle Faktoren zu vereinen und eine ansprechende Shoppingatmosphäre zu schaffen (Korn 2006:64,200-201).
3.4 Zwischenfazit ‚Einzelhandelsstandort Bahnhof‘
Tiefgreifende Veränderungen des Mobilitäts- und Einkaufsverhaltens mit steigender Bedeutung der Erlebnis- und Conveniencekomponente und der daraus resultierenden Reaktion des Einzelhandels mit der Entwicklung neuer Betriebsformen rückten Bahnhöfe zunehmend in des Fokus des Einzelhandels. Zudem spielt die Ertragslage der DB AG eine entscheidende Rolle. Es konnten erfolgreiche Umsatzsteigerungen durch die Vermietung von Einzelhandels-, Dienstleitungs- und Gastronomieflächen verzeichnet werden.
Die Entwicklungen eines Bahnhofs als Verkehrsstation und gleichzeitig als Versorgungsstandort können sich gegenseitig beeinflussen. Kommt es zu einer Verärgerung der Bahnkunden, so bedeutet dies folglich auch einen Nachteil für den ansässigen Einzelhandel an Bahnhöfen, denn die meisten Kunden suchen Bahnhöfe nicht primär mit einer Kaufabsicht auf.
Andererseits kann ein umfassendes Shopping- und Erlebnisangebot an Bahnhöfen das Image dessen deutlich steigern, denn „Bahnhöfe gelten als integrale Bestandteile der Zugfahrt. Ihre Aufwertung steigert […] die Attraktivität der Bahnreise insgesamt und verbessert das Image der Bahn“ (Korn 2006:63).
Bei dem vorgestellten Praxisbeispiel ‚Promenaden Hauptbahnhof Leipzig‘ kann durchaus von einer erfolgreichen Umsetzung als Einzelhandelsstandort gesprochen werden. Es ist gelungen die Funktion des Bahnhofs als Verkehrsstation zu erhalten und gleichzeitig ein Shopping Center zu integrieren. Außerdem ist hervorzuheben, dass nicht nur der Bereich Convenience abgedeckt wird, wie es an vielen anderen Bahnhöfen der Fall ist, sondern auch die Bereiche Erlebnis und Versorgung nicht außer Acht gelassen werden. Allerdings ist zu betonen, dass am Hauptbahnhof Leipzig ein räumliches und architektonisches Potential zur Verfügung steht, welches so an keinem anderen deutschen Bahnhof zu finden ist. Jedoch auch ohne Integration eines Shopping Centers zeigt der Standort ‚Bahnhof‘ großes Potential als Handelsimmobilie und stellt somit einen nennenswerten Einzelhandelsstandort dar.
Tabelle 1 zeigt zusammenfassend die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken des Bahnhofs als Einzelhandelsimmobilie.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: SWOT-Analyse für den Einzelhandelsstandort ‚Bahnhof‘
Quelle: Eigene Darstellung nach Kaster (2006:22)
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